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Von den beiden Augen Deutschlands, Reuchlin und Erasmus, war Erasmus, wenn man das von Hutten gebrauchte Bild weiter ausmalen will, der glitzernde, strahlenwerfende Stern, Reuchlin der klarspiegelnde See. Reuchlins Ruhm beruhte darauf, daß er nicht nur das Griechische, sondern auch das Hebräische verstand; man nannte ihn das dreisprachige Wunder. Von der Feinheit und Gewandtheit, mit der Erasmus das Lateinische handhabte, war Reuchlin weit entfernt. Der Reiz des Erasmischen Stils, der anmutige Witz, die die Lektüre seiner Bücher zu einem Vergnügen machten, ließen einen helleren Glanz auf seinen Namen fallen; aber das Ansehen Reuchlins wurde dadurch nicht verdunkelt. In dieser so sehr auf das Studium der alten Sprachen und die Rückkehr zu den Quellen gerichteten Zeit war es etwas Außerordentliches, das Griechische von einem Griechen und das Hebräische von einem Hebräer erlernt zu haben. Für das Hebräische war kaum ein anderer Weg möglich. Auch Manetti, ein Kaufmann in Florenz, hatte Hebräisch von einem Juden gelernt, um die Juden besser bekämpfen zu können, wie er sagte; inzwischen hatte er den Juden zwei Jahre lang in seinem Hause, las mit einem jüdischen Gelehrten das Alte Testament in hebräischer Sprache und liebte es überhaupt, mit gelehrten Juden über ihre Glaubenssätze zu disputieren. Man hatte damals ein zwiespältiges Verhältnis zum Hebräischen: einmal war es die Sprache des verachteten Volkes, das den Heiland verkannt und ans Kreuz geschlagen hatte; aber es war doch auch die Sprache, in der der Herr zum ersten Male mit den Menschen gesprochen hatte, und es umgab sie ein Schimmer fremdartiger, uralter Heiligkeit, wie er keiner anderen eigen war. In der Kabbala, der Geheimlehre der Juden, glaubte Reuchlin Offenbarungen über die in Zahl und Zeichen verborgene göttliche Schöpferkraft zu finden; besonders die Namen des Unnennbaren sollten Zauberworte sein. An den Schluß der hebräischen Grammatik, die er verfaßt hat, setzte er den Vers des Horaz: Exegi monumentum aere perennius; so sehr war er sich bewußt, etwas Großes und Dauerndes geleistet zu haben. Gerade die Kenntnis des Hebräischen nun war es, die ihn in einen verhängnisvollen Kampf verwickelte.
An einem Herbsttage des Jahres 1509 besuchte Reuchlin ein getaufter Jude namens Pfefferkorn und brachte ein merkwürdiges Ansinnen vor. Er habe, sagte er, von Kaiser Maximilian, während derselbe im Kriege gegen Venedig vor Padua lag, die Vollmacht erhalten, mit Zuziehung des Pfarrers und zweier obrigkeitlicher Personen jedes Ortes alle Bücher der Juden einzuziehen und zu vernichten, die etwas dem christlichen Glauben Abträgliches enthielten. Reuchlin, als in der hebräischen Literatur bewandert, möge ihn begleiten und sich an der Arbeit beteiligen. Mit der Begründung, daß er keine Zeit habe, lehnte Reuchlin ab und machte außerdem den unwillkommenen Mann auf gewisse Formfehler des Mandats aufmerksam, die der Ausführung des Auftrages hinderlich wären. Damit glaubte er die Sache abgetan. Pfefferkorn indessen gehörte zu jenen Konvertiten, die sich mit einer Art von Raserei in den neuen Glauben verbeißen und gegen den verlassenen wüten, vielleicht auch bewegte ihn wirklich, wie man ihm später nachsagte, Rache gegen seine früheren Glaubensgenossen, die ihn wegen begangener Verbrechen ausgestoßen hätten; kurz, er setzte seine Bemühungen fort, deren Ergebnis war, daß Reuchlin von Seiten des Kaisers um ein Gutachten angegangen wurde, ob es göttlich und löblich und dem heiligen christlichen Glauben nützlich sei, die Bücher der Juden, mit Ausnahme natürlich des Alten Testamentes, zu verbrennen. Außer von Reuchlin wurden Gutachten eingefordert von den Universitäten Köln, Mainz, Erfurt, Heidelberg, von dem Kölner Dominikanerprior Jakob Hochstraten und von dem getauften Juden Viktor von Carben, der ehemals Rabbiner, jetzt christlicher Geistlicher war.
