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Die Friedensresolution des Reichstags, mit deren Annahme Herr Michaelis das Kanzleramt antrat, lautete: »Wie am 4. August 1914 gilt für das deutsche Volk auch an der Schwelle des vierten Kriegsjahres das Wort der Thronrede: ‚Uns treibt nicht Eroberungssucht.' Zur Verteidigung seiner Freiheit und Selbständigkeit, für die Unversehrtheit seines territorialen Besitzstandes hat Deutschland die Waffen ergriffen.
Der Reichstag erstrebt einen Frieden der Verständigung und der dauernden Versöhnung der Völker. Mit einem solchen Frieden sind erzwungene Gebietserwerbungen und politische, wirtschaftliche und finanzielle Vergewaltigungen unvereinbar. Der Reichstag weist auch alle Pläne ab, die auf eine wirtschaftliche Absperrung und Verfeindung der Völker nach dem Kriege ausgehen. Nur der Wirtschaftsfriede wird einem freundschaftlichen Zusammenleben der Völker den Boden bereiten. Der Reichstag wird die Schaffung internationaler Rechtsorganisationen tatkräftig fördern. Solange jedoch 'die feindlichen Regierungen auf einen solchen Frieden nicht eingehen, solange sie Deutschland und seine Verbündeten mit Eroberung und Vergewaltigung bedrohen, wird das deutsche Volk wie ein Mann zusammenstehen, unerschütterlich ausharren und kämpfen, bis sein und seiner Verbündeten Recht auf Leben und Entwicklung gesichert ist. In seiner Einigkeit ist das deutsche Volk unüberwindlich. Der Reichstag weiß sich darin eins mit den Männern, die in heldenhaftem Kampfe das Vaterland schützen. Der unvergängliche Dank des ganzen Volkes ist ihnen sicher.«
Die Resolution wurde mit 212 gegen 126 Stimmen bei 17 Stimmenthaltungen angenommen. Dafür stimmten das Zentrum bis auf wenige Ausnahmen, die Fortschrittliche Volkspartei und die Mehrheitssozialdemokraten; dagegen die Konservativen, die Nationalliberalen und die unabhängigen Sozialdemokraten; die deutsche Fraktion war geteilt; die Stimmenthaltungen kamen in der Hauptsache auf die Polen, –
Die von den Vätern der Resolution gewünschte und erwartete Wirkung auf unsere Feinde blieb aus, ja es trat das Gegenteil dieser Wirkung ein. Die Resolution, und mehr noch die Begleiterscheinungen, unter denen sie zustande gekommen war, erweckten bei unseren Feinden den Eindruck der Kriegsmüdigkeit und der inneren Zerrüttung des deutschen Volkes.
Von einer hervorragenden, uns durchaus wohlgesinnten neutralen Persönlichkeit fiel damals die Äußerung: »Die Entente kann Herrn Erzberger zum Ehrenmitglied ernennen.«
Wirkungen der Friedensresolution
Aus anderen neutralen Lagern wurde berichtet, daß die in unterrichteten englischen Kreisen vor kurzem noch herrschende unsichere und pessimistische Auffassung neuer Zuversicht gewichen sei; jetzt glaube man, Deutschland werde durch innerpolitische Kämpfe um die Regierungsform und durch eine zunehmende Kriegsmüdigkeit zum Frieden gezwungen sein, ehe England sich in der gleichen Zwangslage sehe.
Was wir heute über gewisse tatsächliche Vorgänge im Lager unserer Feinde wissen, bestätigt dieses Urteil.
Noch Anfang April 1917 war die Siegeszuversicht bei unseren Feinden, namentlich in Frankreich, offenbar sehr hochgestimmt gewesen. Das ergibt sich aus der Behandlung, die der Brief des Kaisers Karl von Österreich an den Prinzen Sixtus von Parma durch den Präsidenten der Französischen Republik und die französische Regierung erfuhr.
In diesem Briefe hatte der österreichische Kaiser dem Präsidenten Poincaré nicht mehr und nicht weniger angeboten, als daß er unter Aufbietung seines ganzen persönlichen Einflusses bei seinen Verbündeten die gerechten französischen Ansprüche hinsichtlich Elsaß-Lothringens unterstützen wolle.
