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Im Jahre 1611 beschloß der Rat von Luzern, die gedeckte Brücke, die über die Reuß führt, welche die Spreuerbrücke genannt wird, zur Erbauung und Erquickung der Bürger mit schönen Bildern ausschmücken zu lassen; als Gegenstand derselben schien ihm ein Totentanz geeignet. Unterstützt von mehreren Mitarbeitern, hat der Maler Kaspar Meglinger das Werk in den Jahren 1626 bis 1632 mit beachtenswerter Kunst ausgeführt. Das Besondere seiner Auffassung war, daß er den Tod so in das Treiben der Menschen einbezog, als sei er immer gegenwärtig, wenn auch den in ihre Geschäfte Versunkenen nicht kenntlich. Sein Geisterauge umspielt sie, sein Moderhauch weht sie an, seine fleischlosen Finger greifen sie, ohne daß die Verblendeten sein dämonisches Wesen wahrnehmen. Er sitzt als Kutscher auf dem Wagen, in dem die Gräfin vermeintlich zur Kirche oder zu einem Fest fährt, er steht unter der Linde und spielt die Geige, die die Jugend zum Tanze lockt, er trägt die Schleppe des Papstes, er tritt als Gerichtsdiener in den Gerichtssaal und überreicht dem von seinen Beisitzern umgebenen Richter einen Brief, er schwingt sich zum Reiter auf das Roß, er beugt sich als Pfleger über den Kranken. Bald sitzt ein Barett mit bunten Federn auf seinem nackten Schädel, bald trägt er die Armbrust zur Jagd, bald spielt er im Gemach der Dame auf Kissen sich wiegend die Harfe. Auf 67 Bildern stiehlt sich seine schaurige Gegenwart in alle menschlichen Kreise. Kaspar Meglinger malte den letzten Tanz mitten im Dreißigjährigen Kriege, als der Tod in hohen Stiefeln, das lederne Wams um die Rippen geschnürt, als Werber durch das Reich ritt. Er trug eine große Trommel um den Leib, und der Schlapphut mit grünen und roten Federn war tief in sein entfleischtes Gesicht gezogen. Dumpfe Märsche rollten über Land und Meer, sie wurden im Süden und Norden vernommen und lockten Bauern und Edelleute und Könige. Sie liefen den eintönigen Wirbeln der Trommel nach, ließen sich anwerben und leerten den Becher voll heißen Weins, den der stille Werber ihnen zutrank. Lustig steckten sie die Werbetaler in ihren Beutel, kaum daß einen einmal ein Schauder überlief, wenn der Schlangenblick des Todes seine Beute betastete. Alle die, welche kühn und leidenschaftlich den Knoten des Krieges geschürzt hatten, die, welche gleichgültig wie zu einem alltäglichen Geschäft, die, welche ungeduldig und habgierig, die, welche rauflustig kamen, alle verschlang der Krieg, der ein Menschenalter dauerte. Die ihn begonnen hatten, erlebten seinen Ausgang nicht, die Sieger stürzten mit den Besiegten ins Grab. Böhmen war zwei Jahre nach dem Kriege verödet und verarmt. Von den Schätzen mittelalterlicher Kunst war nichts übriggeblieben. Der protestantische Adel war hingerichtet oder in der Schlacht gefallen oder ausgewandert. Vor dem Kriege hatte es 150 000 Bauerngüter gegeben, nach dem Kriege gab es noch den dritten Teil. Von den berühmten Heerführern fielen zuerst die beiden kaiserlichen Generale Dampierre und Boucquoi, die im Kampfe Spaniens gegen die Niederlande emporgekommen waren, Dampierre 1620 bei dem Versuche, Preßburg zu erstürmen, Boucquoi das Jahr darauf bei Neuhäusel. Mansfeld starb im Jahre 1626 in Dalmatien auf dem Wege nach Venedig, wo er Geld aufzutreiben hoffte. Nachdem er von Wallenstein vollständig geschlagen war, dachte er an Vereinigung mit Bethlen Gabor, dem Herrn von Siebenbürgen und Vasallen der Türkei, um mit ihm zusammen den Kaiser in Wien anzugreifen; allein Bethlen hielt es für vorteilhafter, sich mit Wallenstein zu verständigen, als sich mit dem geschlagenen und geldbedürftigen Mansfeld einzulassen. Es ist Überlieferung, daß der Todkranke stehend im Harnisch gestorben sei. Im gleichen Jahre starben auch die Herzoge Johann Ernst von Weimar