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Ritter

Noch immer erinnerten die Formalitäten, mit denen die Ritter eingekleidet wurden, an das Ideal, dem sie dienen sollten. Die Kunst stellte mit Vorliebe den Ritter Sankt Georg dar, ihren Patron, wie er den Drachen bekämpft, das Symbol des Bösen. Die berühmten Holzgruppen der Lübecker Bernt Notke und Henning von der Heide zeigen im Hintergrunde die Jungfrau, die der Held errettet gemäß der Ritterpflicht, bedrängten Frauen, Witwen und Waisen beizustehen. In diesen gerüsteten Gestalten vereinen sich Mut und Kraft des Kämpfers mit der strahlenden Sicherheit des Götterboten. Über der phantastischen Scheußlichkeit des Drachen flammt er ohne Makel. Auf den Grabsteinen in den Kirchen sehen wir die irdischen Ritter in Erz und Stein, bald die Hand am Schwert, bald die Hände zum Gebet gefaltet, bald jugendlich schlank, bald breit und gelassen. Sie scheinen bereit, vor ihren himmlischen Herrn zu treten mit dem Bewußtsein, oft gefehlt, aber ehrlich gestrebt zu haben.

Diese Verherrlichung des Rittertums durch die Kunst entstand zu einer Zeit, als ein großer Teil der Ritterschaft zu Schnapphähnen geworden war, die ihrer Armut durch Beraubung reisender Kaufleute abzuhelfen suchten, die nicht Witwen und Waisen beschützten, sondern die Frauen in Dorf und Stadt zu Witwen und Waisen machten. Es waren Leute von abgefeimter Roheit darunter, die nicht einmal das Flehen ihrer Opfer erhörten, wenn sie baten, ihnen die linke statt der rechten Hand abzuhauen. So waren nicht alle; aber auch die Besseren und Besten hielten sich auch nach Abschaffung des Fehderechtes noch für befugt, sich seiner zu bedienen, was sie vor sich selber damit rechtfertigen mochten, daß die Gerichte mangelhaft wären und daß die Fürsten nach Belieben Krieg führten. Wenn einem selbst Anlaß zur Fehde fehlte, erkundete man Leute mit irgendwelchen Ansprüchen, die auf dem Rechtswege nicht befriedigt worden waren, und trieb sie mit Waffengewalt ein. Mit Vorliebe befehdeten die Ritter Städte, deren Kaufleute sie dann überfallen und plündern konnten, wenn der erschreckte Magistrat sich nicht sofort mit einer großen Summe loskaufte. Auf diese Weise konnte man sich bereichern und zugleich die verhaßten Stände der Städte und Fürsten schädigen. Silvester von Schaumberg, ein sehr angesehener fränkischer Ritter, sagte einmal dem Bischof von Bamberg Fehde an, weil er wichtige geistliche Stellen an Schusters- und Schneiderssöhne und andere hergelaufene Leute vergeben habe zu Schmach und Schaden der Ritterschaft, die diese Stellen für sich in Anspruch nahm, weil sie von ihren Vorfahren gestiftet wären. Die Bischöfe von Würzburg und Bamberg waren dem Angriff der fränkischen Ritterschaft besonders ausgesetzt. Die Gefahr war groß, weil alle zusammenzuhalten pflegten und ihrer sehr viele waren. Herzog Ulrich von Württemberg soll nach der Ermordung des Hans von Hutten über fünfhundert Fehdeansagen erhalten haben.

Die Lage des Ritterstandes war ein allgemeines Übel und Problem, das viele Reichstage beschäftigte. Sie waren die Arbeitslosen und Anarchisten jener Zeit, Arbeitslose, für die es eine standesgemäße Arbeit zu finden galt. Durch bürgerliche Arbeit hätten sie geglaubt, sich zu erniedrigen; aber auch die Bürger hätten das als einen Eingriff in ihre Rechte beanstandet. Eins blieb dem Ritter übrig, als Rat oder hoher Beamter in den Dienst von Städten oder Fürsten zu treten. Viele taten das und kamen auf diesem Wege zu gesichertem Einkommen und Ansehen; aber andere sahen darin eine Demütigung oder steiften sich auf ihren ritterlichen Beruf, der Studium und Federfuchserei nicht gestatte.

