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3. Kapitel. Verschiedene Aufregungen

Der andere Tag brachte der Aufregungen viele. Fräulein Linchen hatte nicht nur das Weihnachtspaket im Schnee liegen lassen, sie hatte auch die wichtigste Besorgung für Frau Pfarrer vergessen. »Linchen, denken Sie auch ja an die Hefe. Sie wissen, übermorgen wollen wir backen, und im Dorf gibt's keine.« Linchen hatte daran gedacht, noch im Spielwarenladen hatte sie sich an diese wichtige Besorgung erinnert, aber dann gab es so mancherlei in den Straßen und den hellerleuchteten Läden zu sehen und zu bewundern; – sie wußte selbst nicht, warum es ihr nicht eingefallen war, als sie beim Bäcker die Semmel gekauft hatte. Und nun mußte sie es bekennen! Das gab viel Verdruß am frühen Morgen. »Aber Linchen!« – mehr brachte Frau Pfarrer nicht heraus, obgleich sie diesmal ernstlich böse war. Es wurde ihr so schwer, ihren Leuten etwas zu sagen, und wenn Großmutter mit ihrer Energie auf sie einredete: »Dorchen, jetzt mußt du zeigen, daß du Hausfrau bist, du verlierst sonst alle Autorität«, so fühlte sie wohl, daß die Mutter recht hatte, aber, indem sie sich zu einer Strafrede vorbereitete, stieg ihr die Angst bis in den Hals, wie einem Kinde, das in der Schule aufsagen soll und nichts weiß. Auch heute morgen fühlte sie, daß Linchen eine Strafpredigt verdiene, daß sie sie einmal tüchtig aufrütteln müsse. Sie waren beide allein, Linchen in der Küche, Frau Pfarrer nebenan in der Speisekammer, deren Tür geöffnet war. Es wurde ihr leichter, zu beginnen, wenn sie den Sträfling nicht sah. »Fräulein Linchen, es muß anders werden, diese Gedankenlosigkeit ertrag' ich nicht länger. Es ist nicht das erste« – hier trat sie aus der Speisekammer, um nun, da sie den Anfang glücklich überwunden hatte, energisch fortzufahren. »Es ist nicht das erstemal«, – plumps! da lag die ehrenwerte Frau Pfarrer. Irgend jemand hatte unachtsamerweise einen leeren Korb vor die Tür gesetzt, und die Hausfrau, welche einen Topf Milch in der Hand trug, suchte mit ihren Augen Linchen, die gesenkten Hauptes schuldbewußt am Herd stand. Sie übersah das Hindernis, – stolperte und während der Topf zerbrach, spritzte die Milch, das Frühstück der Kleinen, weithin in die Küche. »Wer hat denn das getan?« stöhnte die Frau Pfarrer, während Linchen, angsterfüllt und teilnehmend zugleich, herzusprang, ihr beim Aufstehen behilflich war, sie zu einem Stuhl führte, ihr die Milchflecken aus dem Kleide wusch und so liebenswürdig und aufmerksam sich erwies, daß Frau Dorothea darüber vollständig ihre Rede vergaß. »Ich laufe schnell zur Bäuerin, Frau Pfarrer, und hole frische Milch, Sie sollen sehen, ich bin gleich wieder hier.« Wie der Wind war sie hinaus, und ehe Frau Pfarrer sich besinnen konnte, kam sie mit einem mächtigen Topf Milch wieder, trug ihn mit den Tassen ins Frühstückszimmer, holte alles Erforderliche mit solcher Schnelligkeit und Gewandtheit, daß Frau Pfarrer nicht im entferntesten mehr daran dachte, das gute Mädchen auszuzanken.

