Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Gilcrists Bestätigung und Bischofsweihe hatten in England stattgefunden, er mußte jedoch in seiner Domkirche in Peeltown unter allen vorschriftlichen insularen Ehrenbezeugungen eingeführt werden. Die Zeremonie war keine überwältigende. Wenige aus der einheimischen Bevölkerung wohnten ihr bei. Der Manxmann liebte seine Kirche nicht allzu glühend. »Pfaffen, Pfaffen,« pflegte er zu sagen, »was kann man von der Sorte erwarten? Noch nie hat ein Drache eine Ente ausgebrütet.«
Es war in den Augen der Leute kein Verdienst, daß der neue Bischof ein geborener Manxmann war. »Ach, Mann,« pflegten sie zu sagen, »ich kannte seinen Vater,« und die Bekanntschaft des Vaters deutete eine Einbuße in der dem Sohne zukommenden Hochachtung an. »Von welcher Familie stammt er?« lautete die wieder und wieder überm Herd gestellte Frage der Leute, die kaum ihre eigne Familie kannten. »Vielleicht von irgend einer heruntergekommenen,« lautete die von Lachen begleitete Antwort.
Der Bischof wurde vom Erzdekan Tiem eingesetzt, der seines Amtes, so gut es seine Enttäuschung erlaubte, waltete. Thorkell beobachtete seinen Schwiegervater während der ganzen Amtshandlung auf das gespannteste und zwinkerte mit seinen kleinen Augen und sog, als ob er den köstlichsten Bissen auf der Zunge habe, die Lippen ein. Der Erzdekan war sich des auf ihn gerichteten Kreuzfeuers von Blicken wohl bewußt, und nachdem die Einsetzung vorüber war und die Geistlichkeit, die Priester und Gemeinde zugleich vertrat, aufbrach, näherte er sich dem Deemster mit einem wohlwollenden Lächeln und sagte: »Nun, Thorkell, wir sind zwar gelegentlich verschiedener Meinung gewesen, aber im Himmel werden wir uns alle in Frieden und Harmonie wieder vereinen.«
Der Deemster kicherte hörbar und sagte: »Des bin ich mir denn doch nicht so ganz gewiß.«
»Nein?« fragte der Bischof mit heraufgezogenen Brauen. »Weshalb nicht, weshalb nicht?«
»Weil uns in der Bibel gesagt wird, daß es keine Tränen zum Trocknen mehr geben wird, Erzdekan,« sagte Thorkell unter pferdeähnlichem Wiehern.
Der Bischof und sein Bruder, der Deemster, bestiegen ihre Pferde und wandten sich dem Bischofssitz zu. Es war spät, als sie unter die hohen Ulmen von Bischofs-Hof einritten und das alte, ihrem Empfange zu Ehren festlich erleuchtete Haus betraten. Die alte, halblinde Kerry Quäl war von Ballamona herübergekommen, um des Bischofs Kind zu warten und es in seiner neuen Heimat zu Bett zu bringen.
»O, so ein süßer Junge, wie es nur einen auf der Insel gibt, dafür stehe ich ein, wie man zu sagen pflegt,« sagte Kerry, und der Bischof streichelte ihr in gütiger Vertraulichkeit den Arm. Er ging nach dem kleinen Stübchen hinauf, wo das Kind im sanften Schlummer lag und berührte, sich über die Wiege beugend, die Lippen des ruhig atmenden Knaben mit den seinen. Die bischöfliche Würde hatte diesen schweigsamen Mann, als er vor vier Stunden unter dem Dach von St. Germans stand, nicht so gut gekleidet wie seine Zärtlichkeit für das mutterlose Kind.
Thorkell war außerordentlich aufgeräumt an dem Abend. Zwanzig Male trank er auf des neuen Bischofs Gesundheit; zwanzig Male erinnerte er ihn an seine eigne gütige Vermittlung, kraft deren er den Bischofssitz für ein Glied seiner Familie gesichert habe. Gilcrist antwortete lächelnd in kurzen Worten. Er gab sich keiner Selbsttäuschung hin, seine Augen waren offen, und er wußte, daß es von Thorkells Seite weniger der Wunsch gewesen war, ihn zum Bischof zu machen, als die Furcht, den Ehrenplatz und die Einkünfte in die Hände eines ihm weniger Nahestehenden schlüpfen zu lassen. Thorkells Antwort an den Erzdekan: »Wie nahe mir auch mein Hemde ist, meine Haut ist mir doch näher,« war zutreffend gewesen.
