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Am 30. Oktober 1835 fand im Wiener Burgtheater die erste Aufführung von Friedrich Halms »Griseldis« statt. Die Titelrolle war der Schauspielerin Therese Peche anvertraut, welche Rolle diese begabte Künstlerin mit anerkennenswerter Tüchtigkeit durchführte. Aber erst als in den folgenden Wiederholungen Julie Rettich, die vor kurzem neuerlich engagiert worden war, diese Rolle übernahm, und zu einer der »glänzendsten Bühnenpartien der neueren Zeit gestaltete«, ward der Erfolg des Stückes ein so außerordentlicher, wie er selten einem neuen Schauspiele auf der Hofbühne in Wien zuteil geworden. Halm schrieb am 1. Januar 1836 an Enk: »Was bei der ersten Vorstellung zweifelhafter Erfolg blieb, was in Tränen hinstarb und nicht verstanden und noch weniger begriffen wurde, stellte sich diesmal auf das glänzendste und würdigste heraus. – – Mögen nun auch einzelne lediglich zum Verdienst der Schauspielerin rechnen, was doch meine Frucht und meine Saat war, was liegt daran, den poetischen Wert der Griseldis werden sie mir doch nicht abstreiten. Ich bin voll Freude! Dank Ihnen, nächst Gott, lieber Enk, daß mir das Werk so gelungen ist und nun mit Gott vorwärts ...«
Friedrich Halm hat von der Stunde an die Künstlerin Julie Rettich bis zu ihrem Tode als die berufenste und bedeutendste Trägerin der wirksamen Hauptrollen seiner Stücke betrachtet, eine wahrhaft ideale Freundschaft hat ihn mit ihr, die seine Muse geworden, verbunden, eine Freundschaft, die fern von jeder sinnlichen Bedeutung nur den höchsten und edelsten dichterischen Bestrebungen galt, in welchen der Dichter und die Künstlerin sich gegenseitig einigten und förderten. Es ist zum Verständnis des folgenden nötig, mit einigen knappen Angaben zunächst der früheren Entwicklung der Schauspielerin Julie Rettich zu gedenken.
Julie Rettich ward 1809 zu Hamburg als das Kind des Schauspielerpaares Gley geboren, 1825 betrat sie die Bühne des Dresdener Hoftheaters, wo ihr vortreffliches Spiel selbst die Aufmerksamkeit Ludwig Tiecks erweckte. 1828 fand ihr erstes Gastspiel am Wiener Burgtheater statt, welche Bühne – wenn auch nicht dem Namen nach – damals Schreyvogel leitete. Nach einem zweiten späteren Gastspiele daselbst hatte Schreyvogel die Bedeutung der Julie Gley ganz erkannt, sie wurde 1830 am Burgtheater engagiert und rasch der Liebling des Publikums. Bei einem Gastspiele in Graz 1832 lernte sie den Hofschauspieler Karl Rettich kennen und vermählte sich 1833 mit ihm. Bald darauf aber erfolgte ihr Abgang von Wien infolge verschiedener zwischen Schreyvogel und dem Oberstkämmerer ausgebrochenen Mißhelligkeiten. Julie wurde an der Dresdener Bühne mit offenen Armen wieder aufgenommen. Als jedoch 1835 Landgraf Fürstenberg zum Hoftheater-Intendanten in Wien ernannt worden war und Julie wieder bei neuerlichem Gastspiele in Wien hohe Triumphe feierte, wurde das Ehepaar Rettich lebenslänglich durch kaiserliches Dekret für die Hofbühne engagiert. Julie Rettich gehörte seitdem ununterbrochen bis zu ihrem 1866 erfolgten Tode dem Verbande des Burgtheaters an, in dessen Geschichte sie eine der glänzendsten und charakteristischsten Bühnengestalten bildet.
