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Erasmus, der den Krieg verabscheute, glaubte ein Mittel gefunden zu haben, ihn in der christlichen Staatenwelt zu verhindern, wenn nämlich jedem Staat ein gewisses begrenztes Gebiet durch Bündnisse und Verträge versichert würde, denen gegenüber keinerlei Vergrößerungsgebiete, keine Sonderverträge noch veraltete Rechtsansprüche gelten sollten. Sehr charakteristisch ist dieser Vorschlag für die Auffassung des Erasmus vom Menschen, wie er sei und sein sollte: verständig, gutartig, leicht lenkbar, innerhalb weiser Einrichtungen ein genügsamer Ehrenmann. Er sah nicht die verhängnisvolle Verwickelung des Tierischen und Göttlichen im Menschen mit ihren selig-unseligen Folgen, er war im buchstäblichen Sinne Humanist, insofern er den Menschen wollte ohne die Spannung empörter Gegensätze, den für das Edle und Schöne, für das auf Erden Erreichbare empfänglichen Menschen. Man kann sagen, daß er den Gebildeten voraussah, wie er sich allmählich unter dem Druck absolutistischer Regierungen, unter dem Einfluß einer Religion, die wesentlich Moral war, und wissenschaftlichen Bestrebungen entwickelte.
Es versteht sich von selbst, daß Luther das Volk anders erziehen wollte als Erasmus; denn jeder schafft nach seinem Bilde. Genie läßt sich nicht ziehen, es wird verliehen oder nicht; es kommt als Gnade auf ein träumendes Haupt. Allerdings wünschte auch Luther, daß feine, gelehrte, vernünftige, ehrbare, wohlerzogene Bürger herangebildet würden, und konnte nicht genug darüber klagen und wettern, daß die Deutschen immer tolle Bestien und rohe Klötze bleiben wollten; aber er lockte sie doch am meisten damit zur Schule, daß sie dort Prediger werden und mit dem Wort umgehen könnten, das die Wunder Gottes tut, der Waffe, mit der sie als Hauptleute und Ritter wider den Teufel streiten könnten. Gebildete und tugendhafte Menschen konnten auch Heiden und Pharisäer sein; Luther wollte Menschen, die von Gott abhängig wären, von dem Gott, der sich in der Heiligen Schrift offenbart hat. Wenn er die ahnungsvollen Gesänge des Alten Testamentes aufrollte, wenn er die Kirche mit Hymnen und Chorälen erfüllte, wenn er die Überschwenglichkeit des Himmels ausdeutete, belebte er die Phantasie. Er rechnete mehr auf das Wunder, daß die Herzen durch die Wahrheit des göttlichen Wortes ergriffen würden, als auf die Ausbildung des Verstandes und Erlernbares, obwohl er auch darauf Wert legte. Die Sprachen schätzte er nicht nur hoch als Grundlage für das Studium der Heiligen Schrift, sie waren ihm die Schwingen des Geistes, ein Zauber, der die Herzen erschließt, das Mittel, in dem die dichterische Kraft Fleisch wird. Daneben wollte er hauptsächlich die Historie gelehrt wissen als die Kunde von den großen Taten Gottes unter den Menschen.
Die wesentliche Verschiedenheit Luthers und des Erasmus war beiden fühlbar; immerhin gab es etwas, was sie verband: die gemeinsame Feindschaft gegen die Auswüchse der Kirche und gegen die Mönche. Indessen auch an gemeinsamen Überzeugungen fehlte es nicht: beide wiesen auf die Heilige Schrift als auf die Quelle des Glaubens und auf Christus als den Inbegriff des Heils, beide drangen auf Vereinfachung des Glaubens im Gegensatz zur Begriffsschaufelei der Scholastik. Daß die Vereinfachung des Erasmus eine Verflachung war, fühlte Luther; die Vertiefung bei Luther stellte sich Erasmus als etwas Paradoxes, Chaotisches dar, das er nicht liebte, worüber er aber einstweilen hinwegsah. Die Außenstehenden empfanden den Unterschied so wenig, daß Erasmus vielfach für den wahren Verfasser einiger Schriften Luthers gehalten, Vater des Luthertums genannt wurde. Von den Dominikanern und anderen Ordensleuten wurde Erasmus fast mehr gehaßt als Luther, weil seine Ironie und sein eleganter Witz empfindlicher verletzten als Luthers ungestümer Angriff. In gewisser Hinsicht war Erasmus mehr gefährdet als Luther, den sein Landesherr schützte, während Erasmus unmittelbarer Untertan des streng katholischen Kaisers war; doch glaubte Erasmus sich durch seinen Weltruhm gesichert. Der König der Humanisten war es gewöhnt, von den Fürsten und Großen aller Länder umworben zu werden. Auch Friedrich der Weise glaubte, es sei