Am nächsten Tage verlor der Bischof keine Zeit, sich an seine Arbeit zu begeben. Seine Gemeinde beobachtete ihn mit scharfen Blicken. Er fand seinen Bischofspalast in einem verkommenen und jämmerlichen Zustande und seinen wohl eine Quadratmeile umfassenden Acker unfruchtbar wie eine Gebirgskuppe. Der Geldwert seines Bistumes war etwas unter 10000 Mark das Jahr, aus diesem Einkommen jedoch begann er seinen Grund und Boden einzuhegen und zu drainieren, Bäume zu pflanzen und sein Haus behaglich, wenn auch nicht üppig wieder herzurichten. »Ich finde mein Patmos in Ruinen,« sagte er, »und das wird mich nötigen, meine Wohltätigkeit gegen die Armen etwas einzuschränken.« Er übernahm keine der sozialen Pflichten eines Bischofs, er hielt keinen Wagen und keine Reitpferde, sondern machte seine Amtsbesuche zu Fuße. Die Reise nach Douglas nannte er die Pyrenäen übersteigen, und seinen mühseligen Weg über die Curraghs von Bischofs-Hof nach der St. Andreaskirche verglich er mit einer Pilgerfahrt durch die Wüste. »Die Wahrheit ist,« pflegte er zu sagen, »ich habe einen viel zu hochklingenden Titel für meine geringen Mittel aufrechtzuerhalten.«
Seine erste Handlung bischöflicher Autorität gewann ihm weder die Gunst des Volkes noch der höher stehenden Klasse. Er stellte sich dem Schleichhandelgewerbe feindlich gegenüber und versagte denen, die es betrieben, das Abendmahl. »O, schrecklich, grausam ist er gegen den armen Mann, mit seinem Verbot gegen ehrlichen Handel und seinen Orts- und Zollgesetzen und seinen Vorschriften und all dergleichen Unsinn mehr.«
Es stellte sich bald heraus, daß der Bischof keiner allgemeinen Beliebtheit nachjagte. Er eröffnete in jedem Kirchspiel mit Hilfe einer Dame, die einen freiwilligen, von dem Bischof zu bestimmenden Jahresbeitrag für die Besoldung der Lehrer aussetzte, eine Schule. Die Lehrer wurden von seinen Hilfspredigern ernannt. Eines Tages kam eine Anzahl Männer aus seinem eigenen Kirchspiel mit Jabez Gahn, dem zungengewandten kleinen Schneider und Matthias Taubman, dem vierschrötigen Malzhändler an der Spitze nach Bischofs-Hof, um sich über den für Kirk Michael gewählten Schulmeister zu beklagen. Den Unzufriedenen gemäß konnte der Schulmeister beim Sprechen seine Silben nicht trennen, und sein Haus, das zugleich auch Schulhaus war, sei zu abgelegen für die Kinder. »Und so flehen wir Eure Lordship an,« sagte der kleine Jabez als Wortführer, »uns eine passendere Persönlichkeit zur Verwaltung des Amtes zuzugestehen, und in aller Ergebenheit möchten wir eine solche vorschlagen.« Der Bischof durchschaute die Sache auf den ersten Blick; Jabezens letzte Worte hatten die Katze aus dem Sack schlüpfen lassen – und sie konnte nicht einmal eine Manxkatze genannt werden, denn sie hatte einen höchst wahrnehmbaren Schwanz. Am nächsten Tag ging der Bischof persönlich in die Schule, prüfte Lehrer und Schüler und berief dann die Bittsteller wieder zusammen und sagte: »Ich finde, daß James Quirk durchaus befähigt ist, in einer englischen Schule zu unterrichten, und ich kann ihn nicht absetzen, ich stimme aber mit euch überein, daß sein Haus in einem zu entlegenen Teil des Kirchspiels liegt und erwarte von den Gemeindegliedern, daß sie innerhalb einer berechtigten Zeit ein neues Schulhaus an einem gelegeneren Platze nahe der Kirche bauen, andernfalls sie der Vergünstigung einer Schule überhaupt nicht länger teilhaftig werden können.« Die Antwort verdutzte die Bittsteller, sie waren aber alle Leute, die sich des Gnadengeschenkes eines guten Humors erfreuten, und durch den in lächelnde Falten sich verziehenden Mund des kleinen Jabez taten sie Seiner Lordship ihr aufrichtiges Bestreben kund, seinem Wunsche nachzukommen und ein Schulhaus innerhalb des Kirchenackers zu errichten.