Das war die Künstlerin, welche auf das Schaffen des Dichters Friedrich Halm von dem tiefgehendsten Einflusse geworden, der bei der Schöpfung jedes neuen Stückes an sie dachte und an die Bedeutung, welche die ihr darin zugedachte Rolle erlangen sollte. Das war jene Künstlerin, von welcher ihre Freundin und spätere Biographin Betty Paoli in dem unmittelbar nach der Rettich Tode verfaßten Lebens- und Charakterbilde: »Julie Rettich« (Wien 1866) mit Bezug auf den Dichter schrieb: Es »gestaltete sich zwischen ihnen ein Verhältnis, dessen Adel und Reinheit selbst die Verleumdung nie anzutasten gewagt hat, ein Seelenbund, wie er nur zwischen Menschen solchen Ranges möglich ist. Fortan stand Halms dichterisches Schaffen in unauflöslichem Zusammenhange mit der Frau, in der er das Ideal der Weiblichkeit, eine Verkörperung der Poesie erblickte. Jede edle Frauengestalt, die vor seinem inneren Auge auftauchte, trug ihre Züge, sprach zu ihm mit ihrer Stimme. Seine Dichtungen verkünden, was sie ihm war: die Seele des Alls. – – So haben beide unberechenbaren Einfluß aufeinander ausgeübt; ihnen wie der Kunst hat es zum Segen gereicht, daß sie sich fanden. Und nicht der Kunst allein. Auch dem Leben ist ein glorreiches Beispiel daraus entstanden: das Beispiel einer so reinen, so erhabenen Freundschaft zwischen einem Mann und einer Frau, daß der Gatte dieser Frau mit im Bunde der Dritte sein konnte und es wirklich war.« So weit Betty Paoli.
Es ist von Interesse und Bedeutung, in den Schöpfungen Friedrich Halms die Frauengestalten, welche der Dichter in seinen Dramen auftreten ließ, mit Bezug auf die Künstlerin Julie Rettich zu verfolgen. Mit den reiferen Jahren und seit jener Zeit, da die Rettich von zarteren jugendlichen Rollen mehr und mehr ausgeschlossen erschien, wurden von ihm »herbere, gewaltsamere, ältere Charaktere« für sie geschaffen, in denen sie dieselbe Meisterschaft bewährte wie in den jugendlichen Rollen und manchem weniger bedeutenden Werke des Dichters auf der Hofbühne zum Siege verhalf. Verfolgen wir diese Stücke, in denen allen Julie Rettich zum ersten Male in der ihr zugedachten Rolle auftrat, so wurden nach der Griseldis von ihr in Halmschen Dramen dargestellt: die Frauengestalten der Agnes im »Adepten«, (1836), des Perez im »Camoens« (1837), der »Imelda« in Imelda Lambertazzi (1838), der Edith in »Ein mildes Urteil« (1840), der Parthenia im »Sohn der Wildnis« (1842), in demselben Jahre auch der Imogen in der Bearbeitung der Shakespeareschen »Kinder Cymbelins«, der Vanina in »Sampiero« (1844), der Donna Maria in »Maria de Molina« (1847), der Stella in »Verbot und Befehl« (1848), der vielbewunderten Thusnelda im »Fechter von Ravenna« (1854), der Elektra in »Iphigenie in Delphi« (1856), der Poesie in dem Festspiel »Vor hundert Jahren« (1859), der Begum in »Begum Sumro« (1863 als Gast im Berliner Viktoria-Theater), der Elisabeth in »Ein Abend zu Titchfield« (1864). In allen diesen Stücken war Julie Rettich nicht nur die erste, sondern fast immer auch die beste Interpretin des Dramatikers, dessen Gestalten sie in einer diesen selbst oft überraschenden Weise zu verkörpern wußte. Aber sogar die lyrisch-epischen Gedichte Halms, welche sie, die Künstlerin auch des Wortes, Gelegenheit hatte, vorzutragen, brachte sie mit einer Meisterschaft zur Geltung, welche auf die Zuhörer den tiefsten Eindruck machte. Als Beispiel seien nur die Gedichte »Das Glöcklein von Inisfare« und »Das Kind der Mutter« hier angeführt.
Julie Rettich war aber nicht nur eine hochbegabte Künstlerin, sie war auch eine feingebildete Frau, welche nach allen Richtungen sich als das wahre Ideal einer Frau bewährte, noch in späterer Zeit beschäftigte sie sich mit Studien auf dem Gebiete der modernen Sprachen, um berühmte Dichtwerke fremder Nationen im Original kennen und verstehen zu lernen, sie betrieb geschichtliche und literarische Studien und stand immer auf der Höhe lauterster Bildung.