Herr Poincaré hatte über den Inhalt des Briefes mit dem Prinzen eine Aussprache, über die er brieflich an den Ministerpräsidenten und Minister des Äußern Herrn Ribot Mitteilung machte. Danach hat Herr Poincaré den Prinzen ersucht, dem Kaiser Karl mitzuteilen, daß es sich für Frankreich nicht um das Elsaß-Lothringen mit den Grenzen von 1870 handle, sondern um das Elsaß-Lothringen von 1814, d. h. Elsaß-Lothringen einschließlich des Saargebiets. Letzteres hatte im Lauf der letzten tausend Jahre nur während zweier ganz kurzer Episoden zu Frankreich gehört, nämlich zur Zeit des Hochstandes der französischen Eroberungspolitik Ludwigs XIV. von 1680 bis 1697 und Napoleons I. von 1801 bis 1815. Außerdem verlange Frankreich Wiedergutmachung und Entschädigungen, ferner Garantien auf dem linken Rheinufer.
Besprechungen des Prinzen Sixtus in Paris und London
Von Paris reiste Prinz Sixtus nach London. Lloyd George erschienen seine Mitteilungen in hohem Maße beachtenswert, und er empfahl der französischen Regierung, sie in wohlwollende Erwägung zu ziehen. Es kam darüber zu Meinungsverschiedenheiten zwischen dem englischen Premier und dem französischen Präsidenten. Die Angelegenheit wurde am 17. April in der Konferenz der Ententemächte in St. Jean de Maurienne in persönlicher Aussprache behandelt. An dieser Aussprache nahm auch der auswärtige Minister Italiens, Herr Sonnino, teil. Er widersetzte sich auf das äußerste einem Friedensschluß, der nicht die italienischen Wünsche auf dem Boden der Londoner Abmachungen befriedige. Lloyd George vertrat die Ansicht, daß in diesem Augenblick eine Diskussion der österreichisch-italienischen Territorialfragen vermieden werden müsse, weil sich sonst unvermeidlich die Verhandlungen zerschlagen würden. Die Hauptsache sei, Deutschland zu erledigen; alles andere werde sich dann schon finden. Schließlich aber gab Lloyd George dem Verlangen Frankreichs auf Einbeziehung des Saargebiets und dem Drängen Italiens nach. Ob dann Herr Poincaré, wie der »Manchester Guardian« nach anscheinend guten Informationen später erzählte, dem österreichischen Kaiser in der Tat vorgeschlagen hat, das Trentino und Triest an Italien abzutreten und sich dafür an Schlesien schadlos zu halten, lasse ich dahingestellt; ebenso die dem Kaiser Karl zugeschriebene Antwort, es bestehe gegen diese Lösung das Bedenken, daß zwar die Monarchie das von ihr an Italien herauszugebende Gebiet in Händen habe, nicht aber Frankreich Schlesien; ebenso, ob Kaiser Karl, nachdem er den Bericht des Prinzen Sixtus über das Ergebnis seiner Besprechungen in Paris und London erhalten hatte, an diesen den von Wien aus später bestrittenen zweiten Brief geschrieben hat, in dem er die Überzeugung aussprach, daß, falls Frankreich seine territorialen Forderungen auf Elsaß-Lothringen beschränke, es ihm gelingen werde, Deutschland zum Friedensschluß zu bewegen. Wesentlich für die Beurteilung der Lage ist lediglich, daß Frankreich damals, Mitte April 1917, die Möglichkeit eines Friedens, der ihm nur Elsaß-Lothringen bringen sollte, zurückwies und die Erwerbung des Saargebietes sowie »Garantien« auf dem linken Rheinufer zur Voraussetzung von Friedensverhandlungen machte. Die Ablehnung der Anregung des Kaisers Karl erfolgte, ohne daß das französische Kabinett mit dem Kaiserbrief befaßt worden war, nur Herr Ei bot wurde von Herrn Poincaré mit ausdrücklicher Zustimmung des Prinzen Sixtus unterrichtet. Desgleichen wurden weder Belgien, noch Rußland, noch die Vereinigten Staaten vor der Ablehnung über die Angelegenheit orientiert oder befragt.
Was unter den »Garantien auf dem linken Rheinufer«, die Frankreich forderte, zu verstehen war, ergibt sich aus der im Februar 1917 getroffenen, von der Bolschewistenregierung veröffentlichten Abmachung zwischen der französischen und russischen Regierung. Nach dieser Abmachung sollte Frankreich Elsaß-Lothringen und das Saargebiet erhalten; der übrige Teil des linken Rheinufers sollte von Deutschland politisch und wirtschaftlich abgetrennt und zu einem neutralen Pufferstaat gemacht werden.
