Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Geldwirtschaft

Es gibt wenig Ereignisse in der Geschichte, die den Kampf um Freiheit so elektrisch zusammengeballt, so dramatisch verteilt, mit so rückhaltlosem Einsatz persönlicher Kraft darstellen wie der Abfall der Niederlande, und dennoch ist auch mit diesem Kampfe der Kampf um Geld verbunden. Waren doch die Niederlande als Geldquelle in dieser geldarmen und geldbedürftigen Zeit so hoch geschätzt, daß Karl V. sie gerade als Geldquelle mit dem finanziell zerrütteten Spanien verbinden wollte. Karl V., von dem man annahm, daß ihm aus der neuen Welt märchenhafte Schätze zuströmten, bezog beinah die Hälfte seiner jährlichen Einkünfte aus den Niederlanden. Die Niederlande hatten mit drei Millionen ebenso viele Einwohner wie Spanien, eine Million mehr als England. Es gab in den Niederlanden 208 Städte, von denen Gent und Antwerpen 200 000 und 150 000 Einwohner zählten; auch die Städte zweiter Größe waren mit 75 000 Einwohnern immer noch viel volkreicher als die meisten bedeutenden Städte im Reich. In Gent, Antwerpen, Brügge, Brüssel, Amsterdam war ein Reichtum aufgehäuft und eine Kultur erblüht, die das Abendland bewunderte. Auch die Bauern konnten lesen und schreiben; die aufgeklärte Denkart des Erasmus war sehr verbreitet. Handel und Gewerbe waren in Flor, sie hingen mit Schiffahrt und Fischfang, mit dem Ertrag der Bergwerke, mit der Viehzucht zusammen, besonders mit der Weberei. Kaufleute aus aller Welt hielten sich vorübergehend oder dauernd hier auf, tausende hatten in Antwerpen Niederlassungen. In Antwerpen wurde im Jahre 1460 die erste Börse der Welt gebaut. Die zweite, prächtige, die 1531 eröffnet wurde, trug die Inschrift: in usum negotiatorum cujuscumque nationis ac linguae. Hier machten die Fürsten Anleihen und zahlten ungeheure Zinsen; die Technik des Geldhandels und des Kreditwesens verfeinerte sich mehr und mehr. Um den Besitz dieser ergiebigen Provinzen stritten sich Österreich und Frankreich; Karl V. überwies sie an Spanien.

Schon zu Karls V. Zeit war Spanien so verschuldet, daß es im Jahre 1557, als Philipp eben die Regierung angetreten hatte, zum Staatsbankerott kam. Den Gläubigern, die auf Einkünfte der Krone angewiesen waren, wurden ihre fast wertlosen Staatsrenten angeboten. Neue Staatsbankerotte folgten in den Jahren 1575 und 1596; der Krieg um die Geldquelle, die Niederlande, den Spanien 80 Jahre hindurch führte, verschlang das spanische Vermögen. Die Kriege waren die hauptsächliche Ursache, daß die Fürsten immer Geld brauchten, nie genug Geld hatten. England, das wenig Krieg führte, hatte einen geordneten Haushalt. Die Besoldung der Truppen, die zur Kriegführung gebraucht wurden, kostete unermeßliche Summen, die nie ganz aufgebracht wurden; deshalb kam es so oft zu Meutereien oder zu gänzlicher Auflösung des mit Mühe geworbenen Heeres. Mit welchen Opfern errichtete Oranien die Heere, die er gegen Alba führte. Aber auch Alba konnte die seinigen nicht bezahlen. In ihrer Wut und Verzweiflung plünderten die spanischen Söldner das reiche Antwerpen, die vielgepriesene Stadt, die sich nie von dieser Zerstörung erholte. Amsterdam und Hamburg wurden ihre Erben, nur vorübergehend Emden und Wesel.