Eine reiche Zahl von Gedichten, zumeist bei verschiedenen Gelegenheiten entstanden, hat Friedrich Halm an Julie Rettich gerichtet, er unterließ es nie, in eigener zierlicher Abschrift mit einer poetischen Widmung versehen, auch jedes neue dramatische Werk zuerst der Künstlerin zu überreichen. Als diese im Jahre 1844 in Trient durch ein Gastspiel die Kunstfreunde daselbst überraschte, widmete ihr Halm das nachstehende (bisher nicht gedruckte) Sonett:
In Südens Land verkennen sie den Norden:
Dort sei kein Sommer, keine Nachtigallen,
Die dürft'gen Blüten seiner Waldeshallen
Pfleg' früher Winter grausam hinzumorden;
Es fehle dort der Stimme an Akkorden,
Die rührend weich ins tiefste Leben schallen;
Unfähig sei das Blut dort aufzuwallen,
So schmähten sie bis es zu viel geworden.
Bis dich, geboren an der Nordsee Küste,
Der Norden sandte, Zeugnis ihm zu geben,
Daß sie auch Sonnenschein und Blut und Leben;
Bis deine Stimme, Nachtigall, uns grüßte,
Bis du, des Nordens reichste hellste Blüte,
Des Südens Glut uns zeigtest im Gemüte.
Noch vor dem »Fechter von Ravenna«, welchen der Dichter auch im Drucke »Julie Rettich in dankbarer Verehrung gewidmet« und mit einem Huldigungssonette eingeleitet hatte, waren die an sie apostrophierten Gedichte entstanden mit der englischen, mit der italienischen, mit der französischen Übersetzung der Griseldis, das Gedicht »Beim Erscheinen der dritten Auflage der Griseldis« und mehrere andere an Julie gerichtete Stücke. Das Poem zum Geburtstag 1853 schließt mit den begeisterten Worten:
Es quillt in deiner tiefsten Brust,
Dir, unversiegt und unbewußt,
Ein Quell der Jugend und der Kraft,
Der rings um dich her Frühling schafft.
Daß der Dichter die Verehrung, welche er der Künstlerin entgegenbrachte, auch auf alle Glieder ihrer Familie übertrug, auch davon liegt mancher schöne poetische Beweis in seinen gedruckten und ungedruckten Dichtungen vor.
Julie Rettichs einzige Tochter Emilie genoß eine sorgfältige Erziehung und die ganze Liebe, welcher eine so ausgezeichnete Frau als Mutter fähig war. Aber sie heiratete später den italienischen Impresario Eugenio Merelli und ein unstetes Wanderleben der beiden ließ dieselben wenig im Bannkreise der Mutter weilen. Dagegen waren es die zwei Kinder des Paares, Karoline und Friedrich, welche, da sie die Eltern nicht begleiten konnten, schon von der frühesten Jugend an bei der Großmutter Rettich aufgezogen wurden, die reiche Sorgfalt und Liebe den Heranwachsenden zu teil werden ließ. Dort im Hause Rettich hat auch Halm namentlich der frisch blühenden Karoline, dem besonderen Liebling des Hauses, manches hübsche Lied geweiht, das auch in die Gesamtausgabe der Werke des Dichters aufgenommen erscheint. So das zur Taufe der Enkelin »An Julie Rettich« gerichtete Poem H. W. Bd. 7, S. 19., in welchem er der Großmutter gegenüber den Wunsch ausspricht:
Sie möge dir in jedem Sinne gleichen
An Herz und Geist und schöpferischer Glut,
An Trieb und Drang, das Höchste zu erreichen
An frischer Kraft und nie erschöpftem Mut! – –
Was du uns bist, dazu nach manchen Jahren
Reif' kommenden Geschlechtern sie heran,
Daß jene auch, wie wir durch dich erfahren,
Was Kunst vermag und was Begeist'rung kann.
Auch das humoristisch angehauchte Gedicht: »Späte Liebe (An Lilly)« H. W. Bd. 7, S. 37. hier aufgenommen S. 34. gedenkt des Kindes mit dem »blauen Auge« und dem »blonden Ringelhaar«, dem »kirschenroten Purpurmund«, an dessen Reiz sich weidend der Dichter still beglückt hinlebt. Freilich ruft er aus, nachdem er der Geliebten alle ihre Vorzüge im zierlichen Verse aufgezählt:
Sie hört's mit trocknen Augen,
Und führt zum Mund ihr Händchen dann,
Recht herzhaft dran zu saugen!
