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Elftes Kapitel.
Das Heringsfrühstück

Es war zwischen vier und fünf Uhr, als die Flotte nach der ersten Nacht des Heringsfanges in den Hafen von Peeltown einlief, und gegen acht Uhr hatten sich alle Fischer, wenigstens fünfzig an der Zahl, zu dem gewohnten ersten Frühstück in der Küche der »Drei Beine von Man« versammelt. Welch' Spaß! Welch' lärmendes Lachen! Welch' Singen und welch' schallende Hochrufe! Die Männer kamen und gingen, standen oder saßen je nach Gefallen. In ihren wollenen Mützen oder breitrandigen Südwestern, ihren Wachstaft-Jacken, oder mit ihren langen Stiefeln über die Arme gehängt, kamen sie, bedeckten oder unbedeckten Hauptes scharenweise herein, sangen oder unterhielten sich, lachten oder scherzten, schalten oder brummten, lärmten oder schwiegen, je nachdem die Laune des Augenblicks es jedem eingab. Viel später als alle übrigen schwankte unter lautem Lachen, einen Jauchzer und etwas einem Fluch Ähnliches und mit der breiten Volkssprache auf den Lippen Dan Mylrea herein.

»Billy Quillasch – heda, Billy – weshalb bietet Ihr dem jungen Herrn nicht den Vorsitz an?«

»Ach was, laßt mich zufrieden,« antwortete Billy Quillasch mit verächtlichem Kopfwerfen.

»Onkel Billy ist furchtbar stolz auf den jungen Herrn,« flüsterte der ganz bescheiden auf einer Bank nahe der Türe hockende Davy Fähle einem neben ihm mit übergeschlagenen Beinen sitzenden Manne zu.

»Die Burschen da nehmen sich etwas viel Freiheit heraus,« sagte der alte Billy im vertraulichen Flüsterton zu dem sich auf dem Sofa ausstreckenden Dan, um sich erhebend würdevoll fortzufahren:

»Gentlemen, was meint ihr dazu, wenn wir Herrn Dan bäten, den Vorsitz zu übernehmen?«

Dieser Vorschlag wurde durch einen lauten Trommelwirbel begrüßt, ausgeführt mit den Hacken der langen, über den Armen einiger Fischer hängenden Wasserstiefel und mit verschiedenen Tonpfeifen, die in der Berührung mit dem Tisch den Kopf einbüßten. Der alte Billy setzte sich wieder nieder und warf einen Blick hoheitsvoller Gönnerschaft auf die Männer ringsumher, der deutlich, wie Worte es nicht besser vermocht hätten, ausdrückte: »Nun! sagte ich es Euch nicht, daß Ihr getrost mir alles überlassen könntet?«

»Stolz, sagst Du, ist er auf ihn? Sieh ihn nur an,« flüsterte der neben Davy sitzende Fischer diesem zu.

Dan erhob sich taumelnd und bahnte sich einen Weg nach dem Sitz am oberen Ende des Tisches. Kaum hatte er Platz genommen, als er auch schon nach seinem Frühstück verlangte, und ohne Verzug wurde ihm dasselbe frisch aus den auf dem Herde brodelnden Pfannen und Kesseln aufgetragen.

Erst kam die mit Gerste und Kohl wohl verdickte Suppe; dann Nierenfettpudding, und zum Schluß wurde die Bratpfanne von der Wand herabgenommen und vier bis fünf Dutzend frischer Heringe unter Knistern und Spritzen darin braun gebraten.

Dan aß heißhungrig unter lautem und unaufhörlichem Lachen und Sprechen. Die Männer ließen sich zuerst von seinem lärmenden Wesen anstecken, nach einiger Zeit jedoch begannen sie, ihre zottigen Köpfe zu schütteln und zusammenzustecken und sich flüsternd zu fragen: »Was ficht den jungen Herrn an?«

Das Tischtuch und die Schüsseln verschwanden und eine Öllampe mit offenem Becken – ein Überbleibsel irgend eines pfäffischen Heiligtums des Mittelalters – wurde vom Kaminsims genommen und, um den zu entrichtenden Zoll in sich aufzunehmen im Verein mit einem als Fidibusbehälter dienenden Rauchfaß, auf den Tisch gestellt; die Westentaschen lieferten die Pfeifen und Schnapskrüge mit Gläsern und Flaschen wurden aus der vorderen Schenkstube hereingebracht.