In volkswirtschaftlichen Dingen nicht so erfahren wie im Kriege hatte Alba seinem Könige weitgehende Hoffnungen auf die Einkünfte gemacht, die seine Wirksamkeit in den Niederlanden ihm durch Konfiskationen und Steuern verschaffen würde. Indessen die Konfiskationen bedeuteten, als eine einmalige Einnahme, keinen dauernden Gewinn, und der zehnte Pfennig, der bei jedem Verkauf beweglicher Güter zu zahlen war, dessen Ergebnis wirklich bedeutend gewesen wäre, erwies sich als unhaltbar in einem Lande, dessen Wohlstand durchaus auf Handel und Industrie beruhte. Alba wunderte sich, daß Menschen, die das Blut der Ihrigen in Strömen hatten fließen sehen, ihr Geld nicht davonfließen sehen konnten, ohne sich zu empören. Schon das wirkte zerstörend auf den Verkehr, daß auf die Kunde von Albas Kommen viele Tausende von Protestanten, und zwar gerade die vermögenden, entflohen, daß die fremden Kaufleute zum Teil ihre Besuche einstellten. Die hochentwickelte Wirtschaft eines reichen und tätigen Volkes verträgt ungeschickte Eingriffe nicht. Weil es in Spanien wenig Industrie und Handel gab, bedurfte die Regierung der Niederlande, verstand aber nicht, sie zu behandeln. Gerade die Freiheit, auch die Freiheit der Wirtschaft, war die Grundlage der erstaunlichen Blüte dieses Landes. Wo lebhafter Handel herrschte, entzogen sich die Menschen allmählich den Bindungen, mit denen die Kirche und die mittelalterliche Weltanschauung überhaupt die Wirtschaft einengte. Das geschah namentlich durch das Zinsverbot, dessen Strenge zwar längst durch allerlei künstliche Auslegungen gebrochen war, das aber doch im allgemeinen noch aufrechterhalten wurde. Zwischen der idealen Forderung, die die Kirche erhob, und den tatsächlichen Verhältnissen war ein offenkundiger Abstand, am meisten in Italien selbst, dem Lande, wo Handel und Geldgeschäfte am frühesten in Blüte standen, seit dem 16. Jahrhundert auch in Deutschland. Stammte doch aus Augsburg diejenige Familie, deren Name, Fugger, zur Bezeichnung des Finanzierens überhaupt diente, mit Einschluß aller Gefährlichkeit und Zweideutigkeit, die das Geldgeschäft mit sich bringt.

Hans Fugger, der 1376 in Augsburg einwanderte, war Weber und bereicherte sich nach alter Art durch Warenhandel. Erst sein Enkel, der große Jakob, gab das auf und ging ganz zum Wechselgeschäft und Metallhandel über. Er lieh dem verschwenderischen Erzherzog Siegmund von Tirol eine Summe Geld, für welche der diesem zustehende Anteil an dem Schwazer Silberbergwerk haften sollte. Da das Geldbedürfnis des Erzherzogs andauerte, entwickelte sich das große Silbergeschäft der Fugger in Tirol und Kärnten, wozu dann noch der Kupferhandel in Ungarn kam. Der Nachfolger Siegmunds, Kaiser Maximilian, war, wenn auch aus anderen Gründen, ebenso geldbedürftig und verpfändete den Fuggern die Tiroler Kupferbergwerke, ebenso die Grafschaft Kirchberg und die Herrschaft Weißenhorn, die, nie eingelöst, die Grundlage ihres Grundbesitzes wurden. Als eine politische Macht traten die Fugger auf, als Maximilian I. starb. Nur sie konnten die großen Summen herbeischaffen, die sowohl von Franz I. wie von Karl von Burgund den Wählern versprochen wurden: sie entschieden sich für Karl. »Es ist Euch bekannt und liegt am Tage«, schrieb Jakob II Fugger einige Jahre später in einem Mahnbrief an Karl V., »daß Ew. kais. Maj. die Römische Krone ohne mich nicht hätte erlangen können, wie ich denn solches mit aller Ew. kais. Majestät Kommissarie Handschrift anzeigen kann. So hab ich auch hierin meinen eigenen Nutz nit angesehen; denn wo ich von dem Haus Österreich abstehen und Frankreich fördern hätte wollen, würd ich groß Gut und Geld, wie mir denn angeboten, erlangt haben. Was aber Ew. kais. Maj. und dem Haus Österreich für Nachteil daraus entstanden wäre, das haben Ew. kais. Maj. aus hohem Verstande wohl zu erwägen.« Ein unbequemer Gläubiger und Kollege. Nicht lange danach starb Jakob. Es wird erzählt, daß König Ferdinand, der gerade einen Landtag in Augsburg abhielt, während Jakob im Sterben lag, den Trompetern und Paukenschlägern gebot zu schweigen, als sie am Fuggerhaus vorüberkamen. Der Landesherr ehrte den Geldfürsten als seinesgleichen. Es gewährt einen Blick in die dunklen Hintergründe auch des glänzenden Daseins, wenn wir hören, daß Jakobs Witwe Sibylle bald nach seinem Tode heimlich das Fuggerhaus verließ und sich mit einem vertrauten Freunde ihres Mannes, Konrad Rehlinger, auf lutherische Art trauen ließ. Die Fugger blieben katholisch und haben hauptsächlich mit katholischen Fürsten Geschäfte gemacht. In Spanien waren ihnen die Einkünfte der spanischen Krone aus den drei großen Ritterorden verpachtet und über 100 Jahre lang auch die aus den spanischen Quecksilberbergwerken. Im Jahre 1546 hatten die Fugger mit 5 Millionen Handlungskapital den höchsten Punkt ihrer Macht erreicht. Die Nachfolger Jakobs des Reichen, seine Neffen, waren weniger großartig, als er gewesen war, was wohl auch durch die furchtbare Finanzlage der Habsburger bedingt war. »Es ist, als ob die Kaufleute übereingekommen wären, mir nicht mehr zu dienen«, schrieb Karl V. 1552. »Ich finde weder in Augsburg noch sonst irgendwo jemand, der mir Geld leihen will, welchen Vorteil ich auch bieten mag.« Anton Fugger ließ sich schließlich doch herbei, nach Innsbruck zu fahren, von wo er die Flucht des Kaisers mitmachte; aber die großen Summen, die er ihm vorstreckte, gab er persönlich, die anderen Teilhaber machten das heikle Geschäft nicht mit.

