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Siebzehntes Kapitel.
Dan gerät auf Abwege

Hierauf folgte eine jener vielen verhängnisvollen, durch verschiedenartige Umstände hervorgerufenen Tragödien, von denen es unmöglich zu bestimmen ist, ob böse Leidenschaften oder böse Zufälligkeiten sie ins Leben gerufen haben.

Dan ging geradeswegs nach dem neuen Ballamona, durchschritt, wie es in vergangenen Tagen seine Gewohnheit gewesen war, ohne Beobachtung irgend welcher Förmlichkeiten das Haus und ging direkt auf das Zimmer zu, in dem er Mona vermutete. Er fand sie dort und anscheinend durch sein Kommen erschreckt.

»Bist du es, Dan?« fragte sie in bebendem Flüsterton.

Er antwortete mürrisch –

»Ja, ich bin es. Ich habe dich aufgesucht, um mit dir zu sprechen – ich habe dir etwas zu sagen – aber es ist einerlei –«

Er hielt inne und warf sich in einen Stuhl. Sein Kopf schmerzte, seine Augen brannten ihm, und sein Gehirn schien umnachtet und verwirrt.

»Mona, ich glaube, ich verliere den Verstand,« sagte er nach einem Augenblick.

»Wie kannst du nur so sprechen,« erwiderte sie, schwer atmend und beunruhigten Gesichts.

Er antwortete nicht, nach einer Pause jedoch wandte er sich ihr plötzlich zu und sagte scharfen, harten Tones: »Du erwartetest nicht, mich hier zu sehen, und es ist dir verboten worden, mich zu empfangen. Verhält es sich nicht so?«

Sie wurde dunkelrot und antwortete nicht sogleich, dann begann sie zögernd –

»Mein Vater – ja, es ist wahr – mein Vater –«

»Es ist also wahr?« entgegnete er schroff. Dann sprang er auf und lief im Zimmer auf und ab. Nach einem Augenblick setzte er sich wieder nieder, stützte die Ellenbogen auf die Knie und den Kopf in die Hände.

»Und wie steht's mit Ewan?« fragte er.

»Ewan hat dich sehr lieb, Dan, und an dir liegt die Schuld.«

»An mir?«

Sein Wesen änderte sich plötzlich, er sprach kurz angebunden, selbst höhnisch und lachte grell auf.

»Sie fangen es ganz verkehrt mit mir an, Mona – das ist die Sache,« sagte er schwer atmend und nur mühselig die Worte hervorstoßend.

Mona starrte mit verschlungenen Händen und hängendem Kopf abwesend zum Fenster hinaus. »O, Dan, Dan,« murmelte sie mit leiser Stimme, »da ist dein lieber, lieber Vater und Ewan und – und da bin ich –«

Dan war aufgesprungen. »Laß mich nicht vor mir selbst erröten,« sagte er.

Einen Augenblick wanderte er im Zimmer auf und nieder, um dann nervös in die Worte auszubrechen: »Die ganze vorige Nacht hat mich ein entsetzlicher Traum gequält. Dreimal hat er sich wiederholt, und, o Gott, welch ein furchtbarer Traum! Es war eine arge Nacht, und ich wanderte im Finstern einher und stolperte erst in Moorgründe und dann in Karrengeleise hinein, als ich mich plötzlich von der Hand eines Mannes ergriffen fühlte. Ich konnte den Mann nicht sehen, und wir rangen in der Dunkelheit lange miteinander; es schien, als ob er mich bezwingen würde. Er hielt mich um die Taille, und ich ihn um die Schultern gepackt. Wir schwankten und stürzten zusammen nieder, und als ich mich wieder erheben wollte, fühlte ich seine Knie auf meiner Brust. Dann jedoch durchflutete mich eine mächtige Kraftwoge, und ich befreite mich von ihm und erhob mich, und wir rangen von neuem miteinander, und schließlich unterlag er, und ich saß auf ihm, und meine Hand hielt ihn fest bei der Kehle gepackt. Und während der ganzen Zeit hörte ich in der Finsternis seinen keuchenden Atem, aber nicht einmal den Laut seiner Stimme. Und dann urplötzlich, wie durch einen Blitzstrahl erhellt, sah ich das dem meinen ganz nahe Gesicht und – allmächtiger Gott! es war mein eignes Gesicht – mein eignes – und es war schon ganz schwarz von dem Druck meiner Finger an der Kehle.«

