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34. Die Landenge von Panama.

Ist es euch nie aufgefallen, wie schwer es ist, den Blick von einem Erdglobus zu wenden? Jedesmal, wenn ihr ihn betrachtet, macht ihr neue Entdeckungen. Er gibt euch ein wahreres Bild der Erde, als eine Karte das je könnte. Er zeigt euch deutlich, daß Erdteile und Meere Wölbungen bilden, und macht euch ihre Lage und ihre Größe im Verhältnis zueinander klar.

Gewiß habt ihr schon eines Tages mit einemmal entdeckt, daß der Nordpol mitten in einem von gewaltigen Landmassen umgebenen Meere liegt, während der Südpol mitten in einem festen Kontinent zu finden ist, den große Meere umgeben. Und gewiß habt ihr euch auch schon verwundert gefragt, warum alle Weltteile gerade nach Süden hin Halbinseln aussenden. Seht nur in Europa Skandinavien, dann vor allem Spanien, Italien und Griechenland. Nach Süden zeigen Kamtschatka und Korea, Arabien und die indischen Halbinseln! Afrika, Australien und Südamerika enden nach Süden hin in immer schmäler werdenden Keilen. Man könnte dabei fast an die Bildungen einer Tropfsteinhöhle denken. Aber ihr mögt über dem Globus grübeln so viel ihr wollt und die Gelehrten mit Fragen bestürmen – ihr werdet dennoch nie erfahren, warum das Antlitz der Erde gerade diese und keine andern Züge angenommen hat!

Ein andermal gewahrtet ihr, daß Europa, Asien, Afrika und Australien in einem fast zusammenhängenden Bogen auf der östlichen Halbkugel der Erde liegen, während Amerika die westliche Halbkugel für sich allein in Anspruch nimmt. Wie eine ungeheure Scheidewand liegt es zwischen zwei Meeren und fällt immer wieder auf durch seine eigentümliche langgestreckte Gestalt von Pol zu Pol. Man könnte sich vorstellen, daß der Bildner des Erdballs mit seiner Arbeit nicht recht zufrieden war und im letzten Augenblick noch aus Amerika zwei besondere Weltteile habe machen wollen. Sind nicht die Spuren seiner starken Hand allenthalben zu sehen? In der Linken hält er Nordamerika, in der Rechten Südamerika. Da, wo die Hudsonbai ins Land eindringt, lag sein Zeigefinger, und der Mexikanische Meerbusen ist der Abdruck seines Daumens. Südamerika hält er mit der ganzen Hand umspannt, und nur vom Daumen ist gerade auf der Grenze zwischen Peru und Chile ein Eindruck sichtbar. Seine Hände haben den ganzen Weltteil mit solcher Kraft zusammenqepreßt, daß der Westrand in gewaltigen Runzeln und Falten zerknitterte, die wir Menschen das Felsengebirge und die Anden nennen. Wüßte man nicht, daß die Winde der Ozeane die Flüsse mit Regen speisen – man wäre versucht zu glauben, der Mississippi und der Amazonenstrom, der Rio de la Plata und all die andern Flüsse seien nichts anderes, als die Feuchtigkeit, die den Gebirgen noch heute unter dem Druck der Hand ihres Schöpfers entströmt.

Und wie hat er gezerrt und gedreht, um Amerika auseinander zu bringen. An einer Seite ist der Zusammenhang wirklich zerrissen, aber einzelne Stücke liegen noch da, die wir die Westindischen Inseln oder die Antillen nennen. An der andern Stelle war aber das Material zu zäh. Freilich bildet Mexiko nach Süden hin einen Keil, als ob es im Meer enden wollte, und Zentralamerika liegt da wie ein ausgewrungenes Handtuch. Zwischen Guatemala und Honduras wäre es beinahe durchgerissen, und auch der große See von Nicaragua bildet eine schwache Stelle. Aber erst da, wo Costa Rica in die Panamaenge übergeht, wäre auf ein Haar der Zusammenhang zwischen den beiden Hälften der neuen Welt gerissen. Doch die Landenge widerstand dem Drehen und Reißen, und als sie zu sechzig Kilometer Breite zusammengeschrumpft war, wurde sie in Ruhe gelassen.

