Victor Hugo
Han der Isländer. Band 2
Victor Hugo

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XLII.

»Baron Voethaün, Oberst der Arquebusiere von Munckholm, nennen Sie dem Gerichtshofe den Soldaten, der in den Schluchten des schwarzen Pfeilers Han den Isländer zum Gefangenen gemacht hat, damit er die versprochenen tausend Thaler in Empfang nehme.«

So sprach der Präsident des Tribunals zu dem Oberst der Arquebusiere. Das Tribunal, das ohne Appellation verurtheilte, blieb nach altem Gebrauche versammelt, bis sein Spruch vollzogen war. Vor ihm stand der falsche Han von Island mit dem Strick um den Hals.

Der Oberst, der an dem Tische des Geheimschreibers saß, erhob sich.

»Verehrteste Herren Richter,« sprach er, »der Soldat, der Han den Isländer gefangen hat, ist hier; er heißt Torie Belfast, zweiter Arquebusier meines Regiments.«

»So trete er vor,« sagte der Präsident, »die zugesagte Belohnung zu empfangen.«

Ein junger Soldat trat vor.

»Seid Ihr Torie Belfast?«

»Ja, Ihr Gnaden!«

»Habt Ihr Han von Island gefangen genommen?«

»Ja, mit Beelzebubs Hülfe, Euer Gnaden erlauben!«

Man legte einen schweren Geldsack auf den Tisch nieder.

»Erkennt Ihr in diesem Manne da Han den Isländer?«

»Das Gesicht der schönen Cattie kannte ich besser, als das Han's von Island, aber wenn Han der Isländer irgendwo ist, so steckt er gewiß in diesem Riesen da.«

»Tretet näher, Torie Belfast, hier sind die versprochenen tausend Thaler.«

Der Soldat trat näher. Da erhob sich unter den Zuschauern eine Stimme: »Arquebusier von Munckholm, Du hast Han den Isländer nicht gefangen!«

»Bei allen Teufeln!« rief der Soldat und wandte sich um, »ich habe nichts im Vermögen, als meine Tabakspfeife, aber dem, der dies sagt, will ich zehntausend Thaler geben, wenn er beweist, was er gesagt hat.«

Der Soldat kreuzte die Arme über die Brust und warf einen zuversichtlichen Blick auf die Zuschauer umher: »Nun, trete hervor, wer gesprochen hat!«

»Ich!« sagte ein kleiner Mann und trat aus der Menge.

Der Mann war in Seehundsfelle gehüllt, ein schwarzer Bart und schwarze Haare bedeckten sein Gesicht; was man davon sehen konnte, war scheußlich anzublicken. Seine Kleidung war über ihn ausgebreitet, wie das Dach einer konischen Hütte, und man sah nichts von seinen Armen und Händen.

»Ah! Du bist es!« sagte der Soldat mit lautem Lachen. »Und wer sonst hat denn diesen teufelhaften Riesen gefangen?«

Der kleine Mann lächelte spöttisch und sagte: »Ich!«

»Wirklich! Du!« erwiederte der Soldat ironisch. »Wenn Du nicht in diesen grönländischen Seehundsfellen stecktest, würde ich Dich für jenen andern Zwerg halten, der vor etwa vierzehn Tagen im Spladgest Streit mit mir anfing . . . Es war an dem Tage, wo man den Leichnam des Bergmanns Gill Stadt . . .«

»Gill Stadt!« unterbrach ihn der kleine Mann heulend.

