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49. Schiffbruch.

Auch auf den großen Schlachtfeldern des Meeres kann man von Verwundeten, Toten und Vermißten reden, und der Albatros könnte uns manche Auskunft geben über Schiffe, die monate- und jahrelang auf Nachricht warten ließen, auf den Klippen der Südsee strandeten und in den Wellen versanken. Wie unzählige Male ist er Augenzeuge solch furchtbarer Schauspiele gewesen!

Da treibt ein gewaltiger Dreimaster, alle Segel wie Trommelfelle gestrafft, mit dem Südostpassat nach den Samoainseln hin, und stolz wie ein Schwan durchschneidet er die blaugrüne Dünung. Gleich winzigen Ameisen laufen die Matrosen auf dem Deck hin und her, ziehen unter munterm Gesang die Schoten ein oder klettern geschickt wie Katzen an den Wanten umher, um Leine und Taue zu entwirren. Der Albatros glaubt bis in seine Höhe hinauf zu hören, wie es in dem Holzwerk knarrt und knackt, wenn der Wind frischer wird. Die Sonne geht unter, und die großen Segelflächen erscheinen wie mit Purpur übergossen; in der Dämmerung aber heben sie sich glänzend weiß gegen das dunkelgrüne Meer ab und in der Nacht, beim Schein des Vollmonds, gleichen sie schneebedeckten Bergspitzen. Aber auch wenn kein Mond scheint und keine Laterne ihr Licht auf den Schiffskompaß wirft, verliert der Albatros den Dreimaster nicht aus den Augen.

Die Sonne geht auf und vergoldet zuerst die Wimpel und dann die Segel. Der Passat ist außerordentlich gleichmäßig, und wie alle Tage wird die einförmige Arbeit an Bord verrichtet. Die Seeleute ahnen nicht, was der Albatros genau sieht – ein Korallenriff gerade vor ihnen! Eine Dünung hebt das Schiff auf die seichte Stelle hinauf – das Wellental zieht es wieder hinab, und heftig prallt es auf den Grat des Riffes auf. Der schwere Rumpf knarrt, die Masten beben, die Matrosen laufen hin und her, und laute Kommandorufe ertönen. Jeder Fetzen Segeltuch strafft sich aufs äußerste, und die nächste anrollende Dünenwelle hebt das Schiff wieder über die Untiefe weg.

Nun will der Dreimaster, ein Kauffahrteischiff mit schwerer Fracht, weiterfahren, aber das Riff hat ein furchtbares Leck in seinen Boden gestoßen. Alle Pumpen arbeiten, und die Zimmerleute stehen mit ihren Werkzeugen bereit. Aber das Leck liegt unter den im Schiffsinnern aufgetürmten Lasten, und ehe man es findet, stehen die Kajüten schon voll Wasser. Da bleibt nichts übrig, als Rettung in den Booten zu suchen! Sie werden losgemacht und hinabgelassen, und die Mannschaft stürzt hinein. Furchtbarer Wirrwarr herrscht, und der eine rennt den andern nieder, um noch rechtzeitig mitzukommen. Das stolze Segelschiff sinkt so schnell, daß weder Lebensmittel noch Trinkwasser für die Rettungsboote beschafft werden können.

Schon schlägt die Dünung über das Deck, und der ganze Rumpf verschwindet in den Wellen. Die Segel sind noch straffer als vorher, nur zwei Schoten sind geplatzt, und das Tuch schlägt klatschend im Wind hin und her, der das Schiff langsam auf die Seite legt. Ein Rahsegel nach dem andern wird in die Tiefe hinabgezogen, und schließlich verschwinden auch die Wimpel. Der Albatros sieht genau, wie gerade das Schiff jetzt wieder steht, denn die schwere Last zieht es nach unten. Die Boote entfernen sich in hastiger Eile. Nur der Albatros bleibt in der Luft stehen, um abzuwarten, ob noch etwas Eßbares aus der brodelnden Tiefe auftaucht. Die Sonne steht hoch, die schlaffen Segel drunten erscheinen jetzt grün, nach einer Weile blau, und wenn sie etwa siebzig Meter Tiefe erreicht haben, ist nichts mehr von ihnen zu erkennen.

Das Schiff aber setzt seine Fahrt in die Tiefe unaufhaltsam fort. Das Schweigen der Ewigkeit und die Finsternis des Meeresgrundes schlagen ihre Fittiche um seine Seiten zusammen. Ein kranker, vergessener Matrose liegt noch in seiner Koje. Mit weit geöffneten Augen starrt er zur Decke hinauf, seine Züge sind vor Entsetzen verzerrt, und seine Hände greifen krampfhaft in seine Bettdecke. Pechfinster ist es in seiner Kabine.

