Victor Hugo
Han der Isländer. Band 2
Victor Hugo

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XLVI.

Der Ueberrest des Regiments der Arquebusiere von Munckholm war in seine Kaserne zurückgekehrt, welche innerhalb der Festung einzeln in einem großen viereckigen Hofe stand. Mit Einbruch der Nacht wurden die Pforten dieses Gebäudes, wie es gebräuchlich war, verrammelt. In diesem Gefängniß, dem sichersten und am besten bewachten in der ganzen Festung, wurden die beiden Verurtheilten, die am folgenden Morgen gehängt werden sollten, Han der Isländer und Musdoemon, verwahrt.

Han der Isländer lag allein in seinem Kerker. Plötzlich erhob er sich und rief den Kerkermeister, der in einem Nebenzimmer bei der Wache saß.

»Was willst Du?« fragte der Kerkermeister.

»Es friert mich. Mein steinernes Bett ist hart und feucht. Gib mir einen Bund Stroh zum Schlafen und ein wenig Feuer, mich zu wärmen.«

»Es ist billig, einem armen Teufel, der morgen gehängt werden soll, mindestens einige Bequemlichkeit zu verschaffen, wäre es auch Han der Isländer. Ich will Dir bringen, was Du verlangst . . . Hast Du Geld?«

»Nein!« erwiederte der Räuber.

»Wie! Du, der berüchtigtste Räuber in Norwegen, Du hast nicht einmal ein paar elende Dukaten in Deiner Tasche?«

»Nein!«

»Doch etliche Thaler?«

»Nein, sage ich Dir!«

»Nicht einmal einige armselige Groschen?«

»Nein! Nein! Nichts, nicht so viel, um davon das Fell einer Ratte oder die Seele eines Menschen kaufen zu können.«

Der Kerkermeister schüttelte den Kopf: »Das ist ein Anderes, dann hast Du Unrecht, Dich zu beklagen. Deine Zelle ist nicht so kalt, als die, worin Du morgen schlafen wirst, ohne Dich, das versichere ich Dir, über die Härte des Bettes zu beklagen.«

Der Kerkermeister entfernte sich unter den Verwünschungen des Gefangenen, der seine schweren Ketten schüttelte.

Bald darauf öffnete sich die Thüre wieder. Ein großer Mann in rother Kleidung, eine Blendlaterne in der Hand, trat in den Kerker, begleitet von dem Kerkermeister.

»Han von Island,« sagte der Mann, »ich bin Nychol Orugir, Scharfrichter der Provinz Drontheimhus. Ich werde morgen mit Tagesanbruch die Ehre haben, Deine Excellenz auf dem öffentlichen Platze von Drontheim an einen schönen neuen Galgen zu hängen.«

»Weißt Du gewiß, daß Du mich hängen wirst?« fragte der Räuber.

Der Henker lachte: »Wenn Du nur so gewiß wärest, auf der Jakobsleiter geradewegs in den Himmel zu steigen, als Du gewiß bist, morgen auf der Orugixleiter auf den Galgen zu steigen.«

»Meinst Du wirklich?« sagte das Unthier mit höhnischem Grinsen.

»Ich sage Dir ja, Freund Galgenschwengel, daß ich der Scharfrichter der Provinz bin.«

»Wenn ich nicht ich wäre, möchte ich Du sein,« sagte der Gefangene.

»Ich möchte Dir nicht das Nämliche sagen,« erwiederte der Henker. Dann rieb er sich im Gefühle geschmeichelter Eitelkeit die Hände und fuhr fort: »Mein Freund, Du hast Recht, es ist ein schöner Stand um den unserigen. Ah! Meine Hand weiß, was der Kopf eines Menschen wiegt.«

»Hast Du bisweilen Blut getrunken?« fragte der Räuber.

»Nein, aber ich habe oft auf die Folter gespannt.«

»Hast Du manchmal die Eingeweide eines noch lebenden kleinen Kindes aufgefressen?«

»Nein, aber ich habe menschliche Knochen in meinen eisernen Schraubstöcken zermalmt; ich habe menschliche Glieder zwischen den Fugen meines Rads gebrochen; ich habe menschliches Fleisch mit glühenden Zangen gezwickt; ich habe siedendes Oel und heißes Blei in geöffnete Adern gegossen.«

»Du hast allerdings auch Deine Genüsse, das muß ich gestehen,« sagte das Unthier nach einigem ernsten Nachdenken.

»Ueberhaupt,« fuhr der Henker fort, »obwohl Du Han der Isländer bist, glaube ich, daß meine Hände noch mehr Seelen zum Teufel geschickt haben, als die Deinigen, ohne Dich selbst mitzuzählen, da ich morgen früh die Ehre haben werde, Dich in die Hölle zu befördern.«

»Weißt Du denn, ob ich eine Seele habe? Meinst Du denn, Henker von Drontheimhus, daß Du Ingulphs Geist aus Han's Körper austreiben könnest, ohne daß er den Deinigen mitnimmt?"

»Das werden wir morgen sehen!« erwiederte der Henker lachend.

»Wir werden es sehen!« sagte der Räuber.

»Aber,« fuhr der Henker fort, »ich bin nicht gekommen, mit Dir von Deiner Seele zu reden, sondern von Deinem Körper, Dein Leichnam gehört mir nach Deinem Tode von Rechtswegen, allein das Gesetz gibt Dir die Befugniß, ihn an mich zu verkaufen. Sage mir nun, was willst Du dafür?«

»Was ich für meinen Leichnam will?«

»Ja, und mache es christlich!«

Han der Isländer wandte sich an den Kerkermeister: »Was willst Du für einen Bund Stroh und ein wenig Feuer?«

»Zwei Dukaten,« erwiederte der Kerkermeister nach einigem Besinnen.

