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Neue Kirche

Im Mittelpunkte von Luthers religiösem Leben stand das, was man in dogmatischer Sprache die Rechtfertigung durch den Glauben nennt: das Bewußtsein des Menschen, aus eigener Kraft den Frieden der Seele nicht erwerben zu können, von Gott aber damit begnadigt zu werden, wenn er ihm vertraut, wenn er glaubt, daß Christus, Gottes Sohn, die Menschen mit seinem Blut von der Sünde erlöst hat. Dies war das Erlebnis Luthers: unter der Sünde zu leiden, durch keine Anstrengung, keinen guten Willen sich aus den Banden der Sünde befreien zu können, dann aber durch eine überwältigende Begnadigung sich von der Sündenknechtschaft befreit und mit Gott verbunden zu fühlen. Die Verwertung der guten Werke war deshalb wesentlich für ihn; der Glaube allein kann beseligen. Zunächst nahm er an, daß alle Menschen wie er empfänden, daß sie aufatmen würden wie Erlöste, wenn sie, von ihm angewiesen, den Weg zu Gottes Vaterherzen fänden. Bald aber machte er die bitterste Erfahrung, die sich dauernd verstärkte, daß es wenige, daß es fast gar keine Christen gab. Nicht die Menge ist es ja, die die Gottheit ahnt, sondern die von schöpferischer Kraft erfüllten einzelnen sind es, die an Gott glauben, weil sie ihn erleben, die starken Persönlichkeiten sind es, die Gott als persönliche Macht erfassen können. Die Menge hat wohl das Bedürfnis und die Neigung zu glauben, aber sie erwartet, daß der große Gläubige, ihr Prophet, ihr die Kraft dazu verleiht. Von ihm, von Luther hing es ab, daß sein Volk ein Volk Gottes würde: diese Erkenntnis, die ihm eine so ungeheure Verantwortung auflud, machte ihn stark, aber sie machte ihn auch hart, und sie beschränkte ihn. Gab es wenig echte Christen, so ist Deutschland doch reich an Wühlköpfen, in denen bei trüber Beleuchtung ein aussichtsloses Durcheinander vor sich geht. Solche faßten Luthers Lehren vom allgemeinen Priestertum als Aufforderung auf, aus den dunkelsten Bibelstellen absurde Deutungen auszutüfteln oder abgeschmackte Ausgeburten als göttliche Offenbarung zu verbreiten. Gelehrte und Ungelehrte hatten dem, was er lehrte und predigte, etwas hinzuzusetzen oder entgegenzustellen, das theologische Besserwissen brach aus allen Poren. Luther erfuhr als einzelner, was die Kirche in ihren Anfängen erfahren hatte, daß Unglaube, Dummheit, Eitelkeit und Verworrenheit der Menschen zum Aufrichten von Dogmen zwingen.

Luther hatte an eine Absonderung von der Kirche, an der sein Herz hing, ursprünglich nicht gedacht, er hatte gemeint, sie zu den Quellen, zu den Überzeugungen, Lehren und Leben der Apostel zurückführen zu können; aber die Kirche wollte die Entwicklungen, die in Jahrhunderten sie umgebildet hatten, nicht verleugnen, auch nicht den kleinsten Teil davon. Diese Haltung der Kirche, die ihn als Ketzer ausstieß, anstatt ihn als Reformator zu begrüßen, nötigte ihn, eine neue Kirche neben der alten zu gründen, welche frei von dem Menschenwerk und den Menschensatzungen wäre, die die alte Kirche entstellten, welche sich nach dem Vorbild der Urkirche, wie die Evangelien sie schilderten, gestaltete. Anfangs wandte er sich an den Kaiser und den Adel deutscher Nation, damit sie die Reformation der Kirche an die Hand nähmen, anstatt dessen hatte der Kaiser ihn geächtet. Dann hoffte er, daß in Stadt und Dorf sich Gemeinden bilden würden, denen christliche Pfarrer Gottes Wort verkündeten, und daß so die wahre Kirche aus der Tiefe des Volkes wie ein Baum aus der Wurzel hervorwüchse; aber nur ausnahmsweise erfreute ihn ein derartiges urkräftiges Keimen. Auf dem Gebiet des staatlichen Lebens war das deutsche Volk im Mittelalter schöpferisch gewesen: man denke nur an die vielen Reichsstädte und freien Städte, von denen jede das