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48. Die Inseln der Südsee.

Auf den Atollen der »Inselwolke« und ihren nächsten Nachbarn hat Frankreich seine dreifarbige Flagge gehißt. Unsern Albatros aber kümmert das wenig, denn er ist ja unbeschränkter Herrscher über sie alle und läßt sich von niemandem vorschreiben, wo er sich seine Beute holen soll. Er schlägt jetzt die Richtung nach den Gesellschaftsinseln ein und zieht einen weiten Kreis um die größte von ihnen, die Insel Tahiti, die schönste und berühmteste aller Inseln der Südsee. Er schaut auf ihre längst erloschenen Vulkane und ihre ungeheuren Felsen, auf denen dichte Wälder, undurchdringliche Farndickichte und üppiges Gras wuchern, und von deren Abhängen muntere Bäche nach den Lagunen hinabtanzen, nach den Wellenbrechern, die die Korallen im Meer meisterhaft aufgebaut haben. An den Ufern Tahitis wachsen die ewigen Kokospalmen, die charakteristischen Kennzeichen der Inseln der Südsee, wie die Dattelpalme das der Wüstengegenden der alten Welt ist. Auf Tahiti herrscht ein gleichmäßiges, warmes, tropisches Seeklima mit nur zwei Grad Unterschied zwischen Sommer und Winter, der Südostpassat weht das ganze Jahr hindurch, Regen fällt in genügender Menge, und Fieber kennt man hier nicht.

Die Insel ist daher wie geschaffen zu der heitern, sonnigen Lebensanschauung, der die Eingeborenen von Tahiti huldigen. Sie schmücken ihr Haar mit Blumenkränzen, ihr Gang ist leicht und graziös, und sie kannten keinerlei Sorge, ehe – die Weißen dorthin kamen und zerstörend in ihr Leben und ihre Freiheit eingriffen! Aber vieles von den Dichtungen und Sagen der Weißen fand eine Heimat in Tahiti und verwandelte diese Insel in ein Paradies auf Erden. Jetzt sind auch Tahitis einst so glückliche Jünglinge und Jungfrauen dem Aussterben verfallen und werden durch Chinesen, Europäer und Eingeborene von andern Inseln im Nordwesten ersetzt. Noch bestellen sie zwar ihre Felder und befahren sie mit ihren Fischerkähnen die Uferlagunen; noch pflücken sie zur rechten Zeit die Kokosnüsse und tragen farbige Blumenkränze im Haar, als letzten Widerschein eines glücklichen Daseins. Tauben girren in den Bäumen, grüne und blauweiße Papageien lassen ihr durchdringendes Geschrei ertönen. Pferde, Rinder, Schafe, Ziegen und Schweine sind fremde Einwanderer; an Tieren waren dort nur Eidechsen, Skorpione, Fliegen und Moskitos zu Hause. Die Üppigkeit der Gärten und die entzückende Pracht der Natur haben die Europäer nicht ausrotten können, und der Fregattenvogel, der Adler des Meeres, mit dessen schwarzen Federn die Häuptlinge von Tahiti ehemals ihre Scheitel schmückten, nächtigt noch immer auf den Palmen des Ufers und sucht sich weit draußen auf dem Meer seine Beute.