»Ja, Gill Stadt, der abgewiesene Liebhaber eines Mädchens, welches die Geliebte eines meiner Kameraden war, und für die er gestorben ist, wie ein Thor.«

Der kleine Mann fragte mit dumpfer Stimme: »War nicht auch im Spladgest der Leichnam eines Offiziers Deines Regiments?«

»Richtig, ich werde mein Lebenlang an diesen Tag denken, ich hatte im Spladgest die Stunde des Zapfenstreichs vergessen, und wäre deßhalb beinahe degradirt worden. Dieser Offizier war der Hauptmann Dispolsen . . .«

Bei diesem Namen erhob sich der geheime Sekretär: »Diese beiden Individuen mißbrauchen die Geduld des Gerichtshofs. Wir bitten den Herrn Präsidenten, diesem nutzlosen Gespräch ein Ende zu machen.«

»Bei den Schelmenaugen meiner Cattie, das ist mir ganz recht, wenn mir nur die Herren Richter die tausend Thaler zuerkennen, denn ich habe Han den Isländer gefangen genommen.«

»Du lügst!« schrie der kleine Mann.

Der Soldat griff mit der rechten Hand an die linke Seite.

»Es ist ein Glück für Dich, daß wir vor Gericht stehen, wo ein Soldat unbewaffnet erscheinen muß, wie ein altes Weib,« sagte der Soldat.

»Mir,« erwiederte frostig der kleine Mann, »gehört der Preis, denn ohne mich würde man Han des Isländers Kopf nicht haben.«

Der Soldat wurde wüthend und schwur, daß er Han den Isländer gefangen genommen habe, als er auf dem Schlachtfelde lag und die Augen wieder zu öffnen begann.

»Es ist möglich,« antwortete sein Gegner, »daß Du ihn gefangen hast, aber ich habe ihn niedergeschlagen. Ohne mich hättest Du ihn nicht gefangen nehmen können. Also gehören mir die tausend Thaler.«

»Das ist erlogen, nicht Du hast ihn niedergeschlagen, sondern ein in Thierhäute gehüllter Dämon.«

»Ich war es!«

»Nein! Nein!«

Der Präsident legte Beiden Stille auf; dann fragte er den Oberst Voethaün, ob Torie Belfast es gewesen, der ihm Han den Isländer gefangen zugeführt, und auf dessen bejahende Antwort erklärte er, daß die Belohnung dem Soldaten gehöre.

Der kleine Mann knirschte mit den Zähnen, und der Soldat streckte gierig die Hände aus, den Geldsack in Empfang zu nehmen.

»Einen Augenblick Geduld!« rief der kleine Mann aus. »Herr Präsident, nach dem Edikt des Oberrichters gehört dieses Geld bloß demjenigen, der Han den Isländer überliefern wird?«

»Nun denn,« sagten einige Richter.

Der kleine Mann wendete sich gegen den Riesen: »Dieser Mensch da ist nicht Han der Isländer.«

Ein Murmeln des Staunens durchlief den Saal. Der Präsident und der geheime Sekretär ereiferten sich auf ihren Sitzen.

»Nein,« wiederholte mit starker Stimme der kleine Mann, »das Geld gehört nicht dem verdammten Arquebusier von Munckholm, denn dieser Mensch da ist nicht Han der Isländer.«

»Hellebardiere,« sagte der Präsident, »man führe diesen Rasenden ab, er ist wahnsinnig.«

Der Bischof erhob seine Stimme: »Der Herr Präsident erlaube mir die Bemerkung, daß man, wenn dieser Mensch nicht angehört wird, die Rettungsplanke unter den Füßen des hier gegenwärtigen Verurtheilten zertrümmern kann. Ich verlange daher, daß die Confrontation fortgesetzt werde.«

»Hochwürdiger Herr Bischof,« erwiederte der Präsident, »der Gerichtshof willfahrt Ihnen.«

Hierauf wandte er sich zu dem Riesen: »Ihr habt erklärt, Han der Isländer zu sein. Bestätigt Ihr diese Aussage im Angesicht des Todes?«

Der Verurtheilte erwiederte: »Ich bestätige sie, ich bin Han der Isländer.«

»Sie hören jetzt selbst, Herr Bischof!«

Der kleine Mann rief zu gleicher Zeit: »Du lügst, Bergbewohner von Kole! Du lügst! Beharre nicht länger darauf, einen Namen zu führen, dessen Gewicht Dich zu Boden drückt! Denke daran, daß er Dir schon einmal Unheil gebracht hat!«

»Ich bin Han von Klipstadur in Island,« wiederholte der Riese, während er den geheimen Sekretär starr anblickte.

