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Dreizehntes Kapitel.
Wie Ewan seine Frau betrauerte

Ein jammervolles Ereignis spielte sich am Morgen von Dans Bußgang im neuen Ballamona ab. In dem schon verdunkelten Sterbezimmer lag Ewans junge Frau mit geschlossenen Augen, friedlichen Zügen und einem leichten Anflug von Farbe auf den Wangen auf ihrem Sterbebett. Ihr Gewand war halb geöffnet, und ihr schönes Haupt auf ihr seidenes braunes Haar gebettet. Ein runder Arm lag über der Steppdecke ausgestreckt, und die zarten Finger waren nach innen gezogen, so daß ihr eichelartiger Daumennagel auf dem inneren Rande ihres Ringes ruhte. Ruhig, friedlich, holdselig und sanft lag sie wie eine Schlafende da. Nach einem kurzen, scharfen Krampfanfall war sie friedlich, kampflos, fast ohne einen Seufzer, nur gerade als ob sie müde sei, die Augen schließend und einen langen tiefen Atemzug ausstoßend, eingeschlummert. Sterbend hatte sie vorzeitig einem Kinde das Leben gegeben, einem Mädchen, und dasselbe lebte und wurde im Augenblick des Scheidens der Mutter entnommen.

Als der Deemster sehr bleichen Angesichts und entsetzten Blickes das Zimmer betrat, stand Mona zu Häupten des Bettes und blickte, ohne etwas zu sehen, auf dasselbe hinab. Der Deemster versuchte mit zitternden Fingern den Puls des auf der Steppdecke ruhenden Armes zu fühlen. Dann entfloh er aus dem Zimmer und ließ sich den Tag über nicht wieder in demselben sehen. Der Hilfsprediger, der Vater der jungen Frau, kam außer Atem angestürzt, stand einen Augenblick an der Bettseite und wandte sich dann schweigend ab. Ewan kam ebenfalls, ihm folgte Dan, der jedoch an der Türe zurückbleibend, diesen allein das trübe Zimmer betreten ließ. Kein Wort entfuhr Ewans Munde, bis er an der Seite seines Weibes sich auf die Knie niederlassend, seinen Arm um sie schlang, ihre noch warmen Lippen mit seinen eignen viel kälteren küßte und sie leise, als ob sie nur sanft schliefe, und er sie nicht zu plötzlich erwecken wolle, beim Namen rief, sie an seine Brust preßte und von neuem in noch sanfteren Tönen, die das aufwärts gerichtete Antlitz wie eine Liebkosung umfluteten, bei Namen rief –

»Allin! Allin! Allin!«

Mona bedeckte ihre Augen mit den Händen, und Dan wandte von seinem Platz an der Türe das Gesicht ab.

»Allin! Ally! Ally! Meine Ally!«

Die Stimme schlug wie ein Flüsterton und wie ein Kuß an das geschlossene Ohr, und nur ein anderer Laut war hörbar: Das schwache Wimmern eines neugebornen Kindes aus der darunter liegenden Stube.

Ewan erhob sein Haupt und schien zu horchen; er hielt inne und blickte auf die schwach gefärbten leblosen Wangen herab; dann legte er leicht seine Hand auf das Herz seiner Frau und schaute lange auf die nicht atmende Brust. Darauf zog er langsam seine Arme zurück und erhob sich.

Einen Augenblick blieb er wie betäubt, wie ein Mensch, dessen Hirn erstarrt ist, unbeweglich stehen, berührte, abwesenden Blickes, Monas Arm, zog ihr die Hand von den Augen herab und sagte wie jemand, der etwas Unbegreifliches erzählt: »Sie ist tot!«

Mona blickte ihm ins Gesicht und beim Anblick desselben begannen ihre Tränen zu fließen. Dan war geräuschlos ins Zimmer hinter Ewan getreten, und als dieser seine Gegenwart zu fühlen begann, wandte er sich mit demselben abwesenden Blick ihm zu und wiederholte in demselben leeren Ton: »Sie ist tot!«

Keine einzige Träne stieg, um den Blick dumpfer Starre zu erweichen, in Ewans Augen auf; kein zweites Mal streckte er seine Arme der vor ihm ruhenden, schweigsamen Gestalt entgegen; mit irren, starren, trocknen Augen blickte er auf sie hinab und wiederholte nur immer von neuem: »Sie ist tot, sie ist tot!«

Dan konnte es nicht länger ertragen, das Klopfen seines Herzens schien ihn zu ersticken und er floh ohne ein weiteres Wort hinaus.