Problem, möglichst viel Bürger am Regiment zu beteiligen, ohne die Ordnung aufzuheben, auf besondere Art löste in Verfassungen, von denen manche sich durch Jahrhunderte erhielten und bewährten. In kirchlichen Dingen war das Volk an Abhängigkeit gewöhnt; wenn sich Selbständigkeit rührte, war es nicht wachsend und bildend, sondern zerstörend. Angesichts der allgemeinen Verwirrung und Ratlosigkeit regte sich Luthers Sinn für Ordnung immer ungeduldiger. Er fing an, den Kurfürsten ernstlich zu mahnen, daß er mit Gewalt den päpstlichen Gottesdienst abschaffe und einen neuen, der Heiligen Schrift gemäßen, im ganzen Lande durchführe. Friedrich erinnerte ihn an seine Predigt, nur das Wort, nicht der Zwang solle in Dingen des Glaubens wirken; Luther fand nun, es sei die erste Pflicht der Fürsten, dafür zu sorgen, daß ihre Untertanen im wahren Glauben aufwüchsen. Luther war gar nicht systematisch, gar nicht grundsätzlich; er ließ sich von augenblicklichen Umständen und Stimmungen leiten, hieß oft einen Tag gut, was er an einem andern verwarf. Mit herrlichem Freisinn schrieb er in bezug auf Thomas Münzers angriffslustige Predigt an die sächsischen Fürsten: »Ew. Fürstl. Gnaden sollen nicht wehren dem Amt des Wortes. Man lasse sie nur getrost und frisch predigen wie sie können und wider wen sie wollen; denn es müssen Sekten sein und das Wort Gottes muß zu Felde liegen und kämpfen. Man lasse die Geister aufeinanderplatzen und treffen. Werden etliche indes verführt, wohlan so geht's nach rechtem Kriegslauf; wo ein Streit und Schlacht ist, da müssen etliche fallen und wund werden; wer aber redlich ficht, wird gekrönt werden.« Die Einmischung des Landesherrn in die kirchlichen Angelegenheiten betreffend, sagte er gelegentlich: »Was geht uns der Kurfürst an? Was fragen wir nach ihm! Er hat nicht weiter zu gebieten denn in weltlichen Sachen. Wenn er aber wollte weitergreifen, so wollen wir sprechen: Gnädiger Herr, wartet ihr eures Regiment!« Und noch derber in einer Predigt: »Du Narr und heilloser Tropf, warte du deines Berufs, predige du nicht, laß solches deinen Pfarrherrn tun!« Bald aber wurde ihm der Zustand von Auflösung und Unsicherheit im kirchlichen Leben unleidlich. Da das Wort allein nicht Ordnung schuf und Glauben weckte, machte er den Fürsten die Handhabung des Kirchenwesens zur Pflicht. Nachdem er die Herrschaft des Papstes gestürzt hatte, glaubte er, das Reich vor dem Chaos retten zu müssen, und tat es, indem er zwei Gewalten aufrichtete und mit Unfehlbarkeit ausstattete: die Obrigkeit und die Bibel. Er nannte die weltliche Obrigkeit Stellvertreter Gottes, die mit Recht in der Heiligen Schrift göttisch oder göttlich genannt werde und die deshalb, selbst wenn sie böse sei, unbedingten Gehorsam fordern dürfe. Nun sollte auch in der Kirche nichts ohne die Obrigkeit und alles durch die Obrigkeit geschehen. Die Fürsten ergriffen diese neue Lehre rasch und gern. Bald kamen fürstliche Erlasse wie: »Denn wiewohl unsere Meinung nicht ist, jemand zu verbinden, was er halten oder glauben solle, so wollen wir doch zur Verhütung schädlichen Aufruhrs und anderer Unrichtigkeit keine Sekte noch Trennung in unserem Fürstentum dulden.« Die Obrigkeit sorgte dafür, daß es in ihrem Gebiet nur einerlei Predigt gebe und zwang nicht nur die Evangelischen, sondern auch die Katholiken zum Besuch des evangelischen Gottesdienstes. Zur Bändigung des Geistes diente die Heilige Schrift, und zwar so wie Luther sie auslegte. Luther, der selbst das hatte, was Goethe exakte Phantasie nennt, verabscheute die Dunkelheit der Dummheit und des Wahns. Die, welche ihre ungaren Träumereien als göttliche Offenbarungen ausgaben, nannte er mit starker Mißbilligung Schwärmer oder Schwarmgeister und stopfte ihnen mit Bibelstellen den Mund.

