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Neuntes Kapitel.
Der Gottesdienst am Strande

Es war im Frühling des Jahres, als der Urteilsspruch des Examinators Dan zu seinem Wohl oder Wehe von der Ausübung des Kirchenamtes ausgeschlossen hatte. Vom Glück verlassen und beschämt in den Augen der Leute, trieb er sich am Strande herum, wo der alte Billy mit seinen Fischern die Netze ausspannte und sie in Vorbereitung für den nun bald beginnenden Heringsfang auspflückte. Hier ausgestreckt auf dem warmen Sande, zur Seite Billy Quillaschs, der, den dunklen Pfeifenstummel im Munde, die von den vorjährigen Hundshaien zerrissenen Maschen flickte, kam ihm der Gedanke, seinem Leben eine neue Wendung zu geben. Es war nichts Größeres oder Geringeres, als ein Fischer zu werden. Er wollte ein Boot kaufen und den alten Billy zu seinem Bootführer machen; er wollte persönlich den Heringsfang betreiben und seinen eigenen Anteil und den des Bootes in Empfang nehmen. Es würde herrlich und außerordentlich einträglich sein. Alles schien einfach und sonnenklar, und obgleich der alte Billy halb mißbilligend seinen grauen Kopf über diesen Plan schüttelte, und sein wettergebräuntes Gesicht sich um einige Zoll verlängerte, er den Pfeifenstummel aus dem Munde nahm, sich lärmend räusperte und verloren auf die See hinausblickte und andere, vielsagende Zeichen ernster, innerer Zweifel äußerte, sprang Dan bei der plötzlichen Eröffnung dieser neuen Aussicht auf und rannte, um sie dem Bischof mitzuteilen, in wilder Eile davon.

Der Bischof hörte erst schweigend und mit seitwärts aus dem Fenster nach den Höhen von Slieu Dhoo gerichteten Blicken zu. Als Dan darauf in einer etwas kleinlauten Weise auf gewisse Besserungsabsichten anspielte, durchflog ein leises Zittern seine Augenlider, und erst nachdem Dan seiner Stimme so weit wieder Herr geworden war, um den unermeßlichen, allen Verlust ausschließenden Verdienst, den dieser Beruf versprach, ihm auszumalen, richtete er seine traurigen Augen langsam auf seinen Sohn, dessen eigner Blick plötzlich den Boden suchte und dessen hochtrabende Worte zu den kläglichen Dimensionen einer ausgepreßten Zitrone zusammenzuschrumpfen schienen.

Das Ende von allem jedoch war, daß der Bischof sich bereit erklärte, für die ersten Kosten des Bootes die Verantwortung zu übernehmen, und nach diesem gemachten Versprechen wandte er mit der Miene eines Mannes, der nur zu gut weiß, daß er die Laune eines verzogenen Kindes erfüllt, sein noch um eine Idee tiefer als gewöhnlich gesenktes Haupt plötzlich ab.

Welch eine Eile, welch eine Geschäftigkeit diesem Versprechen folgte! Welch ein Reiten nach Nord, Süd, Ost und West, nach jedem Fischerhafen der Insel, wo Boote gebaut oder verkauft wurden! Schließlich wurde in Port le Mary ein noch auf den Klampen befindliches Fahrzeug, ein dreißigtönniges Loggerboot, erstanden, und der alte Billy Quillasch südwärts geschickt, um dasselbe durch die Kalbenge nach dem Hafen von Peeltown zu lotsen.

Darauf mußte die Bemannung zusammengebracht werden. Der alte Billy wurde natürlich zum Bootsführer gemacht. Zwanzig Jahre lang war er in einem Kinvigschen Boote gefahren und hatte als Anteil drei Netze für sich selbst gehabt, und die Hälfte der Zeit war er Admiral der Peeltowner Heringsflotte mit fünf Pfund Besoldung jährlich für das Ehrenamt gewesen. In Dans Boot sollte er vier Netze für sich und eines für seinen Neffen Davy Fähle haben. Davy war ein von Billy Quillasch aufgezogener Waisenknabe. Er war ein Bursche von achtzehn Jahren und sollte als Schiffsjunge mitsegeln. Außerdem waren noch vier Paar andere Hände da – Crennel, der Koch, Tere, der Steuermann, Corkell und Corlett.