Obgleich der Bischof ein strenger Vertreter der kirchlichen Autorität war, wußte er doch Gerechtigkeit mit Milde zu verbinden. Er war noch keinen Monat in der Parochie gewesen, als sein Kirchendiener ihm die traurige Geschichte eines harten Strafurteils erzählte. Ein junges, aus der Gegend von Peeltown stammendes Mädchen war der Unkeuschheit angeklagt und verurteilt worden, mit dem Teilhaber ihres Verbrechens während sechs Sonntagen an der Tür von sechs Kirchen zu stehen. Der Mann, der vermögend war, hatte mit dem Erzdekan gemeinsame Sache gemacht und war, nachdem er sechs Pfund Befreiungsgelder gezahlt, fernerhin nicht mehr belästigt worden; das Mädchen aber, daß keinen Pfennig besaß, war vor Entsetzen über die ihr bevorstehende Schande von der Insel entflohen. Der Erzdekan hatte ihren Aufenthalt in England in Erfahrung gebracht und an den Prediger des Ortes geschrieben, um ihn zu benachrichtigen, daß sie unter kirchlicher Strafe stände. Der Prediger seinerseits hatte ihr vorgehalten, wie entsetzlich es sein würde, wenn sie ausgestoßen aus der Gemeinde der Kinder Gottes sterben sollte. Bis zur Stunde der Entbindung hatte sie alle Vorstellungen zurückgewiesen, dann aber in ihren Kindesnöten von der Macht dieser Idee übermannt, ihnen nicht länger zu widerstehen vermocht. Nachdem sie von ihrem Lager aufgestanden war, kehrte sie freiwillig mit dem lebenden Zeichen ihrer Schande an der Brust nach der Insel zurück, um die Strafe für ihre Schuld zu verbüßen. Drei Sonntage hatte sie an den Türen von drei Kirchen gestanden, ihre Gesundheit war jedoch untergraben, und nach der langen Entfernung von Peeltown wollten ihre Füße sie nicht mehr tragen. »Erlaßt ihr den Rest der Strafe,« war des Bischofs Erwiderung. »Das Urteil der Kirche ist nicht über sie verhängt, um sie mit unerträglicher Schande oder Trübsal zu plagen.«
Nach Jahren erst erfuhr der Bischof die volle Wahrheit über diesen Fall und lernte die furchtbare Bedeutung der Strafe des Mädchens kennen. Es war Mally Kerrisch.
Die Insel gehörte zur Provinz York und war an englische Gesetze gebunden, der Bischof jedoch machte sich seine eigenen Vorschriften, und niemand beklagte sich darüber. Manche seiner Richtersprüche waren sonderbar, alle aber zugunsten des schwächeren Teiles. Ein Mann, Quäl der Raufbold mit Namen, ein polternder Bursche und allen Beamten in meilenweiter Runde ein Dorn im Auge, starb nach langer Krankheit, ohne seinem ehelichen Sohn, der ihn auf das zärtlichste gepflegt hatte, irgend etwas zu hinterlassen. Dies schien dem Bischof aller natürlichen Pietät entgegen, und in seiner Autorität ernannte er diesen Sohn mit den übrigen zum Testamentsvollstrecker. Quäl der Jüngere, vergalt, wie wir sehen werden, dem Bischof Gutes mit Bösem. Ein reicher Mann von schlechtem Ruf, Thormod Milchrist, starb, ohne ein Testament gemacht zu haben, und hinterließ einen unehelichen Sohn. Der Bischof befahl dem Verweser, eine gewisse Summe aus der Hinterlassenschaft für die Erhaltung und Erziehung des Knaben zurückzubehalten. Thorkell aber kam als Vertreter der bürgerlichen Rechtsverwaltung, stieß den geistlichen Richterspruch um, und entschied dahin, daß das ganze Besitztum des Verstorbenen vom Gouverneur der Insel beschlagnahmt, und der uneheliche Sohn auf die Barmherzigkeit der Leute angewiesen werden sollte. Wir werden ebenfalls sehen, wie der Bastard Thorkells Schlechtigkeit durch Güte vergalt.
Die Vorschriften und Gewohnheiten von Bischof Mylrea neigten sich nicht nur – manchmal in zu großer Nachsicht – der schwächeren Seite zu, sondern, sie setzten Vertrauen in die Leute voraus, indem sie einen freiwilligen Eid als Beweis anerkannten, und dies machte einen falschen Schwur zu etwas Unerhörtem. Aberglauben ausgenommen, ermunterte er den Glauben in allen seinen verschiedenen Gestalten. Er vertraute einem Eide unerschütterlich, aber kein Mensch hörte ihn je sein Ja oder Nein widerrufen.
