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Österreich-Ungarn und die Türkei hatten sich unserm Schritt vom 5. Oktober bei dem Präsidenten Wilson angeschlossen. Herr Wilson hatte jedoch den weiteren Notenwechsel ausschließlich mit Deutschland geführt und bekanntgeben lassen, daß er mit unseren Bundesgenossen einzeln und für sich die Friedensangelegenheit behandeln werde.
Ehe Herr Wilson überhaupt an Österreich-Ungarn eine Antwort erteilte, hatte Kaiser Karl sich veranlaßt gesehen, einen Schritt zu tun, der die Auflösung der Donaumonarchie einleitete. Am 17. Oktober hatte er ein Manifest erlassen, überschrieben: »An meine getreuen österreichischen Völker.« In diesem Manifest führte er aus, der Neuaufbau Österreichs müsse auf zuverlässigen Grundlagen in Angriff genommen und dabei müßten die Wünsche der Völker untereinander in Einklang gebracht werden; er sei entschlossen, dieses Werk unter Mitwirkung der Völker und im Geiste des Friedensangebots der Mittelmächte durchzuführen. Demgemäß solle Österreich in einen Bundesstaat umgewandelt werden; dem Anschluß der polnischen Gebiete an ein unabhängiges Polen solle damit nicht vorgegriffen werden; Triest mit seinem Gebiet werde eine Sonderstellung erhalten.
Auflösung Österreich-Ungarns
Der österreichische Kaiser beeilte sich also, Herrn Wilsons möglichen Wünschen in bezug auf die Selbstbestimmung der Völker zu vorzukommen. Aber er wurde grausamen enttäuscht.
Einmal waren seine »getreuen Völker« so wenig mehr getreu, daß ihre Vertreter zu der Obmänner-Konferenz, in der das Programm des Manifestes durch den Ministerpräsidenten erläutert werden sollte, größtenteils überhaupt nicht erschienen: die Tschechen, Polen und Südslawen blieben fern. Dann aber sandte der Präsident Wilson um dieselbe Zeit, in der Kaiser Karl sein Manifest erließ, endlich seine Antwortnote auf das österreichisch-ungarische Friedensersuchen ab: das Todesurteil für die Donaumonarchie. Er, der Präsident Wilson, könne auf die Vorschläge der Wiener Regierung nicht eingehen; denn seit seiner Kongreßbotschaft vom 8. Januar habe die Regierung der Vereinigten Staaten die Tschecho-Slowaken als kriegführende Macht und den tschecho-slowakischen Nationalrat als kriegführende Regierung anerkannt; desgleichen habe sie in der weitestgehenden Weise die Gerechtigkeit der nationalen Bestrebungen der Jugoslawen anerkannt. Die bloße Autonomie der österreichischen Völker sei mithin als Grundlage für den Frieden überholt. Diese Völker selbst müßten jetzt Richter darüber sein, wie ihre Aspirationen als Mitglieder der Familie der Nationen befriedigt werden könnten.
Die folgenden Tage brachten die Proklamation selbständiger Staaten der Tschecho-Slowaken, der Südslawen und der Ruthenen. Die Deutsch-Österreicher folgten dem Beispiel und proklamierten in einer Vollversammlung aller deutschen Reichsratsabgeordneten am 21. Oktober den Staat Deutsch-Österreich. Die Auflösung und das Chaos waren da. In Budapest legte Herr Wekerle, in Wien Herr von Hussarek das Ministerpräsidium nieder. Ebenso trat Graf Burian als Minister des Auswärtigen zurück. Zu seinem Nachfolger ernannte der Kaiser den Grafen Julius Andrassy, obwohl für einen »gemeinsamen Minister des Äußeren« bei dem offenkundigen Zerfall der Monarchie kein Raum mehr war.
Sonderfriedensangebot Österreich-Ungarns
Die einzige Amtshandlung des Grafen Andrassy war der Verrat an dem deutschen Bundesgenossen. In einer Note vom 28. Oktober an die Regierung der Vereinigten Staaten teilte er die Zustimmung der »österreichisch-ungarischen Regierung« zu der Auffassung Wilsons über die Rechte der Völker Österreich-Ungarns, speziell der Tschecho-Slowaken und der Jugoslawen, mit und schloß daran die Erklärung der Bereitwilligkeit, »ohne das Ergebnis anderer Verhandlungen abzuwarten«, in Verhandlungen über den Frieden und über einen sofortigen Waffenstillstand an allen Fronten Österreich-Ungarns einzutreten. Dieses Angebot, eines Sonderfriedens und eines Sonderwaffenstillstandes wurde ohne vorherige Vereinbarung mit Deutschland, ja ohne vorherige Verständigung des deutschen Botschafters und der Reichsregierung abgesandt. So wurde das von dem Vater Andrassy gezeichnete Bündnis zwischen den beiden Reichen durch den Sohn Andrassy in der Stunde höchster Not, die höchste Treue gefordert hätte, zerrissen. Die Donaumonarchie wurde durch diesen Verrat nicht gerettet, ihr Untergang wurde nur besiegelt. Überall flammte die Revolution auf. Arbeiter- und Soldatenräte wurden gebildet, die sich der öffentlichen Gewalt zu bemächtigen suchten. In Budapest wurde am 31. Oktober die Republik ausgerufen und der frühere Ministerpräsident Graf Tisza, der stärkste Mann der ehemaligen Donaumonarchie, ermordet.
Am 3. November kam der von dem Grafen Andrassy nachgesuchte Waffenstillstand zwischen Österreich-Ungarn und den Alliierten zustande. Er war in der Sache eine bedingungslose Kapitulation. Die Unterwerfung ging so weit, daß den Alliierten das unbedingte Recht eingeräumt wurde, alle Straßen, Wasserwege, Eisenbahnen und Transportmittel Österreich-Ungarns für die freie Bewegung ihrer Truppen zu benutzen, also auch zu einem Aufmarsch gegen Deutschland; daß ferner die Internierung der deutschen Truppen zugestanden wurde, die Österreich-Ungarn nicht innerhalb der unmöglich einzuhaltenden Frist von fünfzehn Tagen verlassen haben sollten.
Die Türkei war mit der Kapitulation um drei Tage, Bulgarien um mehrere Wochen vorangegangen.