»Habt Ihr vor, Euch 'n Rausch anzutrinken, Billy?« fragte Ned, der Matrose; worauf der alte Billy mit einem überlegenen Lächeln eine gerade entkorkte Whisky-Flasche hochhob.

Dann kamen die Toaste. Der Vorsitzende erhob sich unter einem »Hoch, Hoch, dreimal Hoch,« und brachte den Toast: »Dem Manne das Leben, dem Fische der Tod« aus; worauf Quillasch mit: »Tod dem Haupt, das kein Haar auf dem Kopfe hat!« folgte.

Dann wurde toller gelärmt und toller getrunken, und in der Nachbarschaft des Vorsitzenden ging es am lautesten zu. Darauf stimmte Dan ein Lied an. »Trink zu mir mit den Augen dein,« begann er zu singen, und sofort verstummte die lärmende Gesellschaft, um bald in hörbares Seufzen auszubrechen.

»Ach, Mann, welch eine Stimme er hat!«

»Und wie laut und doch zart dabei, und wie er ohne zu quietschen und überzuschnappen auf und nieder schlittert!«

»Ja, ja, das ist anders, wie wenn man 'ner alten Sau in den Schwanz kneift, um einen Ton herauszupressen!«

Der alte Billy lauschte diesen Zwiegesprächen der um ihn sitzenden Fischer mit überlegenem Lächeln. »Das ist gar nichts,« sagte er herablassend, »das ist gar nichts! Ihr solltet ihn 'mal draußen im Boot hören, wenn wir vor Anker liegen, ich und er, wir beide, und die Sterne gerade hervorgucken, und Mond und Meer leuchten und all das andere Zeugs dazu, und ich und er hinten im Boot rauchend liegen und vielleicht auch 'n Gläschen dazu trinken, aber in allen Ehren – das ist die Zeit, wo Ihr ihn hören solltet. Ja, Menschenskinder, ich und er, wir stehen uns nahe wie ein paar Brüder.«

»Mehr Brandy,« rief Dan, mühselig auf seine Füße sich erhebend.

»Ach, Ihr da! Hört da unten? Gebt uns 'n Zug von dem Brandy ab. Recht so. Mehr Brandy für den Vorsitzenden!« rief Billy Quillasch. »Und für jemand anderes ebensowohl? Ist's das, was die Lümmel da unten sagen? Nun gewiß, und mag's Euch heimgezahlt werden, natürlich für mich ebenso wohl. 's ist furchtbar bekömmlich für die Nerven, und wie ich mir habe sagen lassen, für die Stimme nicht minder. Noch ein Lied? Natürlich, natürlich. Was sagt der Vorsitzende? Höllisches Feuer, wie? Verflucht, aber recht hat er bei alledem. Wie lauten die Worte noch? ›Wer töricht genug ist, höllisches Feuer in seinen Mund zu gießen, versengt sich das Gehirn?‹ Ach, ja, ja, das gute alte Buch weiß es beim rechten Namen zu nennen.«

Darauf folgte wieder neues Trinken und abermaliges Trinken, bis das offene Becken der Klosterlampe von klingenden Münzen überfloß. Der alte Billy stimmte seinen Gesang an. Es war ein trübseliges Lied über den Untergang einer Heringsflotte an einem St. Matthäus-Tage vor nicht allzuferner Zeit.

»Eine Stunde eh' es tagt,
Tom Grimshaw man sagt,
Im Hafen zu ankern versucht hätt';
Von ihm und Tom Moor
Jede Spur man verlor,
Und auch vom unseligen Kinved.«

Die letzten drei Reihen jedes Verses wurden von der ganzen Gesellschaft im Chor wiederholt. So traurig wie das Lied auch immer sein mochte, die Männer sangen es mit einer Frische, die keinen allzu großen Schmerz voraussetzen ließ, und so laut wie die Stimmen der Fischer auch waren, Dans Stimme übertönte sie alle.

