Victor Hugo
Han der Isländer. Band 2
Victor Hugo

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XXXIX.

Der Graf von Ahlfeldt, in seiner schwarzen Amtstracht und mit Orden behängt, ging nachdenklich im Zimmer seiner Gemahlin auf und ab.

»Es ist neun Uhr,« sagte die Gräfin, »der Gerichtshof soll seine Sitzung beginnen, man darf ihn nicht warten lassen. In der Nacht noch muß das Urtheil gefällt werden, daß man es spätestens morgen früh vollziehen kann. Der Oberrichter hat mich versichert, daß der Scharfrichter vor Sonnenaufgang hier sein werde.«

»Elphege, haben Sie die Barke, welche mich nach Munckholm bringen soll, bereit halten lassen?«

»Sie wartet schon über eine halbe Stunde auf Sie.«

»Und ist meine Sänfte vor der Thüre?«

»Sie steht bereit.«

»So will ich nicht säumen. Noch ein Wort, Elphege! Sie behaupten also, daß ein Liebeshandel zwischen Ordener Guldenlew und Schuhmachers Tochter bestehe?«

»Und das ein ernstlicher, versichere ich Sie!« versetzte die Gräfin mit einem Lächeln des Zorns und der Verachtung.

»Wer hätte das gedacht? Doch muß ich gestehen, daß ich es bereits vermuthet hatte.«

»Und ich auch,« sagte die Gräfin. »Das ist ein Streich, den uns dieser verdammte Levin gespielt hat.«

»Der alte mecklenburgische Schurke!« murmelte der Kanzler zwischen den Zähnen. »Warte nur, ich will Dich Arensdorf empfehlen. Wenn ich ihn nur stürzen könnte! Jetzt geht mir ein Licht auf. Hören Sie einmal, Elphege!«

»Nun denn? Reden Sie!«

»Sie wissen, daß es sechs Individuen sind, welche wir im Schlosse von Munckholm zu richten haben: Schuhmacher, den ich morgen um diese Zeit hoffentlich nicht mehr fürchten werde, unser falscher Han der Isländer, der versprochen hat, seine Rolle bis ans Ende festzuhalten, in der Hoffnung, daß ihn Musdoemon, von dem er bereits starke Geldsummen erhalten hat, entwischen lassen werde. Dieser Musdoemon hat wahrhaft teuflische Ideen. Die vier andern Angeklagten sind die drei Anführer der Rebellen und ein Quidam, der unter die Anführer gekommen ist, man weiß nicht wie, und den Musdoemon hat festsetzen lassen. Er hält diesen Menschen für einen Spion Levins von Knud, und wirklich hat er hier gleich bei seiner Ankunft nach dem General gefragt und schien bestürzt, als er die Abwesenheit des Mecklenburgers erfuhr. Im Uebrigen hat er auf keine der Fragen geantwortet, welche Musdoemon an ihn gerichtet hat.«

»Warum haben Sie ihn nicht selbst verhört?«

»Meine Geschäfte ließen mir keine Zeit dazu, wie Sie selbst wissen, und übrigens konnte ich mich in dieser Sache ganz auf Musdoemon verlassen. Ueberhaupt lege ich auf diesen Menschen an sich keinen besondern Werth; er ist ohne Zweifel irgend ein armer Landstreicher. Er kann uns bloß dazu dienen, daß wir ihn als einen Agenten Levins darstellen, und da er in den Reihen der Rebellen ergriffen worden ist, so könnte daraus ein strafbares Einverständniß zwischen dem Mecklenburger und Schuhmacher gefolgert werden, das hinreichend wäre, wo nicht die Versetzung in Anklagestand, doch wenigstens die Ungnade dieses verdammten Levin Knud herbeizuführen.«

Die Gräfin schien einen Augenblick nachzudenken: »Sie haben Recht, aber diese unglückliche Leidenschaft des Barons Thorwick für Ethel Schuhmacher . . .«

