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Zur Geschichte der Novelle

In Lessings Laokoon finden wir der Novelle noch nicht ihr Wesen vorgezeichnet, ihren Platz angewiesen, falsche Aneignung ausgezogen und ungekannte Güter nahegelegt. Nicht einmal der Name ist erwähnt. Sie gehörte nicht zu den strengeren Kunstformen und stürmt erst frisch mit modernem Anhauch in die neuere Zeit, Hand in Hand mit dem Feuilleton. Das Jungdeutschland hatte ihr Raum gelassen, so viel die Wilde brauchte; nur mit dem Feuilleton und den Heineschen Gedichten hatte sie das Gebiet zu teilen, das mutwillige Treiben behagte ihr: wie tollte sie mit den Genossen umher und schoß perlende Champagnerschauer, die lockere Revolutionärin, Emanzipierte dürfen wir nicht sagen: sie war nie emanzipiert.

Die schlanke Grazie Kühnes, der Gutzkowsche Tibet-Anzug, das Rugesche Mänadenkostüm, alles steht ihr reizend, der jungen Titania!

Wie ergötzlich war es auf dem Plane der Freiheit! Wie einladend schallten von Paris her die Fanfaren der Marseillaise, nicht so cholerisch wie vor 30, 40 Jahren: nein sanguinisch, keck und elegant. Als Baumeister standen hinter den Barrikaden Proudhon, Saint-Simon und Fourier. Und sah es hüben auch noch gar verstockt aus: die Verfasser trugen ihre Festungshaft mit der Heiterkeit des Märtyrertums, und die festgehaltenen Büchlein wußten ihre Wege schon zu finden.

Nur hin und wieder griff der geängstigte Staat wütend zu, grade den Unschuldigsten haschend: Fritz Reuter!!! Sonst aber war es urgemütlich unter den Kanonen, die noch bis zur offenen Emeute 1848 schliefen. Plaudernder Ernst ist der Grundzug dieser Epoche.

Und wie jener Bauer die Weisheit der Natur bewunderte, welche der Katze gerade über den Augen das Fell geschlitzt hat, könnte man in Erstaunen geraten über die Fügung der Vorsehung, daß gerade die petulanten deutschen Jungen diese mannigfach anregende Umgebung fanden. Im Staate Schwerfälligkeit, Schlendrian und eine zum Brescheschuß ganz wünschenswerte Despotie, schon mehr doktrinär, als zu Friedrich Wilhelms I. Zeit, in der nur Gewalt etwas oder vielmehr - nichts vermocht hätte.

Hier konnte man mit gleichen, aber handlicheren Waffen kämpfen. Der funkelnde Geist in graziöser Führung brauchte die rostigen Feudaltartschen, zu denen die Ritterfaust der Gewalt und nicht die Höflingshandschuhhand der Staatsmänner taugte, nicht zu fürchten. Während sich an heimatlichen Zuständen eine unerschöpfliche Verbesserungsbedürftigkeit darbot, gab das lebhaftere Westvolk das Verfahren an. Auf das bedauerlichste hatten die Brüderschaft die Franzosenfresser und Deutschtümler zu empfinden. Börne machte einen solchen, der sich im Postwagen einer Französin durch gewaltige Tabakswolken bemerklich machte, als Nationalfeind darauf aufmerksam, daß die alten Deutschen nicht geraucht hätten.

Das befreite die Dame von der Plage. Menzel weiß davon zu singen und zu sagen, wie die mokante Koterie zu ärgern verstand: ebenfalls die harmlosen Nachläufer der Romantik, wie die Pommersche Dichterschule, die nur etwas zu laut piepte und so unvorsichtig war, ihren Feinden den Stoff zu Hänseleien schwarz auf weiß zu geben.

Sogar der blaue Staatsrock A. Wilhelms von Schlegel, der das Unglück hatte: mit seinem hohen Kragen, den blanken Knöpfen und den fontänenhaften Achseln seine ehrenfeste Zeit zu überleben und in die spöttische junge Welt hineinzuragen, wurde trotz seiner Sauberkeit etwas stark ausgeklopft. Dieser Rock war sich gleich geblieben; er hatte nie getobt. Nur hatte er sich eine Zeitlang - man bedenk und würdige es: dieser gesetzte gelehrte deutsche Professorenrock – an das genial-lockere Römerkleid der Madame de Staël angeschlossen, gewedelt und bekehrt, daß es eine Lust war. Aber er war ruhig geworden und alles um ihn ruhig; mochte auch Augusts leichtsinniges Brüderchen die Lucinde verbrochen haben, jetzt schrieb es zahme Philosophien über harmlose Sachen und sah überall den Finger Gottes.

