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Dan erhob sich als ein ernüchterter Mensch und ging, ohne mit irgend jemand ein Wort zu wechseln und ohne mit seinen verschwommenen, blutunterlaufenen Augen irgend jemand ins Angesicht zu blicken, aus der durchräucherten Schenke hinaus. Er schlug den Pfad zum Strande ein, und hinter ihm her schlich mit niedergeschlagenen Augen, wie ein Hund hinter seinem Herrn, Davy Fähle. Nachdem sie den Strand erreicht hatten, wandte Dan, einen oder zwei Fuß vom Rande des Wassers dahinschreitend, seine Schritte Orris Head zu. Während er das Sandufer entlang eilte, kam mit schmerzlicher Empfindung seine vergangene Kindheit ihm in die Erinnerung zurück. Er sah sich mit Ewan und Mona den Strand dahinfliegen, den Möwen zuschreien, die Wasserraben nachäffen, die Klippen, wo der langhalsige Vogel seine gefleckten Eier legt, und die Schluchten, wo unter dem frischen Gras der Seelavendel wächst, entlang klettern. Unter der Felsenspitze setzte er sich auf einen Felsblock nieder und lüftete die Mütze von der brennenden Stirne; kein Windhauch jedoch bewegte sein weiches Haar.
Dan erhob sich mit einem neuen Entschlusse. Er wußte nun, welchen Weg er einzuschlagen hatte. Er wollte zum Deemster gehen und die Gewalttat, die er sich hatte zuschulden kommen lassen, eingestehen und sich der gerechten Strafe des Gesetzes unterwerfen. Mit schnellen Schritten eilte er über den Strand zurück. Davy folgte ihm bis an die Einfahrt vom neuen Ballamona und stolperte dann unten am Fuße von Slieu Dhoo entlang. Dan fand des Deemsters Haus in großer Aufregung und Christopher hier- und dorthinlaufend. Auf Dans Anrede schwenkte er nur den Arm und schrie irgend etwas Unverständliches als Antwort zurück, um dann zu verschwinden. Die blinde Kerry war ebenfalls dort, und als Dan sie während ihres eiligen Ersteigens der Treppe fragte, konnte er ihrer flüchtigen Antwort nur das Eine entnehmen, daß irgend jemand sterbenskrank sei, wie man zu sagen pflegt, und darauf war sie im nächsten Augenblick ebenfalls verschwunden. Dan stand unter dem Gefühl eines unabwendbaren Verhängnisses in der Vorhalle. Was konnte vorgefallen sein? Ein entsetzlicher Gedanke durchfuhr wie ein Blitz sein Gehirn. Der Schweiß lief ihm von der Stirne herab. Er konnte die Ungewißheit nicht länger ertragen und hatte einen Fuß auf die Treppe gesetzt, um der blinden Frau zu folgen, als er einen leichten Tritt die Stufen herabkommen hörte. Im nächsten Moment stand er Mona gegenüber. Sie errötete heftig, und er wagte nicht, das Haupt zu ihr zu erheben.
»Ist es Ewan?« fragte er, und seine Stimme klang wie ein heiseres Flüstern.
»Nein, seine Frau,« sagte Mona.