Früh und spät war Dan, seine Brust bis auf das wollene Hemd entblößt, mit irgend welcher notwendigen Arbeit, wie Anstreichen oder Zimmermannswerk, unten am Hafen beschäftigt, denn die Eröffnung des Heringsfanges stand nahe bevor. Dabei fand er jedoch genügend Zeit, um nach dem neuen Ballamona hinaufzueilen und Mona mitzuteilen, daß sie sein Boot, das beim Verlassen der Klampen noch keinen Namen gehabt hatte, taufen müsse; und darauf nach dem alten Ballamona hinzustürzen, um Ewan zu überreden, ihn auf seiner ersten Fahrt auf den Heringsfang zu begleiten.

Der zur Eröffnung des Fischfanges bestimmte Tag kam bald heran. Es war ein strahlender Tag im Anfang Juni. Ewan war nach Slieu Dhoo hinübergegangen, um seinen Vater zum ersten Male nach seiner Heirat, die vor einem halben Jahre stattgefunden hatte, zu besuchen und um die Erlaubnis zu bitten, da er selbst den Abend in Dans neuem Boote mit zum Heringsfang gehen würde, seine junge Frau, die zur Zeit gerade zarter Gesundheit war, die Nacht nach Ballamona herüberbringen zu dürfen. Der Deemster gab eine sehr gezwungene Einwilligung, und Ewans junges Weib ging am frühen Morgen hinüber. Am Nachmittag bestiegen alle vier, der Deemster und Mona, Ewan und seine Frau, einen schwerfälligen, nicht auf Federn ruhenden Landauer – der erste, den die Insel je gesehen hatte, um der Abfahrt der Heringsflotte von Peeltown und den damit verbundenen Feierlichkeiten beizuwohnen.

Die Luft war vom Salzdunst der See erfüllt, und die leichten Wellen im Hafen glitzerten durch den einschläfernden Flor warmen Sonnenscheines. Um sechs Uhr sollte Hochflut sein. Als der Deemster mit seiner Gesellschaft Peeltown erreichte, stand die Sonne noch hoch über Contrary Head, und die zweihundert im Hafen versammelten Fischerboote schaukelten mit ihren braunen, halbaufgezogenen Segeln in der Bewegung der steigenden Flut sanft hin und her.

Dan in seinem Guernsey Jacke aus Guernsey Wolle. stand auf dem Verdeck seines Bootes und lüftete, als der Landauer nahe am Fuße der hölzernen Landungsbrücke stille hielt, die rote Kappe von seinem Lockenkopf, um dann in seiner Beschäftigung, eine Flasche mit einem langen blauen Bande am Steuer zu befestigen, fortzufahren. Der alte Billy Quillasch in seinen Wasserstiefeln und Davy Fähle, ein ungeschickter, mehr langer als schlanker Junge mit blondem, ihm verwirrt über die Stirne fallendem Haar und seinem durch eine zurücktretende Unterlippe einfältig und abwesend erscheinenden Gesicht, waren ebenfalls gegenwärtig. Auf jedem Boote waren Männer beschäftigt, das Deck zu waschen oder das Wasser aus den kleinen zweirudrigen Kähnen zu schöpfen oder die Netze im Schiffsraum niederzulegen. Der Hafenmeister war an der Landungsbrücke und befahl dem einen Boot weiter zu rudern, dem andern beizulegen. Und unten auf dem breiten Strich Sandufer standen, saßen und räkelten sich Männer, Frauen und Kinder zu Hunderten um ein leeres Boot, das mit einem Loch im Boden hoch oben und trocken am Strande lag. Die alte Fischerstadt hatte heute ihr kaltes, unfreundliches Äußeres verloren und blickte nicht so verlassen wie sonst wohl auf viele Meilen düsterer See hinaus. Ihre Sackgäßchen und dunklen Gänge, ihre engen holperigen, winkligen Straßen waren mit freundlichen kleinen, aus den engen, zugestopften Fenstern hängenden Fahnen und noch freundlicher von lächelnden, ab und zu eilenden Gesichtern erhellt.

