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Die Entscheidungskämpfe im Westen

Wir hielten und hätschelten unsern Todfeind, den Bolschewismus, und verprellten in jeder Weise unsere eigenen ohnedies kriegsmüden und schwankenden Bundesgenossen zu einer Zeit, in der auf dem Hauptkriegsschauplatz des Westens die Aussicht auf den Sieg endgültig verlorenging, die Übermacht der Feinde immer schwerer auf uns drückte und die Widerstandskraft von Heer und Volk bedrohliche Zeichen des Verfalls verriet.

Ich hatte in Spa am 15. August eine Unterhaltung mit dem Feldmarschall von Hindenburg und im Anschluß daran eine lange Aussprache mit dem General Ludendorff. Die unmittelbare Gefahr der Katastrophe, die aus der schweren Niederlage des 8. August zu erwachsen drohte, war fürs nächste abgewehrt. Der beginnenden Desorganisation unserer Verbände war Einhalt geboten, unsere Truppen standen wieder, und die Oberste Heeresleitung hatte die Zügel wieder in die Hand bekommen. Aber die Generale rechneten mit neuen schweren Anstürmen der Feinde und vermochten diesen nicht die alte Zuversicht gegenüberzustellen. Weitere Rückwärtsbewegungen waren notwendig, um eine einigermaßen gesicherte Verteidigungsfront wiederherzustellen, Rückwärtsbewegungen unter dem unmittelbaren Druck des Feindes. Und wenn diese Bewegungen ohne allzu großen Verlust an Menschen und Material gelangen, so war damit nach den Erfahrungen des 8. August noch keineswegs eine Garantie gegen die Wiederholung eines solchen überraschenden Einbruchs geschaffen, Ludendorff machte mir die bezeichnende Bemerkung: »Es war am 8. August, wie wenn alles sich gegen uns verschworen hätte. Wir haben alles getan, was wir können, damit so etwas sich so leicht nicht wiederholen kann. Aber – was einmal möglich war, wer sagt mir, daß das nicht auch ein zweites Mal passieren kann!« An den beiden vorhergehenden Tagen hatten eingehende Besprechungen zwischen den beiden Generalen, dem Reichskanzler und Herrn von Hintze stattgefunden, am 14. August unter Vorsitz des Kaisers. Ich war, obwohl in diesen Konferenzen die gesamte militärische und politische Lage einschließlich der Ostfragen erörtert werden sollte, ebensowenig zugezogen worden, wie der gleichfalls in Spa anwesende Staatssekretär des Reichswirtschaftsamts Freiherr von Stein. Ich bin damals auch weder von dem Grafen Hertling oder Herrn von Hintze, noch von den beiden Generalen über den Verlauf der Besprechungen unterrichtet worden. Nach den inzwischen erfolgten amtlichen Veröffentlichungen haben in jenen Besprechungen die beiden Generale dargelegt, daß es nicht mehr möglich erscheine, den Krieg militärisch zu gewinnen, und daß daher eine Verständigung mit den Feinden herbeigeführt werden müsse. Der Kaiser hat damals entschieden: »es müsse auf einen geeigneten Zeitpunkt geachtet werden, wo wir uns mit dem Feinde zu verständigen hätten«. (Weißbuch über die Vorgeschichte des Waffenstillstands.)

 

Unsere militärische Lage

Ohne Kenntnis von diesen Eröffnungen unserer Heerführer zu haben, hielt ich mich für verpflichtet, unmittelbar nach meiner Unterhaltung mit General Ludendorff zum Reichskanzler zu fahren und ihm über diese Unterhaltung zu berichten, mit dem eindringlichen Hinzufügen, daß ich nach meiner Kenntnis der Art Ludendorffs, sich über solche Dinge zu äußern, den Eindruck gewonnen habe, daß die militärische Lage außerordentlich ernst sei. Mein Eindruck war, daß Graf Hertling meine Auffassung für übertrieben hielt.

Die von der Obersten Heeresleitung erwarteten neuen Angriffe setzten am 16. August beiderseits Roye ein. Der Feind vermochte hier in mehrtägigen erbitterten Kämpfen keine nennenswerten Vorteile zu erzielen.