Es war das entsetzliche Schweigen erstarrter Empfindung, der Tau jedoch löste es seinerzeit auf. Die Leiche der jungen Frau wurde in dem verdunkelten Zimmer ausgestellt, und Ewan verließ dasselbe und durchwanderte den ganzen Tag lang das Haus, und als der Abend sich geneigt hatte und die Lichter in dem Sterbezimmer angesteckt wurden, und alle in Ballamona zur Ruhe gegangen waren, durchschritt er noch ebenso planlos ein Zimmer nach dem andern. Er war sehr ruhig und sprach wenig und weinte keine Träne. Mitten in der Nacht öffnete der Deemster seine Schlafstubentüre und lauschte, und Ewans Schritt klang von einem Raum zum andern wandernd zu ihm herauf, wie ihn auch Mona beim jedesmaligen Erwachen aus ihrem unterbrochenen Schlummer hörte. Später jedoch in jener düsteren Stunde, die dem Erwachen des Tages vorausgeht, öffnete der Deemster noch einmal, um zu lauschen, seine Türe, und dann war alles still im Hause. »Endlich ist er zu Bett gegangen,« dachte der Deemster; als er dann aber am frühen Morgen an Ewans Stube vorüberging, fand er die Türe offenstehen und sah, daß das Bett unberührt war.

Der zweite Tag verging wie der erste, und die zweite Nacht wie die vorhergegangene, und wieder öffnete der Deemster in der Mitte der Nacht die Türe und hörte Ewans Schritt. Und wieder in der düsteren, dem Erwachen des Tages vorangehenden Stunde öffnete er zum zweiten Male seine Türe und fand alles still wie in der vorigen Nacht. »Sicherlich wird er nun in seinem Bett sein,« dachte der Deemster und wollte gerade in sein eignes Zimmer zurücktreten, als er, einer plötzlichen Eingebung folgend, erst nach Ewans Stube ging, um sich zu überzeugen, ob er recht habe. Er fand die Türe geöffnet, Ewan aber nicht dort, und das Bett unberührt.

Der Deemster schlich, von einem unheimlichen Gefühl überwältigt, nach seinem Zimmer zurück. Es ließ ihm jedoch keine Ruhe im Bett, und der Schlaf floh seine wachen Augen. Er lag und horchte auf den unsicheren Tritt rastloser Füße, der Laut jedoch blieb aus. Dann als das Morgengrauen über der Spitze von Slieu Dhoo heraufzog und alle Curraghs rund umher in Nebel gehüllt dalagen, und in weiter Entfernung gegen Westen hin die dunkle See mit dem sich lichtenden Himmel darüber eine langgestreckte Linie bildete, öffnete der Deemster seine Türe doch noch einmal und ging den Korridor entlang bis an die Türe jenes Raumes, in dem die Leiche lag. »Sollte er bei ihr sitzen?« dachte er mit Entsetzen und drückte die Klinke nieder. Als die Türe aufsprang, hielt er zurück; ein schwacher Laut unterbrach die Stille; es war ein leiser, abgemessener, von innen kommender Atemzug. Zitternd vor Furcht betrat der Deemster das Totengemach und wandte sich starr dem Bette zu. Dort im Dämmerlicht des Morgengrauens, das den Schein der in ihren Behältern flackernden letzten Kerzen dämpfte, sah er Ewan ausgestreckt zur Seite seines mit aufwärts gerichtetem, bleichem Gesicht ruhenden toten Weibes, ihre Hand mit der seinen bedeckend, im tiefen Schlafe liegen.

Dem Deemster sträubte sich das Haar; ihm war zumute, als ob ein Geist an ihm vorübergehuscht sei.

Sie begruben Ewans junge Frau zur Seite seiner Mutter unter dem nun mit dicken, grünen Beeren übersäten Holunderbaum, nahe der Mauer des über die See hinausblickenden Friedhofes. Es war ein schöner Morgen, die Sonne jedoch schien trübe durch eine Schichte heißer, einschläfernder, droben angesammelter und nicht verdunsteter Luft; Ewan überstand alles, ohne ein Wort oder einen Seufzer oder eine Träne. Nachdem die Trauergäste jedoch in das Haus des Deemsters zurückgekehrt waren, und er, ohne irgend ein Gefühl zu äußern, auf Monas Anrede antwortete und auch Dans Reuegeständnissen und Selbstanklagen mit abwesendem Blick und ohne ein Zeichen der Empfindung zuhörte, flüsterte der Bischof Mona etwas zu, worauf diese das Zimmer verließ, um gleich darauf mit dem kleinen, in seinen weißleinenen Umhüllungen ruhenden Kinde wieder hereinzukommen.

Die Sonne war jetzt durch eine schwere, dunkle Wolke gänzlich verhüllt, und ein leichter Regen schlug gegen die Fensterscheiben. Ewans Augen waren Mona, als sie das Zimmer verließ, mit leerem Blick gefolgt, bei ihrer Rückkehr jedoch schien ein neues Licht in ihnen aufzuleuchten. Er trat an sie heran, schaute auf das kleine, sanft gegen ihre Brust lehnende, schlummernde Gesicht hinab und streckte seine Arme nach seinem Kinde aus. Mona hielt es ihm entgegen, und er erfaßte es und setzte sich mit ihm nieder, und dann plötzlich stiegen die Tränen in seinen trockenen Augen auf, und er schluchzte laut.


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