»Hören Sie, Elphege, wir sind beide nicht mehr jung und keine Neulinge im Leben, wir sollten die Menschen kennen. Wenn Schuhmacher zum zweitenmal wegen Hochverraths verurtheilt ist, wenn er auf dem Schaffot seine Strafe erstanden haben wird, wenn diese Schmach auf seine Tochter übergegangen ist und sie tief unter die letzten Reihen der Staatsgesellschaft herabgesetzt hat, glauben Sie, daß dann Ordener Guldenlew sich dieser kindischen Liebe, welche Sie Leidenschaft nennen, wieder erinnern und nur einen Augenblick zwischen der entehrten Tochter eines elenden Staatsverräthers und der erlauchten Tochter eines glorwürdigen Großkanzlers schwanken werde? So und nicht anders ist das menschliche Herz.«

»Ich wünsche, daß Sie Recht haben mögen. Sie werden inzwischen nicht überflüssig finden, daß Schuhmachers Tochter dem Prozeß ihres Vaters anwohne, und zwar in der nämlichen Loge mit mir. Ich möchte gerne dieses Geschöpf studiren.«

»Nichts, was uns über diese Geschichte aufklären kann, ist zu versäumen,« erwiederte der Kanzler phlegmatisch . . .

»Aber sagen Sie mir doch, weiß man, wo Ordener gegenwärtig ist?«

»Kein Mensch weiß es. Er ist der würdige Zögling des alten Levin, ein fahrender Ritter, wie er. Ich glaube, daß er sich jetzt zu Ward-Hus befindet . . .«

»Das ist gut. Unsere Ulrike wird ihn festhalten. Doch ich vergesse, daß der Gerichtshof wartet . . .«

»Noch ein Wort! Ich habe Sie schon gestern gefragt, aber Sie waren so in Geschäften vertieft, daß ich keine Antwort von Ihnen erhalten konnte. Wo ist mein Friedrich?«

»Friedrich!« wiederholte der Kanzler in düsterem Tone und fuhr mit der Hand über das Gesicht.

»Ja, mein Friedrich! Sein Regiment ist ohne ihn nach Drontheim zurückgekommen! Schwören Sie mir, daß Friedrich nicht in diesen furchtbaren Schluchten des schwarzen Pfeilers war. Warum erblaßten Sie bei seinem Namen? Ich bin in tödtlicher Angst.«

Der Kanzler nahm seine gleichgültige Miene wieder an: »Elphege, seien Sie ruhig. Ich schwöre Ihnen, daß er nicht in den Schluchten des schwarzen Pfeilers war. Im Uebrigen hat man ja die Liste der Offiziere, die in diesem Gefecht getödtet oder verwundet wurden, bekannt gemacht . . .«

»Das beruhigt mich allerdings. Nur zwei Offiziere sind geblieben: der Hauptmann Lory und der junge Baron Randmer, der auf den Bällen zu Kopenhagen mit meinem Friedrich so vielen Spaß gemacht hat. Ich habe die Liste mehr als einmal gelesen, das versichere ich Sie. Aber sagen Sie mir, mein Sohn ist also zu Wahlstrom geblieben?«

»Er ist dort geblieben.«

»Ich bitte Sie, lieber Freund,« sagte die Gräfin mit einem Lächeln, in das sie einige Zärtlichkeit zu legen vergebens bemüht war, »lassen Sie doch um Himmels willen meinen Friedrich schnell aus diesem abscheulichen Lande zurückkommen . . .«

»Madame, was Sie da verlangen, steht nicht in meiner Macht.«

Mit diesen Worten entfernte er sich schnell. Die Gräfin blieb in düsterem Nachdenken zurück.

»Das steht nicht in seiner Macht!« sagte sie für sich. »Es kostet ihn ja nur ein Wort, mir meinen Sohn zurückzugeben. Das ist doch ein abscheulicher Mensch, voll Hinterlist und Bosheit! Hatte ich nicht Recht, ihn nie leiden zu können?«


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