Die Fugger waren nicht die einzige Firma, die durch Geldgeschäfte reich wurde, wenn sie auch diejenige war, die mit den größten Summen handelte und durch die enge Verbindung mit den Habsburgern die einflußreichste Weltstellung einnahm. Ihnen am nächsten kamen die Welser, daneben gab es in Augsburg noch die Herwart, Rehlinger, Höchstetter, in Memmingen die Vöhlein, in Nürnberg die Haller und Tucher. Die Erschließung der österreichischen Bergwerke und die Stellung des Hauses Habsburg sind wohl die Ursache, daß die großen Finanzmänner des 16. Jahrhunderts Oberdeutsche waren. Sie waren, wenn auch die Fugger in der Hauptsache dem Hause Österreich dienten, international; für das Geld gab es keine Grenzen. Die Folge der furchtbaren Staatsbankerotte in Spanien, Portugal und Frankreich waren eine Reihe von Bankbrüchen der großen deutschen Handelshäuser; aber mit merkwürdiger Leichtgläubigkeit ließen sich immer wieder deutsche Firmen mit den französischen Königen ein. Im Jahre 1561 fallierten unter vielen anderen Franz Tucher, Gebrüder Zangmeister, Hans Jakob Fugger, Lukas Rem in Nürnberg und Augsburg, Ligsalz in München, zehn Jahre später Paumgartner, Manlich, Schorer in Augsburg, Ingold in Straßburg. Die Fugger, die sich zeitig von den großen Unternehmungen zurückgezogen hatten, überstanden den Unfall; aber Augsburg und Nürnberg haben sich doch von diesen Erschütterungen nicht erholt.

In den Finanzkreisen verstand man unter Wucher nicht das Zinsnehmen überhaupt, sondern nur die Ausbeutung, die man jüdisch nannte. Man konnte sich darauf berufen, daß das Reichskammergericht im allgemeinen fünf Prozent zu nehmen erlaubte, Kaufleuten acht. Das Zinsverbot sollte nur in solchen Fällen gelten, wo es sich um Darlehen im eigentlichen Sinne, nicht um Geschäfte, handelte. Als nun die Jesuiten, auch in dieser Hinsicht das päpstliche System stützend, erfüllt von den Anschauungen des dem Handel und der Industrie fernstehenden Spanien, das Zinsverbot in der alten Strenge erneuerten, erbitterte das Martin Fugger so, daß er nicht mehr bei den Jesuiten beichten zu wollen erklärte: »Es ist leicht über diese Sache zu disputieren«, schrieb er, »aber ihr habt gesehen, welche Tragödien der Bischof in dieser Fünfprozentfrage angerichtet hat, und der Ausgang bleibt noch abzuwarten. Wenn die Richtschnur, die ihr vorschlagt, beobachtet werden müßte, dann wären nicht allein wir Fugger, sondern auch ganz Deutschland in drei Jahren am Bettelstab. Aber darum würde sich weder der Papst noch eure Gesellschaft kümmern. Es wäre alles gut, wenn ihr es so weit bringen könntet, daß auch nur das Geld ohne Zinsen gegeben würde, aber ich schulde ungefähr 1½ Millionen Gulden, für die ich 5, 8, ja 10 Prozent zahlen muß. Dagegen schuldet mir der König von Spanien einige Millionen und bezahlt mir weder Zins noch gibt er das Kapital zurück. Was soll ich nun tun! Zudem habe ich ihm das Geld nicht geliehen, sondern er hat es von meinem Vater und Joh. Fugger erpreßt, infolgedessen Johannes alles, auch das Leben verloren hat. Etwas Ähnliches steht mir bevor.« Solche Äußerungen bezeichnen, wie weit sich die Wirklichkeit von den mittelalterlichen Anschauungen entfernt hatte. Die Mehrzahl des Volkes indessen, auch die Schicht der Gebildeten, hielt noch an ihnen fest. Es war ja eigentlich nur ein kleiner Kreis, die Fürstenhöfe und die Großkaufleute, den die Geldwirtschaft berührte.