Es ergab sich, daß nicht lange nach Tagesanbruch Ewans junges Weib, das bei Mona geschlafen hatte, zusammenfahrend und mit dem Gefühl, als ob sie einen heftigen Schlag auf den Kopf bekommen habe, erwacht sei. Sie hätte Mona erweckt und ihr das Vorgefallene mitgeteilt, und beide hätten sich umgeschaut, ob vielleicht irgend ein Gegenstand herabgefallen sei, aber nichts entdecken können. Darauf wären sie aufgestanden und hätten das ganze Zimmer abgesucht, alles aber unverändert, wie am Abend vorher, und die Türe geschlossen gefunden. Mona aber hätte den Vorhang aufgezogen und über der Schläfe der jungen Frau gerade dort, wo sie den Schlag gefühlt zu haben wähnte, einen Streif von etwas bleicherer Farbe bemerkt, wie ihn etwa ein Dornenriß, der die Haut nicht durchbohrt, hervorrufen mag. Es sei ein unerklärlicher Vorgang gewesen, über den sie beide, nachdem sie wieder zu Bett gegangen, sich noch so lange flüsternd unterhalten hätten, bis sie fest aneinandergeschmiegt, wieder eingeschlafen wären. Bei ihrem Erwachen hätte der Deemster an die Türe geklopft, um ihnen mitzuteilen, daß er schon gefrühstückt habe und sich nach Ramsey zu einem Gerichtstag aufmachen müsse, von dem er voraussichtlich um Mittag wieder zurück sein würde. Halb schüchtern hätte Mona ihrem Vater das merkwürdige Ereignis vom Morgen erzählt, worauf derselbe sie ihrer Torheit wegen jedoch nur verspottet hätte, und noch als er zu Pferde gestiegen und den Kiesweg hinab geloppiert sei, wäre sein Lachen zu ihr gedrungen. Beruhigt durch des Deemsters Ungläubigkeit hätten beide Frauen ihre unbestimmten Vorahnungen abgeschüttelt und sich dem Frohsinn hingegeben. Ewans junge Frau habe gesagt, sie habe den ganzen Morgen von ihrem Gatten geträumt und zwar sei es ein froher, glücklicher Traum gewesen. Dann wären sie zum Frühstück hinuntergegangen, aber kaum hätten sie sich gesetzt, als die Gartenpforte geklinkt hätte, und Ewan mit einem weißen Taschentuch um den Kopf und einem Blutstrich über der Schläfe den Pfad heraufgekommen sei. Mit einem schrillen Schrei sei Ewans junge Frau bewußtlos zu Boden gesunken, von wo Mona und Ewan sie, nachdem dieser das Haus erreicht, in ihr Bett getragen hätten. Dort läge sie diesen Moment noch, und gerade wegen ihres augenblicklich sehr zarten Gesundheitszustandes sei aller Grund zur Sorge, daß der Schreck ernste Folgen haben möge, vorhanden.
Dies alles erzählte Mona Dan, auf der dritten Treppenstufe stehend, und Dan hörte ihr, mit einer Hand das Treppengeländer umklammernd und mit seinen Füßen auf der Treppenmatte hin und her schurrend, gesenkten Hauptes zu. Nachdem sie geendet hatte, entstand eine Pause, und dann schallte von oben ein tiefes Schmerzensstöhnen herab.
Dan erhob sein Gesicht, die plötzliche Blässe desselben war erschreckend anzusehen. »Mona,« sagte er mit heiserer Stimme, »weißt du, wer Ewan diesen Schlag versetzt hat?«
Einen Augenblick herrschte Schweigen, und dann antwortete Mona halb flüsternd und unter einem Seufzer, daß sie es wisse. Nicht von Ewan selbst, sondern von einer der vielen bösen Zungen ringsherum sei die Nachricht nach Ballamona getragen.
Dan klagte sich in bitteren Worten an und rief Gott zum Zeugen, daß er ein Fluch für sich selbst und für seine ganze Umgebung sei. Mona ließ die Flut der Selbstvorwürfe sich erst verlaufen und sagte dann:
»Dan, Du mußt Dich mit Ewan wieder versöhnen.«
»Nicht jetzt schon,« war seine Antwort.
»Ja, ja, ich bin fest überzeugt, er würde Dir vergeben,« sagte Mona und wandte sich ab, wie um Ewan zu holen.
Dan ergriff ihre Hand und hielt sie mit festem Griff umspannt. »Nein,« sagte er, »häufe nicht feurige Kohlen auf mein Haupt, Mona; bitte, bitte nicht.« Und nach einem Augenblick fügte er mit ruhigerer Stimme hinzu: »Erst muß ich den Deemster sprechen.«
Kaum hatte er ausgeredet, als sie auf dem Kiespfad den Hufschlag eines Pferdes und den Deemster selbst hörten, der sein Pferd an einen Pfosten nahe der Türe bindend, Christopher seine Befehle zurief und dann das Haus betrat. Der Deemster war ungewöhnlich guter Laune, schlug Danny auf den Rücken und schritt lachend seinem Zimmer zu. Dan folgte ihm, und Mona schlich ihnen ängstlich bis an die offene Türe nach. Gesenkten Hauptes berichtete Dan was vorgefallen war. Der Deemster hörte lachend zu, erkundigte sich nach näheren Einzelheiten und lachte von neuem, warf seine Reitstiefel und Gamaschen ab, blickte verschmitzt unter seinen buschigen Augenbrauen auf und lachte abermals.
