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Der Friedensvertrag mit der Ukraine

In Brest-Litowsk wurden angesichts der Stockung, die in den Verhandlungen mit der russischen Delegation infolge der Unvereinbarkeit der beiderseitigen Formulierungen eintrat, Sonderverhandlungen mit der ukrainischen Delegation geführt.

 

Sonderverhandlungen mit der Ukraine

Eine am 13. Januar stattgehabte vertrauliche Aussprache zwischen der deutschen und der ukrainischen Delegation ergab, daß die ukrainische Delegation in Anwendung des Selbstbestimmungsrechts des ukrainischen Volkes auf die Regelung zweier Fragen einen besonders großen Wert legte: auf die Einbeziehung des früher zu Kongreßpolen gehörigen und erst im Jahre 1911 von der russischen Regierung aus dem Generalgouvernement Warschau ausgesonderten Gouvernements Cholm in das Gebiet der ukrainischen Volksrepublik; ferner auf Autonomie für den ganz vorwiegend von Ukrainern (Ruthenen) bevölkerten östlichen Teil Galiziens und nördlichen Teil der Bukowina.

Hinsichtlich Ostgaliziens verlangte in jener Unterredung der ukrainische Staatssekretär Holubowitsch in erster Linie sogar eine Volksabstimmung über die Zugehörigkeit zum österreichischen oder zum ukrainischen Staat. Herr von Kühlmann behielt sich seine Stellungnahme zur Cholmer Frage vor; hinsichtlich Ostgaliziens erklärte er, jede Macht, die nicht die territoriale Integrität unserer Bundesgenossen als erste Voraussetzung jeder Verhandlung unbedingt annehme, erkläre damit, daß sie nicht den Frieden, sondern den Krieg wünsche.

Die ukrainische Delegation kam bei den weiteren Verhandlungen auf den Wunsch einer Angliederung österreichischer Gebiete nicht zurück, bestand aber auf der Angliederung des größtenteils von Ukrainern bewohnten Gouvernements Cholm und auf besonderen Sicherungen für die nationalen und politischen Rechte der ukrainischen Bevölkerung des österreichischen Staatsgebietes. Graf Czernin lehnte zwar anfangs jede Einmischung in die inneren Verhältnisse der Monarchie ab, zeigte auch Neigung, das Cholmer Gouvernement für das künftige Polen zu beanspruchen, gab aber dann in beiden Punkten nach. Ausschlaggebend war offenbar für ihn die Hoffnung, durch einen raschen Friedensschluß mit der Ukraine der schwierigen Ernährungslage Österreichs wirksam abhelfen zu können. Dieser Gesichtspunkt war für ihn so wichtig, daß er um seinetwillen die sicher zu erwartende tödliche Feindschaft der in Österreich so einflußreichen Polen in Kauf nahm.

Hinsichtlich des Gouvernements Cholm begnügte er sich mit der Kautel, daß die Grenze zwischen der Ukraine und Polen im einzelnen nach den ethnographischen Verhältnissen und unter Berücksichtigung der Wünsche der Bevölkerung durch eine gemischte Kommission festgesetzt werden solle.

 

Die Wünsche der Ukrainer

Hinsichtlich der ostgalizischen Frage schlug Graf Czernin eine Deklaration vor, nach der Österreich der innerhalb seiner Grenzen wohnenden ukrainischen Bevölkerung und die Ukraine den in ihren Grenzen bleibenden polnischen Minoritäten die freie nationale und kulturelle Entwicklung gewährleisteten. Er fügte hinzu, daß er sich diese Gewährleistung so denke, daß die Ukrainer Ostgaliziens eine eigene Provinz innerhalb Österreichs bilden würden.

Auf dieser Grundlage kam die Einigung zustande. Die Vereinbarung über die Gewährung der Autonomie an die österreichischen Ukrainer sollte in Rücksicht auf den zu erwartenden heftigen Widerstand der galizischen Polen einstweilen geheimgehalten werden; sie wurde deshalb auch nicht in den öffentlichen Friedensvertrag aufgenommen. Außerdem wurde dieses Zugeständnis an einige wichtige Bedingungen gebunden, vor allem an das Zustandekommen des Friedensvertrages innerhalb einer kurzbemessenen Frist und an die Lieferung von mindestens einer Million Tonnen Getreide durch die Ukraine bis zum 1. August 1918. Das Wort »Brotfriede«, das Graf Czernin später für den Frieden mit der Ukraine prägte, war bezeichnend; denn soweit Österreich in Betracht kam, ging dieser Friede in der Tat nach Brot.

