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Vierzehntes Kapitel.
Das neue Geschlecht


Mehr als ein Jahrzehnt war dahingerauscht, bedeutsam für die Ereignisse der Weltgeschichte, und nicht minder gewichtig für die Erlebnisse der einzelnen Menschen.

Auf dem kurfürstlichen Thron von Brandenburg saß nicht mehr Joachim I., sondern sein Sohn und mit ihm war die Reformation in seinen Landen auch äußerlich zur Herrschaft gelangt, wie sie schon längst im stillen die Herzen und die Familien sich erobert hatte. Joachim war unversöhnt mit seiner Gemahlin aus dem Leben geschieden; er war seiner Feindschaft gegen die neue Lehre treu geblieben, aber er vermochte es nicht, sie in ihrem Siegeslauf zu hemmen.

Die Kurfürstin hatte in stiller Zurückgezogenheit auf Schloß Lichtenberg während all dieser Jahre gelebt; ihre einzige Zerstreuung hatte in dem Verkehr mit dem großen Reformator und seiner Familie bestanden; öfter weilte sie in seinem Hause als ein gerngesehener und hochverehrter Gast, und in diesen Zeiten besuchte sie auch Ursula viel, die als geschäftige Pfarrfrau ihrem Gatten zur Seite stand und ihn durch ihr mildtätiges Wirken im Amte unterstützte.

Dabei vernachlässigte sie ihr eigenes Haus nicht, sondern schuf es nach dem Vorbilde, welches ihr Dr. Luthers liebe Käthe gab, zu einer Stätte des Behagens und des Friedens. Drei geliebte Kinder, die frisch und fröhlich um sie erblühten, machten ihr größtes Glück aus und sie und ihr Gatte hatten nur noch etwas zu wünschen, die Anwesenheit des Großvaters nämlich, aber er war nicht zu bewegen, nach Wittenberg überzusiedeln und die Reise nach dort erschien ihm jetzt allzuweit und beschwerlich.

So entstand in Dr. Olearius allmählich die Hoffnung, dereinst nach Berlin zu kommen, um dem geliebten Vater im Alter nahe zu sein, denn dieser lebte jetzt einsam in seinem großen Hause, da Peter sich von Nürnberg nicht hatte losreißen können, wo er das Geschäft seines Schwiegervaters übernommen hatte und mit großem Ruhm weiterführte.

Es war Meister Öhlert wohl manchmal einsam, aber er konnte sich doch nicht entschließen, von Berlin fortzugehen, wo ihn das geliebte Grab in festen Banden hielt, ebenso die Räume, in denen sein Weib gewaltet hatte, seine Kinder herangewachsen waren und er sein ganzes Leben mit den Freuden und Schmerzen, die ihm Gott zugeteilt, verbracht hatte.

Peter hatte lange gekämpft, ehe er dem Vater seine Absicht, in Nürnberg zu bleiben, mitteilte, und er würde dieselbe nicht ausgeführt haben, wenn sich Meister Öhlert ernstlich widersetzt hätte, aber dieser sagte nach einigem Erwägen:

»Ich billige dein Vorhaben, obwohl es mich ein großes Opfer kostet. Doch gedenke ich an Eure liebe Mutter, die so viel vom Heimweh zu leiden hatte, und dies möchte ich deinem jungen Weibe ersparen. Auch findest du in Nürnberg einen geeigneteren Boden für deine Kunst, als in unseren rauhen, nördlichen Landen, wo die Notwendigkeit über das Schöne den Sieg davonträgt. Oft habe ich den Mangel an Verkehr mit Gleichstrebenden bitter empfunden und ebenso fehlten mir Vorbilder, deren Anblick meinen Gedankenkreis befruchtete und erweiterte. So baue deinen Herd also in der Fremde, die dir zur Heimat werden wird; die Erzeugnisse deiner Kunst aber sind nicht an den Ort gefesselt, sie werden ihren Weg in die Nähe und Ferne finden und die Menschen noch in später Zeit erfreuen.«

Meister Öhlert entschloß sich nun, seinen treuen Altgesellen zum Meister vorzuschlagen, und als dieser allen Forderungen der Zunft nachgekommen war, übergab er ihm sein Geschäft, er selbst aber zog sich zu beschaulicher Ruhe in das obere Geschoß seines Hauses zurück. War auch der gute Jakob kein Künstler, so mußte man ihn doch einen tüchtigen Meister nennen, und gingen aus seiner Werkstatt nicht solche Kunstwerke hervor, wie sie Meister Öhlert geschaffen, so erhielt sein Nachfolger sich doch in gutem Ansehen.