Das Gutachten, das Reuchlin ausstellte, ist ein schönes Zeugnis für seine Gewissenhaftigkeit, Unparteilichkeit und Geistesfreiheit. Er unterschied sieben verschiedene Klassen jüdischer Bücher: 1. die Heilige Schrift, die nicht in Frage komme. 2. den Talmud, der vielleicht manches wider den christlichen Glauben enthalte; allein daß die Juden Jesus Christus nicht als Gott anerkennten, sei nun einmal ihr Glaube und könne ihnen weiter nicht vorgeworfen werden, außerdem sei manches Gute darin. 3. die Kabbala, der Reuchlin am wenigsten etwas Böses nachsagte. 4. die Glossen oder Kommentare, die dem besseren Verständnis der Schrift dienten. 5. die Predigten und Zeremonienbücher, die zu dem von Kaiser und Papst den Juden zugestandenen Kult gehörten. 6. Bücher über Kunst und Wissenschaft. 7. Dichtungen, unter denen möglicherweise Schmähungen gegen Christus, seine Mutter und die Apostel wären. Wenn man solche Bücher fände, könne man sie vernichten und die Juden bestrafen, aber nur nach ordentlichem Verhör und Urteil. Er beschloß das Gutachten mit dem Rat, die Bücher nicht zu verbrennen, sondern die Juden durch vernünftige Disputationen sanftmütig und gütlich zum christlichen Glauben zu bekehren.
Auf den Kaiser, den Freund der Humanisten, machte Reuchlins Gutachten offenbar Eindruck, denn obwohl alle anderen, ausgenommen das der Universität Heidelberg, sofortige Einziehung und Unterdrückung aller jüdischen Bücher rieten, verschob er die Angelegenheit auf eine Beratung der Reichsstände. Wütend, daß ihm seine Opfer entgangen waren, und vermutlich angetrieben von den Kölner Dominikanern, schrieb Pfefferkorn den Handspiegel, eine Schmähschrift, in der er sich erdreistete, Reuchlin zu verdächtigen, als sei er von den Juden bestochen worden. Reuchlin wies im Augenspiegel die 34 Lügen des Pfefferkorn, so viele nämlich enthalte der Handspiegel, zurück, vor allem, wie sich von selbst versteht, den Vorwurf der Bestechlichkeit. Weit entfernt, dadurch zum Schweigen gebracht zu sein, wurde der penetrante Pfefferkorn nur um so hitziger. Er bewirkte, daß der Augenspiegel der theologischen Fakultät der Universität Köln eingereicht wurde, die ihrerseits das Buch dem Professor Arnold von Tungern überwies, damit er es auf die Rechtgläubigkeit des Verfassers hin untersuche. Reuchlin war ein großgewachsener, stattlicher Mann, damals 56 Jahre alt, seines Wertes bewußt, durch das allgemeine Ansehn, das er genoß, gehoben. Trotzdem überlief ihn ein Grauen; es war, wie wenn vom Rheine her ein brenzliger Geruch zu ihm gedrungen wäre. War Unschuld ein Schutz gegen die Inquisition? Nicht nur, daß das nicht der Fall war, schon der Prozeß, die Untersuchung, die Quälerei des Ausfragens schreckten ihn. Er lebte mit seiner kränklichen Frau auf einem kleinen Landgut in der Nähe von Stuttgart, in seine Studien vertieft und beglückt durch den Anblick seiner weißen Pfauen. Dies geliebte Asyl wollte er sich nicht entreißen lassen. So schrieb er denn einen höflichen, allzu höflichen, ja unterwürfigen Brief an Arnold von Tungern, in dem er seine Übereinstimmung mit dem Kirchenglauben beteuerte und sich bereit erklärte zurückzunehmen, was etwa in seinen Schriften gegen denselben verstoße. Nach mehrmaligem Briefwechsel trat die Kölner Fakultät unverhohlen mit der Forderung hervor, Reuchlin sollte den Augenspiegel nicht mehr verkaufen, öffentlich erklären, daß er in allem mit der Kirche übereinstimme und die Juden mit ihren gottlosen Büchern, insbesondere den Talmud, verwerfe. Diese hochfahrend und überheblich vorgetragene Zumutung brachte Reuchlin wieder zu sich selbst; er richtete sich zu seiner alten Mannhaftigkeit auf, lehnte die gegen ihn erhobenen Vorwürfe als erlogen ab und nannte die Gegner mit den damals üblichen Schimpfwörtern Füchse, Schweine, Maulesel, Furien.
