Victor Hugo
Han der Isländer. Band 2
Victor Hugo

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XXXII.

Inzwischen waren die Rebellen durch den Haupteingang, der in einer tiefen Schlucht sich zu ebener Erde öffnet, aus der Bleimine von Apsyl-Corh ausgezogen.

Ordener, der Norbiths Bande zugetheilt worden war, sah im Anfang nur einen langen Zug von Fackeln, deren Schein, mit den ersten Strahlen des Tages im Kampfe, auf Aexten, Gabeln, Hauen, eisernen Streitkolben, Hämmern, Hebebäumen und all den plumpen Waffen wiederglänzte, welche der Aufstand von der Arbeit entlehnen kann, vermischt mit regelmäßigen Waffen, Flinten, Piken, Säbeln, Pistolen, aus denen man absehen konnte, daß dem Aufstand eine Verschwörung vorhergegangen war.

Nachdem die Sonne aufgegangen war, konnte Ordener diese seltsame Armee, die ohne Ordnung unter rohem Gesang und wildem Geschrei vorrückte, besser überblicken. Sie war in drei Divisionen, oder vielmehr in drei ordnungslose Haufen abgetheilt. Voran marschirten die Bergbewohner von Kole, angeführt von Kennybol, in Thierfelle gekleidet und von wildem, trotzigem Aussehen. Hierauf kamen die jungen Bergleute unter Norbith und die alten unter Jonas, mit ihren großen Filzhüten und weiten Beinkleidern, mit nackten Armen und geschwärzten Gesichtern. Ueber den Häuptern dieser ordnungslosen Banden flatterten in bunter Mischung feuerfarbene Fahnen mit verschiedenen Inschriften: Es lebe Schuhmacher! – laßt uns unsern Befreier befreien! – Freiheit den Bergleuten! – Freiheit dem Grafen von Greiffenfeld! – Tod Guldenlew! – Tod unsern Unterdrückern! – Tod Ahlfeldt!

Die Rebellen schienen diese Fahnen mehr als eine Last denn als eine Zierde zu betrachten, und sie gingen von Hand zu Hand, wenn die Fahnenträger müde waren, oder an dem wilden Gesang und tollen Geschrei ihrer Waffenbrüder Theil nehmen wollten.

Die Nachhut dieser seltsamen Armee bestand aus zehn, von Rennthieren und Eseln gezogenen Karren, welche den Schießbedarf führten, und die Vorhut aus dem falschen Han dem Isländer, der, mit einem ungeheuren Streitkolben und einer Axt bewaffnet, ganz allein marschirte. Weit hinter ihm kamen, in respektvoller Entfernung, die ersten Reihen der Bande Kennybols, der ihn nicht aus den Augen verlor, um seinem diabolischen Anführer in den verschiedenen Verwandlungen, welche er vorzunehmen belieben möchte, folgen zu können.

Bald wurde das Heer der Rebellen durch die Banden von Sundmoer, Hubfallo, Kongsberg und die Eisenarbeiter von Smiassen verstärkt; diese letztern waren große und starke Leute mit Zangen und Hämmern bewaffnet, lederne Schürzen um; sie hatten keine andere Fahne, als ein hölzernes Kreuz, und marschirten ernst und taktfest einher, mit einer mehr religiösen als militärischen Regelmäßigkeit, ohne andern Kriegsgesang als Psalmen und Kirchenlieder. Sie hatten keinen andern Anführer, als ihren Kreuzträger, der unbewaffnet an ihrer Spitze einherzog.

Diese Masse von Rebellen stieß auf kein menschliches Wesen auf ihrem ganzen Wege. Bei ihrer Annäherung trieb der Ziegenhirt seine Heerde in eine Höhle, und der Landmann verließ seine Wohnung, denn der Einwohner der Ebenen und Thäler ist überall derselbe, er fürchtet das Heer der Räuber so sehr, als das der Häscher.

So zogen sie durch Hügel und Thal, durch Wald und Feld, ungebahnten Pfaden folgend, wo man mehr Spuren von wilden Thieren, als Tritte von Menschen fand, umgingen Moräste, setzten über Waldströme und Schluchten. Ordener kannte keinen dieser Orte. Einmal nur, als er das Haupt hob, fiel sein Blick in weiter Ferne auf einen großen abgeplatteten Felsen. Er neigte sich zu einem seiner plumpen Reisegefährten: »Freund, was ist das für ein Felsen dort rechts im Süden?«

»Das ist der Geyerhals, der Felsen von Oelmö,« war die Antwort.

Ordener stieß einen tiefen Seufzer aus.


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