und Christian von Braunschweig, der letztere 27 Jahre alt. Bethlen Gabor starb ein Jahr darauf. Bei dem Versuche, Gustav Adolf, als er gegen Bayern vordrang, am Überschreiten des Lechs zu hindern, wurde Tilly verwundet und starb in Ingolstadt. Es war ein tragisches Ende eines tapferen und rechtlichen Mannes, dem die Protestanten als einem blutdürstigen Wüterich, dem Zerstörer Magdeburgs, fluchten, und der tat, was er konnte, um die Härten des Krieges zu mildern. Er war einer von den wenigen, die sich durch den Krieg nicht bereicherten. Das Erscheinen Wallensteins verdunkelte und verbitterte ihn, das Erscheinen Gustav Adolfs machte seinem Siegeslauf ein Ende; der siegreiche Feind sprengte über den Sterbenden hinweg. Im Herbst desselben Jahres fiel Gustav Adolf bei Lützen. Ein ungeheurer Trauerzug führte die Königsleiche an das Meer, das zwei Jahre vorher den Auserwählten gehorsam an die deutsche Küste getragen hatte. Er war, als er seinen Ruhm mit dem Schlachtentode besiegelte, erst 37 Jahre alt. Bei Lützen fiel auf kaiserlicher Seite Graf Pappenheim, der Mann der unzählbaren Narben, dem es nur wohl im Kampfgedränge war. Er hatte den Hauptanteil an der Eroberung Magdeburgs, wie er überhaupt immer der war, der, oft zur Unzeit, zum Angriff riet. Wie der unglückliche Pfalzgraf Friedrich den König von Schweden begleitet hatte in der Hoffnung, er werde ihn wieder als Landesherrn nach Heidelberg führen, so folgte er ihm im Tode. Bereits krank und erschüttert durch den Tod seines ältesten Sohnes, der bei einer Lustfahrt in Holland ertrank, vermochte er die Schreckensnachricht nicht zu überwinden. Der Anstifter des allgemeinen Unglücks war zu seinen Lebzeiten schon fast vergessen. Da Heidelberg in Feindes Hand war, wurde ihm nicht einmal ein Grab in der Heimat zuteil; es ist ungewiß, wo er bestattet wurde. Wallenstein überlebte den König, seinen großen Gegner, nur um ein Jahr und einige Monate. Sein Körper war, als die Mörder ihn tödlich trafen, ohnehin zerrüttet; Wallensteins Kraft war zur selben Zeit verbraucht wie die Mittel, mit denen er sich auf der Höhe seines Anspruchs hätte halten können. Drei Jahre später starb der Kaiser, nachdem er auf dem Reichstage die Wahl seines Sohnes durchgesetzt hatte. Allen Wechselfällen des Krieges hatte er seine gute Laune und die Seelenruhe, die sein Beichtvater ihm sicherte, entgegengesetzt.
Kurz vor dem Ausbruch des großen Krieges entstanden in vielen deutschen Städten große Feuersbrünste. Das Feuer breitete sich bei der Umständlichkeit des damaligen Löschwesens rasch aus, ganze Straßen, ganze Viertel sanken in Asche. Die hochgiebeligen Häuser, geschmückt mit schöngeschnitzten allegorischen Figuren oder mit frommen Sprüchen, die die wohlhabenden Bürger zu Ende des 16. oder zu Beginn des 17. Jahrhunderts errichtet hatten, fraß die Flamme, die unersättlich von Dach zu Dach sprang. Rauch wälzte sich über das Reich und mischte sich, als der Krieg kam, mit dem Rauch der brennenden Dörfer. Unter den wolkigen Massen voll Brandgeruch ritt immer noch der beinerne Werber und rührte seine Trommel, und es kamen Soldaten von nah und fern, aus Ungarn und Mähren und Kroatien, aus Spanien und Italien, aus Flandern und Lothringen. An die Spitze des schwedischen Heeres traten Bernhard von Weimar und die schwedischen Obersten, die schon Gustav Adolfs Kriege in Polen mitgemacht hatten: Hoorne, Banér und der kranke Torstenson. Bald nach dem verrufenen Gastmahl in Hildesheim starben Herzog Georg von Braunschweig-Lüneburg und der glänzende Banér, der Löwe von Schweden. Dem Kaiser fielen Götz und Gallas und Melander; in unzähligen Gefechten hatten sie glücklich und unglücklich gekämpft. Längst dahin waren fast alle die starken und frommen schwedischen Bauern, die mit Gustav Adolf ins Reich gekommen waren und seine ersten