Ein grauer alter Bursche, Bill der Tölpel, der nie seit Menschengedenken gearbeitet hatte, und der, wie es allgemein hieß, »von andern lebte,« und die Schenke mit größerer Regelmäßigkeit als das Gotteshaus besuchte, fand nur zu bald heraus, daß Bischofs-Hof aus seinem langen Schlaf erwacht sei. Der Bischof war draußen auf seinem Morgenspaziergange, und während er, gegen die sonnige Seite einer hohen Rasenböschung gelehnt, ziellos auf die See hinausblickte, hörte er auf dem Pfade neben sich Fußtritte und dann ein Zwiegespräch, dessen Inhalt, in aller Kürze wiedergegeben, lautete:
»Auf dem Wege nach dem Hof, wie? Ach, da gibt's reichlich, um das Magenknurren zu stillen; reichlich, reichlich, und dazu wird's einem von Herzen gegönnt.«
»Ach, 's ist nicht mein Magen, der mir zu schaffen macht. 's sind die Nerven, die Nerven, Junge, und 'n Tropfen vom wahren Jakob ist mehr als alles andere danach angetan, 'n Menschen, nach 'ner schlaflosen Nacht, wie man zu sagen pflegt, wieder auf die Beine zu bringen.«
»O, Bill, Bill, hast recht, hast recht!«
Die Unterhaltung verklang vor den Ohren des Bischofs in tobendem Lachen und halblautem Kichern.
Eine halbe Stunde darauf stand Bill der Tölpel innerhalb der Türe von Bischofs-Hof dem Bischof gegenüber. Der alte Bursche ließ den Kopf gewaltig hängen, ein zerknitterter Hut bedeckte seine Augen, und seine beiden Hände lehnten sich schwer auf einen dicken Dornenknüppel.
»Nun, wie geht es Euch, Mann?« fragte der Bischof.
»Nun, der eine gibt mir 'n Bissen zu essen, der andere 'n Tropfen zu trinken, aber seit gestern Morgen hab ich nichts anderes als ein Stückchen Gerstenbrot genossen,« sagte der Tölpel.
»Armer Mann, das ist harte Kost,« erwiderte der Bischof; »aber merkt es Euch und kommt jeden Tag hier vor.«
Bill bekam ein Maß Korn im Werte von 50 Pfennigen und ging sofort damit nach dem Wirtshaus und verkaufte es für so viel Whisky, als man für 15 Pfennige bekommen würde. Und während Bill der Tölpel seinen Tropfen vom wahren Jakob trank, lachte er übermäßig und rühmte sich, den Bischof überlistet zu haben. Der Branntwein stieg ihm jedoch zu Kopfe und vom Lachen ging es zum Fluchen und vom Fluchen zum Prügeln über, bis der Wirt ihn auf die Straße warf, wo er unter der Wucht seines aufgelöst vertilgten Maßes Korn in tiefen Schlummer sank. Der Bischof, der zufällig einen Abendspaziergang machte, fand seinen armen Pensionär, dem es schon so hart erging, auf einem noch härteren Lager gebettet und ließ ihn von der Straße nach seinem Hause tragen. Am nächsten Morgen, als Bill erwachte und gewahr wurde, wo er war, und sich aller gestrigen Vorgänge erinnerte, überkam ihn ein ganz fremdes Gefühl, und er schlich sich unbemerkt davon. Der alte graue Bursche wurde nie wieder in Bischofs-Hof gesehen.
Wenn jedoch Bill selbst nie wieder kam, so erschienen statt seiner seine Freunde und Verwandten des öfteren. Es wurde zum stehenden Witz, daß der Bischof die Bettler von allen Häusern, abgerechnet seinem eigenen, fern zu halten wisse, daß niemand anderes als er selbst eines Bettlers habhaft werden könne.
Er hatte ein Buch, seine »Matricula Pauperum«, wie er es nannte, in das er die Namen seiner Pensionäre mit Bemerkungen über ihre Verhältnisse eintrug. Er kannte ihre ganzen Familiengeschichten – wann Jim Corkells Frau mit Rückenweh bettlägerig gewesen war, und wann Robert Quirk ein kleines Schwein schlachten würde.
