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Die Brautnacht.

Nach einer wahren Begebenheit.

Glück, Glück, du Goldfrucht hinterm Gitter!
Die Schranke sinkt, und du verlockst nicht mehr.
Glück, Glück, du goldnes Ährenheer!
Schon rüstet sich zum Kampf mit dir der Schnitter.
Da zuckt aus Nachtgewölk der Blitze Speer,
Und Ernte hält vernichtend das Gewitter.
Was bist du Glück? Ein Stern und Nacht umher!
Du bist ein Tropfen Süß im Meere Bitter;
Du bist dem Lebenskleide, schwarz und schwer,
Am Saume eingewebt ein goldner Flitter:
Leid ist des Lebens Stamm und du ein Splitter,
Was bist du, Glück? Ein Schatten und nicht mehr!

Zu Genua war's in einer Frühlingsnacht,
So voll von Duft, so reich an Sternenpracht,
Als grüßten sehnsuchtsvoll aus ihrer Ferne
Mit Duft und Strahlen Blumen sich und Sterne,
In einer Nacht, wo durch Jasmin und Rosen
Rings säuselte so lauer Lüfte Kosen,
Daß träumend selbst das Meer, statt wild zu tosen,
Nur leise plätschernd spielte an der Küste,
Als ob es sie mit Serenaden grüßte,
In einer Nacht, so weich und wollustwarm,
Als lägen Erd' und Himmel sich im Arm,
Und das verlorne Eden senkte wieder
Einmal nach Jahren sich zur Erde nieder;
In solcher Nacht einst gärt' wie Flutgetose
Des Volkes wirrer Drang in Genuas Schoße,
Und dort wo der Palast am Meeresstrand
In seiner Kerzen, seiner Fakeln Brand
Wetteifert mit der Sterne lichten Flammen,
Da rottet sich's zum Knäuel dicht zusammen,
Und donnerlaut schlägt Jubelruf empor,
»Das Brautpaar lebe!« tönt es rings im Chor;
Hier ruft's: »Dem Kind Orsinis Heil und Glück!«
Und dorten schallt's: »Heil Dorias Sohn!« zurück;
Und da und dorthin wogt die bunte Menge,
Und Zitherschall erwacht und Liedesklänge;
Hier Spiel und Tanz; dort um des Weines Fülle
Gezänke, Messerzücken, Wutgebrülle,
Und Weiberkreischen, Röcheln dumpf und schwer,
Drein Paukenwirbel vom Palaste her,
Und wie verwundert schaut der Mond von oben
Kalt, blaß und ruhig in das wilde Toben.

Sie aber, sie, wo weilen die Beglückten,
Für die so reich sich Erd' und Himmel schmückten,
Für die aufflammen all' die hellen Kerzen,
Für die aufjubeln all' die wilden Herzen?
O sucht sie nicht im glanzerhellten Saal,
Im Tanzgewirr, beim fröhlich lauten Mahl;
Dort, seht, wo die Terrasse weit und frei
Hinausblickt auf des Gartens Schattengänge,
Dort, wo verhallt der Ruf der Flötenklänge,
Dort, wo erstirbt der Menge greller Schrei,
Dort sucht die beiden, die vor wenig Stunden
Zum Gang durchs Leben Priesterhand verbunden.
Er jung wie sie; Gold ihrer Locken Flut,
Er sonngebräunt, und sonnenheiß sein Blut;
Sie sechzehn kaum, und noch ein Kind im Herzen,
Wo reif sein Sinn den Jahren vorgeeilt,
Sie schelmenhaft, geneigt zu muntern Scherzen,
Die er nicht liebt, und doch aus Liebe teilt,
Verwandt und Spielgenossen und vermählt,
Kein Band, sie innig zu verknüpfen, fehlt.