»Und was verlangst Du von mir, Danny, mein Junge, was ist es, daß ich für Dich tun soll?« fragte er, die eine Seite seines runzligen Gesichts zu einem spöttischen Lächeln verziehend.
»Strafe über mich verhängen,« sagte Dan.
Bei diesem Wort warf sich der Deemster, der seine Morgenschuhe zuknöpfte, in seinen Stuhl zurück und erschütterte das Haus durch sein schrilles, spöttisches Gelächter.
Dan blieb ungerührt. Sein Antlitz behielt denselben gespannten Ausdruck, als er langsam und mit leiser Stimme sagte: »Wenn Ihr es nicht tut, Sir, werde ich Ewan nie wieder ins Gesicht blicken können.«
Der Deemster knöpfte seine Schuhe zu, stand auf, schlug Dan auf den Rücken und sagte: »Geh heim, Mann, Junge, geh heim,« und eilte in die Küche, von wo man im nächsten Augenblick seine Stimme Christopher mürrisch zurufen hören konnte, den Sattel in die Scheune zu hängen.
Mona blickte in Dans Gesicht. »Willst Du Dich jetzt wieder mit Ewan versöhnen?« fragte sie, seine beiden Hände ergreifend und festhaltend.
»Nein,« antwortete er mit fester Stimme, »ich will aber mit dem Bischof sprechen.« Seine Augen erweiterten sich; sein Gesicht, das bisher einen sehr trübseligen Ausdruck gezeigt hatte, belebte ein wunderbares Feuer. Mona hielt seine Hände mit leidenschaftlichem Griff umspannt.
»Dan,« sagte sie mit großer Weichheit im Ton, »dies ist sehr, sehr edel von Dir; dies ist unserm Dan gleich, dies –«
Sie hielt inne, zitterte und erglühte; ihre Augen waren den seinen sehr nahe.
»Blicke mich nicht derartig an,« sagte er.
Sie ließ seine Hände sinken, und im nächsten Augenblick hatte er das Haus verlassen.
Dan fand den Bischof in Bischofs-Hof und erzählte ihm alles. Der Bischof hatte die Geschichte schon gehört, doch sagte er davon nichts. Er wußte, daß Dan ihm verschwieg, wie er gereizt worden war, und daß er sein Unrecht in den schwärzesten Farben schilderte. Mit einem ernsten Gesicht lauschte er Dans Selbstanklagen, und sein Herz wurde ihm weit in der Brust.
»Es ist ein ernstliches Vergehen,« sagte er; »einen Geistlichen zu schlagen, ist ein schweres Unrecht, und die Kirche hat ihre Strafe dafür.«
Dan stand mit tief gesenktem Gesicht und vor sich verschlungenen Händen da.
»Die Strafe besteht darin, daß Du am nächsten, dem Vergehen folgenden Sonntag angesichts der Gemeinde im Schiff der Kirche von der Eingangstüre bis zum Altar hinter dem Geistlichen, der den einundfünfzigsten Psalm währenddessen lesen wird, herschreiten sollst.« Des Bischofs tiefe Stimme und sein ruhiges Wesen verbargen seine tiefe Bewegung, und Dan ging, ohne ein Wort der Erwiderung, hinaus.
Dies war am Freitag, und am Abend desselben Tages hörte Ewan, was zwischen Dan und dem Deemster und Dan und dem Bischof vorgefallen war, und vor Rührung der Sprache kaum mächtig, ging er nach Bischofs-Hof hinüber, um den Bischof zu bitten, Dan die Strafe zu erlassen.
»Ich habe ihn gereizt, und er bereut seine Tat,« sagte Ewan; und mit schwellender Brust hörte der Bischof ihn aus, schüttelte aber das Haupt.
»Das Haus des Bischofs war nie von der kirchlichen Strafe ausgeschlossen,« sagte er.
»Er ist aber so wie so schon zu tief gedemütigt,« sagte Ewan.
»Das Vergehen wurde vor der Öffentlichkeit begangen, und vor den Augen der Leute muß die Buße vollzogen werden.«
»Ich selbst bin aber ebenfalls beschämt – überlegt es Euch und erlaßt Dan die Strafe,« sagte Ewan mit zitternder, brechender Stimme.