Nachher kamen dann die Menschen, um dem Schöpfer zu helfen und das Werk, das er selbst gut fand, noch zu verbessern. Zwar dauerte es lange, ehe sie sich an ein so gewaltiges Unternehmen wagten. Aber da es ihnen so gut gelungen war, Afrika von Asien durch den Suezkanal zu trennen, gingen sie zuletzt auch daran, einen Kanal durch die hundert Meter hohen Berge der Panamaenge zu sprengen. Viele Jahre und viele Milliarden waren dazu erforderlich, aber bald wird der Meisterschnitt fertig sein, der Südamerika von der nördlichen Hälfte der neuen Welt lostrennt. Wie eine Siegesfanfare wird rings um die Erde die Nachricht erklingen, daß der erste Dampfer mit rauchenden Schornsteinen diesen Richtweg vom Stillen zum Atlantischen Ozean durchfurcht habe. Und ist es nicht auch eine tüchtige Leistung, mit einem einzigen Schnitt den Weg eines von Liverpool nach San Francisco gehenden Dampfers um fast 1000 Meilen verkürzt zu haben?

Aber noch ist die Brücke nicht abgebrochen, und noch können wir trocknen Fußes nach Südamerika hinübergehen, da, wo die Kordilleren der Anden ihren mächtigen Zug längs der ganzen Westküste beginnen. Gleich ungeheuren Festungswerken sind ihre Ketten in doppelten oder in mehrfachen Reihen gegen den Stillen Ozean vorgeschoben, und zwischen diesen Ketten dehnen sich Hochebenen aus, die 4000 Meter über dem Meeresspiegel liegen. Hier erheben sich die höchsten Berge der neuen Welt, in Argentinien der mächtigste von allen, der Aconcagua, ein erloschener, mit ewigem Schnee und glänzendweißen Gletschern bedeckter Vulkan, in Bolivia der Sorata, in Ecuador der Chimborasso, ebenfalls ein erloschener Vulkan, dessen Eismantel einer Marmorkuppel gleicht, und schließlich einer der berühmtesten Berge unsrer Erde, der Cotopaxi, der höchste der noch tätigen Vulkane der ganzen Welt.

Laßt uns nun einen Augenblick in einem Tal oberhalb der Baumgrenze verweilen, wo dem steinigen Boden nur noch spärliche Kräuter entsprießen! Da seht ihr einen Bergkegel, der ebenso regelmäßig ist wie der Gipfel des Fujijama. Sein Krater hat 700 Meter im Durchschnitt, und von seinem 6000 Meter hohen Rand wallen an den Bergseiten Schneemäntel herunter, gleich den Zacken eines riesengroßen Seesternes. Als vor bald 400 Jahren spanische Eindringlinge diese ehemals freien Länder eroberten, zeigte der Cotopaxi gerade einen seiner wütendsten Zornesausbrüche, und noch in neuerer Zeit haben europäische Reisende seinen Schneemantel wie von einem geheizten Ofen abschmelzen sehen, während ein bräunlichroter Widerschein der Kraterglut die Verwüstung beleuchtete, die die Fluten des Schmelzwassers und das Vordringen der Lavaströme in den Dörfern und Tälern am Fuß des Berges anrichteten.

Selbst unter der glühenden Sonne des Äquators ragen also diese Bergriesen mit Hauben aus ewigem Schnee und blauschimmernden Eisfeldern in die eiskalte Luft empor. Dort könnte man sich in die Nähe der Pole versetzt glauben. Auf diesen hohen Kämmen, die unmittelbar aus der Tiefe des Stillen Ozeans aufzusteigen scheinen, gibt es keine Bäume; aber doch ist das Klima erträglich, und der Ackerbau schenkt den Menschen ihren Unterhalt. Auf den Ostabhängen, die von häufigen Regenfällen bespült werden, ist die Vegetation überströmend reich, und hier betritt der Wanderer den tropischen Urwald. Der Chinabäum hat hier seine Heimat, Orchideen ranken sich von Stamm zu Stamm, und die Wälder scheinen durch Netze von Lianen wie zusammengeschnürt. Ungeheuer große Gebiete von Brasilien und Bolivia bedeckt unzugänglicher Urwald, der dem Vordringen des Forschers noch heute eine Grenze setzt.

So vereinigen die Anden alle denkbaren Vegetationsgürtel, von den heißen bis zu den kalten, vom tropischen Urwald bis zu völlig verödeten Höhen, von der Nachbarschaft des Äquators bis in hohe südliche Breitengrade hinein.


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