Indessen gab es auch solche, die sich mit Ernst und Ehrfurcht in die Schrift versenkten, die nicht zweifelten, daß sie von Gott eingegeben sei, die aber doch mit dem nicht einverstanden waren, was ihnen wie Knechtung des Geistes durch die Bibel vorkam. Ein so feiner Denker wie Sebastian Franck bemerkte, wenn die Heilige Schrift selig machen könne, müßten die Schriftgelehrten die Frömmsten sein; es müsse einem zuvor der Geist von Gott gegeben sein, um die Schrift recht zu verstehen. Aus der Bibel allein, ohne den rechten Geist, könne man jede Schlechtigkeit decken. Der Teufel, meinte er, da er sich nicht mehr unter dem Papsttum verstecken könne, richte ein anderes, geschwinderes Papsttum an.

»Das ist verboten«, sagte Luther, »daß ein jeglicher aus seinem eigenen Kopf herfährt und macht eine eigene Lehre und läßt sich Meister Klügel dünken und will jedermann meistern und tadeln.« Ganz ähnlich sagte Zwingli aus ähnlichen Erfahrungen heraus: »Wohin käme die Kirche, wenn ein jeder nach seinem letzten Kopf anheben möchte, was er wollte.« Ja, wohin käme die Kirche, und wohin käme der Glaube ohne die Kirche? Ohne eine bestimmte Fassung des Glaubens zu Regel und Vorschrift würde er sich bald ins Leere verlieren. Nicht etwa würde, wie viele sich einbilden mögen, in der Freiheit sich das Ideale entfalten, sondern das Platte oder das Absurde würde sich ausbreiten, wovon die Köpfe voll sind. Nachdem Luther der Begründer eines neuen Glaubens geworden war, mußte er diesem Glauben ein Gerüst geben. Es ist etwas Großes, daß er den Einzelnen auf sein Gewissen stellte, ihm damit Verantwortlichkeit auflegte und Freiheit schenkte. Aber wie war es mit dem Gewissen der meisten Menschen bestellt! Konnte die Bildung, die Tüchtigkeit, die Güte eines Volkes dem Gewissen überlassen werden! Je mehr er sich von den Schwächen seines Volkes überzeugte – wie oft nannte er sie tolle, unvernünftige Bestien –, desto mehr fühlte er die Pflicht, die Erziehungsarbeit, die die alte Kirche geleistet hatte, womöglich auf höherer Stufe in der neuen fortzusetzen. Wenn er auch die Obrigkeit anfeuerte, ihr Schwert zu gebrauchen, wußte er doch, daß sie nicht besser war als das Volk, daß sie ihm im Fressen und Saufen und allen erdenklichen Bestialitäten voranging. Nur eine unerschütterlich fundamentierte Kirche konnte den Weg aus der Weltlichkeit zu Gott weisen. Als Stücke, die dem Christen zu glauben notwendig wären, bezeichnete Luther die Trinität, Christi Gottmenschentum, die Heilsbestimmung seines Todes, die Erbsünde, die Unfreiheit des Willens, die Gerechtigkeit aus dem Glauben. Derselbe Mann, der in der Babylonischen Gefangenschaft in bezug auf das Sakrament des Abendmahls geschrieben hatte, es sei ihm nur darum zu tun, Gewissensbedenken hinwegzuräumen, da hier keine Notwendigkeit des Glaubens vorhanden sei, sollte bald alle aufs härteste verdammen, die darüber eine von der seinigen abweichende Auffassung hatten. Vielen erschien das als eine Wiedereinführung des verhaßten Glaubenszwanges. Sollte es auch unter den Protestanten Ketzerrichter und Ketzerverfolgung geben? Die Humanisten, die bisher Führer der Bildung gewesen waren, fanden es befremdend, daß alles und jedes aus der Bibel bewiesen werden solle, daß theologische Fragen alle Köpfe zu beschäftigen und auszufüllen begannen. Luther selbst war kein Feind der Bildung und Gelehrsamkeit; aber er wünschte doch, daß für Kinder und Erwachsene das Studieren der Schrift die Grundlage des Unterrichtens bilden müsse, daß alles andere sich diesem Studium unterzuordnen habe. Andere übertrieben das und meinten, wer nur fromm sei, könne Unterricht und Lehrbücher überhaupt entbehren. Einige riefen, Latein und Griechisch sei nicht mehr nötig, es genüge Deutsch und Hebräisch zu lehren, es kam vor, daß Pfarrer zu den Bauern gingen und sich von ihnen die Schrift auslegen ließen. Allmählich begannen viele Gebildete, die sich anfangs Luther angeschlossen hatten, von ihm abzurücken. So taten Pirckheimer, Erasmus, Zasius und mancher andere. »Wo das Luthertum herrscht«, sagte Erasmus, »ist Untergang der schönen Wissenschaften.