Im warmen, behaglichen Wohnzimmer saß bereits die blasse Fremde auf dem Sofa, in ernstem Gespräch mit der Großmutter, während im Nebenzimmer die Kinder mit den neuerworbenen Freunden tobten. Es hatte schon Geschrei gegeben, und die Großmutter hatte steuern müssen, dann weinte Nanni jämmerlich, weil Röschen sie auf die Hand getreten hatte. Als Frau Elsner diese deshalb schalt, klagte sie: »Warum haben wir auch so viele kleine Kinder, daß man auf sie treten muß.« Endlich war das Gleichgewicht wieder hergestellt, und es trat Ruhe ein.

»Also Offizier ist Ihr Mann gewesen; was Sie mir da eben erzählt haben, ist sehr traurig«, sagte die Großmutter teilnehmend. »Wenn man Ihnen wenigstens die Pension gelassen hätte!« »Darauf konnte ich keine Ansprüche machen nach dem, was ich Ihnen mitgeteilt habe.« »Und nun wollen Sie mit den Kinderchen zu Ihrem Vater?« Die Fremde errötete und sagte leise: »Ich muß ja froh sein, daß er mich und die Kinder überhaupt aufnimmt.« »Gehen Sie denn nicht gern?« »Es wird mir schwer«, war die ausweichende Antwort. »Lebt denn Ihre Mutter nicht mehr?« »Leider nicht. Oh, wenn meine Mutter lebte« – Sie brach ab, als fürchte sie, zuviel zu sagen. »Wo lebt denn Ihr Herr Vater?« »In dem kleinen Städtchen Beckedorf, einige Meilen von der Residenz entfernt.« »In Beckedorf!« fuhr die Großmutter auf, als erschrecke sie. Sie sah die Fremde forschend an, als wollte sie aus ihren Gesichtszügen etwas herauslesen; es zeigte sich auf dem Gesicht der alten Dame Erstaunen, Wundern, Erschrecken. Es war aber nur für einen Augenblick. Sie hatte bald wieder ihren gewöhnlichen ruhigen Gesichtsausdruck. Teilnehmenden Tones sagte sie: »Ich will Sie nicht weiter ausfragen, verzeihen Sie, daß ich so viele Fragen gestellt habe; es war aufrichtige Teilnahme an Ihrem Geschick,« »Ich weiß es, ich weiß es«, war die Antwort, und ein paar Tränen stahlen sich über die blassen Wangen der unglücklichen Frau.

»Dorothea«, sagte die Großmutter zur eintretenden Tochter, »unser lieber Gast hat soeben den Wunsch ausgesprochen, so bald es geht zur Stadt befördert zu werden. Sie wurde schon gestern in der Residenz erwartet; man wird in Sorge um ihr Ausbleiben sein.« »Dann muß Christian anspannen und heute noch einmal zur Stadt fahren.« »Oh, wie schön!« rief Fräulein Linchen leuchtenden Auges. »Was haben Sie denn Schönes dabei?« fragte der Pfarrer lächelnd, der sich eben auch ins Wohnzimmer begeben hatte. »Frau Pfarrer«, rief Linchen und umschlang die Hausfrau in stürmischer Bewegung, »nun ist ja Gelegenheit, das Vergessene zu holen. Wäre es nicht am besten, ich führe noch einmal mit, ich könnte die Dame an den Bahnhof bringen, die vergessene Hefe kaufen, und nachsuchen, ob sich das verlorene Paket wiederfindet.« »Ich kann Sie nur heute nicht entbehren, Fräulein Linchen. Wir wollen meines Mannes Zimmer reinigen, da müssen Sie notwendig mithelfen, damit es möglichst schnell fertig wird.« »Es braucht gar nicht gereinigt zu werden, bestes Frauchen!« Mit diesen Worten klopfte der Eheherr seine Frau sanft mit der Pfeife auf die Schulter. »Du glaubst nicht, wieviel besser es sich darin arbeitet, wenn alles bleibt, wie es ist, als wenn ihr meine Bücher durcheinander wühlt.« »Aber, liebster Mann, das kannst du doch von mir nicht sagen –« »Na, lassen wir das. Fräulein Linchen, Sie tun mir wirklich einen Gefallen, wenn Sie mitreisen.« Auch der Großmutter leuchtete es ein; es mußte doch etwas geschehen, um das schwer vermißte Paket wieder zu bekommen. Also Linchen fuhr mit, und innerhalb einer halben Stunde sollte die Reise vor sich gehen. Es war ein klarer, schöner Frosttag, der Schnee hartgefroren; auf dem Dorfteich sah man schon die Jugend mit Schlittschuhen und Schlitten herumhantieren.