Das gestrandete Schiff sinkt nicht lotrecht. Der Äquatorialstrom, der vom Passat getrieben wird, führt es nach Westen. Aber je tiefer es hinunter kommt, desto schwächer wird die Strömung, und schließlich beginnt das Wrack lotrecht hinabzusinken, bis es endlich seinen letzten Hafen erreicht hat. Sein Kiel prallt auf dem Meeresgrund auf, dann neigt es sich langsam auf die Seite und liegt nun mit vollen Segeln genau in derselben Lage, als ob es noch droben aus der Oberfläche vor dem Passatwind einherführe.

Rätsel- und grauenhaft ist die mit Wasser bedeckte Erdoberfläche hier unten in fünf Kilometer Tiefe. Endlose Ebenen dehnen sich nach allen Seiten hin. Meilenweit ist der Meeresboden so glatt wie eine Tischplatte, und wir würden über diese trostlose Ebenmäßigkeit staunen, wenn wir beim Licht eines gewaltigen Scheinwerfers dort unten umherwandern könnten. Schließlich aber würden wir in eine Gegend gelangen, wo sich der Meeresgrund hebt, erst langsam, dann immer schneller, und zuletzt so schroff wie die steilsten Berge. Sogar senkrecht ansteigenden Felswänden würden wir hier begegnen. Folgten wir ihnen aufwärts durch die Wasserschichten, so würde es allmählich um uns dämmern und so hell werden, wie auf der Erde, wenn der Morgen graut, und schließlich würde sogar die Sonne durch das Wasser hindurchscheinen und immer mehr an Leuchtkraft zunehmen. Tief unten, wo das Schiff bis zum jüngsten Tag liegt, war das Wasser eisig kalt, kaum mehr als 1½ Grad warm. Je höher wir aber emporsteigen, desto wärmer wird es, zuerst nur langsam, dann wird der Temperaturunterschied schnell größer, und jetzt, wo die Sonne klar durch das salzige Kristall leuchtet und schon ein Hauch der wiegenden Dünung zu verspüren ist, wird die Flut lauwarm. Stecken wir nun unsern nassen Kopf aus dem Wasser hervor, dann sehen wir, daß der steile Abhang uns auf eine Koralleninsel hinaufgeführt hat. –

Was ist nun das Schicksal der Mannschaft des untergegangenen Schiffes? Der Albatros kann uns auch darüber Auskunft geben. Er sah, daß die Boote in der Nacht auf dem Meer voneinander getrennt wurden; zwei rettete ein Dampfer, und zwei andere erreichten eine Koralleninsel. Nur eines verirrte sich, und gerade diesem Boot ist unser Albatros gefolgt. Er beobachtete, wie Hunger und Durst die Matrosen quälten. Als der erste starb, warfen die Kameraden die Leiche über Bord. Mit derselben Absicht wie der Albatros sind zwei Haifische dem Boot gefolgt. Sie haben einen schieferblauen Rücken und einen weißen Bauch, und ihr scheußlicher Rachen ist mit mehreren Reihen dreieckiger, spitziger Zähne bewaffnet, die so scharf sind wie das Blatt einer Säge. Sie fallen nun über den toten Matrosen her und verschmähen nicht einmal seine Kleider. Deshalb ist der Albatros auch ihnen nicht hold, denn sie sind ebenso gefräßig wie er. Kaum ein Tag vergeht, wo er diese Nebenbuhler nicht umherschwimmen sieht. Sie schwimmen stets so schnell, als wenn sie auf der Suche nach etwas seien, und stets so dicht unter der Oberfläche, daß ihre hohe, gerade Rückenflosse aus dem Wasser hervorsieht. Wenn aber eine Beute ihr Ziel ist, vergrößern sie noch ihre Geschwindigkeit und schießen wie Torpedos durch das Wasser hin. Sie folgen den Schiffen ebenso eigensinnig wie der Albatros, und an Klugheit können sie sich mit ihm messen. Wie oft hat er nicht zugesehen, wenn ein Hai einen über Bord gefallenen Matrosen packte. Aber einmal war es ihm auch begegnet, daß ein Matrose die Geistesgegenwart besaß, sich mit seinem Taschenmesser gegen den Haifisch zu verteidigen und sich von ihm zu befreien! Und auf den Inseln der Südsee hat er oft schon beobachtet, wie sich die Eingeborenen, selbst flink und gewandt wie Fische im Wasser, freiwillig in den Kampf mit diesen Raubtieren begeben und ihnen mit einem Messer den Bauch aufschlitzen. Das furchtbarste aber, dessen er sich erinnern kann, war ein großes Schiff, an dessen Bord das gelbe Fieber wütete und auf dem die Leute wie Fliegen dahinstarben. Ein ganzer Schwarm von Haifischen war damals diesem Schiff gefolgt und hatte sich so satt gefressen, daß selbst der Albatros, den sonst dergleichen nicht weiter angreift, dieses Schauspiel widerwärtig gefunden hatte.


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