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Ein Traum

Heute nacht war ich mit meinen achtundvierzig Jahren noch immer auf dem Pennal, fühlte mich dabei als wohlgefestigter Dichter und dabei Gymnasiast.

Dann fühlte ich, wie im Traum einer mich mit aller Gewalt davon abbringen wollte.

Ich aber sagte: nein, denn jeder Begabte muß das Wesentliche schnell erreichen können; das ist das Gymnasium sich selbst und jedem Strebsamen doch schuldig. Da ich auf der Klasse dazu in aller Ewigkeit nicht kommen würde, so wollte ich das Maturum machen.

Erst Dichter, dann Abiturient!

Hatte der Traum so ganz unrecht?

War er nicht vernünftiger als ein Dutzend Kultusminister des preußischen Staates?

Religion: »Ich heiße Peter. Das heißt Fels. Und so ein Felsen, ein fester, fühlender, das Wirkliche, Gott fühlender Fels will ich sein; zusammengehn, daß nicht ein Bläschen in mir bleibt.«

Gott will ich haben, wie ich ihn nur haben kann und mit ihm die jubelnden Wunder seiner Welt. Es gab eine Zeit. Da lagen um mich trübe Wege. Alle führten in Verlassenheit. Ins Elend. Bis ans Ende dieser Tage. Und weiter. Dann ins Dunkel.

Ins grinsende Dunkel.

Die Religion ist der Anker des Lebens.

Es war die Stunde dafür.

Die erste.

Von 8 bis 9.

Die Kirche dunkelte noch.

Über den Hof.

Ich werde aufgerufen. Ich soll die Beweise für das Dasein Gottes angeben. Das konnte ich.

Das heißt, was man so nennt. Den ontologischen, den physiko-theologischen.

»Halbeisen« Halbeisen war ein Lehrer Peter Hilles am Paulinischen Gymnasium in Münster (Westfalen). Siehe Nachwort. weilt lange bei mir. Die erloschenen Kohlen, die drohenden mißtrauisch bohrenden Inquisitoraugen lasteten auf mir. Entzündeten sich nicht. Mit notgedrungener Gerechtigkeit stellte sich eine langsame 3 in sein schwarzes Notizbuch. Es hätte auch eine 2 sein können. Bei Dannemann Ein Mitschüler Peter Hilles. 1 mit dem bedächtigen Entenschnabel und der niedrigen wie dicke Milch gerunzelten Musterschülerstirn sicher eine 1. Denn ich stand mich nicht gut mit ihm. Er verabscheute mich aus vollem theologischen Herzen als Freidenker und der Lateinlehrer in ihm noch besonders als Freund deutscher und anderer Dichter.

»Denken Sie sich, Ihr Sohn liest Horaz als Dichter.«

Du lieber Gott, als Freidenker! Da muß man Beweise dahersagen, die man innerlich widerlegt. Da wird man jeden Morgen zur Messe kommandiert, alle sechs Wochen zur Beichte, da sehen es alle alten Weiber, die in der Gymnasialkirche so eine ganz besondere Herzstärkung suchen: »Der geht nicht mit herauf kommunizieren, der hat die Absolution nicht bekommen. Was mag er nur verbrochen haben? Oh, oh!« Achtmal im Wirtshaus gewesen. In diese jämmerliche Freiheit muß man sich flüchten und in einem billigen Lucifertum sich fühlen: »Gott hat die ersten Menschen ins Paradies gesetzt und wieder hinausgejagt, er hat die Sintflut über sie geschickt, er mußte doch wissen, daß sie sündigen würden. Wie kann man einen Mord befehlen, einem Vater zumuten, einen Sohn zu töten? Ja, es war nur eine Probe! Also eine Lüge.«

Mit diesen Spitzfindigkeiten am Wörtlichen muß man sich abgeben, weil nicht der tiefere Sinn gesagt wird, so stark war die Liebe Abrahams zu Gott, daß ...

Oder mußte man als Primaner nach so und so viel Jahren aus der Dorfschule die Sextaner als Meßdiener amüsieren? Nein, die Religion muß lebendig bleiben.

Das Gruseln knabenhaften Wagnisses, eines billigen Luzifertums, die Neugier und Eitelkeit einer Lieblingsphilosophie wäre nicht schlau. Wie aber, wenn man um die ungeschickt verbliebene Form, den halb theologisch gehobenen Katechismus und das bißchen Kirchengeschichte, kleinliche Sittenpolizei für die lebende Religion nimmt? Abstirbt im Herde, ein kalter unbehaglicher, winddurchtoster Bau? Allein im Suchen nach der Höhe, die in uns ist und drängender Jubel von hier zu da, von da zu hier, kein Prediger, eine Weltenwonnen schlagende Nachtigall, ein Franz von Assisi, ein William Blake, die tagelang dem jüngsten Stündlein entgegensingen, Lieder der Zugvögel, Melodien nicht von dieser Welt!

Und so das zu hoch für die Lehrer ist, so doch hinüberdeuten in das Wissen unserer vielfindenden Zeit. Zeigen, wo das Wissen zu Ende geht, wo wir unser Leben verlieren müssen, um es höher wieder zu finden.

Einen Gipfel ersteigt man, wir müssen höher, also heißt es fliegen.

So für unsere selbstsuchende Zeit läßt sich viel finden.


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