Der natürliche Stützpunkt der Reichsritter war der Kaiser. Sie hatten ein Interesse daran, seine Macht zu stärken, wie er, sich ihrer gegen die Fürsten bedienen zu können. Verschiedentlich hatten Kaiser versucht, diesen abgesplitterten Stand, der sich nirgends mehr angliedern konnte und wollte, zu erneuern und sich enger zu verbinden, so Siegmund und Maximilian I., beide allerdings vergeblich. Die Bemühungen Maximilians scheiterten daran, daß die Ritter nicht auf die Bedingung eingingen, es solle jeder mit vollendetem 18. Lebensjahre gewissen Gerichtshauptleuten, die der Kaiser setzen würde, sich eidlich verpflichten, keinen Straßenraub zu begehen. Nicht daß nicht viele Ritter den Straßenraub mißbilligten; aber erstens sahen sie die Fehde nicht für Straßenraub an, und sodann zweifelten sie, und vielleicht mit Recht, ob das neue Recht, welches der Kaiser ihnen verleihen wollte, sie gegen die Fürsten genügend sicherstellen würde. Sie antworteten dem Kaiser, sie wollten bei dem alten Herkommen bleiben. Auf diesem unfruchtbaren Standpunkt erstarrten sie. Lieber als durch Reichstagsbeschlüsse zu irgendeiner Steuer verpflichtet zu werden, entbehrten sie des Rechtes der Teilnahme an den Reichstagen. Um nicht besteuert zu werden, lehnten sie zur Zeit der Kämpfe um die Reichsreform den Gemeinen Pfennig ab, der die Macht des Kaisers gestärkt hätte, des einzigen, der sie gegen die Fürsten schützen konnte. Grollend saßen sie auf ihren Burgen, verzehrten die knappen Einkünfte, die ihre Untertanen ihnen lieferten, und hielten sich für die von aller Welt Gekränkten. Im Beginn des 16. Jahrhunderts schien der Ritterschaft in Franz von Sickingen ein Führer erstanden zu sein, der es zu solcher Macht und solchem Ansehen gebracht hatte, daß er sich Fürsten gleichstellen konnte. Er war 1481 geboren, zwei Jahre älter als Luther. Die Familie stammte aus dem Kraichgau; Franz war ein kleines Kind, als sein Vater die Ebernburg bei Kreuznach erwarb. Außer dieser gehörte ihm die Burg Landstuhl bei Kaiserslautern. Das Vermögen, das sein Vater begründet hatte, erweiterte er beträchtlich, besonders durch Bergbau, aber auch durch Fehden. Die Rolle des Beschützers verunrechteter Schwacher zu spielen, entsprach seiner Gesinnung, in der etwas Großmütiges war; sich im Gegensatz zu den herrschenden Mächten zu fühlen, schreckte ihn nicht, war seinem Stolz eher eine Genugtuung. Im Jahre 1512 hatte in der Stadt Worms eine Erhebung der Gemeinde gegen den Rat stattgefunden, die vom Kaiser niedergeschlagen und bestraft worden war. Unter denen, welche bei dieser Gelegenheit auswandern mußten, war ein bischöflicher Notar, Balthasar Schlör, der große Forderungen an Wormser Bürger zu haben behauptete. Da er sich mit seiner Klage an Sickingen wandte, nahm dieser ihn in seinen Dienst und ließ sich seine Forderungen übertragen. Ohne sich auf den von der Stadt Worms vorgeschlagenen Rechtsweg einzulassen, überfiel er Wormser Kaufleute, die auf einem Heidelberger Schiff nach Frankfurt fuhren, nahm ihnen ihre Waren fort und brachte sie auf die Ebernburg. Dann erst sagte er die Fehde an. Trotzdem der Kaiser die Acht über ihn verhängte, wonach er aus dem Adel ausgestoßen und den unvernünftigen Tieren und ehrlosen Menschen zugesellt wurde, ging die sogenannte Franzensfehde Jahre hindurch zum ärgsten Schaden der Stadt weiter, ohne daß der Kaiser ernstlich eingeschritten wäre. Eine andere Fehde führte Sickingen gegen die Stadt Metz, eine andere gegen den jungen Landgrafen Philipp von Hessen, der, fast noch ein Knabe, eben die Regierung angetreten hatte. In beiden Fällen kauften sich die Angegriffenen mit sehr großen Summen los. Ein solcher Ruf der Unbezwingbarkeit umgab Sickingen, daß die Mächtigen, anstatt ihn zu unterwerfen, sich um ihn bewarben. Durch Vermittlung eines Freundes trat er in den Dienst des Königs von Frankreich, dann, nachdem er diesen aufgegeben hatte, in den des Kaisers. Noch kurz zuvor hatte Maximilian die Waffen gegen den Abtrünnigen wenden wollen, aber da er bei den Kreisen keine Unterstützung fand, ließ er sich herbei, ihn gnädig aufzunehmen. Das Fränzchen erschien 1517/18 in Mainz und Innsbruck vor Maximilian, versprach gegen Herzog Ulrich von Württemberg zu dienen und ließ zum Andenken an diese Begegnung eine goldene Denkmünze schlagen, auf der er vor dem Kaiser kniend abgebildet war. Auf dem Feldzuge gegen den Württemberger, der erst nach dem Tode des Kaisers, im Sommer 1519, zustande kam, lernte Sickingen Ulrich von Hutten kennen, der eine verhängnisvolle Wendung seines Lebens herbeiführen sollte.