Friedensfühler
Nachdem an so unerhörten Forderungen, wie sie nur einem gänzlich geschlagenen und wehrlos gemachten Deutschland zugemutet werden konnten, der private, in seinem springenden Punkte vor dem eigenen Minister des Auswärtigen geheimgehaltene Friedensversuch des österreichischen Kaisers gescheitert war, scheint allerdings in Frankreich ein Stimmungsumschwung eingetreten zu sein. Darauf deutet die oben (S. 71) erwähnte, schwer besorgte Äußerung Ribots zu dem italienischen Botschafter; ferner die Tatsache, daß nicht allzu lange nach der Ablehnung der kaiserlichen Anregung von französischer Seite Versuche gemacht wurden, nicht nur Unterhaltungen mit der österreichisch-ungarischen Regierung aufzunehmen, sondern auch mit einem Vertrauensmann der deutschen Regierung in Fühlung zu kommen.
Aus einer ein Jahr später zwischen Herrn Clemenceau und dem Grafen Czernin entstandenen öffentlichen Polemik, auf die ich weiter unten noch zu sprechen komme, wurde bekannt, daß im Juli 1917 der österreichische Legationsrat Graf Revertera von einer neutralen Mittelsperson namens der französischen Regierung befragt wurde, ob er in der Lage sei, Eröffnungen dieser Regierung an die Österreichisch-ungarische Regierung entgegenzunehmen. Graf Revertera wurde vom Grafen Czernin ermächtigt, die Besprechungen mit dem Vertrauensmann der französischen Regierung, dem Major Grafen Armand, aufzunehmen, um festzustellen, ob Grundlagen für die Herbeiführung eines allgemeinen Friedens geschaffen werden könnten. Daraufhin trafen sich die beiderseitigen Vertrauensleute im Lauf des Monats August – also nach der Juliresolution – in der Schweiz. Aber die Besprechungen führten zu keinerlei Ergebnis.
Schon vorher hatte eine der ersten politischen Persönlichkeiten Frankreichs durch eine neutrale Mittelsperson bei einer mit den französischen Verhältnissen und Personen durch langjährige Tätigkeit in Paris besonders genau vertrauten deutschen politischen Persönlichkeit die Geneigtheit erkennen lassen, eine persönliche Aussprache über die Friedensmöglichkeiten in der Schweiz zu arrangieren. Die über Ort und Zeit des Zusammentreffens eingeleiteten Verhandlungen waren im Gang, als die Kanzlerkrisis ausbrach. Um dieselbe Zeit war auch bei maßgebenden belgischen Persönlichkeiten ein lebhaftes Interesse für die Aufnahme einer vertraulichen Fühlung über die Friedensmöglichkeiten festzustellen.
Ich habe dem damaligen Führer der Zentrumspartei, Herrn Dr. Spahn, im Laufe der Verhandlungen über die Friedensresolution und die Kanzlerfrage – soweit ich es angesichts des mir auf die Seele gebundenen Geheimnisses tun konnte – angedeutet, daß bei einem unserer westlichen Gegner gewisse Zeichen des Einlenkens hervorgetreten seien, daß ich aber befürchten müsse, daß durch den Erzbergerschen Vorstoß und die Vorgänge, die sich an diesen anschlossen, sowie durch die sensationelle Behandlung dieser Vorgänge m einem Teil der deutschen Presse diese Friedensgeneigtheit im Keime erstickt und der Kriegswille unserer Gegner neu gestärkt werden würde. Diese Andeutung an Herrn Dr. Spahn habe ich einige Tage später Herrn Erzberger auf eine Anfrage schriftlich bestätigt.
Verschwinden der Friedensneigung
Es unterliegt heute für mich keinem Zweifel, daß bei unseren westlichen Gegnern auf die Ablehnung der Anregung des Kaisers Karl, der sich Lloyd George ohnedies nur ungern gefügt hatte, eine Reaktion eingetreten war; daß die großen Erfolge unseres U-Bootkriegs und namentlich die akute Bedrängnis, in die England für die Zeit bis zur neuen Ernte sich versetzt sah und der Lloyd George damals in Paris einen geradezu alarmierenden Ausdruck gab, bei unseren westlichen Feinden der Neigung für einen billigen Frieden der Verständigung Raum zu schaffen begannen. Auch die Kurie sah gerade zu jener Zeit die Aussichten für Friedens-Verhandlungen günstiger an. Der neuernannte Nuntius am Münchener Hof, Monsignore Pacelli, kam Ende Juni nach Berlin und knüpfte mit Herrn von Bethmann Besprechungen über eine Friedensaktion des Papstes an, wobei er andeutete, daß der Papst Grund habe, eine solche Aktion nicht für aussichtslos zu halten. Der Nuntius war von der Aussprache mit Herrn von Bethmann, wie er mir selbst erzählte, in hohem Maße befriedigt.
Nach der Julikrisis und der Friedensresolution war die Lage merklich verändert.
Die angebahnten Friedensgespräche kamen nicht zustande oder verliefen ergebnislos.