Den Erfolg, der ihm bei diesem Frontalangriff versagt blieb, erkämpfte er sich jedoch am 20. August in den zwischen der Oise und Aisne und tags darauf in der Gegend Bapaume-Arras einsetzenden Flügelangriffen. An beiden Stellen wurden wir in schweren Kämpfen zurückgedrückt. Der flache Frontbogen Bapaume-Chaulnes- Roye-Noyon kam dadurch in Gefahr. Unsere Heeresleitung entschloß sich, um dieser Gefahr vorzubeugen, diesen Frontteil zurückzunehmen. In den letzten Augusttagen wurden deshalb die viel umkämpften Städte Roye, Noyon, Bapaume und Péronne dem nachdrängenden Feinde überlassen. Gleichzeitig wurde der in der Apriloffensive gewonnene, auf Hazebrouck vorspringende Keil zwischen Ypern und La Bassée, mit ihm auch der Kemmelberg, aufgegeben.

Während diese Rückwärtsbewegungen in leidlicher Ordnung vor sich gingen, gelang den Engländern am 2. September ein mit großer Wucht geführter Schlag gegen unsere Front an der Straße Arras-Cambrai. Sie drangen hier in das nördliche Schulterstück der alten Siegfriedstellung ein, um das sie im Jahre 1917 vergeblich mit dem stärksten Einsatz gekämpft hatten. Der Keil, den sie nördlich des Senséebaches vortrieben, war eine empfindliche Flankendrohung sowohl für die sich nördlich anschließende, zunächst unverändert gebliebene Front Arras-Lens-La Bassée als auch für die sich nach Süden erstreckende Siegfriedstellung, in die unsere Truppen im Begriff waren einzurücken.

Am 8. September meldete der Bericht der Obersten Heeresleitung, daß unsere Truppen an der Schlachtfront überall ihre neuen Stellungen bezogen hätten. Seit dem unheilvollen 8. August, der die Zurücknahme unserer Streitkräfte veranlaßt hatte, war also genau ein Monat vergangen. Engländer, Franzosen und Amerikaner hatten, trotz ihrer gewaltigen Überlegenheit an Menschen und Material, einen vollen Monat gebraucht, um uns über das Gelände zurückzudrängen, das wir im März im Lauf von sechs Tagen ihnen abgenommen hatten. Rückzug bleibt Rückzug, und die Notwendigkeit der Preisgabe des in den Märzoffensiven erstrittenen Gewinnes wurde in Heer und Heimat als ein großes Unglück empfunden. Der Rückzug vollzog sich auch nicht ohne große Verluste an Menschen und Material. Aber die Tatsache, daß es gelang, diesen Rückzug unter dem ständigen Druck eines weit überlegenen Feindes Schritt für Schritt und planmäßig durchzuführen, war ein glänzendes Zeugnis für Truppe und Führung.

 

Weitere Rückzugsbewegungen

Während aber unsere Feinde in den Amerikanern immer neuen und frischen Zuzug erhielten – im August kamen allein 335 000 amerikanische Soldaten in Frankreich an, wurde bei uns der Ersatz für die großen Lücken, die durch die schweren Angriffe in unsere Verbände gerissen wurden, immer spärlicher und immer schlechter. Die große zahlenmäßige Überlegenheit an Menschen und Material hatte dem Marschall Foch eine Möglichkeit in die Hand gegeben, die unseren Heerführern, die mitbeschränkteren Mitteln rechnen mußten, nie gewährt worden ist: eine große Offensive gleichzeitig an mehreren Stellen anzusetzen. Die Ausnutzung dieser Möglichkeit – die gleichzeitige Offensive im Raume zwischen der Oise und der Aisne und im Raume Arras Bapaume – hatte ihm den Erfolg unseres Rückzugs auf die Siegfriedlinie eingebracht. Jetzt gab ihm die Fülle seiner Reserven an Menschen und Material eine zweite Möglichkeit, die gleichfalls den deutschen Heerführern in ihrer Offensive auf dem westlichen Kriegsschauplatz nie zuteil geworden ist: die Möglichkeit, einem kaum abgeschlossenen Angriff alsbald neue Schläge von nicht geringerer Wucht folgen zu lassen.