Gegen fünf Uhr, als die Sonne über dem Rücken von Contrary sich der See zuzuneigen und die braunen Segel im Hafen [in den] Schatten zu stellen begann, und die Mauern des zwanzig Meter vom Lande entfernten, auf dem Inselfelsen stehenden Doms in rotem Licht badete, fingen die Leute am Strande und die Fischer in ihren Booten an, sich der in ihrem Rücken liegenden Stadt zuzukehren. Einige der umwohnenden Geistlichen waren nach Peeltown gekommen, und der Deemster saß in seinem zurückgeschlagenen Landauer unter seinen buschigen grauen Augenbrauen plinkend in der Sonne. Nach einem jedoch wurde noch Ausschau gehalten, und die Erwartung stand deutlich auf jedem Gesicht geschrieben, bis ein vom Marktplatz über die Hausdächer herüberschallendes Hoch ertönte. Darauf entstand ein plötzliches Gedränge gegen den Aufgang zur Landungsbrücke hin, und dann kam, umringt von einer Menge lärmender, Arme schwenkender, Mützen werfender Männer, Frauen und Kinder ein rauhhaariges Manxponny das holperige Pflaster der Schloßstraße dahergestolpert, und auf ihm saß die hohe Gestalt des Bischofs.

Die Leute bewegten sich mit dem Bischof weiter, bis dieser den Strand unten erreicht hatte, und dort, neben dem untauglichen Boote, abstieg. Innerhalb zweier Minuten hatte jeder Fischer im Hafen sein Boot verlassen und sich mit seinen Genossen am Strande versammelt. Darauf begann eine tief ergreifende und unsäglich erhabene Feier.

Im offenen Boot stand der bleiche Bischof, dessen langes, graugesprenkeltes Haar die von der See kommende, salzdunstige, sanfte Brise leise über seine gebeugten Schultern hinüberwehte. Auf ihren Knien rund um ihn her lagen in ihren Wasserstiefeln und Guernseys barhäuptig und ihre weichen Mützen in ihren schwieligen Händen herumdrehend, die gebräunten, verwitterten Fischer. Im äußeren Ring standen Männer, Frauen und Kinder, und hinter ihnen wieder hielt der Wagen des Deemsters, im Halbkreis von den stampfenden Pferden einiger der schwarzröckigen Priester umgeben.

Der Bischof begann den Gottesdienst. Er erbat den Segen Gottes für die Fischerflotte, die im Begriff stand, aufzubrechen. Zuerst kam die Verlesung des Textes: »Und Gott sprach: Es rege sich das Wasser mit webenden und lebendigen Tieren«; und dann die Geschichte von Jesu in dem Boot, als während seines Schlafes ein großer Sturm sich erhoben hatte, seine Jünger ihn aufweckten, und er die Wasser zur Ruhe verwies; und dann die andere Geschichte, wie seine Jünger die ganze Nacht ihre Netze auswarfen, ohne einen einzigen Fisch zu fangen, und wie sie auf Christi Wort es noch einmal versuchten und einen so reichen Fang taten, daß ihre Netze zerrissen. »Gib und erhalte uns die Ernte der See,« betete der Bischof mit emporgerichtetem Antlitz; und die im Sande knienden Männer murmelten entblößten Hauptes und hinter ihren vorgehaltenen Mützen ihre Antwort in ihrer eigenen Sprache: » Yn Meailley« Gute Ernte.

Und während sie beteten, waren das sanfte Brausen der sich am Strande glättenden Wellen und das aus weiter Entfernung von der Landspitze kommende tiefe Murmeln der See und das wilde, schnatternde Geschrei einer Flucht sich um einen Felsen im Hafen jagender Seemöwen die einzigen Laute, die sich mit den tiefen Tönen des Bischofs und den heiseren Stimmen der Männer vermischten.

