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51. Zurück zum Kap Hoorn.

Lange Ruhe hat aber der Albatros nicht auf seinem Nest, bald begibt er sich wieder auf die Reise. Zur Abwechslung schlägt er jetzt eine westliche Richtung ein und segelt über ausgedehnte Seetangfelder hin, die einen riesigen Gürtel um die Landmasse des Südpols bilden. Auf dem ganzen Weg hat er starken Gegenwind, aber das hemmt seinen Flug nicht im geringsten. Infolge der beständigen Westwinde, die hier wehen, strömt auch das Oberflächenwasser des Meeres nach Osten.

Wenn es Nacht wird, schwebt der Albatros dicht an den Küsten der Insel Tasmania entlang und sieht dort Leuchttürme durch das Dunkel blinken. Mit einemmal schauen ihn aus der Ferne zwei grüne und rote Augen an, die sich schnell vergrößern; es sind die Lichter eines Dampfers, der sich auf dem Weg nach Adelaide im Süden von Australien befindet. Am nächsten Tag holt er einen andern Dampfer ein, der gegen Meeresströmung, Wind und Seegang westwärts fährt; sein Ziel ist Kapstadt, an der Südspitze Afrikas, und er steuert zwischen den Inseln Sankt Paul und Kerguelen hindurch.

Unser Albatros begleitet ihn nur bis Sankt Paul, denn diese Insel ist das merkwürdigste, was er nur sehen kann. Nach Nordosten hin ist sie ein offener Krater, und in diesem Krater finden Schiffe einen ganz vorzüglichen Hafen. Aber nur sehr selten verirrt sich ein Schiff nach dieser einsamen Felseninsel hin; nur auf kurze Zeiten wird sie von Walfisch- und Robbenfängern bewohnt, die sich ihre Beute draußen auf dem Meer gesucht haben. Diesmal sieht der Albatros kein menschliches Wesen auf Sankt Paul, wohl aber viele Tausende von Seevögeln, die auf den kahlen Felsen entsetzlichen Lärm machen.

Fern von allen Fahrstraßen des Ozeans liegt auch Neu-Amsterdam, eine kleine, viereckige Insel, deren hohe, lotrechte Felsenküste stets eine tosende Brandung umkränzt. Ob wohl der ewige Wellengang des Meeres so lange an den Felsen genagt hat, bis sie schließlich so steil wurden? Wenn das noch hunderttausend Jahre so weitergeht, denkt der Albatros, wird dieses Inselchen wohl ganz verschwinden und nichts weiter übrigbleiben als eine gefährliche Untiefe.

Auf Kerguelenland wirft der Albatros nur einen flüchtigen Blick, aber wenn er die tief ins Land einschneidenden Meerbusen überblickt, schmunzelt er bei dem Gedanken, wie sich die Menschen wohl um diese Insel balgen würden, wenn sie nur in einem leichter zugänglichen Meere läge, das weniger von Stürmen heimgesucht würde. Jetzt ist sie wie verloren im südlichsten Teil des Indischen Ozeans, mächtige Gletscher ziehen sich von den Bergen ins Tal, und Menschen gibt es dort nicht. Aber die Franzosen haben sich die Insel angeeignet und dort einen Vorrat von Lebensmitteln, Kleidungsstücken und Werkzeugen niedergelegt, damit Schiffbrüchige, die durch heftige Stürme an diese zerrissene Küste verschlagen werden, sich zu helfen wissen.

Wohin nun von Kerguelenland? fragt sich der Albatros. Eine Weile ist er unschlüssig. Soll er nordwärts fliegen und sich Kapstadt ansehen? Oder soll er südwärts gehen? Er entschließt sich zum letztern und ist noch nicht lange geflogen, als er einige ganz merkwürdige Schiffe mit der Strömung von Westen herantreiben sieht. Sie begegnen ihm nicht zum erstenmal, aber jetzt im Glanz der untergehenden Sonne sind sie herrlicher als je zuvor. Sie blitzen wie reinstes Kristall und leuchten wie Saphir, aber auch der Widerschein des dunkelgrünen Meeres spielt in ihrem Innern, Grün und Blau scheinen in diesen gewaltigen Bergen aus glasklarem Eis miteinander um den Vorrang zu kämpfen. Wenn die Sonne ins Meer hinabtaucht, gießt sie ihre letzten Strahlen wie flüssiges Gold auf ihre Gipfel, und am Fuß dieser Kolosse singt die ewige Brandung ein schwermütiges Lied. Aber hier hat sie größern Erfolg als an den starken Felsen von Neu-Amsterdam. Die Eisberge treiben nordwärts wärmeren Meeren zu, aber der warme Wellenschlag zerfrißt das Eis in der Wasserlinie und höhlt in den Seiten der Berge tiefe Grotten, Portale und unterirdische Gänge aus. Oft sehen diese Gebilde aus wie Triumphbogen, die das Meer den Walfischen zu Ehren gebildet hat. Wenn dann die Sonne unter dem Horizont versunken ist und die Dämmerung sich grau und kalt über das öde Meer breitet, scheint eine ganze Stadt von weißen Kristallburgen und Märchenschlössern aus den unbekannten Tiefen emporgestiegen zu sein.

