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Sumpfkreuzkrautpflanzen.
Darauf erhob sich ein leiser Wind und begann zuerst sanft wie das Flüstern eines Engels, dann jedoch an Stärke zunehmend, die See zu bewegen. Die Männer erhoben die Augen und blickten sich gegenseitig ins Gesicht. Jeder einzelne kämpfte mit der Idee, daß er vielleicht das Opfer einer Sinnestäuschung sei. Der kalte Atem des Windes berührte sie jedoch unverkennbar.
»Fängt es nicht an, von Südwesten her zu blasen?« fragte Crennell in unsicherem Flüsterton. Bei diesem Worte sprang der alte Quillasch auf die Beine. Die Gedanken an alles Übernatürliche waren ihm vergangen. »Jetzt schnell die Schoten auf und die Segel gesetzt,« rief er, seinen Priem ausspeiend.
Einer nach dem andern erhoben sich die Männer und gingen an ihre Arbeit. Trotz ihrer fast steif gefrorenen Gliedmaßen war alles wie mit einem Schlage Rührigkeit und Leben. Lachend zogen sie die Taue stramm, ja, mit ihren heiseren, knarrenden, tränenverschwommenen Stimmen lachten sie in ihre graugesprenkelten Bärte hinein. Ein grausiges Gefühl des Lächerlichen hatte sich ihrer bemächtigt. Es war der schnelle Rückschlag von ihren ernsten Gedanken.
Als das Boot seine Segel wieder fühlte, schüttelte es sich wie ein seine Flügel versuchender Vogel, und dann schoß es in voller Flucht davon.
»Beeilt Euch da mal. Geht ins Zeug, Menschenkinder. Ihr kriecht aber auch wie die Schnecken umher, Burschen! Zieht, Jungens, zieht! Wofür habt Ihr Eure Arme sonst etwa?« Die Augen des alten Quillasch, die vor kurzem noch blind vor Tränen gewesen waren, blitzten nun in hellem Mutwillen. »Wer hätte nicht gehört, daß eines Manxmannes Wappen drei Beine trägt?« Anspielung auf das Wirtshaus gleichen Namens. sagte er begehrlich grinsend. Wie die Männer lachten! Welch einen Humor die ganze wilde Bande an den Tag legte!
»Für welchen Hafen stimmt Ihr, Billy?« rief Corkell.
»Für Peel, Junge, für Peel, hol's der Teufel, für Peel,« schrie Quillasch.
»Hurra! Herzhafter Kerl! Ha, ha, hi, hi!«
»Hurra! Die Cushags bergen doch noch Gold.«
Wie sie arbeiteten! In zwei Minuten war der Mast aufgerichtet, und sie standen mit gesetztem und gefülltem Groß- und Besansegel aus. Von den Ufern des Todes schienen sie in die Wässer des Lebens hineinzusegeln, und ihre Herzen waren von neuem von Hoffnung erfüllt.
Sie begannen sich darüber zu unterhalten, was den Wind verursacht haben könne, »'s war der heilige Patrick,« sagte Corkell. Der heilige Patrick war der Schutzheilige jener See, und Corkell war mehr als ein halber Katholik, seine Mutter war ein Fischweib von Kinsale gewesen.
»Der Teufel mag den heiligen Patrick holen –« rief Ned Tere unter spöttischem Lachen; und sie fingen an sich zu streiten und wurden schließlich handgemein.
Der alte Quillasch stand am Steuer. »Laßt gut sein,« rief er, »wir befinden uns im niederen Strom, der nach Contrary führt und werden in zehn Minuten im Hafen sein.«
»Allmächtiger Gott! wir laufen zehn Knoten die Stunde,« sagte Tere.
In weniger als zehn Minuten segelten sie, nachdem sie achtzehn Stunden auf dem Wasser zugebracht hatten, an der Schloßinsel vorüber und an die hölzerne Landungsbrücke hinan.