« Die Briefe Melanchthons aus diesen Jahren überströmen von derselben Sorge. »Guter Gott, wie unsinnig theologisieren die«, schrieb er einem Freunde, »welche glauben, nur durch Verachtung der schönen Wissenschaften als weise zu erscheinen … Die größte Torheit ist es, zu glauben, wie es heutzutage geschieht, daß die Frömmigkeit in nichts als in der Verachtung aller Wissenschaften, aller alten Literatur besteht … Ich sehe, daß du denselben Schmerz wie ich über den Verfall unserer Studien empfindest, die erst seit kurzem das Haupt erhoben hatten, und nun wieder zu versinken beginnen.«

Luther stand in dem Schwall von Feindseligkeit und verhaltener Mißbilligung wie ein trotzender Fels; aber eine andere Folge seines Auftretens erregte ihn tief, daß nämlich eine Verwilderung und Verrohung im Volke einriß, wie er selbst sie früher nicht wahrgenommen hatte. Man schrieb sie allgemein seiner Lehre zu, daß das Heil allein im Glauben liege, daß die guten Werke nicht nur zur Seligkeit nichts nütze, sondern sogar gefährlich seien. Jetzt blieben die guten Werke aus, die Stiftungen und Schenkungen, die im Papsttum, wie Luther selbst sagte, zugeschneit wären, niemand gab für kirchliche Zwecke, die Pfarrer mußten fast verhungern, die Menschen gefielen sich in rücksichtsloser Ausgelassenheit, sich auf die Erlösung durch Christi Blut verlassend, die ohne ihr Zutun wirke. Nicht nur, daß diese unvorhergesehene Entwicklung Luthers Gewissen schwer belastete, er verlor im Zusammenhang damit seinen teuersten Freund, den er unter allen Menschen am meisten liebte, Staupitz. Staupitz, der ihn aus tiefster Not errettet hatte, der ihm wie ein Bote von Gott erschienen war, der in den schweren Kämpfen des Anfangs seine Stütze gewesen war, Staupitz wandte sich von ihm ab. Beide hatten zunächst in dem, was sie lehrten, übereingestimmt, war doch Luther Staupitzens Schüler, und Staupitzens Anhänger in Nürnberg, feingebildete, ehrlich das Gute erstrebende Menschen, hatten sich Luther angeschlossen. Staupitz hatte eine Trennung von der Kirche nie für möglich gehalten, er sah sie für ein Unglück an; trotzdem hielt er zu Luther, als dessen Reformationsversuch dahin zu führen schien. Was ihn stutzig machte und Luther entfremdete, war dessen Stellung zur Werkheiligkeit. Daß die Abtötung des Fleisches und alle Qualen, wie sie Luther sich im Kloster auferlegte, die Gnade Gottes nicht herbeizwingen könne, weil die Gnade ein freiwilliges Geschenk an den Erwählten sei, hatte Staupitz selbst Luther gelehrt; es war der Ausgangspunkt seiner seelischen Umwandlung gewesen und wurde der Mittelpunkt seiner Lehre. Sehr bald zeigte es sich, daß die meisten Menschen bereitwillig die Last der guten Werke abschüttelten und das Wohlgefühl, das die Erleichterung mit sich brachte, für die göttliche Gnade hielten. Sie glaubten sich im Schlaraffenlande, wo die Seligkeit dem Faulsten in den Schoß fliege. Das Mißverstehen einer Wahrheit würde Staupitz nicht zum Verleugnen derselben veranlaßt haben; aber er fand, daß Luther die Wahrheit durch Einseitigkeit verdunkelt habe. Könne der Mensch, meinte er, auch nicht durch Zeremonien, Gebete oder irgendein Tun Gnade erwerben, so bezeichne es doch den Gläubigen, daß er gute Werke tue im Glauben. Nicht alle guten Werke seien verdammlich, es gäbe