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53. Shackleton.

Um dieselbe Zeit, als Otto von Nordenskjöld auf der »Antarctic« dem Südpol zusegelte, hatte England ebenfalls eine große Expedition ausgerüstet, die unter der Führung des Kapitäns Scott die Meere und Küsten erforschen sollte, die Roß als erster besucht hatte. Scott machte großartige Entdeckungen an der Küste des sechsten Weltteils und kam dem Südpol näher als je ein Reisender vor ihm.

Einer der Teilnehmer an dieser Expedition folgte einige Jahre später Scotts Beispiel. Er hieß Shackleton, und seine Reise ist hochberühmt geworden.

Shackleton hatte sich vorgenommen, von seinem Winterquartier aus so weit wie nur möglich zum Südpol vorzudringen, und Ende Oktober des Jahres 1908 brach er auf. Nur drei Begleiter nahm er mit, und seine vier Schlitten wurden von vier kleinen, rundlichen aber starken Pferden gezogen, die er sich aus der Mandschurei hatte kommen lassen. Mais, Preß- und Kraftfutter war ihre Nahrung; als man sie während der Reise auf knappere Rationen setzte, hielten sie sich an Riemenzeug und Tauen schadlos und fraßen sich gegenseitig die Schwänze ab. Die vier Männer hatten Lebensmittel auf volle vier Monate mitgenommen.

Aus dem Krater des Vulkans Erebus stiegen schwarze Wolken auf, als Shackleton südwärts über das schneebedeckte Eis hinfuhr. Bald war der Schnee weich und dadurch sehr beschwerlich, bald mit einer hartgefrorenen Kruste bedeckt, die tückische Spalten im Eis verbarg. Um zu lagern, wurden zwei Zelte aufgeschlagen, die Männer krochen in ihre Schlafsäcke hinein, während die in Decken gehüllten Pferdchen draußen im Stehen schliefen. Oft mußte die kleine Schar einen oder mehrere Tage im Lager bleiben, wenn Schneestürme das Weiterfahren unmöglich machten.

Wenn sich die Sonne hinter den Wolken versteckte, war die Beleuchtung sehr unbehaglich. Keinerlei Schatten verriet die Unebenheiten des Schneefeldes, alles war weiß in weiß, und wo man über ebenen Boden zu gehen glaubte, konnte man unversehens kleine Böschungen hinunterstürzen. Einmal ließ sich fern im Osten ein donnerndes Getöse vernehmen. Es klang wie Kanonenschüsse, kam aber jedenfalls von dem mächtigen Inlandeis her, das gerade im »Kalben« begriffen war. Wenn nämlich das Eis bei seiner steten, wenn auch langsamen Bewegung nach den Küsten sich ins Meer hinaus schiebt, wird es von dem Wasser, weil dieses schwerer ist, in die Höhe gehoben, und dabei brechen gewaltige Eisblöcke und Eisberge ab, die nun auf eigene Hand umherschwimmen.

Mit einer Geschwindigkeit von zwanzig bis dreißig Kilometer im Tage näherte sich Shackleton dem Südpol. Seine kleine Reisegesellschaft verlor sich wie unscheinbare Pünktchen in der endlosen Eis- und Schneewüste. Nur im Westen erhob sich eine Reihe von Berggipfeln, eine unerreichbare weiße Mauer mit Türmen und Zinnen.

Am 21. November wurde eines der Pferde erschossen und sein Fleisch als Proviant mitgenommen. Der Schlitten, den es gezogen hatte, wurde aufgerichtet und fest in den Schnee eingerammt, damit er bei der Rückkehr als Wegmarke diente. Fünf Tage später schon hatte Shackleton den südlichsten Punkt erreicht, bis zu dem ehemals Scott vorgedrungen war. Die hohen Gebirge mit den steilen, schwarzen Felswänden, die sich nun neben seinem Weg erhoben, hatte vor ihm noch nie ein Mensch erblickt.

Nach zwei weiteren Tagen wurde das zweite Pferd erschossen, und bald nachher mußte auch das dritte, das nicht mehr laufen konnte, geopfert werden. Das letzte überlebende wieherte sehnsüchtig seinen Kameraden nach und fühlte sich im Herzen der Südpolarwelt arg vereinsamt. Aber noch immer zog es tapfer seinen Schlitten, während sich die vier Männer vor einen zweiten gespannt hatten.