Der Bischof blickte mit tränenerfüllten Augen, die nichts in sich aufnehmen wollten, zum Fenster hinaus. »Ewan,« sagte er, »es ist Gottes Hand, die auf dem Jungen ruht. Laß es geschehen, laß es geschehen.«
Am andern Tag sandte der Bischof seinen Kirchendiener in der Parochie herum, um bitten zu lassen, daß jedes Haus wenigstens ein Glied der Familie am nächsten Morgen zur Kirche senden möge.
Am Sonntag blieb Ewans junge Frau im Bett; da die Nervenerregung jedoch bis zu einem gewissen Grade abgenommen hatte, verließ Ewan sie, um zur Kirche zu gehen. Die Sorge vor einem andern unheilvollen Ereignis war indes noch nicht gehoben, und Mona blieb der Kranken zur Seite.
Die Bedeutung der kirchlichen Vorladung war bekannt geworden, und lange vor Beginn des Gottesdienstes war die Kirche überfüllt. Das schlimmste Gesindel, das von Jahres Anfang zu Jahres Ende, außer um Oiel Verree zu feiern, nie die Kirche betrat, war in erwartungsvoller Neugierde anwesend. Während Willy-Thorn mit dem in der Vorhalle der Kirche hängenden Seil die Glocke läutete, durchhallte ein leises Murmeln der Neugierde und des Klatsches das Gotteshaus, als jedoch die Glocke ihr heiseres, gellendes Geläute einstellte, und Willy-Thorn mit seiner Stimmpfeife in der ersten Reihe der Galerie erschien, konnte durch die Stille der übervollen Kirche das laute Ticken der alten hölzernen Uhr vor ihm vernommen werden.
Gleich darauf hörte man vom Eingangstor der Kirche eine leise, zitternde Stimme den Psalm verlesen, dessen Anfang lautet: »Gott sei mir gnädig nach Deiner Güte und tilge meine Sünden nach Deiner Barmherzigkeit.«
Darauf wandten die auf den vorderen Stühlen sitzenden Leute ihre Gesichter herum, und die zur Seite sitzenden reckten die Hälse, und die oben sitzenden beugten sich herab.
Ewan in seinem Talar kam bleichen Angesichts und die verschrammte Stirn tief über das Buch in seiner Hand gebeugt, langsam das Schiff der Kirche heraufgeschritten, und dicht hinter ihm und ihn mit seiner kräftigen Gestalt überragend, folgte gesenkten Hauptes, aber furchtlosen Blickes, mit seinem Hut in der Hand und festen, energischen Schrittes Dan Mylrea.
Eine Totenstille durchflog die Gemeinde.
»Wasche mich wohl von meiner Missetat und reinige mich von meiner Sünde. Denn ich erkenne meine Missetat, und meine Sünde ist immer vor mir.«
Die zitternde Stimme hob und senkte sich, und nichts als der unsichere Schritt des Lesenden und der feste Schritt des Büßenden hinter ihm unterbrach die Stille.
»An Dir allein habe ich gesündigt und Übel vor Dir getan –«
Bei diesen Worten nahm die Stimme einen tieferen Klang an, hielt inne und fuhr fort, hielt abermals inne, und als darauf die Worte wieder hörbar wurden, klangen sie wie tiefes, leises Schluchzen, und das Haupt des Lesenden sank auf die Brust herab.
Nicht ehe der Psalm beendet war, und Ewan und Dan den Altar erreicht hatten, und der Hilfsprediger die Morgengebete und Willy-Thorn einen letzten Ton von der Stimmpfeife hatte erklingen lassen, war die tiefe Spannung jenes Momentes vorüber.
Nach beendetem Gottesdienst erhob sich der Deemster aus seinem Kirchenstuhl und eilte das Kirchenschiff hinab. Wie gewöhnlich, war er der erste, der die Kirche verließ. Das unheimliche Lächeln, mit dem er dem Bußeakt, der anderen Augen Tränen entlockt hatte, gefolgt war, umschwebte noch seine Lippen, und er kicherte noch leise in sich hinein, als ihm an der Kirchhofspforte Christopher keuchend und mit einem von der Anstrengung des Laufens farblosen Gesicht entgegen trat.
»Nun, nun, nun?« rief der Deemster, seine Worte wie Schrotschüsse in Christophers taubes Ohr abfeuernd.
»Entsetzlich, entsetzlich, entsetzlich,« rief Christopher, seine Hände erhebend.
»Was gibt es? Was? Was?«
»Die junge Frauensperson ist im Kindbett gestorben.« Das unheimliche Lächeln auf des Deemsters Gesicht erlosch.