Die Fremde wurde mit Speise und Trank erquickt und mit warmen Sachen genügend versehen. Nachdem sie allen herzlich gedankt hatte für das gewährte Obdach und, was mehr wert war, für die empfangene Liebe und Teilnahme, sauste der Schlitten davon. Fräulein Linchen sah noch einmal um und nickte der Frau Pfarrer freundlich zu. »Sie sollen sehen, diesmal vergesse ich nichts.«

»Vater«, begann das Röschen, als der Schlitten außer Sicht war, »eigentlich sollte heute der Schulunterricht ausfallen.«

»Aus welchem Grunde, mein Töchterchen?« »Nun – nun –« stockte das Röschen, »weil die fremde Dame eben abgereist ist –« »Das ist kein sehr triftiger Grund zum Freigeben«, meinte der Pfarrer und kratzte sich bedenklich hinter den Ohren. »Und der zweite Grund?«

»Weil heute so sehr schönes Frostwetter ist und wir gern Schlittenfahren möchten.« »Da hast du freilich recht.« Es entstand eine Pause, der Pfarrer stand unschlüssig da. Es wäre schon sehr vorteilhaft, den Unterricht heute einzustellen und statt dessen an seiner Lieblingsarbeit schreiben zu können. »Was meinst du, Mutter?« »Dem Philipp könnte ein wenig Stillsitzen nicht schaden, er ist von Natur etwas träge, Unterbrechungen sind nie gut«, war die sanfte Antwort der Mutter. »Aber Mutter«, flehte das Röschen, »denke doch nur, das schöne Frostwetter, so ein Tag kommt vielleicht nie wieder. Zudem ist die erste Stunde doch schon versäumt –«

»Nun, da lauft«, sagte der Vater, wandte sich kurz um und verschwand in seinem Studierzimmer. Röschen und Philipp jubelten, die Kleinen krähten lustig dazwischen, und während die Mutter diesen die Mäntelchen anzog und die Kapuzen aufsetzte, holten die Großen den Schlitten, die Kleinen wurden hineingesetzt und fort ging's in sausendem Galopp. Nach einer Stunde brachte man die Kleinen mit blaugefrorenen Nasen und weinenden Gesichtern wieder. Röschen erklärte, für sie sei es in der warmen Stube besser, nun sollte das Vergnügen erst seinen Anfang nehmen. Sie eilte hinauf in ihre Puppenkammer. Hier saßen ihre Lieblinge steif und gradbeinig und guckten mit nichtssagenden Gesichtern in die Welt. »So, heute sollt ihr auch ein Fest haben, ihr mögt doch?« Mit diesen Worten ergriff sie die größte Puppe beim Kopf, nahm die andern alle in den Arm, ging mit ihnen hinunter, packte sie in den Schlitten und eilte Philipp nach, der erklärt hatte, er ginge nun auf die Wiesen, dort seien die andern Jungen auch, sie solle ihm folgen. Bald war sie da mit ihren Schönen, die das größte Staunen der Dorfmädchen erregten. Ein bißchen wichtig machte sie sich gern mit dem, was sie hatte, und mit den Puppenkindern ließ sich besser umspringen, als mit den kleinen Schwestern. Sie litten nicht von der Kälte und bekamen keine blauen Nasen, wiewohl sie keine Mäntel trugen, sondern Kleider von rotem, blauem und gelbem Flor.