Wenn es einen Ritter gab, der die Ideale seines Standes verwirklichte, so war es Ulrich von Hutten. Zum Klosterleben von den Eltern bestimmt und diesem mit Hilfe seines etwas älteren Freundes, Crotus Rubeanus, entflohen, das seinem ganz auf Tat und Erleben gestimmten Wesen widersprach, war er der natürliche Gegner des Klerus, besonders der Klostergeistlichkeit. Unter großen Entbehrungen, denn nach seiner Flucht aus dem Kloster hatte sein Vater die Hand von ihm abgezogen, hatte er an verschiedenen Universitäten sich in humanistische Studien vertieft, dann, um seinen Vater zu versöhnen, in Italien die Rechte zu studieren begonnen. Dort dichtete er im Jahre 1513 schöne, straff geschürzte lateinische Verse gegen den Papst und den Ablaß: »Wie doch die gläubige Welt der Krämer Julius anführt / Welcher den Himmel verkauft, den er doch selbst nicht besitzt! / Biete nur feil, was du hast! Wie schamlos ist's zu verkaufen / Was, o Julius, dir eben am meisten gebricht.« Und ferner: »Wie, der menschliche Geist, ein Funke des göttlichen Lichtes / Von Gott selber ein Teil, läßt so durch Wahn sich verblenden? / Julius, dieser Bandit, den sämtliche Laster beflecken, / Er verschließe den Himmel nach Willkür diesem und schlösse / Jenem ihn auf? Sein Wink beseligte oder verdammte?« Ohne grübelnde Untersuchung, ohne daß ein innerer Kampf vorausgegangen wäre, versandte er diese Pfeile. Es kam ihm nicht in den Sinn und kümmerte ihn nicht, ob der häßlichen kirchlichen Praxis eine wahre, große Idee zugrunde liege; der Ablaß war für ihn ein Schimpf, den Rom den deutschen Barbaren antat, Grund genug, dagegen zu kämpfen. Als er im Jahre 1516, fünf Jahre nach Luther, in Rom war, befestigte ihn die Anschauung der am päpstlichen Hofe herrschenden Sittenlosigkeit in seinem Haß.