Wie würde sich Kaiser Maximilian verhalten? Er war ein Freund der Humanisten, die wiederum ihm begeistert anhingen; es war kaum einer unter ihnen, der ihn nicht durch ein Gedicht oder eine Ansprache verherrlicht hätte. Er liebte es, sich mit ihnen in Gespräche einzulassen, und verkehrte mit ihnen, als wären sie seinesgleichen, wie er denn gelegentlich die Ansicht aussprach, daß eigentlich die Gebildetsten und Gelehrtesten herrschen müßten. Einmal, es war in Boppard im Jahre 1508, richtete er acht Fragen an den berühmten Abt Trithemius, darunter die folgenden: Warum Gott von den Menschen lieber geglaubt als gewußt und erkannt werden wolle? Ob, da nur ein kleiner Teil der Welt den christlichen Gesetzen unterworfen sei, die Meinung derer zugelassen werden könne, welche annähmen, jeder könne in einer Religion, die er für wahr halte, als Verehrer Eines Gottes außerhalb des Christentums und der Taufe selig werden? Ob aus der natürlichen Vernunft so gut wie aus der Schrift bewiesen werden könne, daß Gott für alle Wesen Sorge trage?
Trithemius geriet einigermaßen in Verlegenheit und erbat sich drei Monate Zeit zur Beantwortung, denn er wollte sich nicht auf einer mit den kirchlichen Dogmen in Widerspruch stehenden Äußerung ertappen lassen. Sie waren in der Tat etwas schlüpfrig, die Fragen des Kaisers, und man glaubt das leise skeptische und schelmische Blinzeln seiner Augen zu sehen, wie er den gelehrten Abt aufs Eis führt. Konnte einer, der so fragte, auf der Seite der Kölner Ketzerrichter stehen? Sicherlich nicht; aber wenn er als Kaiser auftrat, konnte er auch nicht ohne weiteres seinem persönlichen Geschmack und Urteil folgen. Er war durch Eid verpflichtet, den Papst und die Kirche zu schützen und die Ketzer zu bestrafen, außerdem stand er in vielfacher politischer Beziehung zum Papst; war sie feindlich, suchte er ihm zu schaden, zuweilen aber, wenn der Papst grade eine Schwenkung zu seinen Gunsten gemacht hatte, tat er ihm zu Gefallen, was er konnte. Schließlich, es konnte nicht alles, was in der kaiserlichen Kanzlei einlief, dem Kaiser mitgeteilt werden, manches fertigten seine Räte aus, ohne daß er davon wußte, und taten es oft im Sinne der Meistbietenden. Der Kaiser selbst war beweglichen Geistes, folgte augenblicklichen Eindrücken und erlag leicht den Gründen, die der letzte Bittsteller vortrug. So kam es, daß Reuchlin von ihm ein Mandat erlangte, welches beiden streitenden Teilen Schweigen auferlegte, und seine Gegner bald darauf ein anderes vorweisen konnten, das den rheinischen Erzbischöfen und dem Ketzermeister befahl, den Augenspiegel zu unterdrücken. Die Pariser Universität, die an Stelle der nicht gefügigen Heidelberger um ein Gutachten angegangen wurde, sprach sich einstimmig dahin aus, daß der Augenspiegel zu verbrennen sei und Reuchlin widerrufen müsse. Hocherfreut lud Hochstraten, der Ketzermeister, Reuchlin vor sein Tribunal in Mainz, wo der Beklagte im Herbst 1513 erschien. Da das Ergebnis zunächst kein anderes war, als daß Reuchlin an den Papst appellierte und der Erzbischof von Mainz Aufschub verlangte, ordnete Hochstraten, um sich doch irgendeines Scheiterhaufens zu erfreuen, die Verbrennung des Augenspiegels an, und schon strömten schaulustige Scharen herbei, als im letzten Augenblick ein Verbot des Erzbischofs eintraf, dazu Aufhebung des Inquisitionsgerichts und Genehmigung der Appellation. Der enttäuschte Hochstraten verschaffte sich in Köln Genugtuung, wo der Augenspiegel als ein nach Ketzerei schmeckendes, judenfreundliches, gegen heilige Kirchenlehren unehrerbietiges, ärgerliches Buch verbrannt wurde.