Es waren mehrere Stunden vergangen. Großmütterchen hatte schon einige Male besorgt nach den ältesten Kindern ausgeschaut, von denen noch immer nichts zu hören und zu sehen war. Sie ging hinauf, auf dem Boden war ein Fenster, von dem aus man den Dorfteich überblicken konnte. Die Tür zur Puppenkammer stand weit offen und was lag denn da? Es sah aus wie ein Haufen aus dem Wasser gezogener Sachen! Da standen Röschens Schuhe, schwer mit Wasser getränkt, daneben lagen nasse Strümpfe, und etwas weiter ein Chaos von Sachen, triefend und naß, Großmutter konnte nicht ergründen, was es sei. Bei näherer Besichtigung merkte sie es. Sie zog ein Stück heraus, das war ja Röschens beste Puppe in einem schrecklichen Zustand, ebenso alle andern. Die Haare aufgelöst und triefend, die Florkleider, durchweicht, hatten sich gegenseitig von ihren Farben mitgeteilt; die Köpfe, sofern sie von Pappe waren, hatten viel von ihrer Schönheit eingebüßt, farblos und hager schauten die Gesichter drein. Großmutter stand da und schüttelte den Kopf. »Hier ist wieder eine große Dummheit passiert«, sagte sie endlich. Unruhig horchte sie, ob noch nichts von den Kindern zu hören sei, da kam Philipp die Treppe herauf, sichtlich in Verlegenheit, als er die Großmutter bei den nassen Sachen fand. »Wo ist Röschen?« fragte sie streng. »Sie ist im Eßzimmer, du möchtest auch zu Tisch kommen, Großmutter.« »Erst sage mir, was dies zu bedeuten hat.« Philipp bekannte ehrlich, Röschen wäre immer mit den Puppen über den Graben gefahren, der die Wiesen voneinander trennt. Er habe sie gewarnt, sie habe es doch getan, da habe es plötzlich einen Krach gegeben, der Schlitten sei eingebrochen und die Puppen kopfüber ins Wasser gestürzt. Das Röschen sei sehr erschrocken, da auch sie beinahe bis an die Knie im Wasser gewesen sei; sie sei aber flugs nach Hause gelaufen, habe Schuhe und Strümpfe gewechselt und die unglücklichen Puppen in die Kammer gebracht, geschadet habe es ihr gar nichts.

Großmutter schüttelte nur den Kopf und folgte Philipp ins Eßzimmer. Als Röschen die beiden miteinander kommen sah, machte sie ein verlegenes Gesicht, das noch bedenklicher wurde, als Philipp ihr im Vorübergehen zuflüsterte: »Sie weiß es!« Großmutter blieb nie etwas verborgen, was Röschen heute so sehr gewünscht hätte. Ihr selbst hatte das Einbrechen Spaß gemacht, aber das durfte sie freilich nicht laut werden lassen, sonst würde es noch mehr Schelte geben.

Nach Tisch nahm Großmutter die Kleine an die Hand, ging mit ihr hinauf, zeigte ihr die nassen Sachen und sagte ruhig: »Jetzt schaffe erst Ordnung hier, nimm die nassen Strümpfe und hänge sie auf, stelle die Schuhe zum Trocknen an den Herd und die Puppen, die unglücklichen Wesen, hänge auf die Leine, die schönen Kleider sind dahin, sie können sich Weihnachten nicht darin sehen lassen. Nun weiß ich auch, warum gerade dein Weihnachtspaket verloren gehen mußte. Es ist die Strafe für deine Unart.« Röschen senkte das Köpfchen und tat, wie Großmutter befohlen. Sie war sehr geknickt. Sie hatte wohl von einem verlorenen Paket reden hören, aber daß es gerade das für sie bestimmte Geschenk gewesen, war außerordentlich schmerzlich. Und es folgte noch mehr. Großmutter entließ sie mit den Worten: »Wenn ich heute abend Geschichten erzähle, darfst du nicht zu mir kommen.«

Das war die größte Strafe. Großmütterchen wußte so wunderschöne Geschichten, sie hatte gerade eine begonnen, nun durften die anderen Kinder die Fortsetzung hören, sie nicht. Der Tag hatte so schön begonnen und nahm einen so traurigen Fortgang.