»Also sah ich sie denn, Roms halb zertrümmerte Mauern,
Wo mit dem Heiligen man selber den Gott auch verkauft!«

Doppelt widert ihn das verweichlichte und skandalöse Leben an, das er sieht, weil es auf dem Hintergrunde der Ewigen Stadt sich abspielt:

»Und das alles in Rom, wo Curius einst und Metellus
Und Pompejus gelebt; o der veränderten Zeit!«

Denn Rom ist diesem Romfahrer heilig, und er sucht es auf, Pietät und Verehrung im Herzen, nicht weil sein Boden vom Blute der Märtyrer getränkt ist, sondern als den Schauplatz antiker Größe und Freiheit, als die Heimat von Helden, denen die Deutschen gleichen könnten, wenn die Papstkirche sie nicht verderbt hätte.

Im Begriff, Italien zu verlassen, bekam Hutten bei einem Freunde Einsicht in die Schrift, in welcher Lorenzo Valla in der Mitte des vorigen Jahrhunderts die Schenkung des Konstantin, auf welche die Päpste ihren Anspruch auf Herrschaft über den Erdkreis und insbesondere über Italien gründeten, als eine Fälschung nachgewiesen hatte. Sofort faßte Hutten den Plan, sie zur Verbreitung in Deutschland drucken zu lassen. Mit großartiger Unverschämtheit widmete er diese Schrift, die das Fundament der päpstlichen Herrschaft erschütterte, dem Papst Leo X. Leo, der in Italien als Wiederhersteller der Freiheit gefeiert werde, habe mit dem Frieden Gerechtigkeit, Wahrheit und Freiheit zurückgeführt, nun könnten die Wissenschaften aufblühen, könne sich offen zeigen, was bisher sich habe verstecken müssen. Schlechte Päpste hätten die konstantinische Schenkung erdichtet. Leo werde freiwillig aufgeben, was man einem schlechten Papst mit Gewalt würde genommen haben; denn Frieden könne zwischen Räubern und Beraubten nur sein, wenn das Geraubte zurückgegeben werde. Leos Vorgänger, schlechte Päpste, hätten Gnaden feilgeboten, mit Dispensen und Bullen Handel getrieben, Sündenvergebung verkauft und aus den Strafen im künftigen Leben eine Erwerbsquelle gemacht. Sie hätten die Deutschen glauben gemacht, nur die seien rechte Bischöfe, die um viele tausend Goldgulden ein Pallium von ihnen erhandelten, und hätten, während sie alles dies und mehr verübten, dazu noch als Heilige verehrt sein wollen. Es würde ein großes Unrecht sein, Leo solchen Päpsten beizählen zu wollen. Zwar zweifle er, Hutten, nicht, daß das Büchlein des Valla ihm gefallen werde, aber es wäre ihm doch lieb, wenn Leo ihm öffentlich seinen Beifall kundtäte; dann werde er sich Mühe geben, bald etwas Ähnliches aufzutreiben.

Ob Leo die Schrift kennenlernte und es für das beste hielt, zu schweigen, weiß man nicht. Daß den Humanisten die Verwegenheit des Witzes so entzückt hätte, daß er den Inhalt hätte hingehen lassen, ist kaum anzunehmen.

Huttens ritterliche Impulse erhielten frische Nahrung, als im Jahre 1515 Herzog Ulrich von Württemberg seinen Vetter, Hans von Hutten, ermordete. In leidenschaftlichen Anklagereden trat er als Verteidiger der Unschuld und Rächer des Unrechts auf. Stärker noch ergriff ihn der Kampf um Reuchlin. Denn da war nicht nur ein alter Mann, dem Ketzerrichter mit dem Scheiterhaufen drohten, mit ihm litt ein ganzes Volk, litt die abendländische Menschheit unter dem Druck eines Glaubens, der zum törichten oder finsteren Aberglauben geworden war. Die Kirche war der Drache, auf den er sich stürzte; er hatte die Aufgabe und das Pathos seines Lebens gefunden. Der Streit um die Thesen, die damals ein Augustiner an die Wittenberger Schloßkirche anschlug, interessierte ihn nicht, das war in seinen Augen ein Mönchsgezänk wie das um die unbefleckte Empfängnis der Jungfrau, das vor einer Reihe von Jahren Dominikaner und Franziskaner entzweit hatte. Mochten sie sich untereinander zerfleischen!