wahrhaft gute Werke, ja der Glaube, der sich nicht in Werken betätige, sei der rechte nicht. Luther war derselben Meinung und ermahnte auch seine Gemeinde in diesem Sinn; aber mehr lag ihm doch am Herzen, das Gefühl ihrer unbedingten Abhängigkeit von Gott in den Menschen zu erhalten. In diesem Gefühl der eigenen Ohnmacht und dem Glauben an die allmächtige Gnade Gottes sah er das Wesen der Religion, und er fürchtete, die Menschen möchten, wenn er die Notwendigkeit des Guthandelns betonte, in das äußerliche Wesen der vergangenen Zeit zurückfallen. Es folgte aus seiner Auffassung, daß er auf das Leben weniger Wert legte, als auf die Lehre; denn das Leben des Ungläubigen könne durch sittliche Handlungen rühmlich erscheinen, das Leben des Sünders vielleicht im Himmel ausmünden. Staupitz vertrat den entgegengesetzten Standpunkt; er hatte nie auf Lehrsätze und Dogmen Wert gelegt, wohl aber auf einen sittlichen Lebenswandel. Daß er dabei durchaus nicht engherzig und pedantisch war, hatte Luther selbst erfahren; aber er erwartete doch von seinen Anhängern, daß sie ihre Frömmigkeit betätigten, indem sie den Geboten Gottes zu folgen suchten. Luthers hartnäckige Rechthaberei trug dazu bei, den Zwiespalt zu verschärfen; gerade die, welche über Staupitz zu ihm gekommen waren, stießen sich an seiner Neigung zu paradoxen Behauptungen. Niemand kann sich anmaßen, das Gefüge von Luthers Entschlüssen so zu zerlegen, daß sich klar ergäbe, wieviel Anteil seine Dämonen und wieviel seine tiefsten Überzeugungen daran hatten. Wer erschräke nicht, ja entsetzte sich, wenn er sagt: »Verflucht sei die Liebe bis in den Abgrund der Hölle, die erhalten wird mit Schaden und Nachteil der Lehre, der billig alles zumal weichen muß, sei es Liebe, Apostel, Engel vom Himmel und alles was sein mag.« Er selbst jedenfalls ordnete sich und sein Gefühl der Lehre, dem Wort von Gott, unter. Wie heiß sein Schmerz über den Verlust des geliebtesten Freundes auch war, er glaubte nicht, ihn durch Nachgiebigkeit halten zu dürfen. »Du verlassest mich allzusehr«, heißt es in einem der letzten Briefe Luthers an Staupitz, »ich war deinetwegen wie ein entwöhntes Kind über seine Mutter heute sehr traurig; ich beschwöre dich, preise den Herrn auch in mir sündigem Menschen. Heute nacht habe ich von dir geträumt, es war mir, als ob du von mir schiedest, ich aber weinte bitterlich und war betrübt.« Es ist ein Bruchstück aus einem Trauerspiel, dessen Gang wir nur ahnen. Staupitz sagte in seinem letzten Brief an Luther: »Möge Christus helfen, daß wir nach dem Evangelium, das viele im Munde führen, endlich leben, denn ich sehe, daß Unzählige das Evangelium mißbrauchen zur Freiheit des Fleisches.« In einer Schrift über den rechten christlichen Glauben, die nach seinem Tode erschien, äußert er sich noch deutlicher: »Höre des Narren Rede: Der an Christus glaubt, der bedarf keiner Werke. Höre dagegen die Sprüche der Wahrheit: Wer mir dient, der folge mir nach. Wer mich liebt, der nehme mein Kreuz auf sich!«

Staupitz folgte einer Einladung des Erzbischofs von Salzburg, Mathaeus Lang, der ein Günstling des Kaisers Maximilian gewesen war, als Mäzen und Beförderer der Humanisten angesehen. Der Papst, dem daran lag, einen so bedeutenden Mann wie Staupitz für sich in Anspruch nehmen zu können, stellte ihm das Ansinnen, Luthers Schriften zu verwerfen; dazu verstand sich Staupitz nicht, aber er erkannte den Papst als Richter an. Er starb zu Ende des Jahres 1524 als Abt des Klosters St. Peter in Salzburg.

Verglichen mit der schmerzlichen Trennung von Staupitz erschien der Bruch mit Erasmus, der um diese Zeit erfolgte, fast wie eine Befreiung.


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