Im übrigen war für den Friedensvertrag mit der Ukraine, namentlich für seinen wirtschaftlichen und seinen rechtlichen Teil, in den Kommissionsverhandlungen über den russischen Friedensvertrag bereits wertvolle technische Vorarbeit geleistet worden. Da außerdem auf beiden Seiten der gute Wille vorhanden war, rasch zu einem Abschluß zu kommen, wurde in der kurzen Zeit bis zum 20. Januar so weit Übereinstimmung über die Grundlagen des abzuschließenden Friedens erzielt, daß die Delegationen zur letzten Besprechung mit ihren Regierungen nach Hause reisen konnten.

 

Trotzki gegen den Sonderfrieden der Ukraine

Als Ende Januar die Chefs der Delegationen nach Brest zurückgekehrt waren und die Verhandlungen wieder aufgenommen wurden, bot Trotzki alles auf, um das Zustandekommen des Friedens mit der Ukraine zu verhindern. Er führte zwei Vertreter der ukrainischen Arbeiter-, Bauern- und Soldatendeputierten, die sich inzwischen in Charkow als Gegenregierung gegen die Zentralrada in Kiew konstituiert hatten, als Mitglieder der russischen Delegation ein und erklärte, nachdem der größte Teil der Kiewer Garnison zur ukrainischen Sowjetregierung übergegangen sei, werde die Kiewer Rada, mit deren Delegierten die Vertreter des Vierbundes bisher verhandelt hatten, überhaupt nur noch wenige Tage existieren. Jedenfalls könnten nur solche mit der Ukraine getroffenen Abmachungen anerkannt werden, die durch die Regierung der föderativen russischen Republik ihre formelle Bestätigung erhielten.

Demgegenüber erklärte die ukrainische Delegation, daß die ukrainische Volksrepublik sich ursprünglich bemüht habe, eine Föderation der verschiedenen auf dem Gebiet des früheren russischen Kaiserreiches entstandenen Republiken zu schaffen, daß aber, nachdem diese Versuche gescheitert seien, die ukrainische Zentralrada die ukrainische Volksrepublik am 24. Januar zu einem ganz selbständigen und von niemand abhängigen Staat proklamiert habe. Die Differenzen mit den ukrainischen Bolschewisten seien eine innere Angelegenheit der ukrainischen Volksrepublik, die auf deren völkerrechtliche Stellung keinen Einfluß haben könne. Die Unruhen in der Ukraine seien von der Petersburger bolschewistischen Regierung mit Hilfe nichtukrainischer Soldaten, die in einzelnen Städten Soldatenräte gebildet hätten, hervorgerufen worden. Die Wahlen zur russischen Konstituierenden Nationalversammlung hätten in der Ukraine eine Mehrheit von mehr als drei Vierteln zugunsten der ukrainischen Zentralrada ergeben, und eine Minderheit von nur zehn Prozent für die Bolschewisten.

Graf Czernin erklärte im Namen der Delegationen der vier verbündeten Mächte, daß für diese kein Anlaß vorliege, die am 12. Januar ausgesprochene Anerkennung der ukrainischen Delegation als einer selbständigen Delegation und als einer bevollmächtigten Vertretung der ukrainischen Volksrepublik zurückzunehmen oder einzuschränken; die Regierungen des Vierbundes sähen sich vielmehr weiter veranlaßt, die ukrainische Volksrepublik schon jetzt als unabhängigen, freien, souveränen Staat anzuerkennen, der in der Lage sei, selbständig internationale Abmachungen zu treffen.

Am 9. Februar morgens zwei Uhr wurde der Friedensvertrag zwischen den Regierungen des Vierbundes und der ukrainischen Volksrepublik unterzeichnet. Es war der erste Friedensschluß im Weltkrieg. Er betraf den wirtschaftlich wichtigsten Teil des Russischen Reiches; denn die Ukraine hatte in Friedenszeiten von der Getreideausfuhr Rußlands 40 vom Hundert, von seiner Zuckerausfuhr sogar 80 vom Hundert aufgebracht, und von der russischen Kohlenförderung und Eisengewinnung entfielen etwa zwei Drittel auf die ukrainischen Gruben und Werke.


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