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II

Prosa

»Ein großer Lump schreitet durch die Himmel.«

Das Recht der Kindheit (Ein Mahnwort)

Die Kindheit soll aus eigenem Rechte dasein. Nicht bloß geduldet.

Sie soll nicht von den Begriffen vergewaltigt werden, den greisen Begriffen.

Neid macht Vorschriften.

Schwäche, die nicht mehr genießen kann, verbietet. Die Kindheit ist ein Kundschafter, den die ratlose Menschheit voraufsendet, um einen sicheren Lebensgrund zu erspähen. So müssen wir sie sich selbst überlassen, ihrem Lebensinstinkt, der von Verrohung und haltungsloser Alberei wohl zu unterscheiden ist. Wie die Brieftauben müssen wir die Kinder auffliegen lassen.

Ist nicht in ihrem Spiel und ihrer Munterkeit, in ihrer ahnend, tiefen Lebensvermutung, in ihrem lebenswarmen, frischen Irrtum, der die Dinge so viel besser trifft, wie manche trockne Wahrheit, ist erst da einmal das Leben auf Erden recht eingezogen, da wird es nicht mehr so kraus aussehen auf Erden, da wird nicht mehr so viel gestochen werden, da bricht niemand mehr vor seiner Zeit zusammen, da wirds nicht mehr so frech und so vergrämt aussehen darauf, so ergrimmt und so leidend.

Wir haben das Leben noch nicht so recht in die Hand bekommen, deshalb fassen wir es so ungeschickt, sind wir so unglücklich, so unruhig, so friedlos und ungebärdig.

So haben wir armen, vom Leben vernachlässigten Erwachsenen, so haben wir also gar kein Amt bei den Kindern? Können die alles bessern?

Nicht doch: die Beobachtung, die übersichtliche Beobachtung dieser schönen, taufrischen Welt ist unser Vorzug, der bewußten Erwachsenen.

Das Kind stürmt dahin, fröhlich unbewußt.

Nur nicht Erziehung im alten Sinne, die eigentlich Verziehung ist, Verzerrung sogar.

Nur beileibe keine Änderung, keine Vorschrift!

Entdecken wir das Kind!

Die größte Entdeckung, die noch aussteht, ist ein wahres Kinderspiel. Sie erfordert keine unerhörte Kühnheit, nicht den heroischen Vorsatz, mit allen Gefahren und Entbehrungen es aufzunehmen: sie ist keine Nordpolfahrt.

Gewitter auf dem Meere

Es ist so ein eigener Schein, so ein grün feiner innerer Ton wie eine Wiese, von der niemand weiß, wo sie herkommt und mit ihrem Wachstum leuchtet dann mitten auf den Wellen, wo sie sich wie ein Hügel erheben.

Höher und höher sich dehnen.

Und da am Strand zu meinen Füßen wie Ackerkrumen ist das, wie Ackerkrumen mit ihren schwarzen, fruchtschwellenden Kämmen, die sich vornüber zur Seite legen.

Wie üppige Wünsche, ungeheuer und lüstern wölbt sich das blaue Gewölk zu wilden Hallen dröhnend zuckender Leidenschaften. Bleiches Grauen in dünnen Streifen zieht darüber, ein ohnmächtiges Gewissen, das Furcht hat.

Wassermann

Ich mag schon an tausend Jahre hier unten sein, nach Menschenkinder Maß seit jenem glücklichen Sturme damals. Das nenne ich noch Leben? Lust und Schönheit ist so kühl und frisch. Wie eigen scheint das Korallenzweiggeäder der gleitenden Leiber, flutet das bunte Haar, wie Orangeneis munden die duftenden Küsse. Sterben? Altern? Hat jemand schon eine greise Welle gesehen? Geist, Unterhaltung?

Hört euch nur mal den Schwertfisch an! Wenn euch da nicht das Herz im Leibe lacht vor seiner göttlichen Bosheit, doch ich vergaß: Das Echte erschreckt euch, ihr künstlichen Söhne der Natur! Eure Entwicklung ist Verwicklung.

Und der Haifisch?

Seegeruch sucht ihr? Da bedient euch der Hering, daß euch die Augen übergehen und ihr niesen müßt trotz Björnson und Lie.

Abendrot

Wie resch ist es, so raschelnd durch die seidene Brandung domschlanker Buchenwaldung zu schreiten! Jungen Burschen gleich, ihre Hüte schwingend, steigen die jungen Buchen mit hinan. Zart und voll, wölbt der rötlichbraune Hang sich hin.

Wie sich die Lunge in vollen Zügen erquickt an der köstlichen Luft! So, nun wie ein Fuß des Eroberers auf Feindesnacken, zieht mein rechtes Knie den letzten Schritt hinauf.

Da liegt vor mir Pyrmont, der freundlichzierliche Badeort. Links das lange, einer kahlen Höhe zustrebende Holzhausen mit seinen warmroten Dächern. Rechts Desdorf mit seiner fast tausendjährigen, schwerverwitterten Kirche, das wie ein spielender Knabe den vorzüglich gewachsenen, an den angelegten Nacken einer Römerin erinnernde, krausgrünen Waldkegeln zuläuft, die hier wie gewandte Gesellschaftsroben gruppenschön zusammenstehn.