In der wechselvollen Geschichte dieses Streites folgte dem Hochstratenschen Triumph bald ein Reuchlinscher: der Bischof von Speyer, dem der Papst die Behandlung der Appellation übertragen hatte, erklärte den Augenspiegel für nicht allzu judenfreundlich, nicht unehrerbietig, nicht ärgerlich, verurteilte Hochstraten zum Stillschweigen und Tragen der Kosten und gebot ihm noch dazu, sich in kürzester Frist mit Reuchlin zu vergleichen. Einer solchen Demütigung sich zu unterziehen kam dem Ketzermeister nicht in den Sinn, der gewohnt war, wie der Vorsitzende des Jüngsten Gerichts Seelen und Leiber nach Belieben in die Hölle zu stoßen. Er appellierte seinerseits an den Papst, worauf Reuchlin dasselbe zum zweiten Male tat. Da kurz vorher Leo X., der Medizäer, auf den päpstlichen Thron erhoben war, bekannt als Humanist, aufgeklärter Mann und Mäzen, konnte man darauf rechnen, daß er nichts gegen Reuchlin unternehmen werde. Reuchlins Gesuch, die Sache endlich zu seinen Gunsten zu entscheiden, war vom Kaiser, von mehreren Kurfürsten, Fürsten, Bischöfen und Äbten und 53 schwäbischen Städten unterzeichnet; in Pforzheim geboren, gehörte Reuchlin zu Schwaben. Aber nicht nur in Deutschland, auch in dem anspruchsvollen Italien wurde Reuchlin verehrt. Die Gelehrten des Abendlandes bildeten eine erlauchte Republik, deren Lob und Tadel nicht wenig galt. Der einzigen Waffe, die ihm zu Gebote stand, bediente sich Reuchlin. Unter dem Titel Epistolae clarorum virorum, Briefe berühmter Männer, veröffentlichte er die Briefe, die bekannte Humanisten zustimmend, rühmend an ihn gerichtet hatten. In einer späteren Auflage wurden die Namen aller Reuchlinisten angeführt, im ganzen 43, darunter Erasmus, Pirckheimer und Peutinger, Patrizier von Nürnberg und Augsburg, der Graf von Neuenaar, Hutten, Crotus Rubeanus, Eoban Hesse, Oekolampad, Vadian, Glarean, Melanchthon, Hermann von Busche, lauter edle Namen, die dem damaligen Deutschland Glanz und Klang gaben. Dagegen hatte Hochstraten etwas aufzuweisen, was vielleicht noch mehr glänzte und klang. In ansehnlichem Aufzuge begab er sich nach Rom, die Taschen voll Gold und begleitet von den Segenswünschen der Dominikaner. Nach Art aller die Throne stützenden Schichten fingen sie an, heimlich die Faust gegen ihr Idol zu ballen, falls gegen sie entschieden würde. Geld hatte Reuchlin nicht, im Gegenteil, der Prozeß hatte ihn bereits über Vermögen angegriffen, und man wußte, was für ein Heißhunger nach Geld in Rom wie an allen Höfen herrschte. Lange zogen sich die Verhandlungen der Kommission, die der Papst eingesetzt hatte, hin, man hatte den Eindruck, daß der von Hochstraten ausgestreute Samen aufschoß und eine schnelle, für Reuchlin günstige Entscheidung hinderte. Da konnte es nicht schaden, wenn den Freundesbriefen ein zweiter Sturmangriff folgte: im Jahre 1515 erschien die Epistolae obscurorum virorum, die Briefe unberühmter Männer, oder wie man sie mit unsterblich gewordenem Ausdruck übersetzte: Briefe der Dunkelmänner.