Ihr starrt mich an als wie im Traum,
Betroffen und verwundert!
Nun ja, sie zählt zehn Monden kaum
Und ich ein halb Jahrhundert.
Eine schwere Krankheit hatte nicht lange Zeit danach das Kind niedergeworfen und tiefen Kummer und Sorgen der Umgebung und zumal der um das Leben ihres Lieblings zitternden Großmutter bereitet. Damals entstanden die vier Sonette: »Am Krankenbett eines Kindes«, welche sich im Nachlasse des Dichters fanden und die bisher ungedruckt geblieben sind. Zwei derselben mögen hier ihre Stelle finden und der Empfindung Ausdruck geben, welche Halm der Enkelin Julie Rettichs entgegenbrachte:
Du liegst so fromm auf deinem weißen Pfühle,
Du trägst so still der Krankheit Leid und Qual,
So mild glänzt deines Blickes trüber Strahl,
Als ob kein Fieber dir im Marke wühle!
O lös' in Klagen dieses Schweigens Schwüle,
Brich aus in Tränen ohne Maß und Wahl,
Schilt bitter die Arznei, die Speise schal
Und ruf' nach Labung, die die Glut dir kühle!
Laß deine Sanftmut, die ins tiefste Herz
Mich tiefer trifft als ungestümer Schmerz,
Nicht vorbedeutend meiner Sorge sagen:
Schon wüchsen Schwingen an den Schultern dir,
In deine Heimat, Engel, dich von hier
Zu deinen Schwestern scheidend fortzutragen.
— — —
Nicht immer plötzlich bricht das Glück herein,
Auch langsam liebt es wohl heranzuhinken,
Und pocht erst, statt die Tür rasch aufzuklinken,
Und drückt sich in die Ecke, trat es ein.
Als sorgt' es, daß vor seinem Freudenwein
Wir Dürstenden uns Tod statt Labung trinken,
Nur zögernd läßt es seine Hüllen sinken,
Und zeigt sich uns in seinem Strahlenschein.
Und so auch ungeahnt mit leisen Schritten,
Genesung, kamst du ihr herangeschritten,
Als blasser Hoffnungsschimmer nahst du erst,
Bis ihre Wangen sich allmählich röten,
Ihr Auge leuchtet, bis nach herben Nöten
Dein Füllhorn endlich du aufs Haupt ihr leerst.
Schon im Sommer 1837, als das Ehepaar Rettich in Dornbach weilte, war der Dichter daselbst ein gern gesehener Gast.
Seitdem wohnte Münch gern des Sommers auf dem Lande und manche seiner poetischen Schöpfungen sind außerhalb der Mauern der Stadt entstanden. Insbesondere war dies der Fall, als sich das Ehepaar Rettich in den vierziger Jahren jenes Landhaus in Hütteldorf baute, in welchem Halm später so viele schöne Stunden im Kreise der lieben Familie zubrachte. Das Gedicht »An Karl und Julie Rettich. Zur Grundsteinlegung beim Bau ihres Landhauses« H. W. Bd. 1, S. 123 hält die Erinnerung an die Gründung dieses Hauses fest, in dessen unmittelbarer Nähe sich Baron Münch selbst eine Zeit darauf ein Häuschen erbauen ließ, das er im Sommer bewohnte und nun den Freunden ganz nahe war. In diesem Häuschen sind die meisten der späteren dramatischen Werke des Dichters abgefaßt. Dort in Hütteldorf führte er auch die Aufsicht über die Enkelkinder der Rettichs, wenn das Paar selbst in der Stadt beschäftigt oder zu Gastspielen verreist war. Und wie sorgsam der Dichter das Leben und Treiben und Emporblühen dieser Kinder überwachte, davon gibt eine reiche Zahl von (ungedruckten) Briefen an Karl oder Julie Rettich Kunde. Nicht selten sind diesen Briefen einige Zeilen in den ungelenken kindlichen Schriftzügen von den Kindern selbst an die »Omama« oder den »Opapa« beigefügt.