Er zitterte sichtlich beim Sprechen und setzte sich, während ein kalter Schauer ihm den Rücken hinablief, wieder nieder.

»Mona,« sagte er halb schluchzend, »glaubst du an Vorbedeutungen?«

Sie antwortete nicht. Ihre Brust hob und senkte sich sichtbar, und sie war der Sprache nicht mächtig.

»Pah!« sagte er mit veränderter Stimme, »Vorbedeutungen!« und er lachte bitter und erhob sich wieder und nahm seinen Hut zur Hand, fügte dann aber ruhigeren Tones hinzu: »Nur, wie ich sagte, Mona, sie fangen es ganz verkehrt mit mir an.«

Er hatte die Türe geöffnet, und sie hatte ihre tränenschwimmenden Augen auf ihn gerichtet.

»Es war schon schlimm genug, daß er selbst sich mir als Fremder gegenüberstellte, weshalb aber wollte er auch dich zu einer Fremden machen? Fremden! Fremden!« Er wiederholte die Worte im spöttischen Ton und warf den Kopf zurück.

»Dan,« sagte Mona mit leiser, leidenschaftlicher Stimme, während die Tränen ihr unaufhaltsam über die Wangen hinabliefen, »niemand und nichts kann uns zu Fremden machen, dich und mich – nicht mein Vater, oder dein lieber Vater, oder Ewan, – oder« – hier senkte sie die Stimme zu einem leisen Flüsterton – »oder irgend ein Unglück oder irgend eine Schande.«

»Mona!« rief er und trat einen Schritt näher an sie heran, um den einen Arm mit verlangender Geberde nach ihr auszustrecken.

Im nächsten Moment jedoch hatte er sich abgekehrt und ging zur Türe hinaus. Der Anblick aller auf Monas Gesicht so deutlich geschriebenen Zärtlichkeit und Treue erweckte sein Gewissen, wie es nie vorher erweckt worden war.

»Ewan hatte recht, Mona. Er ist der edelste Mensch auf Gottes Erde, und ich bin das elendeste Geschöpf auf derselben.«

Er hatte die Türe hinter sich geschlossen, als ihm in der Vorhalle Jarvis Kerrisch entgegen kam. Derselbe hatte gerade das Haus betreten und durchschritt in Hut und Mantel die Vorhalle. Bei Dans Anblick erbleichte er und trat, um ihn vorbei zu lassen, einen Schritt zur Seite; Dan jedoch bemerkte seine Gegenwart nicht einmal und schritt, ohne den Kopf zu erheben, zur Türe hinaus.

Mit noch gesenktem Kopfe hatte er die Ausgangspforte erreicht und durchschritten und sie mit voller Wucht und einem Knall wieder zugeworfen, als der Deemster dahergegangen kam und halb zögernd, als ob er mit Dan zu sprechen beabsichtige, stehen blieb. Dan jedoch ging gedankenvoll weiter, und des Deemsters Stirnrunzeln war an ihm verloren. Er schlug nicht den Weg nach dem alten Ballamona ein, sondern verfolgte den an Bischofs-Hof vorbeiführenden Pfad, und als er hinter den Bäumen an dem langen Hause vorüberschritt, sah er Ewan durch die kleinere Pforte kommen und dem neuen Ballamona sich zuwenden. Sie sprachen beim Vorübergehen nicht miteinander, noch blickten sie sich gegenseitig an.