Keine Hand rührte sich bei unseren Feinden, um in die vom Deutschen Reichstag ausgestreckte Friedenshand einzuschlagen. Alles was vom feindlichen Ausland zu uns herüberschallte, gab denjenigen recht, die als Wirkung der Friedensresolution das Gegenteil von Friedensbereitschaft bei unseren Feinden befürchtet hatten.
So erklärte der englische Minister Carson am 20. Juli in Dublin, daß Verhandlungen mit Deutschland erst möglich seien, wenn die deutschen Truppen hinter den Rhein zurückgezogen seien.
Am 25. Juli erklärte das britische Kabinett durch den Mund des Herrn Bonar Law, meines Wissens zum erstenmal, daß England mit Frankreichs Forderung der Rückgabe Elsaß-Lothringens solidarisch sei.
An demselben 25. Juli wurde im Britischen Unterhaus eine von Mac Donald und Trevelyan eingebrachte »Friedensresolution« mit 148 gegen 19 Stimmen abgelehnt.
Kriegsziele der Entente
Am 30. Juli bestätigte der französische Ministerpräsident Herr Ribot in der Französischen Kammer die aus Petersburg kommende Enthüllung, daß die französische Regierung nicht nur die Rückgabe Elsaß-Lothringens, sondern auch die Errichtung eines linksrheinischen Pufferstaates erstrebe; die Kammer selbst zeigte sich allerdings etwas bescheidener: sie wollte sich mit Elsaß-Lothringen und einer Kriegsentschädigung begnügen.
An dem gleichen 30. Juli legte Balfour im Britischen Unterhaus England erneut auf das elsaß-lothringische Kriegsziel der Franzosen fest; außerdem verlangte er die Demokratisierung Deutschlands und sprach den Satz aus, daß die Sicherheit Europas nicht eher garantiert sei, als bis Deutschland machtlos oder freigemacht sei.
Am 11. August zwang Lloyd George den Arbeiterführer Henderson, aus dem Kabinett auszuscheiden, weil er sich für die Beschickung der Stockholmer Friedenskonferenz durch Delegierte der britischen Arbeiterschaft eingesetzt hatte.
Selbst der »Vorwärts« mußte damals zugestehen, »daß die Westmächte eben die Entscheidung der Waffen wollen, und daß uns darum gar nichts anderes übrig bleibt«.
Das war das Ergebnis der großen Friedensaktion des Deutschen Reichstags!
Dazu kam, daß der Rücktritt des Herrn von Bethmann Hollweg, der angeblich das Friedenshindernis gewesen sein soll, von aufrichtigen Friedensfreunden im Auslande sehr bedauert wurde. Mir ist eine Äußerung des päpstlichen Nuntius in München, der – wie erwähnt – mit Herrn von Bethmann kurz vor dessen Abgang Fühlung über die Friedensmöglichkeiten genommen hatte, hinterbracht worden: ohne den Rücktritt des Kanzlers seien die Friedensaussichten damals gute gewesen. Und Herr Gerard, der Berliner Botschafter der Vereinigten Staaten, denen gegenüber Herr von Bethmann die Sache des Friedens besonders schwer kompromittiert haben soll, äußert in seinem Buche {S. 292):
»It would have been easier for Germany to make peace with von Bethmann Hollweg at the heim. The whole world knows him and honours him for his honesty.« Zu deutsch: »Es würde für Deutschland leichter gewesen sein, Frieden zu machen mit Bethmann Hollweg an der Spitze. Die ganze Welt kennt ihn und achtet ihn wegen seiner Ehrenhaftigkeit.«
Gerade diejenigen, welche am stärksten durchdrungen waren von dem Ernst der Lage und am stärksten bemüht waren, so bald wie möglich einen erträglichen Frieden herbeizuführen, mußten deshalb in dem von Herrn Erzberger im Verein mit den Sozialdemokraten unternommenen Vorstoß, der Bethmanns Kanzlerschaft ein Ende setzte und die »Friedensresolution« zeitigte, eine Störung der Friedensbemühungen und eine Beeinträchtigung der Friedensmöglichkeiten erblicken.