Das Luthertum war ihr kein günstiger Boden. Wie Luther im Hinblick auf die Religion nicht ein Neuerer, sondern ein Erneuerer und Wiederbringer des Alten sein wollte, so hielt er auch in den wirtschaftlichen Dingen an den altkirchlichen Anschauungen fest. Leidenschaftlich wendete er sich gegen die Formen, die die Wirtschaft durch das zunehmende Geldbedürfnis während seiner Lebenszeit annahm. Obwohl er Aristoteles bekämpfte, anerkannte er seinen Grundsatz, daß das Geld unfruchtbar sei und betrachtete mit ihm den Ackerbau als die natürlichste und edelste Nahrung des Menschen. Das Zinsverbot betreffend berief er sich auf die Stelle des Lukasevangeliums: Und wenn ihr leihet, von denen ihr hoffet zu nehmen, was Danks habts ihr davon? Denn die Sünder leihen den Sündern auch, auf daß sie Gleiches wiedernehmen. Vielmehr liebet eure Feinde; tut wohl und leihet, daß ihr nichts davon hoffet, so wird euer Lohn groß sein und werdet Kinder des Allerhöchsten sein. – Luther wußte natürlich, daß es sich bei den Kaufleuten nicht wie hier um wohltätige Darlehen handelte; seine Stellungnahme ging, ganz abgesehen von Schriftgründen, aus seiner heroischen Auffassung des Lebens hervor. Das irdische Leben, so dachte er, ist ein Kampf und soll ein Kampf sein, nicht ein Genießen. Der Reichtum, der den Menschen die Mittel des Genusses verschafft, ist verderblich nicht nur, weil er sie von der Betrachtung und Übung des Göttlichen abzieht, sondern weil er sie verweichlicht. Der Mensch soll um seine Nahrung kämpfen und nicht mehr daraus gewinnen, als er mit Einsetzung seiner Person erarbeiten kann. Das Muster gottgewollten Verdienstes ist die Arbeit in und mit der Natur, der Ackerbau. Die Natur, ganz im mittelalterlichen Sinne die Tochter Gottes, beantwortet die Anstrengung des Menschen so, wie es für ihn gut ist; sie gibt wohl Ertrag für seine Mühe, aber keinen gleichmäßigen und nicht notwendig, keinen, der sich errechnen läßt. Der Mensch soll nicht sicher sein, sondern sich in der allmächtigen Hand Gottes wissen, dessen Wege hoch über unseren Wegen sind. Am Bergbau lobt er, daß der Arbeiter fleißig graben und suchen muß, vor allen Dingen aber die Unsicherheit, insofern er zuweilen da ergiebig ist, wo man es nicht dachte, und andererseits mancher sein ganzes Gut hineinbaut, ohne zu gewinnen, während ein anderer damit aus einem Bettler zum Herrn wird. »Summa, es soll heißen: nicht gesucht, sondern beschert, nicht gefunden, sondern zugefallen, wenn Glück und Segen dabei sein soll.