Bill der Tölpel war nicht der einzige, der sich einbildete, den Bischof überlisten zu können. Wenn der Bischof ein neues Paar Stiefel oder einen neuen Rock gebrauchte, kam der Schuhmacher oder Schneider nach Bischofs-Hof und verweilte so lange, bis er seine Arbeit beendet hatte. Im ersten Winter, nach seiner Ankunft in Patmos, wollte er einen Mantel gemacht haben und ließ sich Jabez Gahn, den schlauen, kleinen Fuchs kommen, der in der Verschwörung gegen James Quirk Wortführer gewesen war. Jabez hatte den Mantel zugeschnitten, und war damit beschäftigt, ihn mit prächtigen Verzierungen zu schmücken, als ihm des Bischofs Befehl zukam, ihn einfach mit einem Knopf und Knopfloch zum Zusammenhalten zu versehen. Jabez ließ seine Arbeit in den Schoß sinken und erhob von dem Küchentisch aus, auf dem er mit untergeschlagenen Beinen saß, seine Hände, um im Ton schmerzlichster Überraschung auszurufen –
»Mylord, was sollte aus allen armen Knopfmachern und ihren Familien werden, wenn jeder seinem Schneider auf diese Weise Vorschriften machen wollte?«
»Wieso, Jabez?«
»Nun, sie würden einfach verhungern.«
»Meint Ihr das wirklich, Jabez?«
»Ja, Mylord, gewiß, das tue ich.«
»Dann besetzt den Mantel von oben bis unten mit Knöpfen.«
Die Manxmänner waren sich über den Charakter von Bischof Mylrea – seine Würde und seine Demut, seine Zurückhaltung und seine Einfachheit – innerlich noch nicht so recht einig geworden, als ein großes Ereignis eintrat, das des Manxmannes Herz diese Frage, die sein Kopf nicht hatte lösen können, beantworten ließ. Es war keine geringere Katastrophe als eine Hungersnot. Sie brach im zweiten Jahre nach des Bischofs Ankunft auf der Insel aus und verursachte viele Veränderungen. Eine derselben war, daß die Gemeinde ihrem Bischof fortan eine Ehrfurcht entgegenbrachte, wie Israel sie für Samuel an den Tag gelegt hatte, und daß der Deemster seinen Bruder mit Mißtrauen, Neid und dem mit Furcht vermischten Haß eines Saul betrachtete.
Das Land der Insel war unter einem Lehensgesetz, das »Drei Lebenslehen« genannt, verpachtet gewesen, das dritte Leben war überall abgelaufen, und die Gehöfte dem Herrn der Insel wieder zugefallen. Dies entmutigte die Bauern, die alles Interesse für Landwirtschaft verloren und ihre Äcker brach liegen ließen, und sich der einzig anderen ihnen offenstehenden Industrie, dem Heringsfang, zuwandten. Die Heringe waren in diesem Frühling ausgeblieben, und ohne Fische, mit leeren Scheunen und einer durch Dürre hervorgerufenen Kartoffelmißernte, fielen die Leute der Armut anheim.
Da öffnete der Bischof die seit seiner Ankunft nie geschlossenen Tore von Bischofs-Hof noch weiter. Der Himmel schien ihn besonders gesegnet zu haben. Die Dürre hatte selbst das Gras auf den feuchten Curraghs versengt und das grüne, dünne, verkrüppelte Korn, das nie geerntet werden konnte, auf dem staubigen Boden verdorren lassen. Der Boden von Bischofs-Hof dagegen gab gutes Getreide, und als die Leute in ihrem Mangel am Notwendigsten ihre Stimme erhoben, sandte der Bischof an alle seine Geistlichen ein Rundschreiben des Inhaltes, daß er achthundert Scheffel Weizen, Gerste und Hafer mehr geerntet habe, als sein Haushalt bedürfe. Darauf kamen von Norden und Süden, Osten und Westen lange vereinzelte Züge von Käufern mit wenig oder gar keinem Gelde zum Bezahlen, und Bischofs-Hof verwandelte sich in einen öffentlichen Markt. Der Bischof verkaufte denen, die Geld hatten, das Korn zu dem Preise, den es vor der Hungersnot gekostet hatte. In seine Scheune, hinter dem Hause, aber stellte er eine Kiste für diejenigen, die mit nichts anderem als ihren Säcken in den Händen durch die Hintertüre hereinkamen. Einmal täglich untersuchte er dieselbe, und wenn er sie leer fand, füllte er sie, und wenn er sie, was selten der Fall war, gefüllt fand, lächelte er und sagte, Gott habe nun gewiß Seinen Zorn von Seinen Kindern abgewandt.
Die achthundert Scheffel waren nach einem Monat aufgebraucht, aber die Hungersnot dauerte fort. Dann kaufte der Bischof achthundert Scheffel mehr; Weizen zu zehn Schilling, Gerste zu sechs Schilling und Hafer zu vier Schilling und verkaufte sie zum halben Preise. Dazu gab er Befehl, daß das Maß eines armen Mannes nicht gestrichen, sondern aufgehäuft werden sollte.