Der Siegeswille der Feinde
Auch innerpolitisch konnte ich die Friedensresolution nur für schädlich halten. Die Resolution hatte ihren Boden in der falschen Meinung, daß unsere Gegner lediglich durch die Furcht vor übertriebenen deutschen Kriegszielen in ihrem Kriegswillen und ihrer Abneigung gegen Friedensverhandlungen bestärkt würden. Dabei hätte jeder, der die Dinge mit offenen Augen sah, sich darüber klar sein müssen, daß das einzige Friedenshindernis die für uns schlechthin unerträglichen Kriegsziele waren, von denen sich unsere Feinde nicht trennen wollten, es sei denn, daß sie sich von, der Unmöglichkeit ihres Sieges überzeugten. Dies mußte in alle Köpfe gehämmert und der verhängnisvolle Irrtum mußte ausgerottet werden, als ob es nur der Bekundung eines aufrichtigen Friedenswillens von unserer Seite bedürfe, um den Frieden herbeizuführen. Ich habe mich darum bemüht, soweit mir die Möglichkeit dazu gegeben war. Nicht nur in geschlossenen Ausschußsitzungen, auch in den öffentlichen Reichstagsverhandlungen habe ich immer und immer wieder, wo sich die Gelegenheit dazu gab, das Meinige getan, um den Wahn von der Friedensbereitschaft unserer Feinde zu bekämpfen und das wahre Friedenshindernis ins Licht zu rücken. So habe ich am 5. Mai 1917 dem Abgeordneten Cohn auf eine seiner Friedensreden mit dem Ruf nach »Frieden, Freiheit und Brot« geantwortet:
»Glaubt jemand ernstlich, daß der Friedensschluß heute eine Frage der Bedingungen ist? Nein! Er ist eine Frage des Siegeswillens, und der Siegeswille ist bei den anderen noch nicht gebrochen. Einen Frieden, wie wir ihn wollen und brauchen, schaffen Sie uns mit Ihren Reden nicht! Und der Friede, den Sie möchten, der bedeutet nicht Brot, sondern Hunger für unser Volk; er bedeutet nicht Freiheit, sondern er bedeutet Knechtschaft. Das spreche nicht ich aus; das sind die Worte unserer Feinde. Lesen Sie nur ihre Reden und Zeitungen! Ich habe neulich im Ausschuß einen Artikel des französischen Senators Humbert verlesen, der mit den Worten schließt: »Zu Sklaven müssen wir diese Rasse von Sklaven machen, die von Weltherrschaft träumte.« – So sieht der Friede aus, den unsere Feinde uns gönnen und geben wollen!«
Das Vorgehen des Reichstagsausschusses und dann des Reichstags unter der Führung des Herrn Erzberger und der Sozialdemokraten mußte aber in unserem Volk den Irrtum über das wahre Friedenshindernis verstärken, statt ihn auszurotten. Es mußte den Eindruck erwecken, daß die Volksvertretung und ihre erleuchteten Führer, darunter Männer, denen man so viel Einblick in die Geheimnisse der internationalen Lage zutraute wie dem Abgeordneten Erzberger, das wahre Friedenshindernis in der mangelnden Friedensbereitschaft der deutschen Regierung erblickten; den Eindruck, daß der Reichstag es für zwingend nötig gehalten habe, hier nach dem Rechten zu sehen und die ungenügende Friedenswilligkeit der Regierung durch eine dieser aufzuzwingende eigene Kundgebung zu ersetzen. Je stärker dieser Eindruck wurde, desto größer wurde die Unzufriedenheit im deutschen Volke, desto stärker wurde die Gefahr des Auseinanderbrechens der inneren Front und die Lähmung des Kampfeswillens unserer Truppen.
Stockholmer Sozialistenkonferenz
Wenn irgend etwas, außer dem völligen Versagen der Reichstagsresolution in ihrer Wirkung auf unsere Feinde, die Augen hätte öffnen können, dann war es das Schicksal der Stockholmer Sozialistenkonferenz, das sich um die gleiche Zeit erfüllte, in der im Reichstag um die Friedensresolution gekämpft wurde. Es war ein großer Gedanke, die internationale Macht des Sozialismus ins Feld zu rufen, um der leidenden und blutenden Menschheit den Frieden zu bringen. Wir und unsere Verbündeten haben diesem Versuch – trotz mancher Bedenken – kein Hindernis in den Weg gelegt. Die demokratischen Regierungen der Westmächte und Amerikas waren es, die ihren Sozialisten die Pässe nach Stockholm verweigerten; die Sozialisten dieser Länder waren es, die sich wohl oder übel dieser Weigerung fügten. Für jedermann, der Augen hatte zu sehen, erwies sich damit in diesen demokratischen Ländern der sozialistische Friedensgedanke schwächer als der nationale Kriegs- und Siegeswille.
Aber auch aus diesem völligen Versagen der »internationalen Solidarität des Proletariats« hat man bei uns nichts gelernt. Immer eifriger wurde unser Volk in die Suggestion versetzt, das Friedenshindernis sei der Kriegswille der »Alldeutschen«, der »Militärpartei«, der »von den Militärs abhängigen Regierung«. Immer weiter fraß der Wahnsinn um sich: Wenn wir nur unsern Friedenswillen durch Handlungen zeigen, dann werden auch unsere Feinde die Waffen niederlegen und uns in die Arme fliegen.