Welche Gefühle und Empfindungen Münch dem Paare Rettich und zumal Julien stets entgegenbrachte, davon mögen einige hier zum erstenmale gedruckte Briefe Zeugnis ablegen, deren erster auch des so gräßlich umgekommenen Freundes Enk erwähnt. Der Brief ist vom 9. April 1845 datiert, an die eben in Prag Weilenden gerichtet und anläßlich des Geburtstages Juliens abgefaßt. Er lautet:
»Ich hätte nie geglaubt, liebe Julie, in die traurige Lage kommen zu können, Ihnen zur Feier Ihres Geburtstages meine Wünsche schriftlich darbringen zu müssen. Es ist nun doch so gekommen; was würde aus der Welt und den Menschen, wenn sie so wenig auf sich selbst rechnen dürften als auf die Umstände? Was Ihren Geburtstag betrifft, so wissen Sie, was ich Ihnen wünsche; alles Heil der Erde, Gesundheit, langes Leben, Freude an der Mile usw. Das alles wünsche ich Ihnen, aber zugleich für mich selbst, denn was könnte Sie, Rettich und Mile, berühren und spurlos an mir vorübergehen. Ich hoffe, Sie erhalten diese Zeilen noch vor dem 17. und werden an diesem Tage mit den Ihren meiner gedenken, der ich beschlossen habe, diesen Tag auf meine Weise im stillen zu feiern, das eigentliche Fest behalte ich mir auf den Tag Ihrer Heimkehr bevor, wenn er nur schon käme, dieser glückliche Tag. Sie werden auf der Reise viel Kälte ausgestanden haben, die Nächte waren sehr kühl und ich kann nicht ohne Unmut an die Art und Weise denken, wie Sie dieselben des Kindes wegen zugebracht haben werden. Heute, mögen Sie von Prag nun abreisen oder nicht, werden Sie doch jedenfalls bequem sitzen. Haben Sie schlechte Wege gehabt, der Überschwemmung wegen Umwege machen müssen, wie geht es Ihrem Kopf? Über alle diese Fragen bitte ich um kurze aber baldige Antwort. Was meine Stimmung betrifft, so war ich nie übellauniger als jetzt, nie verdrießlicher und auch nie geplagter; die Sophie ist schlechter als je, mein Sohn hat sich den Tag nach ihrer Abreise wegen Fieber zu Bette gelegt und liegt noch, und ich sitze bei der Elektra, die langsam, langsam weiterrückt. Ich muß dabei sehr viel an Enk denken. Habe ich doch das letzte Mal, da Sie mich allein hier zurückließen, während der Lemberger Reise so viel an ihn und sein trauriges Schicksal, das ihn kaum hingerafft hatte, in meiner Einsamkeit denken müssen, und nun kehrt mir mit derselben Situation auch dieselbe Gedankenreihe wieder. Für die andern ist er begraben und vergessen, nur in mir klingt die gesprungene Saite noch immer nach. Ich habe immer wenig Vertrauen zu mir selbst gehabt und mit ihm ist der größere Teil davon zu Grabe gegangen; der größere Teil sage ich, nicht alles; den Rest unterstützen und halten Sie und Sie sind nun auch fort! Zum Glück liegt mir an meinen Arbeiten nicht mehr so viel wie vor Jahren; ich bin zur Einsicht gekommen, daß vom Leben noch andere Dinge zu fordern, zu erwerben und zu erringen sind als literarische Erfolge, und was mich in dieser Rücksicht noch ängstet und stachelt, ist die Sorge, auf eine ehrenvolle und rühmliche Weise von einer Bahn zu scheiden, auf der für mich in meiner jetzigen Geistesstimmung wenig mehr zu holen sein dürfte. Sie sehen, daß es mit Ihrer Abreise bei mir Abend geworden ist, von allen Enden und Ecken bricht die Melancholie herein und ich werde ihrer nicht los werden bis Sie wiederkommen; dabei bin ich aber so fleißig als Sie nur wünschen können, ich feiere nie und bin täglich bis 11 Uhr an der Elektra.