Schon wenige Tage, nachdem wir in die Siegfriedstellung eingerückt waren, ging der Engländer beiderseits der von Arras und Péronne nach Cambrai führenden Straßen mit neuen Angriffen schwerster Art vor und machte der Franzose einen neuen heftigen Vorstoß zwischen Ailette und Aisne in der Richtung auf Allemant, der einen Keil zwischen die Siegfried Stellung und unsere Linien am Chemin des Dames zu treiben drohte. Gleichzeitig führten – am 12. September – Amerikaner und Franzosen einen starken Angriff gegen unseren östlich der Maas auf St. Mihiel vorspringenden Frontteil aus. Die feindlichen Berichte sprachen hier zum erstenmal von einer Beteiligung einer »amerikanischen Armee«; nicht weniger als tausend Tanks sollen hier gegen uns eingesetzt worden sein. Die schon seit langer Zeit von unserer Heeresleitung ins Auge gefaßte Räumung der vorspringenden »Michelstellung« erfolgte nun unter dem Druck dieses Angriffs, und wenn auch der feindliche Plan, die in dem Bogen von St. Mihiel stehenden Truppen durch den Angriff von beiden Seiten her in die Zange zu nehmen und abzukneifen, nicht gelang, so konnten die Feinde die Eroberung dieser seit dem September 1914 von uns gehaltenen Stellung als großen Sieg verkünden und sich einer großen Beute an Gefangenen und an Material rühmen.

 

Aufgabe der Siegfriedstellung

Am 18. September begannen dann die entscheidenden Kämpfe um die Siegfriedstellung in ihrer ganzen Ausdehnung zwischen Cambrai und La Fére. In immer wiederholtem Ansturm trieben Engländer und Franzosen, verstärkt durch amerikanische Truppenteile, ihre von ungezählten Tanks und Kampfflugzeugen begleiteten Massen gegen unsere Linien vor. In dem ununterbrochenen Ringen, bei dem der Feind immer wieder frische Reserven einsetzen konnte, erlahmte allmählich die Widerstandskraft der Verteidiger, In den letzten Tagen des September erzielte der Feind den entscheidenden Erfolg: es gelang ihm, unmittelbar südlich von Cambrai und nördlich von St. Quentin den Scheldekanal zu forcieren und damit schwere Breschen in unsere Stellung zu schlagen. St. Quentin wurde in der Nacht zum 1. Oktober geräumt. In den folgenden Tagen erweiterten die Engländer den Einbruch durch neue wuchtige Vorstöße in Richtung Le Cateau, Sie durchbrachen das ganze ausgebaute Stellungssystem und gewannen das freie Feld. So wurde in zwei Wochen der schwersten Kämpfe das Hauptstück unserer Westfront, die Siegfriedstellung, zerbrochen, die während des ganzen Jahres 1917 allen feindlichen Anstürmen getrotzt hatte.

Als dieses Ringen um unsere Zentralstellung seinen Höhepunkt noch nicht erreicht hatte, holten unsere Feinde zu Flügelangriffen größten Stiles aus. Am 26. September kam die ganze Front zwischen Reims und der Mosel in Bewegung. Der Schwerpunkt des Angriffs lag an der alten Champagnefront in der Gegend Somme-Py bis Tahure und nordwestlich von Verdun zwischen Argonnen und Maas. Hier setzten die Amerikaner, dort die Franzosen die volle Wucht ihrer Massen und Kriegsmittel ein. Gleichzeitig erneuerten die Franzosen ihren Angriff zwischen Ailette und Aisne gegen die Westflanke des Chemin des Dames und begannen im Norden Engländer und Belgier einen neuen Ansturm gegen unsere flandrische Front. Von der Nordsee bis zu den Vogesen schüttelte jetzt ein einziger Orkan die in ihrem Mittel- und Hauptstück bereits wankenden deutschen Stellungen.