Ein weiterer Monat verstrich; die zweiten achthundert Scheffel waren vertilgt, ohne daß die Hungersnot irgend welche Abnahme zeigte. Der Bischof wartete auf Schiffe von Liverpool, keine Schiffe kamen. Er war ein armer Geistlicher mit einem hohen Titel und wenig Geld. Trotzdem schrieb er nach England und bestellte tausend Scheffel Korn und fünfhundert Kischen Maß. Kartoffeln und versprach, sechs Tage nach seiner nächsten jährlichen Gehaltsauszahlung dafür zu zahlen. Eine Woche langen Wartens folgte, und jeden Tag tröstete der Bischof die elenden Leute, die nach Bischofs-Hof kamen, mit der Verheißung der kommenden Lebensmittel; und jeden Tag gingen sie auf die Spitze des Berges und schauten sich ihre trüben Augen nach den Segeln eines englischen Schiffes aus. Als die Geduld der Verzweiflung Platz gemacht hatte, brachte der alte »King Orry« dem Bischof einen Brief mit der Nachricht, daß die Dürre eine allgemeine gewesen sei, und die Hungersnot sich im ganzen Königreich fühlbar mache, und daß der ganze Seehandel einer Sperre unterworfen wäre, und keine englische Ausfuhr stattfinden dürfe. Darauf erhoben sich die Stimmen der Hungernden zu dem tiefen Schmerzensschrei: »Der Hunger nagt an uns!« und vor sich hinjammernd, murmelten sie: »Einmal arm, immer arm,« und die Stimme des Bischofs schwieg dazu.
Gerade zur selben Zeit drohte ein anderes Unglück den Leuten. Sie hatten nämlich ihr Vieh, das sie nicht verkaufen konnten, auf die Berge zum grasen geschickt, und die Milch ihrer Kühe war das hauptsächlichste Nahrungsmittel für die Kinder, und die Wolle der Schafe die einzige Kleidung für die alten Leute. Bei den verdörrten Wiesen und Curraghs, auf denen das Gras so trocken war, daß die Sonne es beinahe in Brand steckte, waren die breiten Rücken der ginsterbewachsenen Berge die einzige Zuflucht der Armen. Bei Tagesanbruch stiegen der Schäfer mit seinen sechs Lämmern und einer Ziege und der Tagelöhner mit seiner Kuh bergauf, wo das Gras am grünsten erschien, um gegen Abend mit müden Gliedern, schwerem Herzen und den Vers: »Ein grüner Hügel scheint's von fern; nackt, nackt, wenn ich ihm nah,« vor sich hinseufzend, für die Nacht heimzukehren.
Gerade während dieser Krisis begann man sich zuzuflüstern, daß der Deemster dem Lord ein Angebot für die ganze Bergseite zwischen Ramsey und Peeltown gemacht habe. Das Gerücht rief große Bestürzung hervor und wurde anfänglich nicht geglaubt. Eines Tages jedoch kam der Deemster mit dem Gouverneur und dem Grand Enquest nach der Bergschlucht Sulby gefahren, um von dort aus die Berge zu besteigen. Nicht lange darauf sah man einen leichten kleinen Wagen den Fahrweg nach der Schlucht hinter Ballangh einschlagen und dem Karrengeleise in die Berge folgen. Die Leute, die ihr Vieh auf dem Gebirge hüteten, kamen herab, um sich mit den im Tal am Fuße der Berge Wohnenden zu beraten, und manche düstere Gesichter und zusammengekniffene Lippen befanden sich unter ihnen, und manche drohende Worte und Flüche wurden laut. »Laßt uns zum Bischof gehen,« sagte einer aus der Menge, und darauf zogen sie nach Bischofs-Hof. Eine halbe Stunde später kam der Bischof, bleichen harten Gesichtes, an der Spitze einer Schar zerlumpter Männer von Bischofs-Hof dahergegangen. Er überholte den kleinen Wagen auf halbem Wege der Bergseite, und rief dem Fuhrmann zu, still zu halten und fragte ihn, was er im Wagen habe und wohin er fahre. Der Mann antwortete, daß er Lebensmittel für den Gouverneur, den Deemster und den Grand Enquest habe, die den Bergrücken in Augenschein nähmen.
Der Bischof blickte mit zusammengepreßten Lippen und bebenden Nasenflügeln von einem zum andern. »Kann irgend jemand mir ein Messer leihen?« fragte er in angenommener Ruhe.
Ein allmächtiges Messer, wie die Schäfer es in den langen Schäften ihrer Stiefel tragen, wurde ihm zugereicht. Er trat an den Wagen heran und durchschnitt die mit Bindfäden zusammengebundenen Stränge; die Deichsel fiel und das Pferd war frei. Darauf wandte sich der Bischof an den Fuhrmann und sagte gelassenen Tones –
»Wo wohnt Ihr, mein Freund?«
»In Sulby, Mylord,« sagte der Mann zitternd vor Angst.