Es war ein Einfall, so einfach, so naheliegend, wie es das Geniale zu sein pflegt, den Briefen der Reuchlinisten solche der Arnoldisten an die Seite zu stellen, wie sie die große Angelegenheit von ihrem Standpunkte, der sumpfigen Niederung aus, betrachteten. Wie dort die Humanisten Reuchlin ihre Anhänglichkeit bezeugten, so hier die Mönche dem Magister Ortuin Gratias von Deventer, Professor der scholastischen Philosophie in Köln, den Humanisten besonders verhaßt, weil er, der selbst Humanist und Dichter sein wollte, von ihnen als Abtrünniger betrachtet wurde. Im ersten Briefe unterbreitet Thomas Langschneider, Bakkalaureus der Theologie, dem Magister Ortuin eine wichtige Streitfrage, ob man nämlich magister nostrandus oder noster magistrandus zu sagen habe. Bei Gelegenheit eines Magisterschmauses, wo es bei Malvasier, Rheinwein, Einbecker und Torgauer Bier, Kapaunen und Fischen lustig zugegangen war, hatte man auch über ernste Fragen, darunter diese, gesprochen. Magister Warmsemmel, ein gar scharfsinniger Scholast, sprach sich für noster magistrandus aus, weil magistrare soviel heiße wie einen zum Magister machen, dagegen nostrare nicht gebräuchlich sei und weder im Wörterbuch » Ex quo« noch im Catholicon, noch im Breviloquium, noch in der Gemma Gemmarum stehe. Ein gleichfalls höchst scharfsinniger Magister habe dem Warmsemmel Widerpart gehalten, indem er gesagt habe, man könne ja neue Wörter bilden, und das aus dem Horaz bewiesen habe. Eine noch heiklere Frage bringt das zweite Schreiben vor. Dem Magister Pelzer und einem Bakkalaureus, die auf der Frankfurter Messe waren, begegneten zwei anständig aussehende Männer, die schwarze Talare und große Kapuzen mit Zipfeln trugen. Pelzer hielt sie für Magister und grüßte sie ehrerbietig, worauf der Bakkalaureus ihn darauf aufmerksam machte, daß es Juden waren, vor denen er das Barett abgezogen hatte. »Gott sei mir gnädig, was hab ich aus Unwissenheit getan«, ruft der erschreckte Magister, unsicher, ob er nicht eine Todsünde begangen habe, weil man sein Vergehen unter den Begriff der Götzendienerei bringen könne, und weil der Bakkalaureus meint, so krasse Unwissenheit könne keine Sündenvergebung bewirken. Er bittet Ortuin zu entscheiden, ob eine Todsünde oder eine läßliche Sünde, ob ein einfacher oder bischöflicher oder päpstlicher Fall vorliege.