viel damit gewonnen, wenn Erasmus sich für seinen Schützling einsetzte, und suchte eine Verbindung zwischen den beiden Männern herzustellen. Beide gingen auf die Absichten des Kurfürsten ein in der Weise, daß Luther als der jüngere sich dem berühmten Manne gegenüber bescheiden und verehrungsvoll zeigte. Vornehm und mutig legte Erasmus seine Autorität für den verfemten Mönch in die Waagschale, hoffend, der Papst würde sich Luther als ehrlichen Humanisten gefallen lassen, wenn nur Luther sich eine dementsprechende Zurückhaltung auferlegte. Als der Papst unerwartet schnell sich gegen Luther erklärte und der Bann verhängt werden sollte, erschrak Erasmus, zog sich aber nicht zurück, sondern bedachte mit dem Kurfürsten, was zu Luthers Rettung geschehen könne. Noch immer rechnete er auf die humanistischen Neigungen des Papstes, auf Grund deren er zu einer Revision des Prozesses veranlaßt werden könne, und bat Luther in höflicher Form sich in seinen Schriften zu mäßigen. Indessen reifte Luthers Entschluß zu endgültiger Trennung von Rom, und dort wurde die Bannbulle verfaßt, und Aleander und Eck wurden beauftragt, sie im Reich zu verkünden und für ihre Ausführung zu sorgen. In Löwen, dem Wohnsitz des Erasmus, wurden Luthers Bücher verbrannt, und die Feinde des Erasmus, Dominikaner und Karmeliter, hätten gern die des Erasmus und womöglich ihn selbst dazugeworfen. Der Umstand, daß es gerade in den Niederlanden viele Erasmianer und Lutheraner gab, zwischen denen man kaum unterschied, vermehrte die Gefahr für Erasmus; denn der Kaiser hielt es für nötig, in diesem Lande, das als sein Vaterland ihm besonders teuer war, die Ketzerei im Keime zu vernichten und führte deshalb die Inquisition ein. Wie in Spanien gab er dem zum Schutze der Kirche und des von ihr gelehrten Glaubens gegründeten Gerichte einen staatlichen Charakter; sein Leiter war ein Laie. Erasmus hatte immer die Vorsicht gehabt zu betonen, daß er Luthers Schriften nicht gelesen habe; aber mit Recht wurde das von seinen Feinden nicht geglaubt, die ihn vielmehr dem verdammten Ketzer gleichsetzten. Überzeugt, für sein Leben fürchten zu müssen, verließ er unter dem Schutze der Waffen Sickingens die Niederlande für immer und ging nach Basel. Noch während er in Löwen war, hatte man ihn gedrängt, gegen Luther zu schreiben; das sollte ihn als Angehörigen der Kirche, als Nicht-Lutheraner ausweisen. Erasmus hatte sich stolz der Anforderung entzogen; er billigte nicht, daß Luther sich von der Kirche losgerissen hatte, dennoch wußte er sich in seiner Gesinnung mehr zu ihm als zu den Fanatikern der Kirche, den Mönchen, gehörig. Wie er selbst zugestand, hatte Erasmus eine Neigung zur Skepsis; wer unbedingt von der Wahrheit seiner Meinung überzeugt sei, pflegte er zu sagen, könne nicht gerecht gegen die Meinung anderer sein, ihm aber liege es, auch andere verstehen zu wollen. Nach seiner Natur wäre er am liebsten neutral in dem großen Kampfe zwischen Luther und dem Papsttum geblieben, und Luther, der seine Eigenart kannte, hätte ihm vielleicht die unentschiedene Haltung zugestanden; die Altgläubigen verlangten eine öffentliche Erklärung. Wie bitter mußte es ihm sein, sich auf die Seite derjenigen zu stellen, die er so oft verspottet hatte, die ihn rachsüchtig verfolgt hatten, die er verachtete und fürchten mußte, wie bitter, gegen denjenigen auftreten zu müssen, dessen Bedeutung er einsah, mit dem er in den meisten Dingen übereinstimmte, außer darin, daß Luther gewalttätig erzwingen wollte, was er der stillen und stetigen Wirkung zunehmender Erkenntnis überlassen zu können glaubte. Zwischen zwei verhaßten Wegen zu wählen gezwungen, entschied er sich für die alte Kirche. Zur öffentlichen Bekämpfung Luthers griff er das heraus, was ihm an Luthers Lehre am meisten zuwider und was für Luther der Kernpunkt seines Glaubens war, nämlich die Unfreiheit des Willens. Schon gefühlsmäßig war er Gegner dieser Lehre, weil er eher willensschwach war. Der starke, schöpferische Mensch fühlt sich mitten in der höchsten Selbsttätigkeit hingerissen von einer höheren Macht als ihr Werkzeug; dem, welcher hauptsächlich aus dem Verstande lebt, ist das fremd, er glaubt alles aus eigenen Kräften zu bestreiten.