« Die Kaufleute, die übers Meer fuhren, die mit den Wellen und den Seeräubern kämpften, deren ganzen Reichtum zuweilen das Meer verschlang, ließ er sich deshalb gefallen; aber neuerdings, tadelte er, pflegen sie ihre Angestellten zu schicken und selbst zu Hause zu bleiben. Abgesehen davon üben sie allerlei Ränke, die den Zweck haben, Sicherheit des Gewinns zu schaffen; er zählt mehrere derselben auf. Namentlich mißbilligte Luther den Renten- und Gültenkauf, der reichsgesetzlich und durch päpstliche Bullen erlaubt war, eine verzinsliche Anlage von Kapital auf Grundstücke, die den Zinsherrn gegen Verlust sicherstellte, da er sich im Notfall an das Unterpfand halten konnte, als welches das Grundstück angesehen wurde. »Der Zinsmann«, das ist der, welcher den Zins bezahlt, »mit seinem Gut ist unterworfen Gottes Gewalt, dem Sterben, Kranken, Wasser, Feuer, Luft, Hagel, Donner, Regen, Wölfe, Tiere und böser Menschen mannigfaltiger Beschädigung. Diese Gefahren allesamt sollen den Zinsherrn betreffen: denn auf solchem und nicht auf anderem Grunde stehen seine Zinsen.« Habe der Zinsmann trotz fleißiger Arbeit keinen Gewinn erzielen können, so müsse der Zinsherr den Schaden teilen, wie im anderen Falle den Gewinn, und wolle er das nicht leiden, sei er so fromm als Räuber und Mörder. »Summa, ich dachte, der Zinskauf sei nicht Wucher; mich dünkt aber, seine Art sei, daß ihm leid ist, daß er nicht muß ein Wucher sein; es gebricht am Willen nicht und muß leider fromm sein.« Im Ausmalen der großen Gewinne, die durch Ausleihen von Kapital auf Zinsen gewonnen werden, ist es das, was ihn empört, daß der Zinsherr dabei keine Gefahr weder am Leibe noch an Waren leidet; »arbeitet nicht, sitzt hinter dem Ofen und brät Äpfel.« Der gern fröhliche Luther, der in seiner anmutigen Ausdrucksweise den Ausspruch getan hat: »Gold und Silber und alles was hübsch und schön ist, bringt von Natur mit sich eine Liebe, die vergönnt uns Gott wohl«, war kein griesgrämlicher Verächter irdischen Besitzes, fern lag ihm das schafsmäßige oder wölfische Scheelsehen späterer Theologen auf den Reichtum als solchen; aber der Reichtum sollte durch redliche Arbeit erworben werden, sollte ein gewisses Maß nicht überschreiten und nicht Schwächere beeinträchtigen. Er war mit Recht überzeugt, daß bei redlichem Erwerb ganz von selbst ein Maß innegehalten werde. »Wie sollte das immer mögen göttlich und recht zugehen, daß ein Mann in so kurzer Zeit so reich werde, daß er Könige und Kaiser auskaufen möchte«, sagt er mit deutlicher Beziehung auf die Fugger. Die Mittel, die gebraucht wurden, um zu übermäßigem Reichtum zu gelangen, verwarf er: das, was er Wucher nannte, den Zinskauf, die Gesellschaftsbildung, die Monopole, den gemeinsamen Aufkauf von Waren zum Zweck schrankenloser Preissteigerung. »Denn sie haben die Ware unter ihren Händen«, sagte er, »und machens damit, wie sie wollen, und treiben ohne alle Scheu die obberührten Stücke, daß sie steigern und niedrigen nach ihrem Gefallen und drücken und verderben alle geringen Kaufleute, gleichwie der Hecht die kleinen Fische im Wasser, gerade als wären sie Herren über Gottes Kreaturen und frei von allen Gesetzen des Glaubens und der Liebe.«