Unsere zum großen Teil übermüdeten, vielfach auch bereits in ihrem Geist erschütterten Truppen schlugen sich ungleichmäßig. Zwischen den Argonnen und der Maas gelang es, die Amerikaner nach einigen nicht unerheblichen Anfangserfolgen zum Stehen zu bringen; ebenso die Franzosen in der Champagne. Dagegen gelang es den Engländern und Belgiern in den letzten Septembertagen, unsere flandrische Front im Ypernbogen zu überrennen. Zwei Kampftage brachten ihnen hier den Erfolg, den sie während des Jahres 1917 in fünf Monaten des schwersten und opferreichsten Ringens nicht zu erreichen vermochten: den Durchbruch durch unsere Höhenstellungen um Ypern bis in die flandrische Ebene.

 

Neue Frontverkürzungen erzwungen

Wenn durch diese Einbrüche und Durchbrüche im Zentrum und auf den Flügeln unsere Front nicht in hilflose Teile auseinandergerissen und unser Heer nicht zersprengt und zertrümmert werden sollte, war jetzt eine energische Konzentration nach rückwärts notwendig. Diese wurde in den ersten drei Oktoberwochen Schritt für Schritt durchgeführt. Zunächst wurde der infolge des Einbruchs im Ypernbogen im Norden und in der Gegend Cambrai im Süden weit vorspringende Bogen Armentiéres-Lens in der Nacht zum 2. Oktober geräumt und unsere Front in jener Gegend hart an Lille herangelegt. Dann wurden vom 3. Oktober ab unsere Stellungen bei Reims, in der Champagne, am Damenwege, bei La Fére und Laon zurückgenommen. Um den 9. Oktober wurde das zur Deckung der Rückwärtsbewegung lange zäh verteidigte Cambrai geräumt und unsere Front auf Le Cateau zurückgelegt. Nachdem Engländer und Belgier um die Mitte des Oktober ihre Angriffe östlich Ypern erneut aufgenommen und über Roussellaere hinaus vorgestoßen waren, wurde in den folgenden Tagen die seit längerer Zeit vorbereitete Räumung sowohl des flandrischen Küstengebietes mit Ostende, Zeebrügge und Brügge, als auch des Gebietes von Lille und Douai durchgeführt. Um den 20. Oktober verlief unsere Front von Ecloo an der belgisch-holländischen Grenze in südlicher Richtung über Tournai, Valenciennes, Le Cateau, dann in flachem Bogen nach Rethel, von da östlich mit leichter Abbiegung nach Süden über Vouziers nach Sivry an der Maas, um schließlich nach Südosten an Verdun vorbei in der Gegend von Pont-à-Mousson Anschluß an unsere alte Vogesenlinie zu gewinnen.

In diesem gegenüber der alten Front stark verkürzten flachen Bogen kam die Bewegung zu einer Ruhepause.

Auch dem Laien leuchtete ein, daß sie damit nicht abgeschlossen war, daß vielmehr eine weitere Zurücknahme – zunächst auf die Linie Antwerpen – Namur – Maas, später vielleicht auf die noch wesentlich kürzere Linie Lüttich-Metz – in der Konsequenz der strategischen Entwicklung lag, die uns die Verteidigung des vaterländischen Bodens auf einer möglichst kurzen Front zum Gebot machte. Daß die Durchführung einer solchen Verteidigung auf absehbare Zeit hinaus auch jetzt noch keineswegs aussichtslos war, uns vielmehr noch immer die Möglichkeit bot, das Schlimmste von unserm Vaterland abzuwenden, hatte die Tatsache gezeigt, daß es gelungen war, unsere Truppen, die um die Wende des September und Oktober auseinandergerissen und durcheinandergeworfen waren, auf einer einheitlichen Linie zu ordnen und zum Stehen zu bringen.

Die weitere Rückwärtsbewegung auf die Antwerpen-Maas-Linie wurde Anfang November eingeleitet, nachdem die Engländer und Belgier mit neuen Angriffen gegen unsere Scheldestellung zwischen Gent und Tournai einige Erfolge erzielt hatten und den Amerikanern und Franzosen am 31. Oktober ein Schlag gegen unsere Stellungen zwischen Aisne und Maas gelungen war. Als am 11. November der Waffenstillstand in Kraft trat, verlief unsere Front die Maas entlang von nördlich Verdun bis Charleville, dann weiter nordwestlich nach dem Gebiet von Mons, von dort nördlich über Gent nach der holländischen Grenze.


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