Teurer Freund! Das Leben hier ist unausstehlich und ich seufze täglich zehn- und zwanzigmal so tief und unmutig, daß Sie selbst es nicht besser machen könnten. Was Ihnen dort an Lärm, Bewegung, Gedränge zu viel sein wird, wird mir hier beinahe zu wenig werden. Es ist angenehmer, allein zu sein, als bei Fremden, aber es macht sehr traurig. – –
Teuerste Julie! Auch Sophie und Albertine bitten Sie, ihre besten Wünsche zu empfangen. – – Leben Sie wohl, gedenkt meiner in Liebe, der im Gedanken immer bei euch ist und gern ein paar Jahre seines Lebens hingibt, immer und auch jetzt bei euch sein zu können.
Münch.«
Ein anderes Schreiben finde hier seine Stelle, das Münch an Julie Rettich, die eben auf einer Gastspielreise begriffen war, im Jahre 1856 von Karlsbad aus richtete, wo der an einem Magenleiden Erkrankte die Kur gebrauchte. Es ist vom 5. Juli datiert und lautet:
»Liebste Julie! Sie sind die beste, treueste Seele, die hier auf Erden herumgeht! Ihr Brief, den ich eben erhalten habe, hat mir das Herz aufgehen gemacht und nur um so schmerzlicher empfinde ich jetzt Ihre Abwesenheit und die Unmöglichkeit, Ihnen für Ihre freundlichen Worte das Pfotel zu küssen. Ich bin trotz der unsäglichen Kälte glücklich in Karlsbad angekommen, mußte aber für den ersten Tag wegen Überfüllung mit einem Bedientenzimmer vorlieb nehmen, in dem ich wegen Mangel an Tisch, Schreibgeräte und Sitzort, denn alles war voll Kleider und Wäsche, buchstäblich nicht schreiben konnte. Erst (heute) habe ich ein erträgliches Zimmer erhalten und eben setze ich mich hin, um zu schreiben als Ihr liebes Schreiben ankam, auf das ich nur wiederholen kann: Sie sind die beste, treueste Seele, die auf Erden herumgeht. Ich habe gestern, ein hübscher warmer Tag, tausendmal an Sie gedacht und hin und her spintisiert, wie es wohl Ihnen und dem Fechter gehen würde. Ich habe die besten Hoffnungen und habe sie noch, trotz Ihres Hiobsbriefes. Was den Erfolg des Gastspieles beeinträchtigen kann, ist nach meiner Ansicht nur das schöne Wetter und, Gott sei Dank, es trübt sich der Himmel soeben hinlänglich und so ansehnliche Wolken steigen rings herauf, daß keine Aussicht für uns ist, die Winterröcke abzulegen:
Nur frisches Blut, nur heitern Mut,
So steht's mit uns noch immer gut!
Sengen Arzt. gibt mir für meine Kur die besten Hoffnungen; von Franzensbad ist nicht die Rede, dagegen muß ich im Sauerbrunn unter dem Schweizerhofe baden, was eben die Wirkung haben soll wie Franzensbad. – – Ich bin sehr verstimmt, niedergeschlagen und traurig in Karlsbad angekommen; allein ich hoffe, der guten Luft, der Macht des Brunnens und der reizenden Gegend wird diese Verstimmung weichen und ich werde erträglich zusammengeflickt nach Wien zurückkehren. Wenn ich nur von Ihnen gute Nachrichten erhalte! Laube ist schon hier und überhäuft mich mit Freundlichkeit in solcher Art, daß ich Kriegslisten ersinnen muß, um ihm zu entgehen. – – Dessauer ist hier und kommt erst im August nach Aussee zurück, was mir Rettichs wegen unangenehm ist, der jetzt in Aussee gar keine Ansprache findet als Stubenbergs. Binzer ist aber bereits von Venedig in Wien angelangt und so wird das Seehaus sich denn auch bald bevölkern. Ich habe den Rettich am Tage seiner Abreise in Hütteldorf an der Straße abgepaßt, und es war mir ganz sonderbar zu Mute, als ich ihn im Eilwagen an mir vorüberkutschieren sah. – Wenn es nur in Breslau gut geht, das übrige ist der Rede nicht wert. Laube treibt es entsetzlich mit der Elektra; ich habe sie ihm aber noch nicht geben können, da