In einem seiner schönsten Gedichte, einem der schönsten Gedichte überhaupt, führt Schiller den Gedanken aus, daß das Menschliche unter der Mühewaltung des Menschen langsam erwächst, daß aber alles Große und Schöne von den Göttern ihren Lieblingen ohne Verdienst verliehen wird: Alles Höchste, es kommt frei von den Göttern herab. Denselben Gedanken sprechen Goethesche Verse aus.
Ebenso sagt Luther, daß der Mensch nach unten wohl Freiheit habe, nicht aber nach oben in bezug auf das Göttliche. Wenn nun, obwohl jeder unwillkürlich Goethe und Schiller zustimmt, Luthers Lehre vom gebundenen Willen so viel unwillkürlichen Widerspruch erregt, kommt es wohl daher, daß jene von den Göttern sprechen und von göttlichen Gaben, die auf Erden Glanz verleihen, während Luther von Gott und dem Heil der Seele spricht. Man ist geneigt, von dem vorzugsweise gerechten Gott zu erwarten, daß er in der Art menschlicher Gerechtigkeit das Verdienst belohne, von ihm mag man nicht annehmen, was man den Griechengöttern verzeiht, daß er Günstlinge habe. Würde man sagen, daß der Mensch von Natur selbstsüchtig sei und daß es nicht in seiner Macht stehe, ein Liebender oder ein Gläubiger zu werden, so würde das auch jeder zugeben; aber etwas anderes ist es, wenn man von Gott ausgeht, den man zum Urheber des Bösen zu machen scheint mit der Annahme, daß er einige Menschen schon vor ihrer Geburt zur Verdammnis bestimmt habe. Die katholische Lehre von den guten Werken war der Ausgangspunkt von Luthers Kampf gegen die Kirche gewesen; die Möglichkeit des Verdienstes eigenen Strebens hing damit zusammen, und wenn die Kirche zugleich betonte, daß ohne die Gnade Gottes kein Streben wirksam sei, so lag darin wohl die Unlösbarkeit des Problems von Freiheit und Notwendigkeit ausgedrückt. Der Mensch, dem die Möglichkeit abgesprochen wird, selbst etwas zum Heil seiner Seele zu tun, scheint verantwortungslos undurchsichtigen Gewalten preisgegeben und der Gleichgültigkeit oder der Verzweiflung überlassen zu sein. Die Kirche als eine Erziehungsanstalt legte Wert darauf, ihren Gläubigen mit dem Erfolg ihres Strebens Lohn und Strafe in Aussicht stellen zu können; die Anschauungen des Humanisten Erasmus beruhten darauf, daß der Mensch durch Bildung sich vervollkommnen und durch Tugend sich das Heil erwerben könne.
Es konnte Erasmus nicht schwerfallen, eine Menge von Schriftstellen anzuführen, wo Gott die Menschen zum Befolgen seiner Befehle auffordert und ihnen Lohn oder Strafe verheißt, und Luthers Erklärung, daß Gott in diesen Fällen ironisch zu den Menschen spreche, um ihnen ihr Unvermögen so recht zum Bewußtsein zu bringen, klingt wie eine etwas alberne oder dreiste Ausflucht. Andererseits konnte Luther aus der Schrift nachweisen, daß Gott nach Belieben Menschen zum Heil oder zur Verdammnis erwählt ohne ihre Schuld oder Verdienst. Auch aus der Schrift kann man sowohl auf Freiheit wie auf Notwendigkeit schließen, sowohl auf die vollständige Abhängigkeit des Menschen von einem unerklärbaren, ja dem menschlichen Gerechtigkeitsgefühl widerstreitenden Willen Gottes wie auf die Freiheit des Menschen, das Gute zu erstreben und sich strebend Gott zu nähern. Konnte aber Luther die Beweisführung des Erasmus nicht überall entkräften, so hatte er doch recht, wenn er Erasmus vorwarf, daß er von Religion nichts verstehe. Für Luther war Gott der Gott, dessen Wege hoch über den Wegen der Menschen sind, der Gott, den er anbetet, ob er ihn begnadet oder zerbricht. Seine Unterscheidung zwischen dem geoffenbarten und dem verborgenen Gott, womit er das Unlösbare löste, erinnert an die Gedanken des Cusa, daß Gott mit nichts Irdischem vergleichbar ist, daß er sich aber dem Menschen, seiner Schwäche wegen, im Gleichnis offenbart; sie zeigt seine Ahnung von der alles menschliche Begreifen hinter sich lassenden Größe des göttlichen Wesens. Es ist das Außerordentliche an Luther, daß er diese Unzugänglichkeit des verborgenen Gottes wissen und zugleich den offenbarten Vater Gott so kindlich, so stürmisch lieben konnte.