Gegen Abend, als es dämmerte, saß Frau Elsner nach dem ereignisreichen Tage allein in ihrer Stube. Immer wieder wanderten ihre Gedanken zu der Fremden, die in ihrem Gesicht, vorzüglich in ihren Augen, etwas gehabt hatte, das sie wundersam berührte. Sie war aus Beckedorf, aus ihrem eigenen Heimatstädtchen, das jetzt deutlich vor ihr stand, mit dem grauen, spitzen Kirchturm und den Häusern mit den roten Ziegeldächern, umgeben von grünen Bäumen. Jetzt sah sie im Geiste ihr väterliches Haus, wohl das stattlichste im Ort, mit dem großen schönen Garten, in dem sie als Kind so glücklich gewesen. Auch die Jugendzeit hatte sie froh genossen, – dann kam das Schwere, – doch daran wollte sie jetzt nicht mehr denken. Die Unbekannte wollte zu ihrem Vater, hätte sie doch nach dem Namen dieses Mannes gefragt! Es war immer, als ob eine innere Stimme ihr sagte: »Er ist es.« Sie wehrte solchen Gedanken und bemühte sich, loszukommen von den Erinnerungen, die auf sie einstürmten, – da kamen die Kinder ihr zu Hilfe. Sie klopften eben und begehrten Einlaß, um von der Großmutter die begonnene Geschichte weiter zu hören.

Fräulein Linchens Fahrt war vom Glück begünstigt gewesen. Sie hatte die Fremde mit ihren Kindern an den Bahnhof begleitet und sie auch abfahren sehen nach der Residenz, wo sie mit ihrem ältesten Töchterchen Meta, die eine Freundin zu sich genommen hatte, zusammenzutreffen gedachte.

Dann hatte Fräulein Linchen die zum Weihnachtsstollen so wichtige Hefe besorgt und hatte mit Christian die Rückfahrt angetreten. »Christian«, begann sie, als sie die Stadt im Rücken hatten, »nun müssen wir alles dransetzen, die Puppenstube wiederzufinden. Denken Sie nur, die arme Frau Elsner hat so viel Geld dafür ausgegeben, und nun ist alles dahin!« »Fräulein Linchen, eigentlich, wenn Sie mir's nicht übel nehmen, war es von Sie eine große Dummheit, das Paket aus dem Schlitten zu werfen, denn das konnten Sie sich gleich denken, daß Sie das vergessen würden, wieder aufzupacken, Sie wissen doch selbst, daß Sie so kurz von Gedanken sind.« »Nun fangen Sie auch noch an, Christian, denken Sie sich lieber etwas Gescheites aus, wie wir wieder zu dem Paket kommen.« »Ja, ich soll die Fuhre aus dem Schlamm ziehen, das glaub' ich«, sagte Christian schmunzelnd und kratzte sich hinter den Ohren. »Na, dumm bin ich mein Lebtag nicht gewesen, ich hab's«, sagte er plötzlich. »Wir fahren nach der Schmiede und fragen da nach. Der fremde Kutscher wollte Leute daher holen, die ihm helfen sollten, den zerbrochenen Wagen zum Schmied zu bringen, die müssen das Paket haben liegen sehen und werden es mitgenommen haben. Am Wege lag es nicht mehr, das haben wir beide ja gesehen.« »Nun gut, Christian, wir fahren in die Schmiede, vielleicht glückt es.«