Als er Ende des Jahres 1518 auf Steckelberg bei seinen Eltern weilte, stellte er die Türkenrede, aus der er auf Zureden seiner Freunde in Augsburg die gegen den Papst gerichteten Stellen gestrichen hatte, unverkürzt her und versah sie mit einer Zuschrift an die wahren und freien Deutschen. Sollte ihm Gefahr drohen, sagte er darin, so verlasse er sich auf seine Deutschen, für die er soviel gewagt habe. Die Feinde und Unterdrücker Deutschlands sollten sich hüten, die Sache zum Äußersten zu treiben. Wenn es jemand gebe, der die deutsche Freiheit so vernichtet wünsche, daß man gegen kein Unrecht, keine Schmach mehr Einrede tun dürfe, der möge bedenken, daß die geknebelte und fast erwürgte Freiheit plötzlich losbrechen und sich wiederherstellen könnte. Einfangen und binden lasse sich die Freiheit wohl, wenn einer es schlau und geschickt anzufangen wisse, sie ganz zu vernichten sei unmöglich. »Ihr, denen des Vaterlandes Freiheit am Herzen liegt, die ihr Deutschlands Ehre erkennt und nicht ganz dem Aberglauben verfallen seid, leset, wagt Ähnliches und lebt wohl.« Hutten glich einem Feldherrn, der ein Heer sucht, um es zu Krieg und Sieg zu führen. Und wie das Schicksal zeitenweise einem Menschen wie aus einem Füllhorn alles zuwendet, dessen er bedarf, ließ es Hutten einen Freund finden, der so gut wie ein Heer war. Immer darauf bedacht, sich nicht nur in den Wissenschaften, sondern auch in den eigentlichen Aufgaben seines Standes zu betätigen, nahm er teil an dem Feldzuge, den der Schwäbische Bund im Frühling 1519 gegen den geächteten Herzog von Württemberg veranstaltete. Das lag ihm ohnehin nah, weil er in Vertretung seiner Sippe den Mörder eines Hutten öffentlich angeklagt hatte. Bei der Leichenfeier des verstorbenen Kaisers in Reutlingen hatte ein Bürger der Stadt im Streit einen Württemberger getötet. Das hatte Herzog Ulrich zum Anlaß genommen, sofort aufzubrechen und die überraschte Reichsstadt zu unterwerfen. Die Klagen der Reichsstadt hätten vielleicht nichts gefruchtet, wenn nicht die Herzöge von Bayern, Brüder der gekränkten Frau des schwäbischen Herzogs, für dieselbe hätten eintreten wollen, wozu sie ihr Einfluß auf den Schwäbischen Bund in den Stand setzte. Im Dienste des Kaisers beteiligte sich auch Franz von Sickingen an der Spitze geworbener Landsknechte an diesem Feldzuge, und bei dieser Gelegenheit befreundete er sich mit Hutten. Sickingen war ungelehrt, verstand kein Latein, hatte wenig gelesen und sich an die üblichen kirchlichen Gebräuche gehalten, ohne darüber nachzudenken. Nun begegnete ihm ein tapferer Standesgenosse, der ein enthusiastischer und zugleich kritischer Geist war, dabei mitteilsam und durch seine Abkunft mit der Art und Einstellung seines neuen Freundes vertraut. Wie so oft einfache Menschen, die nur handelnd im Leben standen, war Sickingen außerordentlich empfänglich für geistige Anregung; die erhielt er nun reichlich von Hutten. Mit lebhafter Teilnahme ging er auf die Gedanken und Betrachtungen des Freundes ein, verarbeitete sie mit der kräftigen Gründlichkeit, die in seinem Charakter lag, und machte sie sich ganz zu eigen. Es gibt Menschen, die ihr Denken neben ihrem Tun einherlaufen lassen können, ohne Übereinstimmung zu fordern; es war das Große an Sickingen, daß er sofort sein Tun dem neugewonnenen Überblick unterstellte. Es war, als hätten die edleren Kräfte in ihm auf die rechte Losung gewartet, für die sie kämpfen könnten. Obwohl