Mit so bescheidenem Spott beginnen die Briefe, daß es Dominikaner gab, die sie für echt hielten und mit Vergnügen lasen. Freilich konnte diese Gutgläubigkeit vor der rasch zunehmenden Dreistigkeit des Hohnes nicht bestehen; die verliebten Abenteuer besonders waren mit allzu triefendem Pinsel ausgemalt, die erfundenen Verirrungen der Gelehrsamkeit allzu närrisch. Köstlich ist der Brief des Bruders Dollenkopf, der an der Heidelberger Universität Poesie studiert und an Hand der Schriften des Magister Angelicus Stellen aus Ovids Metamorphosen auf viererlei Weise erklären gelernt hat, nämlich natürlich, wörtlich, geschichtlich und nach dem Geiste, und als Beispiel verschiedene Stellen daraus mit Stellen aus der Heiligen Schrift vergleicht: Diana bezeichnet die Jungfrau Maria, die mit vielen Jungfrauen hierhin und dorthin wandelt, worauf der Psalm sich bezieht »Die Jungfrauen, die dir nachgehn, führt man zu dir«. Auf Jupiters Beziehungen zu Europa geht die Stelle »Höre, Tochter, schaue darauf und neige das Ohr, denn dein König hat Lust an deiner Schöne gehabt«; Semele, die den Bacchus säugt, bezeichnet wieder die allerseligste Jungfrau, von der geschrieben steht »Nimm hin das Kindlein und säuge mir's«; der seine Schwester suchende Cadmus stellt Christus vor, der die menschliche Seele sucht.
Mit welcher Kunst der einmal angenommene Grad von Albernheit durchgeführt ist, kann nur der Leser des ganzen Werkes einschätzen. Die aufgeblasene Einfalt spricht aus jeder Wendung und Mitteilung, auch aus ganz bedeutungslosen Sätzen. Wie gute Schauspieler sich in eine Rolle versetzen und nun der Dargestellte sind vom Scheitel bis zur Sohle, in jeder Miene und Bewegung, so spielen die geistvollen Verfasser höchst geistlose, im Schlamme sinnlichen Behagens plätschernde Dickbäuche, unschuldige Heuchler insofern, als Heuchelei durch Gewöhnung Natur geworden ist. Man sagt sich wohl, so dumm, so unwissend, so ausschweifend können Ordensleute, die an Universitäten lernen und lehren, nicht gewesen sein, aber man begreift, daß übertrieben werden muß, weil wenige an Stelle von vielen stehn, und weil Torheit und Schlechtigkeit sonst nicht deutlich werden. Mit sehr feiner Kunst ist auch die plumpe Behandlung der lateinischen Sprache durchgeführt, sowohl die üblichen Entgleisungen in der Umgangssprache wie der als Merkmal des Poetischen geltende Schwulst. Denn die Mönche treten durchaus nicht etwa als Gegner der Poesie auf, im Gegenteil, sie sind stolz darauf, Gedichte machen zu können, und führen zum Beweis ihrer nach scholastischen Lehrbüchern erlernten Meisterschaft gern Proben an, die den gelungensten Schmuck des Buches bilden. Es perlt durch die Briefe ein kristallhelles und wohllautendes Gelächter, kindlich harmlos, Überschwang einer fröhlichen Stunde. Liest man die Namen der Briefsteller: Gänseprediger, Ziegenmelker, Hafenmus, Schlauch, Unkepunke, so glaubt man sich unter ausgelassenen Gassenbuben zu befinden, die einen Schabernack vorhaben. Aber mitten im Spiel blitzt es wie Schwerter, verrät sich ein ernster Wille, der den kecken Streich zur ritterlichen Tat macht. Man muß sich vergegenwärtigen, daß die angegriffenen Dominikaner eine festbegründete, eine sehr gefährliche Macht waren. In ihren Händen lag die Inquisition, sie waren ein Teil der legitimen Gewalt, die seit Jahrhunderten das Abendland beherrschte, die den Gegner mit Feuer vernichtete. Angriffen war diese Macht zuweilen durch mutige oder verzweifelte Menschen; hier war sie durch den Zauber des Geistes aufgehoben, ausgelöscht durch Witz und Spott, ihr Ende war vorweggenommen. In diesem Buche hatte die Freiheit gesiegt. Das ängstliche Sichducken vor starren, den Geist einschnürenden Gesetzen, die heuchlerische Demut vor verachtetem Popanz, die Allgewalt eines einzigen über Millionen von Geknechteten, das alles hatten Sturmvögel weggeweht. Mit den Fetzen der entlarvten Götzen spielte die von ihrem Schwunge bewegte Luft.
