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... Die mütterliche Erde, in Fetzen zerrissen, wird verkauft, verschenkt. In welcher Rechtsbegründung steht Vermögen, das ursprünglich durch die Erde gewonnen ist, zur Erwerbung eines Anteils an ihr?
Weil du mir gegeben hast, mußt du mein sein? Oder wer hat Anrecht auf den Boden, daß er ihn verschenken könnte?
Ich wußte keinen Verwachs zwischen Scholle und Mensch. Nur eingeschlummertes Unrecht, dessen Spitze man nicht mehr absieht!
Als die Menschen uneinig wurden, verloren sie das Recht auf die Erde. »Gleiches Recht für alle!« ist die stumme Sprache ihrer Gewährung. Die Speisen, die so verschwenderisch aufgetischten, wie schmutzig erfeilscht mochten sie sein.
Da blinken droben die unzähligen Welten in flimmerndem Frieden die ganze Nacht, während die aufdringliche Pracht der Lüsters längst kleinlich-knauserig gelöscht ist. O diese Lüge!
So kommt zum Menschenhaß – nicht à la Kotzebue die Reue, sondern die Naturliebe, wie bei Byron, so bei Turgenjew.
So sagt Schiller: »Unser Gefühl für Natur gleicht der Empfindung des Kranken für die Gesundheit. Es ist nicht Naturmäßigkeit, was uns so schwärmerisch zu ihr zieht, sondern die Naturwidrigkeit unserer Zustände und Sitten, weil die Natur bei uns verschwunden ist, und weil wir sie nur. außerhalb des Menschen in der unbeseelten Natur wiederfinden.«
Lessing ist in seiner Naturgleichgültigkeit der gerade Gegensatz zu Turgenjew.
Lessing ist Reformator. Da gilt es zu arbeiten, zu zerstören und aufzubauen. Da gilt es, die wohlfeile Schwärmerei für Bach und Hirtenflöte zu vertilgen und würdige Ziele der Dichtkunst zu stecken.
Feste Umrisse, die nur der Meister ausfüllen kann, Epos und Drama, sollen anstelle der verschwommenen Empfindsamkeit kommen, zu der jede Butterseele ihren Beitrag liefern kann.
Und dann mußte ja gerade gegen die Naturmalerei als eine Vermatschung der Künste Einspruch getan werden. Turgenjew und Geßner!
Turgenjew und nicht die Natur; er ist ihr Seher, ihr Prophet! Er bringt keine unmöglich zurechtgestutzte Schäfer in poetischer Faulheit als Staffage an, sondern wirkliche, nur zu wirkliche Menschen, und die Natur tut als frische Luft not. Wie gern möchte Turgenjew reformieren, aber gegen Dummheit kämpfen selbst die Götter vergebens. Er hat ja Versuche gemacht in Paul und Nekrassow, Versuche, welche die Fäulnis der Zustände erst recht offenbarten.
Lessing hatte ein Feld zur Bearbeitung. Wie der Pflüger bei der Arbeit genoß er die Natur als von selbst verständlich. Wie dieser das Entzücken der Stadtfräulein, die auch ihn als Wundertier betrachten, kopfschüttelnd belächelt, so begriff jener in seiner antiken Plastik die Natur-Sentimentalität nicht.
Wie Lenau sagt, daß ihm nur der Wechsel das Leben erträglich mache, verändert Turgenjew seinen Aufenthalt. Als Menschenfeind sucht er das Gewühl und die Einsamkeit. Er ist Flaneur und Naturschwärmer.
Er macht die Masse zu seinem Zeitvertreib; der Strudel wägt ein Gähnen auf. Darin liegt Geringschätzung. Wie Lenau vom Homer zur Bibel greift, wechselt Turgenjew zwischen Großstadt und Land. Die Skizzen aus dem »Tagebuch eines Jägers« zeichnen ausschließlich Letzteres.
So bewegt sich der russische Pessimist in den Extremen, die aus dem Ekel an der Menschheit entspringen und im Grunde ein und dasselbe sind. Schrieb ja Descartes von Amsterdam einem Freunde, daß er hier einsamer sei in dem Gedränge als auf dem Lande!