Die im Juli 1917 gelegte Saat ist im November 1918 fürchterlich aufgegangen.
Die Bildung der Regierung des Herrn Michaelis
Bei der ersten Besprechung mit führenden Reichstagsabgeordneten im Garten des Reichsamts des Innern hatte der neue Kanzler die Bemerkung gemacht, daß er »bisher als mehr oder weniger unbeteiligter Zeitgenosse neben dem Wagen der Reichspolitik hergelaufen sei«.
Das war ehrlich, aber es wurde dem Kanzler, wie häufig im politischen Leben die Ehrlichkeit, von manchen Seiten als Zeichen von Ungewandtheit verdacht. Es mag erstaunlich erscheinen, daß ein Mann, der über seine mangelnde Erfahrung in politischen Dingen sich selbst durchaus im klaren war, den Mut aufbringen konnte, das Reichskanzleramt in jener schwierigen Zeit zu übernehmen. Ich selbst habe in jener nächtlichen Besprechung im Reichskanzlerhause, die unmittelbar auf seine Ernennung folgte, eine Andeutung meines Erstaunens nicht unterdrücken können. Herr Michaelis antwortete mir darauf, der Abgang des Herrn von Bethmann werde zweifellos eine starke Entspannung herbeiführen und ihm die Arbeit erleichtern; im übrigen vertraue er auf Gott, mit dessen Hilfe er die Aufgabe, zu der er berufen sei, auch bewältigen werde.
Dieses starke Gottvertrauen mag es erklären, daß Herr Michaelis trotz seiner unzureichenden Vertrautheit mit dem großen Felde, auf das er nun gestellt war, von Anfang an eine große Selbständigkeit bei seinen Entschlüssen und eine auffallende Neigung zu Improvisationen entwickelte.
Amtsantritt des Kanzlers Michaelis
Seine Mitarbeiter mußte er sich zu einem erheblichen Teil neu wählen. Dazu zwang ihn schon das innerpolitische Programm, das er am 19. Juli im Reichstag entwickelte. Er sagte damals nach einem kurzen Bekenntnis zu der Königlichen Botschaft über das gleiche Wahlrecht:
»Ich halte es für nützlich und für notwendig, daß zwischen den großen Parteien und der Regierung eine engere Fühlung herbeigeführt wird, und bin bereit, soweit es möglich ist, ohne den bundesstaatlichen Charakter und die konstitutionellen Grundlagen des Reiches zu schädigen, alles zu tun, was dieses Zusammenarbeiten lebens- und wirkungsvoller machen kann. Ich halte es auch für wünschenswert, daß das Vertrauensverhältnis zwischen dem Parlament und der Regierung dadurch enger wird, daß Männer in leitende Stellen berufen werden, die neben ihrer persönlichen Eignung für den betreffenden Posten auch das volle Vertrauen der großen Parteien in der Volksvertretung genießen. Selbstverständlich ist alles das nur unter der Voraussetzung möglich, daß von der anderen Seite anerkannt wird, daß das verfassungsmäßige Recht der Reichsleitung zur Führung der Politik nicht geschmälert werden darf. Ich bin nicht willens, mir die Führung aus der Hand nehmen zu lassen.«
Trotz des starken Wortes am Schluß war mit dieser Erklärung die »Parlamentarisierung« der Regierung zugesagt. Der Rücktritt fast der Hälfte der preußischen Staatsminister und die Bereitwilligkeit der übrigen, wie der sämtlichen Staatssekretäre des Reiches, auf ihre Ämter zu verzichten, gab Gelegenheit, mit der Parlamentarisierung einen Anfang zu machen. Der Gedanke des »Reichsrats« wurde zunächst nicht weiterverfolgt.
Ich selbst hatte am 14. Juli mein Entlassungsgesuch eingereicht. Ich hatte es damit begründet, daß der neue Reichskanzler freie Hand brauche; daß ferner das Reichsamt des Innern in seiner bisherigen Gestalt nicht werde erhalten bleiben können und der Rücktritt des Staatssekretärs des Innern für die Umgestaltung und Aufteilung des Amtes freie Bahn schaffe; daß schließlich die Gegnerschaften in Parlament und Presse, die ich mir im Kampf des letzten Jahres zugezogen hatte, den neuen Kanzler auch nicht mittelbar belasten dürften.