Nur die Verachtung der Denkgesetze und die Mystik der Darstellung erinnerten an den exaltierten Heißkopf, der nun etwas schwach geworden schien.

Brentanoe büßte bei der Katharina Emmerich sein Erstlingswerk.

Tieck schrieb geschwätzige Novellen und gab Shakespeare-Abende.

So ging die Romantik schlafen. Die patriotische Lyrik hatte sich, wie der Freiheitskrieg zu Ende ging, verloren. Der glühendste Schlachtensänger Theodor Körner, dessen kräftige Weisen nach den ewigen Klängen der Romantiker: »Könnt ich mich niederlegen ...« eine wahre Erquickung sind, fiel schon vorn im Kriege, der ihn begeistert, so groß gemacht. Einige Jahre nachher starb der invalid-sanfte Max von Schenkendorf, der neben Körner etwas Müd-Abendhaftes an sich hat, wie der zweite Ostertag mit seinem Evangelium: »Herr bleibe bei uns; der Tag hat sich geneigt.« Arndt und Stägemann wurden hausbacken, mit dem Siege sanken ihre Lieder. Die Paganinisaite ihrer Leier war abgespielt, die bei Arndt kräftig – und wenn auch hart, doch voll geklungen, bei Stägemann geschnarrt hatte. Friedrich Rückert, der sich elastisch von dem zu jenem wandte, hatte schon den Ton der Liebe gegriffen, der durch den Ernst der Zeit zurückgedrängt war. Freimund Reimar war nicht mehr: Rückert, der überall heimisch, hatte mit der Vaterländerei nichts mehr zu schaffen.

Die Bestrebungen der Deutschen erstreckten sich auf ein mißbilligendes Brummen zu der »Freiheit, die ich meine«, die aber ausgeblieben war, auf die edle Turnerei, um des Kaisers zu harren, der – sie wußten nicht: woher – wahrscheinlich aber aus dem Kyffhäuser kommen sollte; sie dachten dabei nur: »Mein Arm wird stark und groß mein Mut.«

Kriegerisch waren sie überaus; aber wie hätten sie sich je entschließen können, die Freiheit zu fordern von dem Fürsten, der 1813 den Aufruf geschrieben. Diesem wehe zu tun, waren sie viel zu gutmütig. Gerüstete Väterkraft und Heldensinn gesammelt hätten sie in alle Ewigkeit hinein; aber ausgeführt! Und wo sie einsahen, daß es draußen nicht zu holen war, daß sie sich gegen den eigenen Staat wenden mußten, um das vorenthaltene Recht zu holen! Zu den Altvordern stand ihre Sehnsucht. Um ihnen so nahe als möglich zu kommen, wurden Hörner angeschafft und Met getrunken. Diese Vätertugend behagte ihnen schon, und Vater Arndt machte eine ganze Masse Trinklieder, die in den Kommersbüchern sich lustig verauflagen.

»Wo Mut und Kraft in deutschen Seelen flammen,
Fehlt nie das blanke Schwert beim Becherklang.«

Wie hob solch ein Lied, in deutschen Männerkreisen aus kräftigen Bierbäßkehlen gesungen, Brust und Selbstbewußtsein.

Aber die Jugend war nicht so harmlos. Die Burschenschaft in Gießen: Büchner – war durchaus nicht unverdächtig. Da wurde konspiriert. Man ging mit Revolutionsgedanken um und schrieb »Dantons Tod«. Aber das war immer noch nicht Jungdeutschland. Jungdeutschland hatte nicht in den letzten Zehnern studiert. Es hatte Begeisterung und Abdämpfung nicht so in die vollglühende Jünglingsseele bekommen. Es war nicht lavablutig und verdüstert wie Büchner, oder die unreiferen nachher ebbenden Geister wie Folien, der sich als Student die Kaiserkrone anprobierte und nachher, Schweinemast trieb. Diese Jungdeutschen hatten Erhebung der Krieger und Niederknechtung der Sieger, die Niederprasselung der selbstgefachten Flammen nicht in ihrer ganzen schmetternden Gewalt gefühlt, wohl aber den unseligen Umschwung noch selbst, oder in der frischen Erinnerung daran wahrgenommen.