Einsamkeit und Welt, Natur und Gesellschaft sind die Faktoren der Turgenjewschen Poesie.
Wir sehen in dem Dichter einen Universalmenschen, der die ganze Welt umfaßt, an seine Brust die vergeblich gesuchte Menschheit drücken möchte. Mit dem rechten Arm faßt er die Gesellschaft, mit dem linken drückt er die Natur an sein Herz.
Der Ausgleich fehlt; er möchte Vermittler sein, Natur und Menschheit möchte er vereinen.
Die Bestandteile zur Universalität, zur Ergänzung, zur Belebung und zur Zentralisation sind da, aber getrennt.
Mit beiden Armen hält er sie, vermag jedoch nicht sie zu seiner Brust zusammenzuziehen.
Man möchte ihn einen Atlas nennen, nicht einen gebeugten, nein, einen ausgestreckten, gekreuzigten.
Er hat die Figur des Heilands und kann nicht erlösen.
Der Übergang von der Seelen-Anatomie zum Humor stellt sich dann ein, wenn Turgenjew unter den Erbärmlichkeiten auf Erhabenes stößt, wie die aufopfernde Liebe des kindischen »Obersten«, die liebreiche Pflege, welche Tatjana ihrem anmaßenden Neffen, dem verbummelten Malerpfuscher, gewährt. Nach landläufigen Begriffen wäre es herzlos, die Geduld eines verkrüppelten Mädchens humoristisch zu finden, das, ihrem Geliebten entgegenzugehen, des Abends die Treppe hinabfällt und nun schon lange Jahre in einer Scheune liegt und sich über jeden Sonnenstrahl freut, der sich durch die Ritze stiehlt (in den Skizzen aus dem »Tagebuch eines Jägers«).
Wenn man unter Humor den »humoristischen« Teil eines Festprogramms begreift, gewißlich roh!
Aber, nehmen wir mit Lazarus den Humor als Verklärung des Staubes, als Idealität der Wirklichkeit, als Komik mit erhabener Spitze oder als Scherz mit Tragik (fühlen wir doch im größten Jammer Lachreiz!), so hat die Bezeichnung nichts Verletzendes.
Humoristisch ist ferner die Gemütstiefe eines rauhen ärmlichen Gutsbesitzers, die Freundschaft desselben zu einem Schwächling, die Rettung eines armen Juden aus den Mißhandlungen des Pöbels, die Weigerung gegen den Dank desselben, ein edles Roß, das er nur zu Kauf nimmt. Von seiner Geliebten, einer Zigeunerin, von seinem sterbenden Freunde verlassen, wird zum letzten Grame ihm seine einzige Freude, das Roß, gestohlen.
Mit Aufwand seines ganzen Vermögens zieht er in der Welt umher. Endlich hat er sein Roß wieder, wenn auch all sein Vermögen dahin!
Täuschung! Er führt den falschen Liebling hinaus, verscheucht ihn, und als das treue Tier wiederkehrt, erschießt ers.
Vom Fieber geschüttelt, kehrt er nach Hause; der Branntwein, dem er in seiner Verlassenheit mehr und mehr zugesprochen, beschleunigt sein Ende!
Hier ist echter Humor, ein tiefes Gemüt voll Edelmut und Liebesbedürfnis, das von der Geliebten auf den Freund, von diesem auf sein Pferd, den Dank seines Edelsinns zurückverwiesen wird und des letzteren Verlust nicht überdauern kann, ein tiefes Gemüt hinter rauhen Worten und protziger Eitelkeit. Hier grenzt das Gebiet Bret Hartes an.
Gehen wir auf dieses hinüber!