Gegen die Gesellschaften kam ein Reichstagsbeschluß zustande; aber die Kaufherren verhinderten seine Ausführung, indem sie sich klagend an den Kaiser wandten, der es mit den Geldmächten nicht verderben mochte. Darum sagte Luther: »Könige und Fürsten sollten hier dreinsehen und nach strengem Recht solches wehren. Aber ich höre, sie haben Kopf und Teil daran und geht nach dem Spruch Jesaias I, 28: Deine Fürsten sind der Diebe Gesellen geworden. Dieweil lassen sie die Diebe hängen, die einen Gulden oder einen halben gestohlen haben.«

In seinem Haß auf die Kaufleute stand Luther nicht allein; es finden sich Äußerungen in dem Sinne, daß Kaufleute den Räubern gleichzuachten seien, bei Hutten, bei Sebastian Franck und manchen andern. Das großartig Umfassende der Geistigkeit Luthers zeigt sich nun aber darin, wie er diejenigen Kaufleute, die etwa Christen und Händler zugleich sein möchten, berät und belehrt. Sie gingen, sagt er, von der fehlerhaften Ansicht aus, sie dürften ihre Ware den Leuten verkaufen, wie sie wollten. Diese Meinung sei der Ausgangspunkt schwerer Sünde; denn sie bedeute soviel wie: ich frage nichts nach meinem Nächsten und gebärde mich, als wäre ich Herr über Gottes Kreaturen. Die rechte Regel sei nicht: ich kann meine Ware so teuer verkaufen, als ich kann und will, sondern: ich mag sie so teuer geben als ich soll oder als recht und billig ist. Denn der Verkauf sei nicht eine Handlung, die in der Kaufleute Macht und Willen stehe, ohne alles Gesetz und Maß, als wäre der Mensch Gott und niemand verbunden, sondern ein Werk, das man gegen den Nächsten übe und das nicht zum Schaden und Nachteil des Nächsten getan werden solle. Mit so überlegenem Sinn, wie der Maßstab für sittliches Handeln aufgestellt ist, werden dann Ratschläge erteilt, wie der Kaufmann, der göttlichen Geboten gemäß leben will, sich in der Preisbildung verhalten soll. Luther sieht die Schwierigkeit klar, die sich dem Setzen fester Regeln entgegenstellt bei der großen Verschiedenheit der Waren und ihrer Herkunft und anderer Umstände. Am besten würde ihm das Festsetzen der Preise durch die weltliche Obrigkeit gefallen, nächstdem wäre es am besten, die Ware gelten zu lassen, wie der gemeine Markt gibt und nimmt oder wie des Landes Gewohnheit ist zu nehmen und zu geben. Er lobt an diesem Wege besonders, daß dabei für den Kaufmann die Gefahr besteht, an der Ware zu verlieren und nicht allzuviel zu gewinnen. Wenn aber der Marktpreis oder landesübliche Preis nicht zu finden ist, muß der Kaufmann den Preis nach seinem Gewissen bilden. Luther will in diesem Falle dem Kaufmann kein Maß setzen, so etwa, daß er die Hälfte oder den dritten Teil gewinnen dürfe, sondern er soll seine Mühe, Arbeit und Gefahr selbst einschätzen, denn mehr Arbeit und Zeit solle auch mehr Lohn haben, und wenn er das aufrichtig getan hat, sein Gewissen nicht durch Zweifel bedrücken lassen, ob er etwa doch zuviel gerechnet habe. Den zufälligen Mehrgewinn möge er ins Vaterunser fallen lassen, indem er bete: vergib mir meine Schuld. Es komme ja auch wohl vor, daß er einmal zu wenig bekomme, da gleiche sich's aus.

Entstanden auch die großen Vermögen nur in einem kleinen Kreise von Finanzleuten, so erfaßte die Sucht nach Gewinn, womöglich leichtem Gewinn durch Spekulation, alle Kreise. Nicht Luther allein, alle Reformatoren und Gelehrten beobachteten es mit Entrüstung und Schrecken. »Es hat die Welt«, sagt Luther, »nichts anderes gelernt als schätzen, schinden, öffentlich rauben und stehlen durch Lug, Trug, Wucher, Überteuern, Übersetzen.« Ebenso sagt Sebastian Franck, daß nichts mehr regiere als Geld, des Zankens und Rechtens um zeitliche Güter sei kein Ende. Man betrachtete allgemein die schamlose Geldgier und die rücksichtslose Art, Geld an sich zu bringen, als ein Zeichen nahen Unterganges oder, wie Melanchthon es ausdrückt, des wahnsinnigen Greisenalters der Welt. Es ist begreiflich, daß im Maße wie alle sich auf Gelderwerb einstellten, die Heilighaltung der Armut abnahm. Wie fremdartig klang in dieser Atmosphäre das Wort Gregors des Großen: Den Armen sollst du nicht als Dürftigen verachten, sondern als Patron verehren. Damit man Gelegenheit habe, sich mildtätig zu erweisen, linderte man die Armut, ohne sie beseitigen zu wollen. Diese Auffassung änderte die Reformation grundsätzlich.