»Ach, Dan, Mann, Dan, Menschenskind, Dan,« flüsterten die Männer untereinander. »Was ficht Herrn Dan an? er übertreibt's, wirklich, ach ja, ja!«

Immer mehr Getränk und immer mehr Lärm, und dann konnte man durch den dichten Tabaksqualm den alten Billy Quillasch sich mit Anstrengung erheben sehen. »Ruhe!« schrie er mit lauter Stimme, »ruhig da!« und dabei erhob er sein Glas. »Dies Glas auf Herrn Dan Mylrea, und wenn er nicht unter die Pfaffen geht, desto schlimmer für sie, aber in die Regierung wird er gehen, und wenn er erst einmal seinen Fuß in das große Haus Regierungsgebäude. in Castletown setzt, wird's mit der ganzen Bande von Geistlichen, ihren Zehnten und ihren Strafgesetzen und ihren Gebräuchen und Abgaben, ihren Verboten gegen das Zählen der Heringe, und was sonst noch für Unsinn, vorbei sein, so viel sage ich. Was sagt Ihr Männer da? ›Armselige Lästermäuler?‹ Ja, so war's, und ganz recht ist ihm geschehen, das ist meine Meinung. Und was wollt Ihr mit Eurem Grinsen und Zuwinken etwa bezwecken, Ned Tere? Ihr nehmt Euch große Freiheiten mit dem Herrn heraus, und wenn's nicht meinetwegen wäre, würde er sich überhaupt nicht so gemein gemacht und sich unter Euch gemischt haben, und mit Euch singen und fröhlich sein. Burschen, füllt Eure Gläser, jeder einer unter Euch, hört Ihr? Dies Glas dem besten, großmütigsten Gentleman von der ganzen Insel, niemand ausgenommen – Herr Dan'l Mylrea, Hoch, Hoch, dreimal Hoch!«

Der Toast wurde mit großem Jubel aufgenommen, und Rufe »Dan'l Mylrea, der beste Gentleman, niemand ausgenommen!« wurden laut.

Was aber spielte sich am oberen Ende des Tisches ab? Dan hatte sich von seinem Lehnstuhl erhoben; es war der Augenblick der Entgegnung für ihn, er starrte jedoch wild um sich und stand schweigend, mit am Gaumen klebender Zunge, da. Jedes Auge war jetzt auf sein Antlitz gerichtet, und dasselbe zuckte und erbleichte. Das Glas, das er in der Hand hielt, entfiel seinen entnervten Fingern und zerbrach auf dem Tisch. Das Lachen erstarb auf jeder Lippe, und die Stimmen verstummten. Endlich begann Dan zu sprechen, seine Worte kamen schwerfällig hervor und waren schauerlich anzuhören.

»Männer,« sagte er, »Ihr habt auf meine Gesundheit getrunken. Ihr habt mich einen guten Burschen genannt. Das ist nicht wahr. Ich bin der schlechteste unter Euch allen. Der alte Billy sagt ich werde in die Regierung gehen. Das ist ebenfalls nicht wahr. Soll ich Euch sagen, wohin ich gehen werde? Soll ich's Euch sagen? Zum Teufel werde ich gehen,« und dann sank er unter atemlosem Schweigen auf seinen Stuhl zurück und vergrub das Gesicht in die Hände.

Niemand sprach. Der blonde Kopf lag zwischen den zerbrochenen Pfeifen und dem verschütteten Brandy auf dem Tische. Das Trinken hatte für den Morgen sein Ende. Alle Männer erhoben sich, griffen nach ihren Schauermänteln oder ihren langen Wasserstiefeln, und schlenkerten einer nach dem andern zur Türe hinaus. Der Raum war von dichtem Rauch erfüllt; draußen aber war die Luft leicht und klar, und die Morgensonne schien strahlend.

»Sonderbar, war's nicht sonderbar?« brummte einer der Burschen.

»Sonderbar, höchst sonderbar!«

»Er hat letzthin aber auch übermäßig getrunken!«

»Und er hatte durchaus kein Recht, den jungen Pastor niederzuhauen, und dabei sein leibhaftiger Vetter und ihm so zugetan, wie man sagt.«

Unter derartigen Gesprächen gingen die Mißvergnügten ihres Weges. Nach zwei Minuten war der Raum, abgesehen von dem unglücklichen Mann, der dort mit vergrabenem Gesicht lag und Davy Fähle, der mit dicken Tränen in den Augen ihm die verwirrten Locken streichelte, leer.


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