Bret Harte ist muskulös, wo Turgenjew Nerven hat. Jener gleicht an Schroffheit der Sierra, dieser hat den gesponnenen Schiller der Steppe. Beide begegnen sich in den »Kalifornischen Erzählungen« und den »Skizzen«. Hier stoßen zunächst die Naturschilderungen und Stimmungsbilder aneinander, z. B. »Einsame Fahrt« (bei Harte) und »Es rasselt« (Turgenjew). Miggles ist ein Pendant zu der Verkrüppelten. Nur daß diese von ihrem Bräutigam in der Not verlassen wird, während Miggles den auf ihrem Sofa zusammengesunkenen Jim pflegt, seinethalb der Welt entsagt. Eine Freundschaft in seltsamem Kontrast zu den Trägern ist der Bund zwischen Tenessee und seinem Kompagnon. Großartig ist dies Hohelied der Freundschaft, großartig, naiv wie die »Ilias«. Je geringer der Stoff, desto herrlicher entfaltet der Humor seine Pracht. Der Humor ist mehr als Tragik. Er rührt und stimmt fröhlich. Er ist die Menschheit unten und oben gefaßt, der Mensch findet sich ganz in ihm wieder. Wir sagen: »Ein prächtiger Kerl, dieser Tenessees Kompagnon!« Um alles in der Welt möchten wir nicht seine Tollpatschigkeit vermissen, die seine Größe, seine Wesensgröße hebt, während diese umgekehrt jene erst reizend macht.
Für den Helden eines Trauerspiels könnten wir nicht diese Teilnahme empfinden, ausnahmsweise für den Erbförster von Otto Ludwig, weil dieser eine humoristische Natur ist, weil dessen Eigenheit, dessen knabenhafter Starrsinn eine Knorre seiner Geradheit ist, weil die rauhe Weise, welche er um sein weiches Herz poltert, nur Bescheidenheit und der Eigensinn, mit der er sich dem Befehle seines Freundes und seines Herrn widersetzt, nur Sorge für dessen Bestes ist.
Das Gebiet ist nicht rein gehalten, Humor ist mit dem Tragischen gemischt. Und doch ist der Humor so ganz etwas anderes als das Tragische!
Eine Schuld kennt der Humor nicht, einen Ausbruch verträgt er nicht. Wäre der Erbförster wirklich von dem Forsthause, worin schon sein Vater und Großvater gehaust, vertrieben und bettelnd mit seiner Tochter durchs Land gezogen oder dem Elend erlegen mit dem Bewußtsein, daß er seinen Unterhalt geopfert hat, um den Freund nicht auf dessen blinden Befehl hin zu schädigen mit betriebswidriger Pflanzung; er könnte nicht unglücklich sein, mit Ehrfurcht würden wir ihm auf seiner einsamen Edelbahn folgen, mit Lächeln von ihm hören, es müßte so sein! Er hätte nicht auf den Schaden des Freundes gehorchen dürfen!
Und doch, wenn alles wieder eingelenkt, wärs um den Humor geschehn, man würde die dazwischen liegende Probe nur für einen Durchgang, eine Prüfung nehmen; der humoristische Eindruck würde am Ende verwischt.
Am besten wärs, wenn der Erbförster in ein heftiges Fieber fiele und sich vor seinem Ende mit dem Freunde versöhnte, wie Scott und York in Hartes Iliade von Sandy-Bar.
Das wäre allerdings kein Drama mehr; der Humor verträgt keine aus dem Konflikt reifende Handlung. Als Trauerspiel muß das Ludwigsche Stück bleiben, wie es ist; nur ist die dramatische Form nicht die rechte für den Gegenstand.
Weshalb der Humor so etwas Belebendes hat, ja der Tragik an Weihe gleichkommt und dazu so etwas Kindliches, eine wahre Demut zeigt: der Schlüssel hierzu liegt in dem Allgemein -Menschlichen, worin der Humor den göttlichen Funken sucht und ihn anbläst, daß er leuchtet wie schmelzendes Gold.
Er macht uns sicher, wie der Graf Eberhard seinen Schlummer jedem Untertanen anvertrauen mochte. Wer über Tenessees Kompagnon sich freut, der ist ehrlich. Wir lieben den Menschen, wir glauben an unsern Wert, wenn die helle Freude an unser Herz dringt, das muß mehr als eine zwecklos mechanische Maschine sein, was solche Eindrücke aufnimmt als wesentlich, als Geistesnahrung. Was soll dieser Triumph über einen Kern, über ein Kraftzentrum, wenn es nicht da ist?
Ja, der Humor ist Glaube an Gott, Hoffnung auf Besserung, sichere Erwartung der Unsterblichkeit, er ist das Panier des Ideals.
Der Humor ist Verklärung des Lebens, realer Optimismus.