Der Albatros fliegt über diese abgetrennten Blöcke des dichten Packeises, der mächtigen Eisbarre im Süden, hinweg und hat in kurzem zehn Breitengrade zurückgelegt, wo die Eisberge immer dichter und höher werden. Ob nicht diese mit Wind und Strömungen umhertreibenden Eisberge nichts anderes als verzauberte Schiffe sind? Unzählige Fahrzeuge haben ja der Albatros und seine Vorfahren im Lauf der Jahrhunderte untergehen sehen, deren Wracks auf den großen Verkehrsstraßen aller Meere der Erde verstreut liegen geblieben sind, teils in die Riffe der Korallen eingemauert, teils von Schlamm umgeben, teils in ganze Wälder mächtiger Algen eingebettet. Oft glaubte er zu sehen, wie die Türen der Decksalons und der Kapitänskajüte weit aufgerissen waren und die Fische, die in sie hineinschwammen, vergeblich durch die Fensterscheiben wieder hinauszukommen versuchten. Ob nicht alle diese verunglückten Schiffe sich in der Mitternachtstunde von ihrem Ankergrund lösen? Ob nicht Kapitän, Steuermann, Matrosen und was sonst von der Besatzung dereinst mit unterging, jetzt die Kommandobrücke besteigen und Rufe über das Deck hin schallen lassen? Das mag ein schönes Laufen an Bord geben, denkt der Albatros, wenn alle die Schläfer mit einem Schlag erwachen und jeder auf seinen Posten eilt. Die Ankerkette rasselt, das Schiff stürmt durch die Reiche des Meeres, taucht in Eis verwandelt im äußersten Süden auf, jagt mit vollen Segeln über das Meer hin und kämpft mit der Brandung. Kalt und ruhig steht der Befehlshaber am Steuer und lenkt das Schiff wieder zu der Stelle hin, wo es einst untergegangen ist. Aber mit Entsetzen sieht er es nun immer mehr zusammenschrumpfen. Die Küste des Feuerlandes kann er wohl noch erreichen, das Kapland vielleicht aus der Ferne sehen, aber bis an die Küste Australiens gelangt er nicht mehr. An die Stelle seines Unglücks kommt er nicht eher, als bis sein ganzes Schiff sich wieder in Wasser verwandelt hat.

Unser Albatros aber ist ein Phantast! Könnte er bis auf den Meeresgrund hinabtauchen, so würde er dort das Schiff in ewiger Ruhe auf seinem Korallen-, Schlamm- und Algenbett liegen und die Fische durch Takel- und Tauwerk schwimmen sehen.

Doch nun wird es ihm zwischen dem Treibeis zu kühl, und er fliegt zur Insel Tristan da Cunha im südlichen Teil des Atlantischen Ozeans hinüber. Ihn hungert, und er weiß, daß er dort Nahrung findet, denn die Lage dieser Insel macht sie zu einem günstigen Haltpunkt für Segelschiffe, deren Ziel Indien oder Australien ist und die es sich nicht leisten können, die kostspieligen Abgaben für die Durchfahrt durch den Suezkanal zu bezahlen. Kaum hundert Menschen wohnen auf der kleinen Insel. Zwei der ihr eigentümlichen Pflanzen wuchern in großer Üppigkeit auch aus Sankt Paul und Neu-Amsterdam; die nach Osten gehende Meeresströmung hat ihre Keime den weiten, weiten Weg dorthin mit sich geführt.

Auf seinen regungslos ausgebreiteten Flügeln ruhend begibt sich der unermüdliche Albatros schließlich nach den Inseln Süd-Georgiens, wo er die schwerfälligen See-Elefanten wiedersieht und über die Falklandinseln bald Kap Hoorn am südlichsten Zipfel Südamerikas erreichen kann. Noch immer hört er die Brandung vergeblich an die verschlossenen Felsentore klopfen. Lange hält er sich auch hier nicht auf. Wir aber haben mehr zu tun, als ihn auf seinem endlosen Flug über alle Meere zu begleiten, und sagen ihm nun Lebewohl, wenn er hinter den Felsen Kap Hoorns im Westen verschwindet.


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