»Also,« sagte der Gefangene zum Henker, »verlange ich zwei Dukaten für meinen Leichnam.«

»Zwei Dukaten!« rief der Henker aus. »Das ist entsetzlich theuer. Zwei Dukaten für einen elenden Leichnam! Nein, so viel gebe ich nicht.«

»Dann,« antwortete ruhig das Unthier, »bekommst Du ihn auch nicht.«

»Dann wird Dein Leichnam auf den Schindanger geworfen, statt das Museum zu Kopenhagen oder Bergen zu zieren.«

»Was liegt mir daran!«

»Noch lange nach Deinem Tode würde man Dein Skelett besehen und sagen: Das ist das Skelett des berühmten Han's des Isländers! Man würde Deine Gebeine sorgfältig poliren, mit kupfernen Ringen zusammen befestigen, man würde Dich in einem Glasschrank aufstellen, der jeden Morgen sauber abgewischt würde. Im andern Falle werden Dich Geier und Raben fressen, und Würmer an Deinem Leichnam zehren.«

»Dann gleiche ich den Lebenden, die stets von den Kleinen benagt und von den Großen aufgezehrt werden.«

»Zwei Dukaten!« murmelte der Henker zwischen den Zähnen. »Welch ungeheure Forderung! Wenn Du den Preis nicht herabsetzest, werden wir nicht einig.«

»Es ist zum ersten- und letztenmal, daß ich mein Leben verkaufe, und da will ich einen guten Handel machen.«

»Bedenke, daß ich Dich Deine Halsstarrigkeit bereuen lassen kann. Morgen bist Du in meiner Gewalt.«

»Meinst Du?«

Diese Worte wurden mit einem Ausdruck gesprochen, der dem Henker entging.

»Allerdings, und es gibt eine Art, die Schleife zu machen . . . während ich, wenn Du vernünftig bist, Dich aufs beste hängen will.«

»Mir liegt wenig daran, was Du morgen mit meinem Halse machst!« antwortete das Unthier spöttisch.

»Könntest Du nicht mit zwei Thalern zufrieden sein? Was nützt Dir denn das Geld?«

»Wende Dich an Deinen Kameraden; er fordert mir zwei Dukaten für ein wenig Stroh und Feuer.«

»Es ist empörend,« sagte der Henker, sich gegen den Kerkermeister ereifernd, »sich ein wenig Stroh und Holz mit Gold aufwägen zu lassen. Zwei Dukaten!«

»Ich bin ein guter Kerl, daß ich nicht vier Dukaten fordere. Du, Meister Nychol, bist ein Jude, daß Du diesem armen Gefangenen nicht zwei Dukaten für seinen Leichnam geben willst, den Du um wenigstens zwanzig Dukaten an irgend einen Gelehrten oder Arzt verkaufen kannst.«

»Ich habe nie mehr als fünfzehn Groschen für einen Leichnam gegeben.«

»Ja, für den Leichnam eines elenden Diebs oder eines Betteljuden, das mag sein, aber man weiß wohl, daß Du für Han des Isländers Leichnam bekommen wirst, was Du nur forderst.«

Der Räuber schüttelte verächtlich den Kopf.

»Was geht es Dich an!« sagte Orugix rasch. »Kümmere ich mich um Deine Beute, um die Kleider, das Geld, die Kleinodien, welche Du den Gefangenen stiehlst, um das schmutzige Wasser, das Du in ihre magere Suppe gießest, um alle die Drangsale, die Du ihnen anthust, um Geld von ihnen zu erpressen? Nein, ich gebe nicht zwei Dukaten.«

»Keine zwei Dukaten, kein Stroh und kein Feuer!« erwiderte der halsstarrige Kerkermeister.

»Keine zwei Dukaten, kein Leichnam!« fügte ruhig der Räuber hinzu.

Nach einigem Schweigen stampfte der Henker auf den Boden: »Ich habe keine Zeit zu verlieren: ein anderes Geschäft ruft mich. Hier, verfluchter isländischer Teufel, hier hast Du Deine zwei Dukaten! Der Satan gibt gewiß nicht so viel um Deine Seele, als ich um Deinen Körper.«

Der Räuber nahm die beiden Goldstücke. Sogleich streckte der Kerkermeister die Hand darnach aus, um sie zu empfangen.

»Geduld, guter Freund, gib mir zuvor, was ich von Dir verlangt habe!«

Der Kerkermeister ging hinaus und kehrte bald mit einem Bund Stroh und einer Kohlpfanne voll glühender Kohlen zurück, die er neben den Gefangenen stellte.

»So,« sagte der Räuber und gab ihm die beiden Goldstücke, »jetzt will ich mich diese Nacht wärmen. Noch ein Wort,« fügte er in düsterem Tone hinzu: »Stößt nicht dieser Kerker an die Kaserne der Arquebusiere von Munckholm?«

»Allerdings!« erwiederte der Kerkermeister.

»Und woher kommt der Wind?«

»Von Westen,« glaube ich.

»Recht,« sagte der Gefangene.

»Wo willst Du damit hinaus?« fragte der Kerkermeister.

»Nirgends,« antwortete der Räuber.

Die Pforte schloß sich hinter dem Henker und Kerkermeister, und sie hörten nichts mehr als das grinsende Lachen des Unthiers.


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