Die Kurfürstin Elisabeth wurde in ihrer stillen Zurückgezogenheit nicht von mancherlei Heimsuchungen verschont; es befiel sie eine Erkrankung des Gemüts, die vielleicht durch jahrelangen Kummer, Angst und Sorge verursacht war. In ihrer Not fand sie treuen Beistand in Dr. Luther, der sie, oft für Monate, in seinem Hause beherbergte und ihr in den dunklen Stunden, in denen ihr Sinn umnachtet war, durch sein Zureden und indem er mit ihr und für sie betete, Trost und Beruhigung verschaffte, so daß mit der Zeit das Leiden gemildert, wenn auch nicht ganz gebessert wurde.

Die Sehnsucht nach ihren Kindern betrübte die zärtliche Mutter sehr, aber solange Joachim lebte, gestattete er ihr kein Wiedersehen, vielleicht, weil er ihren Einfluß in religiöser Beziehung fürchtete, denn es lag ihm sehr am Herzen, daß seine Kinder treue Anhänger der katholischen Kirche bleiben sollten. Trotzdem wandten sie sich alle, wenn auch bei seinen Lebzeiten mehr im verborgenen, dem protestantischen Glauben zu und wurden mutige Bekenner und freudige Förderer desselben.

Anna, die ein Herzog von Mecklenburg geheiratet hatte, wirkte in ihrem Lande und im Verein mit ihrem Gatten, dem sie in glücklicher Ehe zehn Kinder geschenkt hatte, für die Ausbreitung des Evangeliums und trat später in innigen Verkehr mit der Mutter.

Elisabeth, die dieser so viel Schmerz bereitet hatte, sollte sie auch wieder hoch erfreuen, denn als Gemahlin des Herzogs Erich von Braunschweig hatte sie zwar viel Schweres zu erdulden, die Schlacken ihres Charakters wurden aber durch diese Prüfungen und unter dem Einflusse des von ihr sehr geliebten und hochverehrten Gatten, ausgeschieden und viele gute und edle Eigenschaften, die sie besessen, entwickelten sich zu hohen Tugenden. Der Herzog Erich, derselbe, welcher einst Luther zu Worms durch einen guten Trunk hatte erquicken lassen, wurde ein eifriger Bekenner der Reformation, die er in seinem Lande einführte, und um derentwillen er Verfolgung und lange Kerkerhaft, die ihm der erzürnte Kaiser auferlegte, standhaft ertrug. Elisabeth stand ihrem Gemahl in aller Trübsal in unerschütterlicher Treue und in festem Glauben zur Seite, und nach seinem Tode wurde sie die kluge Regentin des Landes und die liebende, verständige Vormündin ihrer Kinder. Von ihrer Fürsorge für die protestantische Religion legt der Katechismus, den sie selbst verfaßte, Zeugnis ab.

Die jüngste Tochter Margarete war noch ein Kind gewesen, als sich ihre Mutter blutenden Herzens von ihr in jener Märznacht losriß, und sie sah sie erst wieder, als sie den Witwenschleier um ihren ersten Gemahl, einen Herzog von Pommern, trug, und es war Elisabeth eine wehmütige Beruhigung, zu gewahren, wie sie sich gleichfalls dem Protestantismus zugewandt hatte. Demselben blieb Margarete auch treu und tat unermüdlich das Ihre zu dessen Ausbreitung, als sie sich zum zweitenmal mit einem Herzog von Anhalt vermählte, mit dem sie in langer, glücklicher Ehe lebte.

Auch die Söhne Elisabeths bekannten sich zu der Reformation, trotzdem der Vater ihnen noch auf dem Sterbebette das Festhalten an der alten Lehre zur Pflicht gemacht hatte. Markgraf Johann, dem Joachim die Neumark hinterlassen hatte, bewies große Entschiedenheit, indem er sogleich die Reformation in seinem Lande einführte, und der nunmehrige Kurfürst Joachim II. folgte nach Jahresfrist dem Beispiele des Bruders, mit dem ihn eine zärtliche Liebe verband.