Hielt Luther in der Bewertung des Reichtums den mittelalterlichen Standpunkt fest, so verließ er ihn in der Bewertung der Armut. Das hing schon mit seiner Stellung zu den Klöstern und den Klostergelübden zusammen. Die ursprüngliche kirchliche Bestimmung, daß der vierte Teil des Kirchengutes den Armen gehöre, ein Überbleibsel des Gemeinbesitzes der ersten Christen, war zwar schon lange nicht mehr in Übung; aber bei aller Verweltlichung und Entartung des Klerus blieb doch die Heilighaltung der Armut in Geltung. Mochte man lächeln, wenn der Kaiser, wie es üblich wurde, an einem bestimmten Tage armen Leuten die zuvor gewaschenen Füße wusch; es war doch ein Symbol dafür, daß in Gestalt der Armen der Herr über die Erde gehe, daß man im Bettler den Herrn aufnehme. Zu den sieben Werken der Barmherzigkeit gehörte es, die Hungrigen zu speisen, die Gefangenen zu besuchen; Armut war, ohne daß man ihren Ursprung untersuchte, des Almosens würdig. Diese Auffassung hatte sich bereits etwas geändert, seit in den Städten die weltliche Obrigkeit sich mit der Fürsorge für die Armen und Kranken beschäftigte. Durch die Reformation wurde sie in den protestantischen Ländern vollständig eine staatliche Angelegenheit. Daraus ergab sich wohl eine bessere Ordnung und Abnahme des Bettels; aber der Arme wurde aus dem Fremdling, in dem ein Gott sich verhüllte, allmählich eine überlästige Person und beinah ein Verbrecher.

Luther hat persönlich wie irgendein mittelalterlicher Bischof, ohne engherzig nach Verdienst zu forschen und ohne sein Vermögen zu veranschlagen, den Bedürftigen gegeben. Dennoch machte sich seine Ansicht vom Werte der Arbeit bemerkbar. Schon in seinen ersten Predigten betonte er, daß die gewöhnlichen irdischen Handlungen, das Leben in der Familie und im Beruf, eher gute Werke zu nennen seien als das Beten des Rosenkranzes und die Wallfahrten. Im Gottesdienst wurde die Predigt die Hauptsache, außerhalb des Gottesdienstes hörten die Protestanten auf, die Kirchen zu besuchen. Das Licht der ewigen Anbetung erlosch auf ihren Altären. Einst waren die Kirchen immer erfüllt vom Summen der Gebete, von den Klagelauten altheiliger Gesänge, vom Duft des Weihrauchs, andächtige Augen erhoben sich immer zu den Bildern der Heiligen, des Gekreuzigten. Anstatt dessen sollte nun das Hämmern der Schmiede, das Schaben des Holzes und was es immer für Arbeitsgeräusche gibt, das Lob des Herrn verkünden. Von dieser Art der guten Werke war der Arme und Kranke, der Arbeitsunfähige, ausgeschlossen.

Bei Calvin ist die Rücksicht auf das Nützliche viel mehr betont als bei Luther. Luther zog nicht nur die Aussprüche der Heiligen Schrift herbei, die zu Fleiß und Arbeit ermuntern, sondern auch die, welche mahnen, daß wir nicht Schätze sammeln und nicht für den folgenden Tag sorgen sollen. Seine glücklichsten Augenblicke waren die, wo er sich im Anschauen der schönen Wunderdinge der Natur verlor, wo er sich in die Fülle Gottes versenkte, wo er spielte und träumte. In der Musik pflegte er eine Kunst, die er der Theologie gleichsetzte, die keinen anderen Zweck habe als in überschwenglicher Gotteslust das Lob des Höchsten zu singen. Er befeuerte durch sein ganzes Wesen mehr den Glauben als den Willen, während Calvins Persönlichkeit seine Anhänger zur Tätigkeit reizte. Wesentlich unterschied er sich von Luther dadurch, daß er, aus einem Lande mit verhältnismäßig entwickelter Geldwirtschaft stammend, vom Zinsverbot nichts wissen wollte und dadurch das Erwerbsleben von einer sehr hindernden Schranke befreite. Bedenkt man das, so wird klar, warum in den Niederlanden, die auf Handel und Industrie angewiesen waren, nicht das Luthertum, sondern der Calvinismus eindrang. Nicht als hätten sie ihn ergriffen, weil er gegen das Zinsverbot war; aber es war nichts in ihm, was seine Aufnahme gehemmt hätte, sie spürten in seiner Betriebsamkeit, in seiner auf weltliche Frömmigkeit gerichteten Lehre etwas Verwandtes. Sie konnten als Calvinisten ihre ganze Kraft auf den Erwerb, auf kaufmännische oder gewerbliche Tätigkeit richten und sich zugleich als Auserwählte Gottes fühlen, wenn sie nur redlich und bescheiden waren. Sie dienten Gott damit, daß sie in ihrer Tätigkeit aufgingen und den Katholizismus bekämpften, der die Bettelei pflegte und beim Reichwerden auf Schleichwegen ein Auge zudrückte.