Der Blick unseres Albatros verdüstert sich, wenn er den Fregattenvogel erblickt; denn dieser ist sein stärkster Nebenbuhler. So ungeheuer weite Reisen wie der Albatros unternimmt zwar der Fregattenvogel nicht, und er wagt sich auch nicht so weit auf das freie Meer hinaus; aber doch ist auch er ein Meister im Fliegen und ein kühner Räuber ohne jede Spur von Gewissen. Er folgt den Delphinen und Raubfischen, um ihnen einen Teil ihrer Beute wegzuschnappen, und andere Vögel zwingt er in frecher Weise, das, was sie gerade verspeisen wollen, zu seinen Gunsten fahren zu lassen. Wenn die Fischer draußen auf der See ihre angelegten Netze aufziehen, streicht er so dicht über die Boote hin, daß man ihn mit dem Ruder erreichen könnte, und in schreiend bunte Farben ist er so vernarrt, daß er sich mit besonderer Vorliebe auf die roten Wimpel der Fregatten niederläßt, die im Winde flattern und mit dem Stampfen des Schiffes bald hierhin, bald dorthin wehen. Wie der Adler erhebt auch er sich zu schwindelerregender Höhe, und kein menschliches Fernglas kann sich mit seinem Auge an Schärfe messen. Von da oben her sieht er den kleinsten Fisch unter der Oberfläche des Wassers spielen. Am liebsten jagt er den fliegenden Fischen nach, und in dem kurzen Augenblick, wo sie mit ausgebreiteten Flossen über die Wogen hinschweben, packt er sie in der Luft; auch stürzt er tauchend auf sie herab und bemächtigt sich ihrer in der Tiefe. Hat er seine Beute erfaßt, dann schwingt er sich wieder auf. Wenn ihm der Fisch nicht mundgerecht im Schnabel sitzt, läßt er ihn los, fängt ihn aber wieder, ehe er das Wasser erreicht hat; das tut er so lange, bis er ihn so gefaßt hat, daß er ihn bequem verschlingen kann.

siehe Bildunterschrift

Albatross.

siehe Bildunterschrift

???

Aber das Meer ist unermeßlich reich, und der Albatros tröstet sich bald darüber, daß ihm der Fregattenvogel ins Handwerk pfuscht. Unbekümmert setzt er seinen Flug nach Westen in der Richtung nach den Samoainseln fort. Eine gewaltige Strecke offenen Meeres hat er bis dahin zu überfliegen und Zeit, über all das Wunderbare nachzudenken, was er während seiner viel tausend Meilen weiten Reisen über alle Meere der Erde erlebt hat. Er sah Meteorsteine auf den offenen Ozean niedersausen, ohne daß die wißbegierigen Menschen auch nur etwas davon ahnten; er hörte dumpfes Grollen aus dem Schoß des Meeres aufsteigen, ohne zu verstehen, daß in der Tiefe vulkanische Ausbrüche stattfanden, die seinem Blick ebenso verborgen blieben wie den Augen der Menschen; er sah Inseln sich bilden und wieder verschwinden, ehe sie auf eine Seekarte eingezeichnet werden konnten, und sah gefährliche Untiefen da auftauchen, wo früher tiefes Wasser flutete und nun Schiffe, die nichts Böses ahnten, ihrem Untergang entgegengingen. Vielleicht weiß er auch, daß alle diese unzähligen Inseln der Südsee nichts anderes sind als die Gipfel gewaltiger Bergketten, die über dem Meeresspiegel auftauchen, während ihre Abhänge und Täler seit Millionen Jahre von den salzigen Fluten verdeckt sind.

Was aber drunten in der Tiefe vor sich geht, das wissen die klugen Menschen weit besser als er. Zwar haben sie sich nie in eine größere Tiefe als sechzig Meter hinuntergewagt; aber in dreißig Meter Tiefe können Taucher zwei Stunden verweilen, Perlen suchen, Brücken bauen und untergegangene Schiffe bergen, und beinahe überall hat man die Ozeane ausgelotet und aus fast zehn Kilometer Tiefe unter der Oberfläche des Meeres Bodenproben heraufgeholt. Daher weiß man, daß der Meeresgrund zum größten Teil mit organischem Schlamm und rotem Ton bedeckt ist, und daß das Pflanzenleben mit dem Sonnenlicht schon in zwei- bis dreihundert Meter Tiefe erstirbt, während dem tierischen Leben nirgends Grenzen gesetzt sind. Selbst noch in den größten Tiefen leben kleine Wesen, denen der ungeheure Druck des gesamten Ozeans nicht das geringste anzuhaben vermag, und von all den Myriaden Tierchen, die überall im Meere leben, rieselt ein beständiger Kalkschalenregen auf den Meeresboden hinab. Aus diesem Schalenregen bilden sich während unermeßlicher Zeiträume mächtige Ablagerungen drunten in der Tiefe; aber undurchdringliche Finsternis herrscht hier, und was dort an Lebewesen sich aufhält, ist zu ewiger Blindheit verurteilt.


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