Ähnlich waren die Eindrücke, welche die gleichzeitig heranwachsende Generation Frankreichs empfing. Jedoch überwog da die Verheerung, wie Alfred de Musset zu Anfang seiner »Confession d'un enfant du siècle« so ergreifend darstellt. Die große Nation war besiegt: der Held, dessert Büste Lord Byron zu großem Verdruß seiner Mitschüler auf der Schule zu Garrow hatte, verbannt.

Das war ein Sturz, der im Hinblick auf die schwächliche, von den übrigen Mächten gestützte Herrschaft zu Unzufriedenheit führte, aber zu finsterer gegenstandsloser. Dieser Zustand entsprach der nationalen Niederlage, Als diese von dem schnell heilenden Mut der Nation verwunden war, stellten sich dieselbe Wirksamkeit, dasselbe Ziel und ein gutes Einvernehmen deutscher und französischer Esprits ein. Paris schlug durch und trieb mit seiner Julirevolution die deutschen Geister weiter auf der Bahn der amüsanten Revolution, der in der Wissenschaft vorangegangen war. Modern, ohne Vorurteile, ohne Voreingenommenheit, die Form verwerfend, in einem bis dahin unerhörten Negligé, trat die Muse auf.

Gerade die Systemlosigkeit, der Bruch der Formen, der ungehemmte Naturalismus, wie er durch die morschen Gerüste des Staates und der Kirche knackte: gerade die Novelle trägt schon in ihrem Namen den klaren Stempel der Zeit. Nicht nach alten Maßstäben will sie beurteilt werden: sie ist neu. Frei von Vorschriften muß sie sich selbst geben, nackt quillt sie aus schöpferischer Seele. Sie hat keinen Halt als ihre Naturwahrheit, als ihre Tiefe, als sich selbst. Poetische Situationen, poetische Sprache sind ihr nicht gestattet: sie muß Poesie und Sprache in Lebensfrische und knappem sprachlichem Anschluß mitbringen. Statt der Herrschaft der Regel Freiheit, die aber in Selbständigkeit bestehen, sich lebensfähig erweisen muß. Im Naturalismus kann man sich nicht verstecken, deshalb sind die Novellen vielfach ausgezeichnet und die Streckverse gehaltig, während in Epos und Drama geleiert, in der Lyrik, besonders aber in den Sonetten geklimpert wird, wahre Empfindung, tiefe Musik eine Seltenheit sind.

So hängen Staatsform und Novelle zusammen. Ich wüßte keine Novelle, in der sich Sehnsucht nach Wiedereinführung der Prügel ausspräche, nach denen ein General in meiner Gegenwart für Hödel große Sehnsucht hegte. Traktätchen und Auferbauliches, Zurückführung eines verirrten Schäfleins in den Mutterschoß der Kirche sind noch nie in der zwingenden Fassung, z. B. der Zurückführung Rudolf in der Ecksteinschen »roten Jula« zu seiner Pflicht, gegeben. Moral fort, für dein engherziges Wesen haben wir keine Verwendung in der Kunst, am allerwenigsten in deiner Widersache: der Entbundenheit. Novellenkönigin aber ist deine große freie Schwester, die Ethik. Ethik und Moral: dieselbe Bezeichnung. Aber die Griechen waren ganze Menschen, deshalb ist die griechische Sitte auch so umfassend, während die Moral zur Zeit der römischen Verdorbenheit empfunden wurde. Tugend aus Not, die Ethik faßt zusammen den Zustand und das Ziel, die Moral lockt zahnlos zu der Wohlanständigkeit, zu untüchtiger Tugend.