Verbindend und gestaltend geht durch alle Briefe, schon im ersten beginnend, Reuchlins Prozeß, dessen Entscheidung bei der Kommission in Rom lag. Die Spannung zu steigern, wurden einige Briefsteller dorthin versetzt und berichten über den Gang der Verhandlungen aus eigener Anschauung, so daß sich Furcht und Hoffnung, von Anhängern und Gegner wechselnd empfunden, im Werke spiegeln. Einen beiläufigen Spaß machten sich die Verfasser daraus, daß sie in der zweiten Brieffolge, die 1517 erschien, ihre Mönche zuweilen die Dunkelmännerbriefe anführen ließen, so als wären sie stolz auf die vielen gelehrten Freunde, die ihr verehrter Magister Ortuin habe.
Die Epistolae obscurorum virorum sind das einzige von Humanisten verfaßte schriftstellerische Kunstwerk, das die Zeit überdauert hat und dauern wird, solange die Geistesfreiheit aufrichtige Anhänger hat. Nur hier wird die Vergangenheit, die so oft durch die lateinische Sprache und fremdartige Gedankengänge ein mühseliges und unfruchtbares Studium bedeutet, zur blühenden Gegenwart. Wir verstehen, daß es hier nicht um ciceronianische Rhetorik oder um verstaubte, schwer zu ergrübelnde Thesen geht, sondern um etwas Unvergängliches, Unersetzliches, etwas allen Menschen zu jeder Zeit Notwendiges, die Luft, in der der Geist atmet: um Freiheit.
Verfasser der ersten Briefe war, wie man mit ziemlicher Sicherheit annimmt, der junge Humanist Crotus Rubeanus. Er besaß den Humor, der neben den hassens- oder verachtenswürdigen Seiten des Gegners zugleich die komischen sieht und an diesen solches Vergnügen hat, daß er ihn beinah liebgewinnt. Je länger er mit diesen Ketzerrichtern im Geiste umgeht, die so wundervoll albern, selbstgefällig wie der Hahn auf dem Miste paradieren, desto mehr überkommt ihn eine Art von Zärtlichkeit für diese kostbaren Modelle; er möchte sie lieber streicheln als vernichten. Ganz anders Hutten, der am zweiten Teil der Briefe beteiligt war. Ihm führen Zorn und Entrüstung die Feder, sein Witz ist scharf, er hat nicht das künstlerisch quellende Behagen, die künstlerische Spiellust seines Freundes Crotus. Hutten gehörte zu den wenigen Rittern, die sich den Wissenschaften widmeten und sich dessen rühmten, und zu den noch selteneren, die Vertreter ihres Standes nach angeborenem Wesen waren. Wohl kam es häufig vor, daß junge Adlige sich für einen Helden begeisterten, sich einem Führer anschlossen, viel weniger häufig, daß sie aus eigener Überzeugung für eine gute Sache kämpften. Die eigentliche Aufgabe des Ritters, die Schwachen zu schützen, die Vergewaltiger zu strafen, hatte sich in der Ausübung fast ins Gegenteil verkehrt. Hutten aber fühlte das innerste Gesetz seines Seins erfüllt, als er Gelegenheit fand, für die, denen Unrecht geschah, sich einzusetzen. Zum erstenmal geschah das, als der leidenschaftliche und gewalttätige junge Herzog Ulrich von Württemberg seinen, Huttens, Vetter Hans von Hutten ermordete, in dessen Frau er sich verliebt und vor dem er sich aufs äußerste gedemütigt hatte. Als naher Verwandter fühlte sich Hutten doppelt berufen, den fürstlichen Mörder anzugreifen. Er bewies seine Dichtergabe, indem er den einzelnen Fall in seiner allgemeinen Bedeutung ergriff und darstellte, den Ermordeten als fleckenlosen Ehrenmann, den Mörder als rohen, sittenlosen, jede Willkür sich anmaßenden Tyrannen schilderte, was für den Herzog ungefähr zutraf. Viel mehr