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In seinem Roman »Die Sozialisten« (1886) schlugen sich Erfahrungen nieder, die Hille in London und Holland gemacht hatte, unter den Entrechteten, Ausgestoßenen und Deklassierten. Dieser Roman, der keine übersichtliche Handlung hat und aus einem aphoristischen Nebeneinander besteht, verdeutlicht Hilles besondere Stellung in den literarischen Auseinandersetzungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Moralisch-ethisch fühlte sich Hille zu den sozialistisch orientierten Dichtern des Naturalismus, zu Karl Henckell und O. E. Hartleben, Bruno Wille und Wilhelm Bölsche, hingezogen. In seinem Roman zeichnete er in der Gestalt Bebers Bebel nach und bekennt sich zu dessen revolutionärer Alternative, gedeckt allerdings durch seine Erzählergestalt. Andererseits brachte es Hille nicht über sich, seine individualistischen Gewohnheiten und sein Leben an der Peripherie, als Außenseiter der Gesellschaft einem Kollektiv einzuordnen. Das Schwanken des Dichters zwischen den ethischen Prinzipien einer sozialistischen Welt und einem ausgeprägten Individualismus führte nicht nur zu einer weltanschaulich verschwommenen Haltung, sondern auch zur Aufgabe eines nachvollziehbaren epischen Geschehens in diesem Roman. Für die handelnden Gestalten liegt alles sozial oder politisch Widersprüchliche außerhalb der von ihnen zu treffenden Entscheidungen. Dabei ist Hilles Unentschiedenheit, im Roman deutlicher als in der Lyrik, weil objektivierter, keineswegs die Folge einer politischen Aversion gegen den Sozialismus. Darin ist er wiederum den deutschen Naturalisten sehr ähnlich. Die Unentschiedenheit entsteht aus Hilles Meinung, daß »unsere Eigenschaften in jedem Sinne bestens entwickelt« werden müßten, ehe der Sozialismus kommen kann; »unsere Sinne; unsere harmonisch ineinandergreifende Ausbildung muß den Zustand schaffen«. – Die ästhetische Erziehung der Klassik klingt in diesen Ansichten nach, ohne daß Hille sich allerdings darüber Gedanken machte, denn die Klassik bedeutete ihm eine Erscheinung, die überwunden werden muß, ehe Neues geschaffen werden kann. Sein Notat »Schiller: Feuersbrust der Kultur« stimmt in die naturalistische Ablehnung des Schillerschen Idealismus ein. Die Annäherung Hilles an die klassischen bürgerlichen Erziehungsideale erfolgte, weil Hille die Befreiung des Individuums aus den Fesseln der Konvention nicht in einen revolutionären Vorgang integrierte, sondern als Bildungsprozeß betrachtete. So bedeutete ihm z. B. auch, im Gegensatz zu Holz, Hauptmann, Henckell u. a., die Französische Revolution von 1789 keineswegs ein epochales Ereignis, sondern lediglich eine »düngende Verfallsentbindung«, die sich nun, fast hundert Jahre später, »eine Schicht tiefer und ohne Glanzerscheinungen des Geistes« zeige. Bei aller Relativierung, bei aller Einschränkung und persönlichen Distanzierung war Hille sich jedoch bewußt, daß der Sozialismus, den er durchaus als ökonomische Gesellschaftsformation sah, die historisch bevorstehende Epoche der Menschheitsentwicklung war. Zwar hatten die Marx-Studien in jungen Jahren nicht Klarheit über die Triebkräfte der historischen Entwicklung gebracht, aber die Anerkennung eines mechanischen Materialismus und die Konfrontation mit einer zunehmenden Perfektion kapitalistischer Wirtschaftsführung ließen Hille erkennen, daß »die Zeit hinter ihnen (den Sozialisten; R. B.) steht«. Hilles »Sozialisten« bedeuteten für manche Schriftsteller den Anbruch einer neuen literarischen Epoche – so z. B, für Hermann Löns –, in der der Naturalismus der Milieuschilderung, der Elendsdarstellung und des soziologischen Details aufgegeben werde zugunsten einer Betrachtung der menschlichen Innerlichkeit. Festzustellen ist jedoch, daß in diesem Roman wie auch in dem Roman »Die Hassenburg« Hilles Zuneigung »den unteren Ständen« gehört, denen die Arbeit »keine Zeit zum Naturgenuß« lasse. Hilles Fluchtposition schimmert durch, sein Leben am Rand großstädtischen Treibens und politischer Ereignisse. Nicht nur der Roman »Die Sozialisten«, sondern auch der Plan eines Dramas »Um die Weltherrschaft«, handelnd an der Börse, beweist bei aller Sonderlichkeit des Dichters sein Interesse für das aktuelle Geschehen.