Kein einziger unter den Männern hatte Dan auch nur einen Gedanken geschenkt und ihn gefragt, ob es sein Wunsch sei, nach der Insel zurückzukehren oder nach einem fremden Hafen, wo sein Name und sein Verbrechen unbekannt waren, zu segeln. Nur Davy, der Schiffsjunge, war ihm nahe bei den Luken geblieben. Dans Gesicht trug einen festen und entschlossenen Ausdruck, der Abglanz eines Lächelns lag auf seinen festzugekniffenen Lippen. Seine Verzweiflung hatte sich in Mut verwandelt, und er kannte keine Furcht mehr.
Die Sonne war untergegangen, und die Dunkelheit nahm zu, und durch den Dunst des Tages erhob sich der feuchte Nebel, als das Fischerboot auf der Leeseite unter dem Licht einer von einem Stock am Brückenende herabhängenden gerade angezündeten Laterne anlegte. Der Hafen war fast ganz verlassen. Nur der alte Hafenmeister war dort und ließ, als ob es zu seiner Pflicht gehöre, während ihres ungeschickten Hin- und Herpolterns seine kräftigen Flüche ertönen. Nie vorher hatte des alten Brummbärs knurrende Stimme ihnen so sehr wie Musik geklungen, und sogar seine augenscheinlich schlechte Laune erschien den Männern frohe Botschaft und beruhigte sie, daß bis dahin noch kein Verdacht auf sie gefallen sei.
Die Fischer traten gemeinsam ihren Heimgang an, nur Dan ging allein von dannen. Er schlug den nächsten Weg nach Hause ein. Sieben lange Meilen wanderte er in der Dunkelheit die einsame Straße entlang; kein Stern leuchtete ihm, nur der sich im letzten Viertel befindende Mond kämpfte mit den vom Winde getriebenen Wolken und erhellte, ohne wirklich hervorzukommen, stellenweise den Himmel. Während er den Ort Michael durchschritt, fiel es ihm, trotzdem sein Geist anderweitig beschäftigt und sein Auffassungsvermögen verdunkelt war, auf, daß eine noch größere Stille als gewöhnlich auf der Straße herrschte, und daß nur in wenigen Häusern Licht hinter den Fenstervorhängen brannte. Sogar die niedrige Türe der »Drei Beine von Man« fand Dan verlassen, und kaum ein Laut schallte aus der kleinen Schänkwirtschaft zu ihm heraus. Nur in einer ganz unklaren Weise nahmen Dans betäubte Sinne, während er seinen Weg verfolgte, diese Eindrücke auf, kaum jedoch hatte er die Straße verlassen, als er die Ursache dieser Öde erkannte. Ein greller Lichtschimmer, wie von vielen Laternen und Fackeln, strahlte von einem vor ihm liegenden Punkt aus, und obgleich er in seiner Verwirrung es nicht früher bemerkt hatte, erhellte derselbe die ganze Luft rund umher. Inmitten dieser Lichter kamen und gingen in der Dunkelheit die Gestalten vieler Leute, deren Gesichter manchmal grell beleuchtet, manchmal von dem Schatten der Fackeln gänzlich verdunkelt waren.
Trotz seines umnachteten Auffassungsvermögens wurde ihm das ganze Vorgehen in einem Moment klar, und abgestorben wie sein Innerstes nach dem Schrecken der vergangenen vierundzwanzig Stunden schon war, schien ihm nun das Herz im Leibe zu gefrieren.
Es war eine Beerdigung bei Fackellicht. Dieser veraltete Gebrauch war längst abgeschafft und wurde nur beim Begräbnis eines Menschen, dessen Todesart zweifelhaft, oder der von den Wellen am selben Tage ans Land gespült war, noch geübt.
Die Leute hatten sich auf der der Straße nächsten Seite des Kirchhofs, zwischen Kirche und Straße, aufgestellt. Dan schlich sich an die entgegengesetzte Seite heran, übersprang die niedrige Steinmauer und verbarg sich unter dem Schatten der Sakristei. Er stand gerade unter dem Fenster, aus dem er, an jenem lang vergangenen Weihnachtsabend nach seinem tollen Knabenstreich am Oiel Verree, gesprungen war.