Gesagt, getan. Sie bogen um die Waldecke und hatten in einem Viertelstündchen die Schmiede erreicht. Eine rüstige, junge Frau trat aus der Haustür und fragte nach ihrem Begehr. Doch schon war Fräulein Linchen vom Schlitten gesprungen und fragte, ob sich wohl ein Paket hier gefunden habe. »Freilich«, sagte die Frau, »die Leute brachten es vorgestern abend mit, als das Unglück an der Waldecke passiert war. Wenn ich gewußt hätte, daß es zu Weihnachten sollte beschert werden, dann hätt' ich's freilich meinen Kindern nicht gegeben, sondern hätt' es oben hinauf in die gute Stube gesetzt. Aber sie haben nichts zerbrochen, kommen Sie nur hinein, sie spielen eben damit.« Die Frau öffnete die Tür und ließ Linchen eintreten. Diese tat einen Freudenschrei, als sie den schmerzlich vermißten Gegenstand erblickte, näherte sich aber ängstlich dem Tisch, an dem die kleinen Mädchen saßen und höchst vergnügt mit den verschiedenen Püppchen spielten. Sie fürchtete, daß schon etwas zerbrochen oder abgestoßen sei, aber es war alles in schönster Ordnung. Die Kinder jedoch erhoben ein Zetergeschrei, als man sich anschickte, ihnen das Spielzeug zu nehmen; nur fortgesetzte Tröstungen der Mutter, sie wolle morgen in die Stadt, um ihnen eine ebensolche Puppenstube zu holen, konnten sie einigermaßen beschwichtigen.

Es wurde alles zusammengepackt, und Fräulein Linchen fuhr glücklich wie ein König davon. Die Großmutter war nicht minder glücklich, als ihr das verloren geglaubte Paket wieder eingehändigt wurde. »Seht ihr«, sagte sie, »wohltun trägt Zinsen. Hätten wir die Fremde nicht in die Stadt befördert, wäre mein Paket in der Schmiede geblieben, nun kann ich meinem Röschen doch die Freude machen.« Sie hatte das Röschen so sehr lieb, und wenn sie sie hatte strafen müssen, doppelt. Das Mägdlein stand, während die andern Kinder der schönen Geschichte lauschten, draußen vor der Tür, ängstlich wartend, ob die Großmutter wohl noch rufen werde. Als die andern Kinder entlassen waren, schlüpfte sie durch die Tür, eilte auf die Großmutter zu und bat sie unter Schluchzen um Verzeihung. Diese ermahnte das Kind, das wilde, hastige Wesen fahren zu lassen. »Ein kleines Mädchen«, sagte sie, »muß sanft und gesittet einhergehen, nicht wie ein wilder Junge umhertoben und Dummheiten machen.« Röschen gelobte Besserung, und Großmütterchen benutzte die weiche Stimmung des Kindes, um edle Samenkörner in das kleine Herz zu streuen. Das war oft Großmutters Arbeit oben in ihrem Heim, während die Mutter, mit Arbeiten überhäuft, nicht die Zeit fand, sich eingehender mit den Kindern zu beschäftigen.

Acht Tage nach dem eben Erzählten wurde das Weihnachtsfest im Pfarrhaus zu Dornburg gefeiert. Der Kinder Augen leuchteten in heller Freude, ihnen waren ihre kindlichen Wünsche aufs schönste erfüllt. Aus den Angesichtern der Eltern strahlte eine Freude, die nicht von dieser Welt war. Sie hatten erfahren, und erfuhren es jedes Jahr mehr, daß das Christkindlein selber die schönste und seligste Gabe ist. Wem das Kindlein geboren wird im Herzen, der hat teil an allen Schätzen, die es mitbringt, an den Schätzen, die vom Himmel sind. Daß auch die Kinder immer wieder darauf hingeführt wurden, war selbstverständlich. Es war der Eltern und der Großmutter Wunsch und Gebet, daß auch sie einst die himmlischen Gaben und Schätze für die begehrenswertesten halten möchten.


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