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»Sie mögen damit recht haben,« meinte Fritz nach einiger Zeit, »daß in Amerika alles großartig sei. Aber auf die Tierwelt trifft das doch nicht zu; Löwen und Tiger gibt es hier nicht!«
»Nein, aber statt ihrer haben wir den Jaguar und den Puma. Beide sind zwar in Südamerika häufiger als in Nordamerika. Hier ist der Jaguar nach den Südweststaaten und Mexiko zurückgedrängt worden. Beide leben am Waldrand und im hohen Grase der Pampas, wo die halbwilden Reiter wie zum Turnier hinter ihnen herjagen, sie mit dem Lasso fangen und sie dann so lange neben dem Pferde herschleppen, bis sie erdrosselt sind. Der Jaguar hält sich auch gern im Dickicht der Flußufer und Moräste auf. Er bleibt hübsch auf der Erde, während der geschmeidige, kühne Puma sogar die Affen auf den Bäumen verfolgt. Unter gellendem Geschrei und durchdringenden Warnrufen fliehen die Affen von einem Baum zum andern, aber der Puma folgt ihnen, rutscht bis an die äußerste Spitze eines schwankenden Astes und springt von dort auf den nächsten Ast des Nachbarbaumes hinüber. Beides sind blutdürstige Räuber, aber der Jaguar ist größer, stärker und wilder. Er wird niemals wirklich zahm und legt seine angeborene Tücke nie ab. Der Puma aber wird so zahm wie ein Hund, obgleich sein Besitzer nicht allzu besorgt um seine Haut sein darf, wenn er mit dem Tiere spielt. Der Puma pflegt sich, nur zum Spaß, vor seinem Herrn zu verstecken und dann auf ihn loszuspringen, wenn er sich dessen am wenigsten versieht; ein Zärtlichkeitsbeweis, für den ich mich bald herzlichst bedanken würde.
»Der Puma greift den Menschen niemals an; aber vor dem Jaguar muß man auf der Hut sein. Beide sind die Feinde der Viehherden; der Puma zwar zerreißt keine größeren zahmen Tiere als das Schaf, der Jaguar aber raubt auch Pferde, Maulesel und junges Rindvieh. Er geht nur bei Tagesanbruch, in der Dämmerung oder bei hellem Mondschein auf Beute aus; der Puma jagt nur abends und nachts. Der Puma ist dunkelrotgelb, der Jaguar brandgelb mit schwarzen Flecken und Ringen im Fell, eine Zeichnung, die an die Farbe gewisser Giftschlangen erinnert. Die Jungen des Pumas sind entzückende kleine Geschöpfe, jungen Katzen ähnlich, aber größer. Sie öffnen ihre Augen erst nach zehn Tagen. Dann beginnen sie noch ganz schwerfällig umherzukrabbeln, purzeln bei jedem zweiten Schritt und klettern der Mutter auf den Rücken. Aber bald sind sie sicher auf den Füßen und spielen wie Kätzchen mit dem Schweif der Mutter.
»Der Jaguar ist ein schlauer Jäger von größter Geduld und Ausdauer. Er kauert sich wie die Katze nieder und beobachtet aus einem Versteck im Dickicht sein auserkorenes Opfer unverwandten Blickes. Mit bewundernswerter Gewandtheit schleicht er sich lautlos immer näher heran, und sowie er seines Erfolges sicher ist, macht er den Sprung, reißt der Antilope, dem Schaf oder dem Wasserschwein die Halsadern auf und schleppt seine Beute in das Dickicht hinein. Kleine Tiere verschlingt er mit Haut und Haar. Von einem Pferde frißt er so viel, wie er nur irgend bewältigen kann, und zieht sich dann wieder ins Dickicht zurück, um an einer versteckten Stelle zu schlafen. Wenn er erwacht, kehrt er zu dem Kadaver zurück, genau so wie der Tiger in Indien.
»Auf einer Landstraße in Südamerika sind während eines Menschenalters zwanzig Indianer von Jaguaren zerrissen worden. Wenn man Geistesgegenwart genug hat, um mit Schreien und Lärmen dem Tier entgegenzugehen, zieht es sich zurück. Sonst ist man verloren, denn auch dann, wenn man mit dem Leben davonkommt, sind die Wunden von den stumpfen Krallen und Zähnen der Bestie furchtbar und gefährlich. In Südamerika soll es Indianer geben, die den Jaguar auf folgende Weise jagen: sie umwickeln ihren linken Arm mit dem Fell eines Schafes. In der rechten Hand halten sie ein langes scharfes, zweischneidiges Messer. So suchen sie den Jaguar auf und hetzen ihn mit Hunden. Erhebt er sich wie der Bär auf den Hintertatzen und geht er auf den Indianer los, so streckt ihm dieser seinen linken Arm zum Hineinbeißen hin, stößt ihm aber zu gleicher Zeit das scharfe Messer ins Herz.
»Ein Reisender erzählte mir eine hübsche Geschichte von einem Jaguar. Am Ufer eines Flusses in Südamerika hatten einige Seeleute aus Europa Rast gemacht. Plötzlich sahen sie, daß vom gegenüberliegenden Ufer ein Jaguar zu ihnen herüberschwamm. Schnell griffen sie zu ihren Flinten, stiegen in ihr Boot und ruderten dem Untier entgegen. Ein Schuß wurde abgefeuert, der Jaguar wurde auch verwundet, machte aber deshalb nicht etwa kehrt. Er kletterte vielmehr ganz einfach in das Boot hinein, ohne sich durch die Matrosen abschrecken zu lassen, die ihn mit den Rudern bearbeiteten. Als der Jaguar über die Reling ins Boot sprang, erschien es der Besatzung das Klügste, ihrerseits das Weite zu suchen und sich schwimmend ans Ufer zu retten. Der Jaguar blieb im Boote sitzen und ließ sich gemütlich stromabwärts treiben. Weiter unten enterten einige andere Seeleute das Boot, und nun war es der Jaguar, der ins Wasser sprang und im Uferdickicht verschwand. Jedenfalls eine tüchtige Leistung von ihm, sich noch ungefährdet in Sicherheit zu bringen, nachdem er zwei Bootsbesatzungen Trotz geboten hatte!«