Die Bergkette, die ihnen bisher zur Rechten gefolgt war, machte jetzt einen starken Bogen nach Osten; glücklicherweise aber durchbrach sie ein Gletscher, die »große Landstraße« nach dem Südpol. Der Gletscher wurde erstiegen und auf einem kleinen Paß zwischen gewaltigen Granitpfeilern überschritten. Hohe Berge umgaben jetzt von allen Seiten die Wanderer. Gefährliche Spalten durchzogen das Eis, und nur mit äußerster Vorsicht konnte man auf zeitraubenden Umwegen vorwärts dringen. Einmal zeigte sich ein einsamer Vogel über den Häuptern der Fremden, wahrscheinlich eine Möwe. Was mochte sie wohl hier über dem ewigen Eis zu suchen haben?

Eines Tages zogen drei der Engländer den einen Schlitten, während der vierte den andern lenkte, vor den das Pferd gespannt war. Plötzlich sah er sein Tier im Boden verschwinden – es war buchstäblich vom Eis verschlungen worden! Eine Schneebrücke war unter der Last des Pferdes gebrochen und dieses dabei in eine dreihundert Meter tiefe Spalte gestürzt! Die Männer beugten sich über den Rand des schwarzen Loches – aber von drunten her drang kein Laut mehr empor. Zum Glück war die vordere Querdeichsel losgegangen und der Schlitten selbst mit seinem Lenker am Rand dieses Grabes stehengeblieben. Wäre der wertvolle Proviant auf dem Schlitten dem Pferd in den Abgrund gefolgt, so hätte Shackleton sofort umkehren müssen.

Der letzten Hilfe beraubt, mußten sich die vier Entdecker nun selbst die Gletscher zwischen Felsen und Schiefer mit eingelagerten Steinkohlen mühsam hinaufarbeiten. Während der Weihnachtstage zeigte das Thermometer 44 Grad Kälte, ein schöner Mittsommer!

Endlich waren die Berge überwunden, und nun dehnte sich ein weites Plateauland aus überschneitem Eis vor Shackleton aus. Aber auch dieses Plateau stieg nach dem Südpol zu langsam an, und die bedeutende Höhe, auf der sich die Wanderer befanden, verursachte rasende Kopfschmerzen. Abermals wurde eine Wegmarke in den Schnee eingerammt, eine an ein Bambusrohr befestigte Flagge.

Am 7. und 8. Januar 1909 machte ein heftiger Schneesturm alles Vorwärtskommen unmöglich, und die Kälte sank auf 56 Grad! Wenn am Südpol schon der Sommer solche Temperatur zeigt, mußte es erst im Winter dort recht behaglich sein!

Ohne Lasten und Schlitten ging es dann am 9. Januar weiter, und man machte Halt auf 88º 23' südlicher Breite. Das war der letzte Tag des Vormarsches. Zwar war man nur noch 180 Kilometer vom Südpol entfernt, aber Mangel an Lebensmitteln gebot die Umkehr. Den Pol zu erreichen war leicht noch möglich – aber an eine glückliche Rückkehr wäre dann nicht mehr zu denken gewesen.

Die Höhe des Plateaus betrug jetzt mehr als 3000 Meter über dem Meeresspiegel. Hier wurde die englische Flagge gehißt und in einer Blechbüchse ein Schriftstück über die Reise niedergelegt. Noch ein letzter Blick über das Eisfeld zum Pol hin – dann mußte, wenn auch blutenden Herzens, der Befehl zum Rückzug gegeben werden.

Glücklich erreichte Shackleton auf seiner eigenen Spur sein Winterquartier, und dann brachte ihn sein Schiff wieder in die Heimat zurück. Was er auf dieser Reise vollbracht hat, ist eine Großtat in der Geschichte der Entdeckungsreisen. Wenige Jahre nach ihm hat auf demselben Wege der Norweger Amundsen den Südpol tatsächlich erreicht – oder doch beinahe. Aber Shackleton wird immer der eigentliche Eroberer der Antarktis genannt werden müssen.


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