Mit den Worten: »Ihr sollt morgen ledernes Zaumzeug haben,« setzte der Bischof, den Wagen hilflos in dem Geleise zurücklassend, an der Spitze seines schmutzigen und zerlumpten Gefolges seinen Weg fort.
Als er den Kamm des Berges erreicht hatte, konnte er den Gouverneur und den Deemster und ihre Begleiter in einiger Entfernung mit der Meßkette beschäftigt sehen. Der Bischof ging auf sie zu und redete sie an.
»Meine Herren,« sagte er, »es werden Euch heute keine Lebensmittel im Gebirge erreichen. Die Stränge Eures Wagens sind durchschnitten worden, und der Wagen und die Speisen liegen am Abhang.«
Bei diesen Worten ballte Thorkell, vor Wut erbleichend, die Hände, stampfte mit den Füßen auf den Boden und blickte mit stechenden Blicken auf die Gesichter der dem Bischof folgenden Menge.
»So wahr ich Deemster bin,« sagte er, seine Worte mit einem Fluch begleitend, »der Mann, der dies getan hat, soll es mir büßen. Mag er sich keiner Täuschung hingeben, kein Mensch, und wenn es der Bischof selbst wäre, soll mich verhindern, ihn gerichtlich bestrafen zu lassen.«
Der Bischof hörte schweigend zu und sagte dann: »Thorkell, der Bischof wird nicht für ihn bitten. Bestrafe ihn, wenn du es kannst.«
»Und, bei Gott, das will ich,« rief der Deemster, mit seinen Augen die hinter dem Bischof stehende Menge musternd.
Der Bischof trat einen Schritt vor und sagte: »Ich bin der Mann,« und darauf folgte ein tiefes Schweigen.
Thorkells Gesicht zuckte, sein Kopf sank ihm zwischen die Schultern herab, sein Gesicht nahm einen bösartigen Ausdruck an, er sagte jedoch keine Silbe, sein Bravado war verschwunden.
Der Bischof näherte sich dem Gouverneur.
»Ihr habt ebensowenig das Recht, diese Berge zu verpachten,« sagte er, seinen Arm gegen die breite blaue Linie im Westen ausstreckend, »als die See dort drüben. Beide sind Gottes und der Armen Eigentum. Laßt Euch gewarnt sein, Sir, so gewiß, wie Ihr einen Stein auf den anderen setzen werdet, um dieses wahre Gottesland einzuhegen, so gewiß werde ich der erste sein, den Stein niederzureißen.«
Der Grand Enquest brach in Verwirrung auf, und das Gebirge blieb den Armen erhalten.
Es wehte ein scharfer Wind an dem Tage auf der Bergspitze, und am nächsten Morgen verbreitete sich das Gerücht über die Insel, ein mit Gerste beladenes Schiff habe vor dem Unwetter im Hafen von Douglas Schutz gesucht. »Und 'n herrlicher Anblick, so viel Korn zu sehen, reichlich für uns alle, reichlich, reichlich,« lautete es in der Runde.
Im Verlauf von drei Stunden waren Hunderte von Männern und Frauen mit Geld zum Kaufen in der Tasche dem Hafen zugeeilt. Alle jedoch wurden vom Kapitän kopfschüttelnd und mit Abschlag empfangen.
»Verkauft, Mann! Verkauft, verkauft,« flehten sie ihn an.
»Ich darf nicht. Die Ladung ist nicht meine eigene. Ich selbst bin nur ein armer Mann,« erwiderte der Kapitän.
Nun, und wie sagt das Sprichwort? »Wenn ein armer Teufel dem andern hilft, freuen sich die Engel im Himmel.«
Der Bischof stellte sich zur Seite des Schiffes und unterhandelte wegen der Ladung.
»Ich habe mein Wort daraufgegeben, die Ladung in Whitehaven zu landen,« antwortete der Kapitän.
Darauf verfinsterten sich die Gesichter der Armen, wilde Flüche traten ihnen auf die Lippen, sie wandten sich um und blickten in unvermögender Wut einander in die Augen. »Der Hunger peinigt uns – wir können nicht verhungern – laßt jeden Hering an seinen eigenen Kiemen hängen – wir wollen es entern,« murmelten sie untereinander.