noch entsprach ihm der Kampf um Reuchlin. Denn in diesem Falle war nicht nur einem einzelnen Menschen Unrecht geschehen, sondern es stießen zwei Prinzipien aufeinander, von denen das eine die Herrschaft innehatte, das andere sich Raum erkämpfen wollte: Geisteszwang und Geistesfreiheit. Sollte es in Deutschland dem Gedanken möglich werden, seine göttliche Kraft zu gebrauchen und die Ergebnisse seiner Forschung zu äußern? Sollte es eine freie Wissenschaft geben? Oder sollte der Gedanke in alle Ewigkeit in ein Gerüst gezwängt bleiben, das Herrschsucht geschaffen hatte? Können Menschen sich anmaßen, und wäre es selbst um eines guten Zweckes willen, aller Menschen Glauben und Denken zu bestimmen? Kann Weltanschauung vorgeschrieben werden? – Hutten selbst liebte die Freiheit über alles, darum setzte er von allen Menschen, besonders von allen Deutschen voraus, daß sie freiwillig nicht Knechte sein wollten, deshalb haßte er diejenigen, die andere knechteten. Er hatte Erasmus und Reuchlin von jeher verehrt als Bahnbrecher der Wissenschaft und einer freieren, edleren Auffassung des geistigen Lebens; nun er verfolgt und bedroht war, wurde Reuchlin ihm doppelt teuer. Als der Geängstete ihm einmal geschrieben hatte: Verlasse die Sache der Wahrheit nicht! antwortete er im Januar 1517: »Ich sie oder dich, ihren Führer, verlassen? Kleinmütiger Kapnion, wie wenig kennst du Hutten! Nein, wenn du sie heute verließest, würde ich den Krieg erneuern!« Von jungen kampflustigen Gefährten umgeben, glaubte er sich des Sieges sicher. »Längst wird ein Brand vorbereitet«, schrieb er, »der zu rechter Zeit, hoffe ich, aufflammen soll.« Reuchlin, der ältere Mann, der genug für seinen Ruhm getan hat, soll ohne Furcht den Austrag seiner Angelegenheit seinen jungen Verehrern überlassen, der endliche Triumph kann nicht ausbleiben.
Soweit der Ausgang von der vom Papst eingesetzten Kommission abhing, hatte Hutten recht mit seinem Zutrauen. Als es nach mehreren Jahren endlich zum Beschlusse kam, gaben alle mit einziger Ausnahme des Dominikaners Sylvester Prierias dem Vorsitzenden, Erzbischof von Nazareth, sich anschließend, ihre Stimme für Reuchlin ab. Trotz aller Bemühungen Hochstratens und Pfefferkorns wäre ihm der Sieg zugefallen, wenn nicht Leo X. doch schließlich den Mut verloren hätte, den mächtigen Predigerorden gegen sich aufzubringen. Es zeigte sich, wie so oft bei den Kaisern, daß die Forderungen des Amtes die Neigungen der Person überstimmten. Die für Reuchlin günstige Entscheidung der Kommission wurde nicht nur nicht verkündigt, sondern aufgehoben, so daß für Ränke auf der einen, Befürchtungen auf der anderen Seite wieder Raum war. Die Dunkelmännerbriefe wurden auf fleißiges Drängen der Dominikaner vom Papst zum Feuer verurteilt, obwohl man, so hieß es, auch an der Kurie in das Gelächter eingestimmt hatte, das dem verwegenen Witz der jungen Freiheitsschwärmer wie ein allverbreitetes Echo folgte.
Von Erasmus ging die Sage, das Lachen habe ihm durch Sprengung eines gefährlichen Geschwürs das Leben gerettet. Später, als er in den Briefen redend und als Feind des Papstes eingeführt wurde, äußerte er sich erschreckt und ablehnend. Noch einen anderen gab es, der, obgleich er zu den Humanisten gezählt wurde und obgleich es ihm an Humor nicht fehlte, die Briefe ablehnte, ja sogar ihren unbekannten Verfasser einen Hanswurst nannte; das war Luther.