Im Hintergrunde lippisch-hannöversche Waldnacken. Die Kuppeln einzeln, bedeutsam selbstruhig. Die hannoverschen flutend, vielverschlungen: Waldmeervorläufer. Die Sonne sank ... Am Himmel lodert düstere Andacht. Immer heftiger, ungestümer blutet die Glut.

Feindselig drohen befehdende Röte, leidenschaftliche Verklärung, Fleischeslust der Himmel. Hingeträumte Göttergestalten liegen die Berge da. Die nächste aber hat vor sich in der Tiefe einen kleinen Spiegel: der ist rot von der Freude an all der himmlischen Schönheit.

Herbstseele

So eine herbstfrische Waldluft. Und so ein Mutwill stöbert unter dem bunten Laub wie Knabenstiefel sich freuen, die purpurne Brandung und heiter zu empören.

So ein jubelnder Mutwill unter all diesen fallenden Kronen, diesen wildwachsenden Blutstropfen sterbenden Jahres!

Und jeder Blutstropfen schön gestaltetes Schweben. Und so frank und frei in all den niedlich Wichtigen da. Was war und verging, ein goldener Schatz in wölbendem Blau und frank und frei und gütig nah ist es, freundlich und hat nicht teil, und himmelsstolz oder höheneigen schaut es weich hinaus und immer tiefer blau.

Aus »Seelentage«

Wie ein Testament das Laub: Gold und voll Liebe, Seele im Vermächtnis. Und dieser klare Tag in seiner tiefen Reinheit allsagendem Scheiden, grüßend ruht sein heiterer Blick auf allem, allem.

Ein welker, wehmütiger Freier, wie er die Tragödie tief macht und versöhnend, mit knorrig weit ausgedehnten Stammtrieben im Schloßgarten des Belvedere. In müdem Rot wie Georginen stehen in den scheidend leisen Vorgärten Kinder.

Ihr Haar eins mit welken Sonnenblumenblättern. Auch die Spiele haben nun etwas Welkes, wie die wehmütige Reife der Lese.

Höhenstrolch

Ein großer Lump schreitet durch die Himmel. Seine gewaltigen Knie verlieren sich im strahlenden Glanz. Aus allen Taschen muß es fallen, aus allen zerrissen hängenden Taschen.

Und der lallende Schritt in schreienden Schuhen, stark und fröhlich singt er weiter.

Und alle Gassenjungen der weiten Welt – in grinsend kichernder Freude –, lautlos schlau, sammeln die goldene Ernte hinter diesem verwahrlosten Schreiten. Was für ein Lump: der Weltbeglücker.

Banger Traum. Karma

Das ist vollzogen. Basalt. Geronnener Ursturm. Gegend fremdeigen. Rötlich umbuscht, bestimmt, fern zitternd Geleise eines Waldwegs. Wohin? Das soll Kindererde sein. Heimat. Mehr als die besondere Heimat. Die Besuchsheimat, meines Vaters. Doch. Ein Etwas folgt mir. Ein Ochse vermutlich. Stumm. Mein Ahnen spürt seine Hörner über der Beuge.

Ein Karrenfuhrwerk. Breitachsig vertraut, ein Ungefähr, ein mitbekannter Heimatling.

Das sichert.

Und ich sehe mich nun, angemutet. Und dieses lange Untier hinter mir, ein erster tiefer Blick überzeugt mich: es ist kein Ochse. Eine Kuh.

Und Kühe ruhen. Sehr lange Kühe. Ruhende Vorgebirge sage ich, immer dichterisch.

Und dann bin ich wo zu Haus. Zugleich wohl. Ob schon der Geist allein zu Hause ist, der Weltumtaster.

Ja, der Weltumtaster.

Diese Stube, hell schräg. Und so ungewohnt. Mein Zimmer. Mein Ich. Aber fremd so. Fremd umkrustet, eingekrustet.

Undurchbrechbar.

Eine dunkle schwertiefe Umhausung, eine Seelengefangenschaft, eine Hineingeronnenheit aus einer langsam wild seltsam verlorenen Wunderseele.

Und keine Tür. Eine verdeckte, langsam erworbene Enge. Bewandtheit, Beengtheit; wie helles Glas. Sogleich setzt braun, neu, deutlich, regelgliedrig eine Treppe an. Hinab. Fenstergebälk, frisch, eng, bestimmt.

Kinder. Zwei wohl. Eigene. Mit sich beschäftigte in Kleidern der Hausfrau.

Um mich so ein fremdspöttisch kluger anders urteilender feiner, kleiner Vetter mit spitzer Sprache. Die können so gucken, die sind nah dazu, und weit genug. Der erklärt mich hinein in Zwang, wo er frei zu Hause, wo ich mich gewöhnen muß.

Und meine Schuhe. Groß. Gelbbraun. Staubiges Leder. Wie Heide sieht es heraus.

Nun sehe ich auf die Sohle. Die fehlt ganz.

Und wichtige Schriften von mir überall. Kinder haben damit gespielt. Zerrissen. Was mag wohl noch dasein davon. Das drängt müde, bewegt sich auf mich zu von allen Rändern. Ich bin verdammt. Ich dränge und hebe mich auf und presse ein Gebet gegen die Decke – und bin noch in der Wirklichkeit, die noch nicht geronnen, der noch immerhin irgendwie gestaltbaren Wirklichkeit.


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