Der kleine Mann trat näher zu dem Soldaten von Munckholm, der, wie alle Zuschauer, diesen Auftritt neugierig beobachtete.

»Bergbewohner von Kole, Han der Isländer trinkt Menschenblut. Wenn Du Han bist, so trink! Hier ist Menschenblut!«

Kaum waren diese Worte gesprochen, so ließ er seinen Seehundsmantel fallen, und durchbohrte mit einem Dolche die Brust des Soldaten, der entseelt zu den Füßen des Riesen niederfiel.

Ein Schrei des Entsetzens erhob sich, die Soldaten, welche den Riesen bewachten, wichen scheu zurück. Der kleine Mann, schnell wie der Blitz, stürzte auf den Bergbewohner los und mit einem zweiten Dolchstiche streckte er ihn auf den Leichnam des Soldaten nieder. Jetzt warf er sein falsches Haar und seinen falschen Bart ab und stand da in der ganzen Kraft seiner nervigen Glieder, scheußlich in Thierfelle gehüllt und mit einem Gesichte, das unter den Umstehenden noch mehr Entsetzen erregte, als selbst der von Menschenblut gefärbte Dolch, den er in seiner Hand hielt.

»He, Ihr Richter,« rief er aus, »wo ist Han der Isländer?«

»Wachen,« rief der Präsident mit Entsetzen, »greift dieses Ungeheuer!«

Er warf seinen Dolch auf den Boden: »Er ist mir unnütz, es sind keine Soldaten von Munckholm mehr da!«

Nachdem er dies gesprochen hatte, ließ er sich von den Häschern und Hellebardieren, die sich angeschickt hatten, ihn wie eine Festung zu belagern, ohne Widerstand greifen. Man kettete ihn auf die Bank der Angeklagten, und eine Sänfte trug seine beiden Schlachtopfer, von denen das eine, der Bergbewohner, noch athmete, weg.

Der Bischof erhob sich: »Verehrteste Herren Richter . . .«

»Bischof von Drontheim,« unterbrach ihn das Ungeheuer, »ich bin Han der Isländer, gib Dir nicht die Mühe, mich zu vertheidigen.« Der geheime Sekretär stand auf: »Erlauchter Präsident . . .«

»Geheimer Sekretär,« fiel ihm das Unthier ins Wort, »ich bin Han der Isländer, gib Dir nicht die Mühe, mich anzuklagen.«

Jetzt, mit seinen Füßen im Blute der Ermordeten, ließ er seinen wilden Blick über die Richter, die Wächter und die Zuschauer hinschweifen, und diese ganze Menschenmasse schien vor einem einzelnen waffenlosen, angeketteten Manne zu zittern und sich zu entsetzen.

»Ihr Richter,« fuhr er fort, »erwartet kein langes Geschwätz von mir. Ich bin der Dämon von Klipstadur. Meine Mutter ist das alte Island, die Insel der Vulkane. Sie bildete ehemals nur einen einzigen Berg, aber ein Riese, der sich auf sie stützte, als er vom Himmel fiel, hat sie zusammengedrückt. Ich bin der Abkömmling Ingulphs des Vertilgers und sein Geist ruht auf mir. Ich habe mehr Mordthaten begangen und mehr Gebäude angezündet, als Ihr in Eurem Leben ungerechte Urtheile gesprochen habt. Ich habe gemeinschaftliche Geheimnisse mit dem Kanzler Ahlfeldt. Ich würde alles Blut, das in Euren Adern fließt, mit Vergnügen trinken. Meine Natur ist, die Menschen hassen, mein Beruf, ihnen zu schaden. Oberst der Arquebusiere von Munckholm, ich war es, der Dir von dem Marsch der Bergleute durch die Schluchten des schwarzen Pfeilers Nachricht gab, weil ich wußte, daß Du in diesen Schluchten viele Menschen tödten würdest, ich war es, der ein Bataillon Deines Regiments mit meinen Feldstücken zerschmetterte; ich rächte meinen Sohn. Jetzt, Ihr Richter, ist mein Sohn todt, und ich komme, hier den Tod zu suchen. Ingulphs Seele wird mir zur Last, weil ich sie allein trage und keinem Erben übergeben kann. Ich bin des Lebens müde, weil es nicht mehr Lehre und Beispiel für einen Nachfolger sein kann. Ich habe Menschenblut genug getrunken, ich habe keinen Durst mehr. Hier bin ich, jetzt könnt Ihr mein Blut trinken.«