Auch bei den Frauen feierte der Geist seine Auferstehung. Die Rahel ist ein starker Geist, von ihrem Zirkel ging etwas jungdeutsche Bewegung aus. Neben diesem vollkräftig-jüdischen Geistesleben haben wir die christliche Charlotte Stieglitz. Ihre blasse Lebensentsagung, ihr keuscher Tod der Weihe für das, leider, unwürdige Talent ihres Mannes: er zeigt eine Begeisterung des hohen Weibes für den Geist, eine Liebe zu dem Genius, wie sich inniger nicht die jungen Christen in den Tod gaben für den Heiland. Moralisch nicht, aber hoch-ethisch war das gehandelt. Charlotte gab ihr frisches Leben hin für die erschlaffende Poesie ihres Heinrich, um ihm den Wert der heiligen Sache, ihre Verehrung und Würde zu zeigen, dadurch ihn zur größten Anstrengung, zum tiefsten Streben zu verpflichten. Dieser reine willensfreie Opfermut für das Höchste, diese selbstlose Entäußerung der Lebenslust, die klare Überwindung der Todesfurcht, das ist eine so vernünftige Tat, eine so helle Erkenntnis, wie wir sie nur an der vollen, tiefen Erfassung einer erwarteten, durch die großen Seelen gehenden Flut, nur bei der Erscheinung des Zeitheilands wahrnehmen.

Charlotte Stieglitz starb für Jungdeutschland, für Deutschlands erstes Menschentum.

Wie frisch und heilkräftig die deutsche Jugend war, die Not, die Vernunft – bewußte Hingebung für eine geistige Sache wie bei Giordano Bruno, und hier ist Erkenntnis, ist Vernunft – nach der Gefühlsüberreizung der Romantik tat, zeigt eine Vergleichung der gesunden Tat Charlottes mit der altjungferlichen gefühlsempörten Ertränkung der armen, in einen sohnmäßig jungen Leutnant verliebten Louis Brachmarin. Hier dumpf, romantisch, ziellos, überlebt; dort keusch, jungdeutsch, opferfreudig – frisch. Eine vierte jener erregten Frauen: Bettina von Arnim ist nonnenhaft, katholisch, verehrt ihren Heiligen: Goethe. Der Unwert der Romantik zeigt sich in der Verehrung von Schutzheiligen, in der Gefühlsumrankung, in der Bewunderung einer Größe. Sinn für Größe war da, es fehlte nur die Kraft. Von allem will mir jdoch der Goethe-Kultus der Arnim am besten behagen. Ein schwärmerisches Weib ist aphoristisch, bringt sehr viel Eigenes; der Seelendrang, die Erregung teilt sich mit: das Weib in seiner Meisterschaft kommt der Genialität am nächsten.

Der Seelenvorgang im Busen der hochherzigen Charlotte wäre ein guter Novellenstoff, wenn man etwas Anhalt hätte.

Gleichgültig gegen das Staatsleben, den großen Völkerfragen abgewendet, hatten unsere Klassiker ihre Poesie nicht damit getränkt. In der Leidenszeit Deutschlands sehnte sich der Ausdruck der Zeit zum Mittelalter zurück. Mit dem Freiheitskriege kam Tatkraft, die Dichtung wurde vom Augenblick getragen, ja auch einige Dichter nur von ihm gehoben.

Doch nur während der Erhebung hielt das Feuer vor. Schon 1816 sang Unland: »Wenn heut ein Geist herniederstiege.« In die Knechtung nach den Freiheitskriegen konnte niemand hineinsingen. Es mußte erst eine neue Generation erstehen; die enttäuschte konnte nicht eine andere Lyra sich anschaffen. Da kam das unter dem Umschlag aufgewachsene Geschlecht; die anderen, vorgerückteren tödlichen Eindrücke hatten hier nur angeregt. Statt der straffer angezogenen Herrschaft, statt der vorgeschriebenen und zur Befestigung des Thrones (jetzt fast Parallele) herangezogenen gläubigen Gesinnung: Freiheit und Aufklärung, statt des verbohrten Deutschtums und Franzosenhasses, Vereinigung mit diesen.

Aus Druck und Duldung folgte, was aus einem Religionsgezänk: Verspottung beider. Das in einer Leichtigkeit und Ungezwungenheit der Sprache, wie man sie vorher nicht für möglich gehalten, und der Art, daß man in Predigten wohl von der einschmeichelnden Gestalt des bösen Geistes sprechen konnte. Gelitten hatten die jungen Kräfte nicht, sie waren frisch, neu, nur gehoben von den Gegenständen ihrer Satire, wie ein Reformator von den Übeln, welche er abstellt. In Deutschland war es das Erste, was so unverblümt und fesselnd vom Schlendrian respektierte Gewohnheiten löste. Durch Stoß und Gegenstoß wird die Unhaltbarkeit des einen neben dem andern, der Gegensatz zwischen Freiheit und Knechtschaft hervorgeschnellt.