stark von Hutten beeinflußt, blieb er doch ganz der fest in sich ruhende Mann, der allen, auch Hutten, imponierte. Wie der Löwe der Legende, den der Mensch zähmt und der dem Menschen folgt und doch eine überlegene, furchtbare Kraft und ein bewundernswertes Werk der Natur bleibt, ging er gelassen, eigene, undurchschaubare Pläne hegend, seinen Weg weiter. Noch während des Feldzuges hatten die beiden Freunde Gelegenheit, sich als echte Ritter zu erweisen. Sie sorgten dafür, daß das Haus des geängstigten Reuchlin, für den Fall, daß Stuttgart mit Gewalt sollte erobert werden, nicht beschädigt würde, besuchten ihn und versicherten ihn ihrer Hilfe, wenn er durch seine Gegner noch ferner belästigt würde. Bei Worten ließ es Sickingen nicht bewenden. Er sagte dem Predigerorden förmlich die Fehde an, das heißt er verlangte von ihm, daß er aufhöre, Reuchlin zu belästigen, und daß er die Kosten des Prozesses trage. Der Schrecken, der vor Sickingens Namen herging, war so groß, daß der Orden auf alles einging; unterderhand allerdings bezeichnete er dem Papst das Zugeständnis als erzwungen und erreichte auch, daß Leo, die Entscheidung der früher von ihm eingesetzten Kommission mißachtend, Reuchlins Buch verurteilte. Indessen war er dadurch, daß die Herzöge von Bayern ihn als Professor nach Ingolstadt beriefen, vor ernstlichen Verfolgungen geschützt. Obwohl nur sieben Jahre älter als Hutten, hatte Sickingen ein beträchtliches Stück Leben vor ihm voraus, das ihn gesetzter, gesättigter machte. Er hatte früh geheiratet und vor einigen Jahren seine Frau verloren, nachdem sie ihm drei Töchter und drei Söhne geboren hatte. Es scheint, daß sein häusliches Leben ihn befriedigt hatte, wieder verheiratet hat er sich nicht. Es ist nicht unmöglich, daß Äußerungen Sickingens oder sein Beispiel Huttens Gedanken auf die Ehe lenkten. Bald nach ihrer Begegnung schien das Schicksal ihm einen Weg zu öffnen, der von der tragischen Bahn abführte, die er eingeschlagen hatte. Sehnsucht nach Glück ergriff ihn, nach der einfach schönen Beseligung durch Liebe, wie sie aller Menschen, auch der ärmsten, Bestimmung und Geschenk sein kann, nach Weib und Kind, nach einem Eigen, einer Häuslichkeit, wo alle Mißtöne sich in Wohlklang lösen, wo unter einer weichen Hand Friede und Heiterkeit blüht. Man weiß, daß das Mädchen, das er heimzuführen hoffte, Katharina Glauburg aus Frankfurt war, die Schwester eines Freundes. Er träumte von einem Haus, das ihre Lieblichkeit durchleuchtete, wo er, der bisher bei andern Gast und Fremdling gewesen war, in schönen Räumen und Gärten Freunde empfangen konnte, wie er es wohl in Nürnberg und Augsburg bei den reichen Patriziern gesehen hatte.

Vielleicht, daß Katharina Glauburg dem unscheinbaren, aber temperamentvollen Ritter zugelächelt hatte; aber ihre Mutter hielt den kränklichen Mann, der keine gesicherte Stellung hatte und durch rebellische Schriften Anstoß erregte, nicht für einen zu ihrer Tochter passenden Ehemann. Sie hatte wohl recht. Würde er die Fessel des häuslichen Glücks nicht abgeworfen haben wie einst die Kutte? Keine Äußerung von ihm verrät uns, ob der Ausgang ihn schmerzte, und wie tief. Nur einmal, wo er von seiner Mutter spricht, bebt eine süßere Schwingung persönlichen Lebens über die Saiten dieses heroischen Dichters. Über den zerfließenden Traum hinweg stürzte er sich, ohne zurückzublicken, in den Kampf.


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