Erasmus sah einen ungerechten Vorwurf darin, daß er nicht religiös sei; er glaubte ja an Gott und auch an die Abhängigkeit des Menschen von Gott, nur um die Freiheit und Verantwortlichkeit des Menschen zu retten, billigte er ihm die Fähigkeit zu, der göttlichen Gnade ein wenig entgegenzukommen. In Luthers Augen war das eine unwürdige Schiebung; er fragte nicht, wie grausam die Wahrheit sei. Er selbst war grausam in der Schrift de servo arbitrio, vom verknechteten Willen, mit der er die des Erasmus erwiderte. Seine Sätze stürmen wie Geharnischte mit Schwertern auf den Gegner ein, bedrängen ihn von allen Seiten, entwaffnen ihn, werfen ihn nieder. Sie gönnen sich und ihm keine Ruhe, bis er am Boden liegt; erst als sie den Fuß auf seine Kehle setzen, überkommt sie ein Erbarmen. Etwas Hartes, Blankes und Strahlendes ist in dieser Schrift Luthers wie kaum in einer anderen, sowohl in ihrem Angriff wie in der Verherrlichung Gottes. Es ist, als mache sich hier ein Widerwille und ein Gegensatz Luft, der lange aus Rücksichten der Klugheit zurückgehalten war.
Erasmus fühlte sich keineswegs überwunden, vielmehr in seinen Ansichten bestärkt. Er war nun überzeugt, daß Humanität, Sittlichkeit, Licht, Weisheit auf seiner Seite seien. Seine überlegene Haltung als freigeistiger Aufklärer mußte er allerdings nun aufgeben, und er grollte Luther doppelt, daß sein Abfall von der Kirche ihn gezwungen hatte, sich mit den Dunkelmännern zu vergleichen; aber er tröstete sich damit, daß das Joch des Papstes immerhin leichter sei als das Luthers und daß die Mehrzahl der Humanisten seinem Beispiel folgte. Das Einströmen der Volksauffassung in das Luthertum machte sich bereits in einer flachen Bildungsfeindschaft bemerkbar, die Luther, dem tiefsinnigen, keinem Problem ausweichenden, ganz fernlag, die sich aber doch insofern auf ihn berufen konnte, als er die Religion hoch über die Wissenschaft stellte, als er die Anmaßlichkeit der Wissenschaft und des Verstandes oft verspottete, und als er zu betonen liebte, daß ein Kind die Heilige Schrift verstehen könne, dieselbe Schrift, um deren Auslegung sich fromme und gelehrte Männer um die Wette bemühten. Die neidische Gereiztheit der Ungelehrten gegen Wissen und Wissenschaft war die Ursache, daß beschränkte Menschen glaubten, die Stunde sei gekommen, wo sie durch bloßen Glauben die gelehrten Denker übertrumpfen könnten, deren hochtönender Kram eigentlich nichts wert, hohl und entbehrlich sei. Es kam vor, daß wirrköpfige Leute ihre Bücher aus dem Fenster warfen, weil man ohne Studium unmittelbar von Gott belehrt werden könne.
Luther nannte sich selbst mit einem gewissen fröhlichen Nachdruck den Barbaren gegenüber dem feingebildeten Erasmus; aber wie wenig er seine Deutschen in Barbarei zurücksinken sehen wollte, beweist der schmerzliche Zorn, mit dem er ihnen vorhielt, daß sie immer Bestien blieben und ihre Kinder nicht zur Schule schickten. Mit väterlich herzlichem Ernst ermahnte er die Städte, da die mit Trinken und Jagen beschäftigten Fürsten doch keine Zeit dazu hätten, Schulen zu gründen, damit die liebe unschuldige Jugend, Knaben und Mägdlein, zu Christen herangebildet werde. Denn eben zu Christen wollte er sie erzogen haben, und das waren die Ritter gegen Tod und Teufel, die auch in den alten Sprachen und in der Geschichte erfahren sein müßten, um die Irrlehrer zu bekämpfen. Daran dachte Erasmus nicht, wenn er die Pflege antiker Bildung empfahl. Überhaupt dachte er nicht, wie Luther, an das Volk, sondern an eine Schicht von Gebildeten, die alle Nationen umfaßte, der das Licht des Humanismus aufgegangen war. Im Augenblick schien Luther gesiegt zu haben; aber wenn es Erasmus verbitterte, daß er, der kürzlich noch von allen Strebenden und allen die zu den geistig Erlesenen gehören wollten, Vergötterte, von Luther in den Schatten gedrängt wurde, so hätte ihn das Bewußtsein trösten können, daß mehr ihm als Luther die Zukunft gehörte.