Der Kaiser lehnte die Entgegennahme meines Entlassungsgesuches ab. Von den verschiedensten Seiten, auch von den Vertretern der mit uns verbündeten Regierungen, wurden weiter Schritte unternommen, um mich zum Bleiben zu bewegen; es wurde mir geradezu als Fahnenflucht ausgelegt, wenn ich mich jetzt zurückziehen wollte. Auch Herr Michaelis insistierte von neuem darauf, daß ich ihm meine Mitarbeit nicht vorenthalten dürfe.
Das Staatssekretariat des Auswärtigen
Dem Kaiser wie dem Kanzler kam es in erster Linie darauf an, daß ich für die Vorbereitungen der Friedensverhandlungen und später für die Mitwirkung bei den Verhandlungen selbst verfügbar bliebe. Als ich auf meinem Entschluß, unter keinen Umständen das Reichsamt des Innern oder einen Teil davon zu behalten, gegenüber allen Einwirkungen bestehen blieb, und als sich für die Besetzung des durch Zimmermanns Rücktritt frei werdenden Auswärtigen Amtes Schwierigkeiten ergaben, ließ mich der Kaiser fragen, ob ich bereit sei, das Auswärtige Amt zu übernehmen. Ich bat mir Bedenkzeit aus, kam aber zu dem Schluß, daß mir die Annahme der Friedensresolution durch den neuen Kanzler die Übernahme des Auswärtigen Amtes so gut wie unmöglich mache; daß überdies der Staatssekretär des Auswärtigen seiner schweren Aufgabe nur gerecht werden könne, wenn er in Parlament und Presse über einen stärkeren und einheitlicheren Rückhalt verfüge, als ich ihn erwarten durfte. Der Kanzler meinte zwar zu diesen letzteren Bedenken in scherzhaftem Tone, vielleicht könne ich einiges verbessern, wenn ich den Abgeordneten Erzberger darüber vergewissere, daß das Auswärtige Amt auch unter meiner Leitung in derselben Weise wie bisher von seinen Diensten Gebrauch machen werde; ich antwortete, und zwar nicht im Scherz, meine erste Handlung als Staatssekretär des Auswärtigen würde die Beseitigung des Herrn Erzberger aus allen auswärtigen Geschäften sein.
Dies war am Montag, den 16. Juli.
Wie recht ich hatte, zeigte schon der folgende Tag. Es war bereits etwas über die Absicht, mir das Auswärtige Amt zu übertragen, durchgesickert. In der interfraktionellen Kommission, die in Permanenz tagte, entstand große Erregung, als Herr Erzberger bestätigte, daß diese Absicht bestehe. Noch am gleichen Tage begann gegen mich in der Presse ein wahres Trommelfeuer.
Mein Entschluß, auf das Auswärtige Amt zu verzichten, war ohnedies gefaßt. Die Kandidatur des Botschafters in Konstantinopel, Herrn von Kühlmann, trat in den Vordergrund. Ich bat, mich an seiner Stelle als Botschafter nach der mir wohlbekannten und vertrauten Türkei zu schicken. Aber Kaiser und Kanzler wünschten mich in Berlin zu halten. Die schließlich gefundene Lösung war, daß ich meinem Wunsche entsprechend von der Leitung des Reichsamts des Innern, sobald dessen ins Auge gefaßte Teilung durchgeführt sei, befreit werden, jedoch allgemeiner Stellvertreter des Reichskanzlers und Mitglied des preußischen Staatsministeriums bleiben sollte; als besondere Aufgabe war mir dabei die einheitliche Leitung der Vorbereitungen für die Friedensverhandlungen zugedacht.
Mit dieser Lösung habe ich mich abgefunden; Freude habe ich nicht an ihr erlebt.
Wechsel in den Reichsämtern
Während meine eigene Angelegenheit noch schwebte, wurde die Neubesetzung der freigewordenen und freiwerdenden Reichsämter und preußischen Ministerien verhandelt. Dabei erhielt der Zentrumsführer Dr. Spahn das preußische Justizministerium, der nationalliberale Landtagsabgeordnete Dr. v. Krause das Reichsjustizamt; der nationalliberale Reichstagsabgeordnete Dr. Schiffer wurde Unterstaatssekretär im Reichsschatzamt; der der Fortschrittlichen Volkspartei nahestehende und ihr genehme Straßburger Bürgermeister Dr. Schwander wurde als Staatssekretär des aus dem Reichsamt des Innern auszuscheidenden Reichswirtschaftsamts ins Auge gefaßt, ebenso der dem Zentrum nahestehende Kölner Oberbürgermeister Wallraf als Staatssekretär für das verbleibende Reichsamt des Innern; der Sozialdemokrat August Müller wurde zum Unterstaatssekretär im Kriegsernährungsamt ernannt. Auch abgesehen von diesen mit der »Parlamentarisierung« zusammenhängenden Ernennungen gab es einen starken Wechsel: Herr von Kühlmann wurde Staatssekretär des Auswärtigen Amts; der Präsident des Kriegsernährungsamts von Batocki wurde durch den bisherigen Oberpräsidenten von Pommern, Herrn von Waldow, ersetzt; an die Stelle des Herrn Krätke wurde der Eisenbahndirektionspräsident Rüdlin an die Spitze des Reichspostamts berufen; das Finanzministerium übernahm an Stelle des Herrn Lentze der Regierungspräsident Hergt.