Und der Bischof hörte ihre Drohung. »Leute,« sagte er, »was aus dieser armen Insel werden soll, wenn Gott sein furchtbares Strafgericht nicht von ihr abwendet, weiß Er allein. Dieser ehrliche Mann aber hat sein Wort gegeben, laßt uns Gottes Zorn nicht noch mehr heraufbeschwören.«
Ein Murmeln der Unzufriedenheit folgte, und darauf ein tiefer Seufzer geduldiger Ergebung, und dann erhob der Bischof seine Hände, und die Leute mit ihren abgezehrten Gesichtern fielen rings um die schlanke, gebeugte Gestalt des Gottesmannes auf ihre Knie, und aus verschmachteten Kehlen und fast ebenso verschmachteten Herzen stieg ein Angstschrei gen Himmel, Hilfe zu senden und den Tod abzuwenden.
Ungefähr eine Woche darauf legte ein anderes Schiff wegen ungünstigen Windes in Castletown an. Es hatte eine Ladung Hafer aus Wales an Bord, die vom Statthalter von Dumfries bestellt war. Der ungünstige Wind hielt an, und das Korn begann brandig zu werden und zu verfaulen. Die vor Hunger wütende Bevölkerung forderte den Kapitän auf, zu verkaufen. Er hatte keine Ermächtigung. Darauf überschritt der Bischof seine »Pyrenäen« und überzeugte sich, daß die Lebensmittel, nach denen seine Kinder schmachteten, vor ihren Augen verdarben. Als er vom Kapitän mit derselben Weigerung, mit der dieser dem Volk geantwortet hatte, abgewiesen wurde, erinnerte er sich, wie in alten Zeiten David in seinem Hunger das Gesetz überschritten und von den Schaubroten gegessen hatte; und ohne Verzug stieg er nach Schloß Ruschen hinauf, um von dort mit einer Kompagnie Scharfschützen zurückzukehren und das Schiff zu entern. Nachdem er den Kapitän und die Mannschaft hatte fesseln lassen, bemächtigte er sich des Korns.
Welch eine wilde Freude herrschte unter den Leuten! Welch ein Gejauchze wurde laut! Wie rannen den finsteren Männern die Tränen von den eingefallenen Wangen herab!
»Geduld!« rief der Bischof. »Bringt mir die Marktwage und Gewichte.«
Die Wage und Gewichte wurden nach dem Hafen heruntergebracht, und jeder Scheffel der Ladung wurde genau gewogen und nach des Kapitäns Angabe mit dem höchsten Preise eingeschätzt. Darauf wurden Kapitän und Mannschaft befreit, und die Ladung von dem Bischof aus seiner eigenen Tasche bezahlt. Als er auf dem Rückwege nach Bischofs-Hof den Marktplatz überschritt, folgten ihm die vor Rührung überströmenden Blicke und die vor Schluchzen kaum hörbaren Hochrufe der Menge.
Und dann erinnerte sich Gott der Seinen, und ihre Not nahm ein Ende. Mit Frühlingsanfang wurden die Makrelen-Netze, mit einer silberglänzenden Masse gefüllt, in die Boote zurückgezogen, und Frieden und Wohlsein kehrten in die Herzen der Ärmsten selbst zurück.
Der Manxmann hatte jetzt seinen Bischof kennen gelernt; er hatte ihn als die in Trübsal stärkste Seele, als den in der Stunde der Freude und des Friedens heitersten Heiligen kennen gelernt. Der graue alte Bursche Bill der Tölpel schnitt eigenhändig B. M. mit dem Jahr des Herrn darunter in die Innenseite seiner Schranktür ein, um die Ankunft Bischof Mylreas zu verewigen.
Ein Maurer aus Irland, ein Katholik, Patrick Looney mit Namen, war an dem Tage an dem viereckigen Turm der Kirche am Marktplatz beschäftigt, und als er den Bischof unter sich dahinschreiten sah, kniete er auf dem Gerüst nieder und neigte das Haupt, den Segen des edlen Mannes zu erflehen.
Ein kleines, siebenjähriges Mädchen mit sonnigen Augen und gelbem Haar stand gerade neben dem Gerüst, und aus Wohlgefallen an des Kindes glücklichem Gesicht berührte der Bischof sein Haupt und sagte: »Gott segne dich, mein liebes Kind.«
Die Kleine erhob ihre unschuldigen Augen zu den seinen und antwortete mit einem Knicks: »Und Gott segne Euch ebenfalls, Sir.«
»Danke, mein Kind, danke,« sagte der Bischof. »Ich bin fest überzeugt, daß deine Segensworte ebensogut wie die meinen sind.«
Das war Gilcrist Mylrea, der Bischof von Man. Er bedurfte aller seiner Kraft und seiner ganzen Herzenszärtlichkeit für die ihm bevorstehenden Prüfungen.