Noch jetzt sind diese jungen Deutschen zum größten Teil, hochverdient seitdem auf anderen Gebieten, am Leben. Lange, sehr lange scheint ihre Wirksamkeit verflossen zu sein. Das kommt daher, weil wir diese Richtung so rasch in uns aufgenommen haben, weil die Strömung im Verhältnis zu ihrer Bedeutung sehr kurz war und wir uns aus den erst jüngst erworbenen Errungenschaften nicht herausdenken können, sie für selbstverständlich annehmen. Also keineswegs ein überwundener Standpunkt. Wenn auch in manchen Literaturgeschichten mit »destruktiven Tendenzen« abgetan, noch heute sind sie lesbar. Quellenfrische wird nie ranzig.

Zu verwundern ist, daß eigenartige Geister wie Lenau und Grabbe in Sachen Gutzkow gegen Menzel auf des Letzteren Seite standen. Nur eine kurze Spanne konzentrierte sich das Streben; es war eine Phase der Jugend, wie sie bei Hofräten vom reinsten Wasser wohl vorgekommen ist, jedenfalls aber in gestandenen Tagen nicht so überlegen belächelt. Es war keine leere Extravaganz, sondern eine Erscheinung, wie sie nur unter dem Zusammentreffen von Umständen, gleich einer Goldmacher-Mischung im ersten Jugendfeuer sich zeigen konnte. Tage der Kraft, hochpoetischer Morgen!

Am längsten hat Heine sich die flockende Blütenanmut des Stiles bewahrt, »gleich als ob die Leidenschaft ihn nicht hätte gesetzt werden lassen«. Die Sprache im Salon ist noch ganz so duftig, wie die der Reisebilder. Leichter, zarter ist sie vielleicht noch geworden.

Das Buch der Lieder stellt in der Lyrik am besten die Ungebundenheit der neuen Richtung dar. Absichtslos nachlässig hängen die Winden der Reime aus dem lockern Geranke. In den neuen Gedichten und dem Romanzero ist manches wüst und roh, ja plump und schmutzig, während die letzten Gedichte wieder rein und zart werden. Auch die knorrigungezwungene, bisweilen wie zerfressene Form wird wieder blumig wie zu Anfang.

Als der Platz kaum hinter der Kunststrenge der Klassiker frei, kaum von dem romantischen Taumel, durch dessen Dunst noch wie der Mount Everest Altmeister Goethe ragte, geräumt war, erschien und verschwand in wenig Jahren die Auflockerung, während deren Urheber zum Teil, der eine hier, der andere dort, sich in besonderen Zwecken fortbohrten.

Die schlanken Gestalten, welche so schwere Bande gelöst, der Rosendornenzweig, mit dem Gutzkow und Heine Herrn Menzel gegeißelt: alles das verschwand, und dicke neunbändige Romane wie »Der Zauberer von Rom« und »Die Ritter vom Geiste« traten als solideres, männliches Element ein. Aber es war eben der freien Strömung Tür und Tor geöffnet, und diese flutete lustig fort, auch als die Kaskaden liegenblieben. Mehr die Richtung und das Was?, als die Führung und das Worin? sind wirksam.

Das volle freie Vernunftlicht, das Wieland noch so sorglich abdämpfte, leuchtete freimütig in alle sanktionierte Winkel hinein. Hier ist der Ursprung der Novelle, der ihren Inhalt untersuchenden. Form- und rücksichtslos, nur mit dem Scharfblick für Mensch und Tier, Strauch und Stein durchdringt sie ihren Stoff. Sie verlangt die feinste tiefste Dichterkraft; trotzdem könnte man ihr keinen größeren Vorwurf machen als den des Poetischen. Ihre Pflege beginnt erst« und wird noch mehr beginnen.

Was gemeinhin Novelle heißt, so die Goethesche Novelle, ist nichts weniger. Die Novelle ist das Sublimat des Dramas. Sie spinnt die Regungen von außen, wo das Drama vor verschlossener Pforte stehenbleibt, nach innen in die Seele hinein bis zum tiefsten Grunde. Da sie so nervös ist, verläuft sie am liebsten ungestört, ohne Steigerung und Krisis. Ja, die Peripetie ist Verschiebung. Die Novelle ist Janusantlitz zur Lyrik, ist objektive Empfindung.


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