Hilles zweiter größerer Roman, erst aus dem Nachlaß veröffentlicht, ist deutlich beeinflußt von der englischen Literatur, ja, die Figurenkonstellation und die Erzählhaltung der »Hassenburg« sind fast identisch mit Emily Brontës »Sturmhöhe«. Auffallend ist zuerst, daß Hilles Roman im Gegensatz zu allen anderen größeren epischen Werken des Dichters eine gerade, fast klassisch anmutende Handlungsführung aufweist, die sich auch in der »Sturmhöhe« findet. Übereinstimmend ist darüber hinaus nicht nur die Erzählform der Rückblende, sondern vor allen Dingen die merkwürdige Konstellation, daß ein Eindringling zigeunerhafter Herkunft Herr eines traditionsreichen Adelssitzes wird: In beiden Romanen verfügt dieser Zigeuner über Leidenschaft, Tatkraft, natürlichen Sinn für Ökonomie und bis zur Brutalität gehendes Machtbedürfnis; unter seiner Herrschaft lebt in beiden Fällen der Adelssitz wieder auf. Daraus glaubt er den Anspruch ableiten zu können, die legitime Erbin des Adelssitzes zu ehelichen. – Bei Hille und bei der Bronte wird dem verfallenden Adel die Rücksichtslosigkeit des ökonomisch versierten Außenseiters, seine Skrupellosigkeit und bis zum Verbrechen gehende Selbstbehauptung gegenübergestellt; sinnfällige Beispiele für den Einbruch kapitalistischer Verhaltensweisen in feudale Traditionen werden demonstriert. Hille hat diesen Vorgang gesehen, ohne indessen darin die besondere Ausprägung des deutschen Imperialismus zu begreifen. Deshalb setzt er auch hier wieder dem verfallenden Adel und dem finanzgewaltigen, aber skrupellosen Bourgeois den Dichter entgegen, der nach eigenem Gesetz seine Welt, sein Schloß entstehen läßt.

Beide Romane unterstreichen die bereits dargelegten Ansichten Hilles und lassen die Grenzen des Dichters deutlich erkennen: Der Kunst gebührte in Hilles Weltbild primäre Bedeutung; alles andere wurde nur durch sie und in ihr begreifbar. Erst die Kunst ermögliche dem Menschen die Rückkehr zu einem natürlichen Leben, wenn auch dabei eine revolutionär-kämpferische Übergangszeit entstehe. Für die Verwirklichung der Vorherrschaft der Kunst nahm Hille selbst kämpferische Aktionen in Kauf; in seinem dramatischen Fragment »Petöfi Sandor, der Sängerheld« läßt Hille Petöfi, den er als verwandt empfand, sagen: »Das Schlachtfeld in der Runde, bald wird es seine Rosen tragen, ein Rosengarten der Freiheit, und selig, wer darin kann bleiben, eine Rose sein, die sich verblutet, aber wiedersticht mit ihren Dornen, wer mit frevler Hand antastet unser heiliges Vaterland.«

Das Bewußtsein Hilles bestimmt gleichermaßen Inhalt und Form der Romane; in seinen Erzählern bzw. Helden verschränken sich individuelles Wollen als Fluchtpunkt am Rande des gesellschaftlichen Geschehens und gesellschaftliche Geschichte, hervortretend in Erscheinungen, denen auch die abnorme Lebensführung Hilles nicht aus dem Wege gehen konnte. Erzähler wie Helden begreifen sich nie als historische Subjekte und verhalten sich denn auch nicht reflektiv zu der sie umgebenden Wirklichkeit; sie sind, wie ihr Schöpfer, dem Augenblick verpflichtet und werden in Momentaufnahmen vorgestellt. Das führte in beiden Romanen zu einer an den Film gemahnenden Montagetechnik, die verschiedenartige epische Möglichkeiten miteinander verknüpft. Dabei nutzte Hille diese formale Vielschichtigkeit u. a., um nochmals seine Polemik gegen die Klassiker vorzutragen, so, wenn er am Ende der »Hassenburg« Goethes »Ich ging im Walde« vollständig zitiert, um sogleich die eigene Meinung dagegensetzen zu können: »Mein Schloß, die Hassenburg, es ist gerade kein Liebesschloß im Mädchensinn; es wartet nicht und geht nicht auf die Freite.«


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