Dort lehnen sie, mit Strahlen hell umflossen
Vom Mondlicht, wie von ihrer Liebe Glück,
Und selig still, fest Hand in Hand geschlossen,
Scheint ihnen, stumm versenkend Blick in Blick,
Der Strom der Zeit versiegend abgeflossen,
Und grau in Nebel sinkt der Raum zurück.
»Francesco«, ruft's, »Ginevra«, hallt es wider,
»Mein Leben,« spricht er, Fieberbrand im Blick,
»Du meine Seele!« haucht es ihm zurück;
Und wonnetrunken sinkt er vor ihr nieder,
Springt wieder auf, umschlingt sie, hält sie fest
Und fester an sein pochend Herz gepreßt,
Und Küsse raubt er ihr von Mund und Wangen;
»Sei mein, Geliebte!« fleht sein Glutverlangen
»Du bist ja mein, vor Gott mir angetraut!
Des Festes Glanz verlischt; der Morgen graut;
Versage dich nicht länger meinem Glück.«
Sie aber, sei's, daß mädchenhafte Scham,
Sei's, daß sie kind'scher Mutwill' überkam,
Sie schelmisch lächelnd wirft das Haupt zurück.
»Glück,« spricht sie, »Glück! Sie sagen, oft sei Glück
Nur süß von außen und von innen bitter.
Glück, heißt es, sei die Goldfrucht hinterm Gitter;
Die Schranke sinkt und sie verlockt nicht mehr!
Nein, rüttle, rüttle, mein Gemahl und Herr,
Nur noch ein Weilchen an des Gitters Stäben!«
Und spricht es, und wie Elfen rasch entschweben,
Und flüchtig wie der Pfeil vom Bogen schnellt,
Entwindet sie dem Arm sich, der sie hält,
Entschlüpft sie des Verfolgers hast'gen Händen,
Weiß listig da und dorthin sich zu wenden,
Bis des Altanes Pforte sie gewinnt.
Und: »Nein, du fängst mich nicht so leichten Kaufes,
Gut' Nacht, Francesco!« ruft sie vollen Laufes
Mutwillig ihm zurücke und entrinnt!

Er will ihr folgen: doch er hemmt den Schritt:
Es ist sein Glück, die Fülle seiner Wonne,
Die plötzlich blendend wie das Bild der Sonne
Ihm überwält'gend vor die Seele tritt.
Er läßt sie fliehen, gönnt ihr, sich zu letzen,
Der Kindlichen, an kindischem Ergötzen;
Denn vor ihm liegt, ein Talgrund grün und traut,
Das Bild der Zukunft lächelnd ausgebreitet,
Und Blumen sprießen rings, wohin er schreitet,
Und Früchte reifen rings, wohin er schaut;
Schon tritt ihm blühend Tag für Tag entgegen
Und Jahr für Jahr, und jedes bringt nur Segen,
Und fromm zum Himmel hebt er seinen Blick,
Als wollt' er seine heil'gen Sterne fragen,
Wie er verdient so überreiches Glück,
Und wie sein Herz es fassen soll und tragen! –
Tor, wacht kein Engel, warnend dir zu sagen:
»Trau nicht dem Glück! Wohl reift sein Ährenmeer,
Und rüstig schon zur Sichel greift der Schnitter,
Da zuckt aus Nachtgewölk der Blitze Speer,
Und Ernte hält vernichtend das Gewitter!«