ich die Abschrift erst korrigieren muß. Er ist sehr begierig auf den Erfolg des Gastspieles und leugnet hartnäckig, an der Verweigerung der Kostüme Teil gehabt zu haben; was ich aber nicht recht glaube. Der Dichter Ebert ist hier und da er mich zu Wien besucht, so werde ich meinerseits ihn hier aufsuchen. – Nun wissen Sie alles, was Ihnen allenfalls von Karlsbad zu wissen interessant sein kann, wenn ich den Schweizerhof ausnehme, von dem ich zu berichten habe, daß er sehr verschönert worden und seitdem sehr besucht ist. Von meinen Empfindungen spreche ich zuletzt, sie sind sehr gemischter Natur! Vor allem wünschte ich, bei Ihnen zu sein; dann bin ich wieder froh, Sie durch meine Reizbarkeit und Verstimmung nicht verletzen zu können; zugleich wünsche ich aber doch, Sie möchten recht viel Sehnsucht nach mir empfinden! Wie verlassen fühle ich mich noch ohne Sie, und wie wenig bin ich gleichwohl geeignet, Ihnen in irgend einer Beziehung als Trost und Stütze dienen zu können. Diese Betrachtung ist es, die mich noch am meisten wünschen läßt, wieder gesund zu werden und mich anspornt, mich allen Anstrengungen der langweiligen Kur zu unterwerfen; ich will nur sein, wenn ich Ihnen etwas sein kann.
Leben Sie jetzt recht wohl; gedenken Sie meiner freundlich und oft, lassen Sie mich, wenn auch nur in ein paar Zeilen, von dem Fortgange der Gastspiele hören; angenehme Rezensionen bitte ich auszuschneiden und beizulegen; Sie wissen, mich freut das. Leben Sie wohl. Gott segne Sie tausendmal. Ewig der Ihre. Münch.«
Der letzte hier noch wiedergegebene Brief an Julie Rettich ist wenige Jahre vor dem Tode abgefaßt. Auch dieses Schreiben sucht die Künstlerin auf einer Gastspielreise in Hamburg auf und erweist dieselbe treue liebevolle Gesinnung des gealterten Dichters. Der Brief ist aus Wien vom 17. März 1864 datiert und lautet folgendermaßen:
»Liebste, teuerste Julie! Dieser Brief findet Sie in Hamburg, wenn Sie bereits den ersten Kampf bestanden und wie ich hoffe, siegreich bestanden haben. Wo würden Sie auch nicht siegen? Von Ihrer Reise weiß ich bis jetzt nur, daß Sie plötzlich in Breslau angekommen; die Fortsetzung wird, hoffe ich, nicht wieder plötzlich ausgefallen sein. – – Die Gedichte, die Sie verlangen, sende ich in der Anlage, obwohl ich bei Gott nicht weiß, was Sie damit anfangen wollen; zum öffentlichen Vortrag sind sie durchaus nicht geeignet. Vom Fechter habe ich kein Manuskript, übrigens dürfte das Buch wohl in jedem Buchladen zu haben sein! Sie schwimmen nun im offenen Meer und haben Beschäftigung und Emotion mehr als Sie bedürfen. Wir aber führen ein verwünscht trauriges Leben, ich spiele alle Abend Tarok und ennuyiere mich den Rest des Abends wie ein Mops. Ich habe die Begum hervorgesucht, um die Änderung im vierten Akt vorzunehmen, ich weiß aber nicht mehr recht, was Sie eigentlich geändert haben wollten und eine Rolle, die gestrichen werden kann und die Beseitigung des zweiten Öffnens des Vorhanges ausgenommen, weiß ich nicht, was zu ändern ist. Ich muß mit Ihnen noch einmal darüber sprechen. Die Kinder sind frisch und lustig und reden nur dann und wann von der Omama; desto öfter und schmerzlicher denke ich an Sie und eine Ihrer Äußerungen vom letzten Abend liegt mir vor allem schwer auf dem Herzen, nämlich die: Sie wollten womöglich nach Strelitz, denn diesmal nähmen Sie Abschied vom Norden, Sie kämen nicht mehr dahin! – Was soll das heißen? – Warum sollten Sie nicht mehr hinkommen? – Ich denke, Sie haben noch für Jahre hinaus Kraft Ihre Gastrollen