Dan ging weiter, bis er an die Parochiekirche kam. Er hörte, daß drinnen gesungen wurde und blieb stehen. Es fiel ihm ein, daß es heiliger Abend sei. Der Chor übte den Psalm für den morgenden Gottesdienst.

»Ehe ich gedemütigt ward, irrete ich; nun aber halte ich dein Wort.«

Dan ging an die Kirchentüre heran und blieb lauschend stehen.

»Es ist mir lieb, daß du mich gedemütigt hast, daß ich deine Rechte lerne.«

Die hölzerne, eisenbeschlagene, wurmstichige und mit eingeschnittenen Namen reich versehene Türe war angelehnt, und von seinem Platz aus konnte Dan in die Kirche hineinblicken. Er sah die leeren Kirchenstühle, die weiten, viereckigen, grün überzogenen Sitze, auf denen er manchen heiligen Abend während des Oiel Verree gesessen hatte. Er konnte sich die Kirche, wie sie zu seiner Kinderzeit gewesen war, vorstellen, das Meer von Gesichtern, einige ernst und einige von Schalkheit übersprudelnd, die mit Schleifen versehenen Lichter, den alten Küster, Willy-Thorn, wie er mit seiner Stimmpfeife in der Hand unter dem Altargitter gestanden hatte, und Christopher in seinem wollenen Unterrock und mit aller Macht von einem von unten nach oben gehaltenen Notenblatt singend. Der Gesang hielt inne. Im Hintergrund lagen die Berge Slieu Dhoo und Slieu Volley, augenblicklich hinter einem dichten Nebelschleier versteckt, und über das flache Marschland tönte durch die Stille das leise Ächzen der See herüber. »Noch einmal,« sagte eine Stimme in der Kirche, und darauf wurde der Psalm wiederholt. Dan begann leichter zu atmen, er wußte kaum weshalb, eine schwere Last schien ihm vom Herzen genommen.

Als er sich von der Kirchentüre abwandte, kam ein dunkles Wolkengewebe von der See dahergefegt. Er blickte hinauf und sah, daß ein Schneesturm im Anzuge war und daß die Schneewolke sich entladen würde, sobald sie die Berge erreichte.

Die Uhr im grauen Turm begann zu schlagen – eins – zwei – drei – so war es also drei Uhr. Dan ging der als Kinnbackenbucht bekannten Seezunge unter dem Orris Head zu. Er erwartete den alten Billy Quillasch und seine Fischer, denen er erlaubt hatte, die Ben-my-Chree während der Wintermonate zum Fischen mit der Leine zu benutzen, dort unten zu finden. Als er die Bucht erreichte, war es eine Stunde nach Hochflut, und Quillasch und Tere waren mit dem Logger zum Schellfischfang hinausgefahren. Davy Fähle, der wie Dan selbst noch seinen Uniformgurt und Dolch trug, hatte sich zwischen dem Netzabfall und den alten Tauenden zu schaffen gemacht, die in dem Schuppen lagen, den die Männer als Aufbewahrungsort für ihre Gerätschaften zusammengezimmert hatten.

Davy blickte auf die See hinaus. Es wehte eine frische Brise, und die weißen Köpfe der Stoßwellen draußen waren gerade noch durch die dicke Luft sichtbar.

»Der Sturm zieht herauf, Herr Dan,« sagte Davy.

»Seht Ihr den Steißfuß oben auf der weißen Welle dort draußen wohl? Hört Ihr sein wildes Geschrei?«

Davy beschirmte seine Augen gegen den von der See herüberwehenden Wind und blickte nach dem Sturmvogel hinauf, der zu ihren Häupten die Spitze der Klippe umkreisend sein jämmerliches Geschrei ertönen ließ. »Ja, und seht Ihr Mutter Careys Küchlein Sturmvögel. da oben?« fragte Davy weiter. »Der Sturm zieht herauf und furchtbar schnell dazu.«

Ein Sturm zog in Wahrheit herauf, und zwar ein Sturm, schrecklicher als Wind und Schnee.


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