Das Luthertum eignete sich mehr für agrarische Länder, was nicht hinderte, daß auch in der Landwirtschaft der beginnende Kapitalismus sich auswirkte. Auch die Gutsherren strebten danach, ihre Einnahmen zu vermehren, und zwar nicht in Naturalien, sondern in Geld. Sie wendeten sich mehr dem Export von Vieh, Getreide und Wolle zu und zogen es deshalb vor, so viel Land wie möglich in Eigenbetrieb zu nehmen, anstatt Stücke davon an Bauern zu verpachten. Im Großbetrieb konnte mehr verdient werden. Die Folge war, daß sie die Bauern, denen sie Land verpachtet hatten, unter allerlei Vorwänden davonzudrängen suchten. Das sogenannte Bauernlegen fing schon im 15. Jahrhundert an und wurde rücksichtslos im sechzehnten betrieben. Die Landesherren, die wegen der Besteuerung ein anderes Interesse hatten und die hätten einschreiten können, begünstigten doch den Adel zu sehr, um ihm etwas in den Weg zu legen, wenn er sich bereichern wollte. Anfangs wurden klagende Bauern wohl von den Juristen am Reichskammergericht unterstützt, aber wie es zu gehen pflegt, hörte der Rechtsschutz auf im Maße, wie das Übergewicht der Unrechttuenden und die Machtlosigkeit der Unrechtleidenden sich als selbstverständliche Tatsache erwies. Vor dem Dreißigjährigen Kriege sollen in 50 Jahren 400 Bauern ausgekauft sein. Da die Gutsherren zur Bewirtschaftung der vergrößerten Güter abhängige Leute brauchten, wurde der Gesindezwang eingeführt, wurden die Dienste der Bauern als ungemessene betrachtet, wurden sie schließlich für leibeigen erklärt. Die willkürliche Verschlechterung der Lage des Bauernstandes fand am meisten im Nordosten Deutschlands statt, wo sie ursprünglich sehr günstig gewesen war. In Süddeutschland, wo es mehr Streubesitz, weniger große zusammenhängende Güter gab, erhielten sich noch kleine, persönlich freie Bauern; ebenso in Niedersachsen.

Als die geistlichen Güter nach Aufhebung der Klöster in die Rapuse gingen, wie Luther sich ausdrückte, das heißt größtenteils von Fürsten und Adel gerafft und zu weltlichen Zwecken vergeudet wurden, war er sehr bekümmert, und etwas wie Schuldgefühl regte sich in ihm. Er war sich bewußt, daß seine Drohungen und Warnungen der Gewinnsucht gegenüber nichts ausrichteten. Es muß die Welt bleiben, sagte er, und Satan der Welt Fürst. Ähnlich sagte der Jesuit Scherer: »Wir Prediger sein dem Wucher zu schwach, man läßt uns dawider schreien und schreiben, so lang wir wollen. Die Zuhörer kehren sich nicht daran, sondern fahren einen Weg wie den andern mit ihrem zinkes per zänkes ( cinque per cento) immer fort.« Ganz dem entsprechend bemerkte man von den Genuesen, daß sie »die Theologen singen und sagen lassen, aber nichtdestoweniger das Ihrige schaffen«. Die Freiheit der Wirtschaft war nicht mehr rückgängig zu machen, so sehr war sie mit allen Verhältnissen, mit der Zentralisierung der Fürstentümer, mit der Kriegführung, mit der Erweiterung der Welt durch die Entdeckung von Amerika, mit der entstehenden Weltwirtschaft verknüpft. Das siegreich den spanischen Krieg führende Holland ging in den neuen Formen der Geldwirtschaft voran. Die im Jahre 1602 in Holland gegründete Ostindische Compagnie, die das Monopol zum Handel mit Ostindien erhielt, war eine Aktiengesellschaft, deren Aktien ein Gegenstand der Spekulation wurden. Auch der Wirtschaft bemächtigte sich mit dem Geldwesen Rationalisierung und Abstraktion, wodurch sie immer verwickelter und unübersichtlicher wurde und sich von den einfachen Verhältnissen der Natur und damit von den göttlichen Geboten in der Kirche entfernte.


 << zurück weiter >>