fortzusetzen! Oder was wäre es denn sonst, das Sie mit dem Gedanken erfüllt, Sie müßten vom Norden Abschied nehmen? – Liebste, teuerste Julie! Alles Glück und alles Gute sei mit Ihnen; für mich gibt es nur ein Glück und eine Freude mehr, Sie hier zu haben. Gott segne, schütze und erhalte Sie, machen Sie ihm aber auch die Mühe nicht zu schwer; strengen Sie sich (nicht) übermäßig an, denken Sie an Ihren Arm und schonen Sie sich! Denken Sie, daß Sie mir die einzige Lebensfreude, für die Kinder aber buchstäblich das Leben sind, denn was sie ohne Sie würden, weiß ich nicht und kann ich nicht denken! Gott beschütze Sie und in Ihnen uns alle! Ewig der Ihre Münch.«
Man begreift, was der im April 1866 erfolgte Tod dieser Freundin für den Dichter bedeutete, ihm war durch denselben eine Sonne untergegangen, die Jahrzehnte hindurch mit ihren Strahlen ihn und sein poetisches Schaffen gewärmt und erquickt hatte. Ein Brief vom 9. August 1866 aus Hütteldorf an den zurückgebliebenen Gatten und Freund Karl Rettich zeugt noch von den Gefühlen, die Baron Münch über Julie Rettichs Grab hinaus unentwegt auch deren Lieben entgegenbringt. Derselbe möge als letztes der hier mitgeteilten Schreiben wiedergegeben sein:
»Liebster, teuerster Freund! Ich habe in der letzten Zeit wieder viel ausgestanden; der Tod meines Onkels Dieser Onkel, der hervorragende Staatsmann Joachim Eduard Graf von Münch-Bellinghausen, starb am 3. August 1866 zu Wien. überhäuft mich mit Geschäften aller Art, da die Abwicklung der Verlassenschaft auf meinen Schultern liegt. Dazu fangen meine Augen immer wieder von neuem an, Sprünge zu machen und ich sehe mich gleichwohl genötigt, sie jetzt mehr als sonst anzustrengen. Indessen ich hoffe, das wird vorübergehen und ein ansehnliches Erbteil gewährt mir die Aussicht, meinen letzten und einzigen Lebenswunsch, nämlich für die Lebensfreude der Hinterlassenen der teuern Hingeschiedenen sorgen und wachen und ihre Wege so glatt machen zu können, als sie es getan hätte, einigermaßen erfüllt zu sehen. Ich rechne darauf, daß Ihre Freundschaft mir hierin durch übertriebenes Zartgefühl keine Hindernisse bereiten werde und daß Liebe vertrauend empfangen wird, was Liebe sich zu geben sehnt. Die Kinder sind frisch und gesund und freuen sich auf Opapa. Die Einquartierungslast ist groß, aber nicht eben genierend. Kommen Sie nur gestärkt und gekräftigt zurück und wir wollen einen guten stillen Herbst verleben. Von der Politik rede ich nicht. Die Zeitereignisse, die mich zu jeder anderen Zeit im Innersten vernichtet hätten, sind seit Juliens Tod für mich machtlos geworden. Nach diesem Schlag ist alles zu ertragen. Gott segne Sie und stärke Sie.
Ihr unveränderlicher Münch.«
In dem Nachlaßbande der Gedichte Halms aber, welchen F. Pachler herausgegeben, findet sich unter dem Sammeltitel »Schwere Jahre 1866-1867« eine Zahl tiefempfundener Gedichte, welche auf die letzte Krankheit und den Tod Juliens Bezug haben und die Stimmung des Dichters und den Schmerz über das, was er an der Freundin verloren, kennzeichnen. Eines dieser Gedichte, in dem sich der Verlassene selbst zu trösten versucht, schließt mit den die Künstlerin verherrlichenden Versen:
Du hast gestrebt und du gewannst den Kranz: Wie viele auch mit dir um ihn gerungen,
Dein war er, dein! Du trugst ihn voll und ganz,
Und noch im Tode hielt er dich umschlungen. – –
Du gingst dahin im hellsten Strahlenlicht
Des Ruhmes, der verklärt dein Künstlerwallen,
Nicht wie der Docht erlischt, dem Öl gebricht,
Du bist ein Stern, vom Himmel uns gefallen.