Um eine offene Gruft herum standen etwa drei oder vier Leidtragende, deren Gesichter eine in ihrer Nähe rauchende und flackernde Fackel beleuchtete. Dan sah den Bischof mit seinem schneeweißen, entblößten und tief gesenkten Haupt, und ihm zur Seite in seinem Mantel und Biberhut, mit unter dem Kinn gekreuzten Armen Jarvis Kerrisch. Und von einer Seite zur andern, schnellen, nervösen Schrittes ab und zu gehend, und dazwischen seine schrillen Befehle und Anordnungen den vier in die Grube hinabgestiegenen Totengräbern zurufend, sah er die rastlose, kleine Gestalt des Deemsters. Hinter dieser und um sie herum standen mit bald von den Fackeln beleuchteten, bald überschatteten Gesichtern mehrere Leute, aus deren Mitte ein leises, wie von vielen Flüstertönen hervorgerufenes Gemurmel erschallte.
Dan bebte von Kopf zu Fuß. Sein Herz schien ihm still zu stehen. Er wußte nur zu genau, zu welchem Zweck die Leidtragenden hier versammelt waren; sie wollten Ewan begraben. Er fühlte sich versucht, aufzuschreien und darauf sich abzuwenden und zu entfliehen. Kein Ton jedoch wollte ihm über die Lippen, und an jedem Gliede bebend, konnte er ebenfalls sich nicht fortbewegen. Stillschweigend stand er da, sich mit zitternden Fingern an der Steinwand haltend.
Die Leiche war in ihr letztes Heim hinabgelassen, und die kurze Totenfeier begann. Ein Trauergottesdienst wurde nicht gehalten, der Bischof streckte aber seine Hände über das offene Grab aus und sprach ein Gebet. Dan hörte die Worte, es schien ihn jedoch nur die Stimme zu erreichen. Sie schlug, wie eine vom Wind getriebene Seemöwe in stürmischer Nacht gegen ein Fenster schlägt, an sein stumpfes, betäubtes Gehirn. Während der Bischof in gebrochener Stimme betete, vermischte sich das tiefe Brausen der See von dem entfernten Strande mit dem leisen Gemurmel der Leute.
Dan fiel atemlos und zitternd auf seine Knie. Er versuchte ebenfalls zu beten, kein Gebet jedoch wollte ihm einfallen. Sein Geist war zerschmettert, seine Seele leer. Seines Vaters bebende Stimme hielt inne, und darauf entfuhr ein halb unterdrücktes Stöhnen seinen eigenen Lippen. In dem tiefen Schweigen schien dieser Laut jedem Ohr vernehmbar, und das scharfe Gehör des Deemsters fing ihn sofort auf. »Wer ist da?« rief er, sich umwendend.
Alles war jedoch wieder still, und dann begannen die Leute zu singen. Die Fackeln, die harten, faltenreichen, vom flackernden Licht beschienenen Gesichter, der weißhaarige Bischof, der unstäte Deemster gewährten einen sonderbaren Anblick, die über das offene Grab in die Nacht hineintönenden Stimmen einen sonderbaren Klang. Und als Dan von dort, wo er kniete, seine Augen erhob und beim Schein der Kerzen zu der Turmuhr aufblickte, sah er, daß ihre Zeiger noch auf fünf standen.
Er sprang auf und verließ den Kirchhof, dessen Gras seine Schritte dämpfte. Einen Moment glaubte er, Fußtritte hinter sich zu vernehmen. Er blieb stehen und streckte halb erschreckt seine Arme dem Laut entgegen. Es war jedoch nichts. Nachdem er die Steinmauer übersprungen hatte, ertappte er sich darauf, daß er von neuem stille stand und horchte, ob er verfolgt würde.