Er schwieg, und leise liefen seine furchtbaren Worte von Mund zu Mund.

Der Bischof sprach zu ihm: »Mein Sohn, in welcher Absicht habt Ihr denn so viele Verbrechen begangen?«

Das Unthier lachte: »Ich schwöre Dir, hochwürdiger Bischof, daß es nicht in der Absicht geschah, wie Dein Kollege, der Bischof von Borglum that, mich zu bereichern.Nach alten Chroniken machte sich im Jahre 1525 ein Bischof von Borglum durch verschiedene Räubereien berüchtigt. Er war im Bunde mit Seeräubern, welche die Küsten von Norwegen plünderten. Es lag etwas in meinem Innern, das mich dazu trieb.«

»Gottes Geist ruht nicht auf allen seinen Dienern,« erwiederte demüthig der Bischof. »Ihr wolltet mich schmähen, ich möchte Euch vertheidigen können.«

»Du verlierst Deine Zeit, Bischof! Frage Deinen andern Kollegen, den Bischof von Scalholt in Island. Bei Ingulph, das ist seltsam, daß zwei Bischöfe sich meines Lebens angenommen haben, der eine an meiner Wiege, der andere an meinem Grabe. Bischof, Du bist ein alter Narr.«

»Glaubst Du an Gott, mein Sohn?«

»Warum nicht? Es soll ein Gott sein, damit ich ihn lästern kann.«

»Halt ein, Unglücklicher! Du stirbst und demüthigst Dich nicht zu Christi Füßen!«

Das Ungeheuer zuckte die Achseln: »Wenn ich es thäte, so würde es auf die Weise des Kriegsmanns Rolf geschehen, der des Königs Füße küßte, um ihn zu Boden zu werfen.«

Der Bischof setzte sich tief betrübt nieder.

»Nun, ihr Richter,« rief der Räuber, »auf was wartet Ihr noch? Wäre ich an Eurer Stelle gewesen und Ihr an der meinigen, ich hätte Euch nicht so lange auf Euer Todesurtheil warten lassen.«

Die Richter entfernten sich. Nach einer kurzen Berathung kehrten sie zurück, und der Präsident las mit lauter Stimme ein Urtheil, das in den üblichen Formeln Han den Isländer verurtheilte, am Halse gehängt zu werden, bis der Tod erfolge.

»So ist es recht,« sagte das Ungeheuer. »Kanzler von Ahlfeldt, ich weiß genug von Dir, um ein gleiches Urtheil für Dich zu erlangen; aber lebe, weil Du den Menschen Böses thust. Macht fort, ich bin jetzt sicher, nicht in den NysthiemNach dem Volksglauben war bei Nysthiem die Hölle derjenigen, die an Krankheit oder Altersschwäche sterben. zu kommen.

Der geheime Sekretär befahl der Wache, ihn in den Keller des Löwen von Schleswig zu führen, während man ihm in der Kaserne der Arquebusiere von Munckholm ein Gefängniß bereite.

»In der Kaserne der Arquebusiere von Munckholm,« wiederholte das Unthier mit freudigem Grinsen.


 << zurück weiter >>