Verhallt war draußen längst der Menge Toben,
Erlöschend gehen in Orsinis Haus
Der Kerzen Glanz, des Festes Jubel aus,
In Dämm'rung rings war schon die Nacht zerstoben,
Da lenkt Francesco traumerwacht den Sinn
Vom Kommenden zum Gegenwärt'gen hin;
Ihm winkt Ginevras dunkler Strahlenblick,
Ihm blüht der Brautnacht still verschwiegnes Glück,
Und er enteilt, zur Strafe sie zu ziehen,
Die ihm zu trotzen wagte, ihn zu fliehen.
Schon steht er an des Brautgemaches Schwelle,
Er pocht und pocht, doch niemand spricht: Herein;
Und eingetreten sieht er sich allein
In seines Rosenlichtes Dämmerhelle. –
Wie, sollte im Klosett wohl, ihn zu necken,
Orsinis holdes Kind sich ihm verstecken?
Doch es steht leer; nur vom Balkon her wehte
Berauschend süß, als wär's Ginevras Hauch,
Der Duft herein von einem Rosenstrauch. –
»In der Kapelle weilt sie im Gebete!«
Vertröstet er sein ungeduldig Herz,
Und steigt die Stufen hastig niederwärts,
Und rasch betritt er die geweihten Hallen;
Doch schwarze Nacht umfängt ihn; feucht und kalt
Von Moderdüften fühlt er sich umwallt,
Als wär' er lebend schon der Gruft verfallen;
Und plötzlich durch die hohen Fenster bricht
Mondlicht herein, als spräch's: Hier ist sie nicht!
Da stürzt er fort, stürzt Treppen auf und nieder,
Sucht da und dort durch Hallen und Gemach,
Orsinis Alter' schreit vom Schlaf er wach,
Fragt, forscht, erzählt, und fort – fort treibt's ihn wieder,
Und angstgestachelt folgt ihm jener nach,
Und forscht wie er auf längst durchforschten Wegen.
Hier flüstert's – nein – doch horch! Von dorther schallt
Geräusch von Schritten! – »Halt, wer geht da? Halt!«
Doch sie – die zwei nur stürzen sich entgegen!
»Ginevra? Rede!« – »Weißt du nicht zu sagen?« –
So kreuzen wie zwei Schwerter sie die Fragen,
Die Antwort wechseln sie in einem Blick,
Und wenden ruhlos beide sich zurück,
Zu forschen wieder in des Hauses Runde,
Und wieder sich zu treffen ohne Kunde.
»Ginevra« schallt es hier, »Ginevra« dort,
Und höhnend widerhallt die Wand das Wort,
Doch ihrer Stimme Klang wird nicht vernommen! –
Entfloh sie, lösend ein verhaßtes Band?
War bessrer Rat ihr über Nacht gekommen?
Entführte sie bei Nacht dem Heimatstrand
Ein Kaperschiff nach Algiers fernen Buchten?
Wer macht' es sagen! Gings zur See, zu Land,
Vergebens suchten alle, die sie suchten;
Ein Sonnenstrahl, der glänzte und entschwand,
Ein Liedesklang, der tönte und verwehte,
Ein grünes Blatt, das heut im Wind sich drehte,
Und morgen führt der Sturm es übers Land,
Ward ihrer jemals eine Spur gefunden? –
Und so war sie, und so war sie verschwunden!
Und einsam sitzen Vater und Gemahl
Erloschnen Blickes, eingefallner Wangen,
Und starren vor sich hin im weiten Saal,
Vom Fest her reich mit Kränzen noch behängen;
Rings Becher umgestürzt beim frohen Mahl,
Zerrissne Larven, ausgebrannte Kerzen;
Sie aber sitzen mit gebrochnen Herzen,
Und Wahnsinn wirbelnd kreist um ihre Scheitel,
Und ihnen ist, als schriebe an die Wand
Mit Flammenzügen eine Geisterhand:
»Traut nicht dem Glück, denn alles Glück ist eitel!«