Siege erkämpft hatten. Andere, immer neue, waren ihnen nach übers Meer gekommen. Unabsehbare Armeen von Menschen waren seit 1618 in Schlachten, in Gefangenschaft, an der Pest, an Hunger gestorben. Viele Soldaten hängte der Profoß an den nächsten Baum, weil sie ein Huhn gestohlen hatten, zum abschreckenden Beispiel, wegen Feigheit in der Schlacht wurden Offiziere und Gemeine geköpft und gehängt, viele, viele Bauern, Männer, Frauen und Kinder marterten verwilderte Soldaten zu Tode, wenn ihr Hunger und ihre Beutegier nicht befriedigt wurden. Die raschen Glückswechsel, die der Krieg mit sich brachte, gewöhnten die Menschen daran, das Außergewöhnliche zu erwarten. Berichte von vergrabenen Schätzen gingen um; auch kam es ja vor, daß die Bewohner einer Ortschaft, wenn eine Armee in Sicht war, mochte es Freund oder Feind sein, ihr Hab und Gut oder die Kirchenschätze vergruben. Fanden die Soldaten nichts, mußten die Bauern, die nicht entflohen waren, es büßen. Zuweilen kehrten die Einwohner in ihre ausgeleerten, ausgebrannten Häuser nicht zurück, die dann allmählich in Trümmer fielen. Wüstungen nannte man die verfallenden Dörfer. Da nisteten sich wohl Räuber und Wölfe ein. Nicht selten geschah es, daß Alte und Kranke in dem leeren Dorf zurückblieben und Hungers starben. Ein Jesuitenpater reiste im Jahre 1635 durch Franken; nachdem er lange durch Wälder und unbebaute Felder sich einen Weg gesucht hatte, kam er in ein verlassenes Dorf. Wie er sich umblickte, überlegend, welche Richtung er einschlagen sollte, sah er auf einem Düngerhaufen etwas sich bewegen, etwas Gespensterhaftes, das ihm Grauen einflößte. Als er sich gefaßt hatte und näher hinzutrat, erkannte er, daß es eine Frau war, die im Sterben lag. Ihr Gesicht war schwarz und abgezehrt, neben ihr lagen ein paar unreife wilde Holzäpfel, die ihr Töchterchen für sie gesucht hatte. Der Jesuit kniete neben der Sterbenden nieder und tröstete sie. Tote wurden mit einem Büschel Gras im Munde gefunden, womit sie ihren Hunger zu stillen versucht hatten. Mieden die Soldaten eine ausgesogene Gegend, so wagten sich gefährlichere Gäste hervor, hungrige Wölfe. Truppweise drangen sie nicht nur in die Dörfer, sondern auch in die kleineren Städte. Kurfürst Johann Georg, der wie alle Fürsten ein eifriger Jäger war, soll im Laufe seines Lebens 3543 Wölfe und 203 Bären erlegt haben; so hatten sich die Wölfe in Kursachsen vermehrt. Sie kamen aber auch nach dem Westen. In dem badischen Ort Renchen, wo der Dichter des Krieges, Joh. Christoph von Grimmelshausen, im Jahre 1667 Schultheiß wurde, waren nach dem Kriege von 180 Bürgern noch 17 übriggeblieben. »Seyndt alle gestorben und verdorben«, lautet der Bericht. In die leeren Häuser schlichen sich nachts die Wölfe.
Zwei Fürsten haben den allverschlingenden Krieg überdauert: Johann Georg I., Kurfürst von Sachsen, und Maximilian, erst Herzog, dann Kurfürst von Bayern. Beide haben den Gewinn eingeheimst, wenn auch nicht ganz in dem gewünschten Umfang, den sie von Anfang an im Auge hatten, Maximilian die Kur- und Oberpfalz, Johann Georg die Lausitzen. Böse Zeiten hatten sie durchgemacht: Maximilian hatte seine Hauptstadt München im Besitz Gustav Adolfs gesehen, Sachsen war der Schauplatz von drei Hauptschlachten gewesen. Es hinderte Johann Georg freilich nicht, sich täglich zu betrinken, man sagt von ihm, er sei nur an dem Tage, wenigstens bis zum Abend, nüchtern gewesen, wo er das heilige Abendmahl genommen habe. Maximilian starb, 78jährig, 1651, nachdem ihm im Jahre vorher sein Bruder Ferdinand im Tode voraufgegangen war, der 38 Jahre lang Kurfürst von Köln gewesen war; daneben war er Bischof von Lüttich, Hildesheim, Münster und Paderborn gewesen. Der bayrisch-jesuitische Geist hatte den Katholizismus in Österreich, Böhmen und am Rhein und in Westfalen gerettet.