Zum Schluß ließ der Bischof einen Choral singen. Es war ein einfacher, alter Choral, der jedem Manne, seit seine Mutter ihn an der Wiege ihm vorgesummt hatte, bekannt war. Die Männer erhoben sich und stimmten mit ihren kräftigen Stimmen die Melodie an; die Menge dahinter und die Geistlichen auf ihren Pferden fielen ein, und in des Deemsters Wagen nahmen zwei weibliche Stimmen sie auf, und höher, höher, höher wie eine Lerche flutete sie hinauf, bis das laute Anschwellen des einfachen, alten Kirchenliedes das sanfte Brausen und das tiefe Murmeln der See und die wilden Schreie der Seemöwen übertönte.

Die Sonne sank durch einen roten Dunst dem Rande der See zu, und die Ebbe war der Flut nahe, als der Gottesdienst am Strande endete, und die Fischer in ihre Boote zurückkehrten.

Billy Quillasch sprang mit seinen vier Männern im Gefolge an Bord des neuen Bootes. »Fertig!« rief er Davy Fähle zu, der an der Landungsbrücke stehend damit beschäftigt war, die Taue von den Pfählen zu lösen, um dann in dem zweisitzigen kleinen Kahn, der unter den hölzernen Stufen lag, dem Boote zu folgen.

Dan war nach dem Landauer des Deemsters gegangen, um Mona und Ewans junger Frau beim Aussteigen behilflich zu sein. Er führte sie an die Stufen der Landungsbrücke, und nachdem die Gesellschaft sich um sie versammelt hatte, und alles bereit war, rief er dem alten Billy zu, ihm die mit einem blauen Bande am Steuer befestigte Flasche herüberzuwerfen. Darauf händigte er der ein paar Stufen über dem Rand des Wassers auf der Treppe stehenden Mona dieselbe ein. Mona, der der Stolz und die Freude aus den Augen leuchtete, sah ungemein frisch und lieblich an dem Tage aus. Dan unterhielt sich in linkischer Befangenheit mit ihr und blickte, wie seine derben, braunen Hände mit ihren zarten, weißen Fingern in Berührung kamen, seitwärts auf dieselben und von dort auf seine schweren, lärmenden Stiefel herab und dann wieder in ihr sanftes Angesicht.

»Wie soll ich es taufen?« fragte Mona, mit der Flasche in ihren erhobenen Händen.

»Mona,« antwortete Dan mit verschämter Miene und einer Hand in seinem braunen Haar.

»Nein, nein,« sagte sie, »nicht den Namen.«

»Dann wie du willst,« sagte Dan.

»Nun, die Ben-my-Chree Herzensmädchen.,« rief Mona und mit dem Ausruf zerbrach die Flasche an der Seite des Bootes.

Den nächsten Augenblick küßte Ewan zum Abschied sein schüchternes kleines Weib, und Dan schüttelte zum erstenmal in seinem Leben Mona verlegen die Hand und versuchte sein Bestes, ihr unbefangen ins Gesicht zu sehen.

»Hol daran!« rief Quillasch von dem Logger. Dann sprangen beide Männer an Bord, Davy Fähle löste die Taue von den Pfählen, und des Admirals Boot verließ, während die Admiralsfahne am Mastbaum hinaufschoß, die Landungsbrücke. Die übrigen Boote folgten eines nach dem andern, und bald war die ganze Bucht durch die Flotte ausgefüllt.

Als die Ben-my-Chree hinter dem Inselfelsen vorüber zur See hinaussegelte, standen Dan und Ewan hinten im Schiff, Dan in seinem braunen Guernsey, Ewan in seinem schwarzen Rock; Ewan wehte mit dem Taschentuch und Dan mit der Mütze; der alte Billy stand am Steuer; Crennels, des Koches Kopf erschien gerade über den Luken, und Davy kletterte an dem Tau entlang, durch das der kleine Kahn in den Stern des Schiffes hereingezogen wurde.

Dann segelte die Heringsflotte unter dem Schimmer der niedergehenden Sonne hinaus.


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