Ein halb Jahrhundert war seitdem verstrichen;
Der alte Mann, der lange Tag für Tag,
Ob Frost, ob Sonnenhitze draußen lag,
Durch Genuas Straßen mühvoll kam geschlichen,
Und lauernd stets das Auge, stumpf und starr,
Mit blödem Lächeln da und dorthin sandte,
Und niemals fand und suchte immerdar
Und seufzend dann nach Haus sich wieder wandte:
Er lag gebettet längst in tiefem Frieden,
Und suchte nicht vergebens mehr hienieden. –
Francesco auch fand längst, was er begehrt,
Den Schlachtentod durch ein Osmanenschwert.
Sie schliefen alle fest in ihren Grüften,
Die einst geschwelgt in jener Nacht voll Düften,
Die einst geflüchtet vor des Morgens Jammer;
Und wieder schmückt zu Festen froh und laut,
Zur Hochzeitsfeier einer holden Braut
Sich im Palast Orsini Saal und Kammer.
Und froh begleitet von der Diener Schar,
Durchmißt das Brautpaar musternd seine Hallen,
Verteilet die Gemächer nach Gefallen,
Und nimmt des künft'gen Haushalts ordnend wahr.
Durchwandert war das Haus auf allen Wegen;
Der Prunksaal war, das Schlafgemach erwählt,
Nur ein Klosett noch für die Herrin fehlt,
Ein heimlich Lauschversteck der Ruh' zu pflegen.
Und jetzt betreten sie ein Kämmerlein,
Bestellt, unnützes Hausgerät zu wahren,
Und uneröffnet, scheint's, seit vielen Jahren;
Nur matt und dämmernd dringt der Sonne Schein
Durchs spinngewebumflorte Fenster ein;
Doch draußen um die Scheiben spielen Ranken
Von frischem Efeu und von wildem Wein
Und grüßen nickend ins Gemach hinein,
Wie hoffnungsgrüne, freundliche Gedanken!
»Gefunden!« ruft das Brautpaar jubelnd aus,
»Kein Ort so traut, so still im weiten Haus;
Als ob er zum Klosett geschaffen wäre!«
»Nur schade,« setzt die Braut hinzu, »zu klein,
Nimmt dort am Pfeiler doch der alte Schrein
Wurmstichig, morsch, in unbeholfner Schwere
Ein Dritteil fast des ganzen Raumes ein. –
»Mißfällt er dir, so soll er ohne Säumen,«
Versetzt der Bräutigam, »die Stelle räumen.«
Und winkt den Dienern: »Weg dort mit dem Schrein!«
Doch als geschäftig jene nun ihn fassen,
Will seine Last von ihrem Platz nicht lassen,
Kreischt unter ihren Händen, ächzt und stöhnt.
Und plötzlich löst sich, laut wie Donner dröhnt,
Der Deckel aus den Fugen, birst entzwei,
Hoch auf wallt Staubgewölk, und jetzt – ein Schrei
Zuckt gellend laut ringsum von jeder Lippe –
Jetzt zeigt sich ihren Blicken ein Gerippe!
Hohläugig grinst sie all der Schädel an,
Als lächelt er und zeigt den weißen Zahn;
Und auf dem Scheitel ruht im blonden Haar
Ein Myrtenkranz, zerstäubend im Berühren;
Geschmeide, die Orsinis Wappen führen,
Nehmt funkelnd um den Knochenarm ihr wahr;
Was glänzt am Finger? Ist's des Traurings Schimmer?
Er ist's – und hier in ihres Sarges Trümmern
Der Rest von allem, was Ginevra war.
Ja sie, sie ist es, und dies ist ihr Sarg;
Sie dachte nicht solang' darin zu liegen,
Als schelmisch lächelnd sie hineingestiegen
Und neckend drin sich vor dem Gatten barg;
Wie strebte sie, sich recht hineinzuschmiegen,
Zu schließen über sich des Deckels Rand;
Der aber, bleiern schwer, entschlüpft der Hand,
Die Feder fällt ins Schloß; ein Schlag, ein Schrei,
Vergebnes Rufen, ängstliches Bestreben,
Die Wucht des Deckels wieder aufzuheben;
Gewimmer und Gestöhn – dann ist's vorbei,
Der Atem aufgezehrt, die Sinne schwinden!
Ein blühend Leben frisch und fromm und rein,
Ein liebetrunken Herz empfing der Schrein,
Und ließ ein Häufchen Asche wiederfinden!

Glück, was ist Glück? – Ein Schatten und nicht mehr –


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