Auch in seine allernächste Umgebung zog der Kanzler neue Leute. Vor allem ernannte er zum Unterstaatssekretär in der Reichskanzlei an Stelle des Herrn Wahnschaffe seinen früheren Mitarbeiter in der Reichsgetreidestelle, Herrn von Grävenitz. Der Chef der Reichskanzlei hat unter anderem die schwierige Aufgabe, den dauernden Kontakt zwischen dem Reichskanzler und den Parteien des Reichstags aufrechtzuerhalten, den Reichskanzler über Stimmungen und Verstimmungen, über Beschwerden und Wünsche des Parlaments zu unterrichten und den Absichten des Reichskanzlers bei den Parteien vorzuarbeiten. Für die Erfüllung dieser Aufgabe ist eine genaue Kenntnis des parlamentarischen Parketts und der parlamentarischen Persönlichkeiten erforderlich, zudem eine gute diplomatische Veranlagung. Herr von Grävenitz war, wie sein Herr und Meister selbst, ein guter preußischer Verwaltungsbeamter, brachte aber nicht die Eigenschaften mit, die ihn zum Chef der Reichskanzlei qualifiziert hätten. Dieser Mangel ist in der kurzen Zeit der Kanzlerschaft des Herrn Michaelis sehr fühlbar gewesen.
Herr Michaelis stand mit dem Herzen zweifellos auf der Seite der rechtsgerichteten Minderheit des Reichstags. Trotzdem war er von dem ehrlichen Willen beseelt, loyal mit den aus Zentrum, Freisinnigen und Sozialdemokraten bestehenden, gelegentlich durch den Hinzutritt der Nationalliberalen verstärkten Mehrheitsparteien zusammenzuarbeiten. Später, bei seiner Abschiedsrede an die stimmführenden Bundesratsbevollmächtigten, hat er selbst bekannt, daß er während seiner ganzen Kanzlerschaft schwer unter diesem Zwiespalt gelitten habe.
Zunächst hatte er mit seiner Unterwerfung unter die Friedensresolution und mit der Ankündigung der Parlamentarisierung einen gewissen Erfolg. Am Tag nach seiner Antrittsrede, am 20. Juli, wurde der Kriegskredit, an dessen Bewilligung sich alle die schweren Diskussionen angeknüpft hatten, mit allen Stimmen gegen diejenigen der Unabhängigen Sozialdemokraten bewilligt.
Kaiser und Reichstag
An demselben Tag sah der Kaiser bei mir im Reichsamt des Innern in Gegenwart der Minister, Staatssekretäre und stimmführenden Bundesratsbevollmächtigten die Führer der einzelnen Reichstagsfraktionen einschließlich der Mehrheitssozialdemokraten. Es war das erstemal, daß der Kaiser in dieser Weise mit dem Reichstag in Berührung trat. Er unterhielt sich nahezu drei Stunden lang auf das angeregteste und unbefangenste mit den einzelnen Abgeordneten, ohne jedoch die akuten Fragen des Kanzlerwechsels, der Friedensresolution und der inneren Politik zu berühren.
Es war das einzige Mal, daß der Kaiser mit dem heutigen Reichspräsidenten Ebert zusammentraf. Ich hatte ihm erzählt, daß Herr Ebert vor kurzem seinen zweiten Sohn auf dem Schlachtfelde verloren habe. Nach der allgemeinen Begrüßung und Vorstellung sprach der Kaiser als einen der ersten Abgeordneten Herrn Ebert an und drückte ihm in schlichten und herzlichen Worten seine Teilnahme aus.
Nachträglich habe ich fast bedauert, dem Kaiser zu dieser Zusammenkunft geraten zu haben, die eine persönliche Fühlung zwischen Kaiser und Reichstag anbahnen und dadurch zum Ausgleich mancher Gegensätzlichkeiten beitragen sollte; denn es kam mir zu Ohren, daß Teilnehmer an der Zusammenkunft einige Äußerungen, die der Kaiser in seiner zwanglosen und burschikosen Art getan hatte, in vergröberter und entstellter Form verbreiteten, um Stimmung gegen den Kaiser zu machen.