In Brandenburg erregte der Übertritt des Kurfürsten zwar große Freude, änderte aber nicht viel an dem Bestehenden, denn die Bevölkerung hatte sich ja längst dem protestantischen Glauben zugewandt; nur war die Vorsicht, welche man sonst gebraucht hatte, nicht mehr vonnöten und offen und frei trat das Luthertum auf.

Kurfürst Joachim hegte nun den Wunsch, seine Mutter zur Rückkehr in ihre Heimat zu bewegen; aber obwohl sie verordnet hatte, daß man sie nach ihrem Tode an der Seite ihres Gemahls begraben solle, zögerte sie doch noch mehrere Jahre, ehe sie das Verlangen ihrer Söhne erfüllte. Vielleicht wurde es ihr schwer, von dem liebgewordenen Schloß Lichtenberg und noch mehr aus der Nähe des großen Reformators zu scheiden.

Sie machte es zur Bedingung, daß ein protestantischer Geistlicher täglich an ihrem Hofe Gottesdienst halten solle, und dann erwählte sie zu diesem den Dr. Olearius, der ihr in all den Jahren ein treuer Berater gewesen war. So siedelte denn dieser mit seiner Familie mit der Fürstin zugleich nach Spandau über, und bald verbreitete sich der Ruf seiner Frömmigkeit und Beredsamkeit überallhin, und der Kurfürst versäumte nie, sich an seinen Predigten zu erbauen, wenn er zum Besuche seiner Mutter in Spandau weilte, ja, oft berief er den Dr. Olearius nach Berlin, um im Dom seines Amtes zu walten.

Das war dann stets eine große Freude für Meister Öhlert, besonders wenn dann auch Frau Christine mit den Ihren bei ihm zum Besuche weilte. Denn der Ritter Dietrich von Rochow stand bei Kurfürst Joachim II. nicht minder in Gunst, als bei seinem Vorgänger, und oft wurde er an den Hof berufen, um seine Ansicht zu sagen oder um wichtige Aufträge auszuführen, denn er war ebenso geschickt als Gesandter, wie er klug im Rat und erfahren in der Bewirtschaftung seiner Güter war, so daß er der Ritterschaft des Landes nach allen Seiten hin als Vorbild dienen konnte.

Er wurde auch von seinen Standesgenossen hochgeehrt und sein Beispiel wirkte viel, um sie zu bilden und den frühern Anschauungen ganz zu entfremden, und wenn sie ihm zuerst gegrollt hatten, weil er seine Ahnentafel durch die Vermählung mit einer nicht Ebenbürtigen befleckt hatte, so vergaßen sie dies allmählich, als sie sahen, wie voll und ganz Frau Christine ihren Rang als vornehme Edelfrau auszufüllen verstand, und sie mußten eingestehen, daß sie mit allen bürgerlichen Tugenden, die sie aus dem Vaterhause mitgebracht, auch die Vorzüge verband, welche ihr jetzt so sehr zustatten kamen: feine Sitte, adlige Gesinnung und anmutige Erscheinung.

Die Kurfürstin bezeigte ihr das alte Wohlwollen, und sie mußte sie oft in Spandau besuchen und ihr ihre Kinder vorstellen, die der hohen Frau viel Freude machten und die sich dann mit der im Pfarrhause fröhlich aufwachsenden Jugend aufs innigste vergnügten, während Ursula und Christine durch ihr Mutterglück noch näher zueinander gezogen wurden.

Nachdem Kurfürst Joachim seine erste Gattin durch den Tod verloren hatte, vermählte er sich zum zweiten Male mit Hedwig, der Tochter des Königs von Polen. Die Kurfürstin Elisabeth war über diese Wahl mehr erschrocken als erfreut, weil sie von der streng katholischen Prinzessin einen der Reformation feindlichen Einfluß besorgte; doch erwiesen sich ihre Befürchtungen unbegründet, denn wenn Hedwig auch ihrer angestammten Religion treublieb, so stand sie doch ganz vereinzelt damit an dem protestantischen Hofe ihres Gemahls.

In anderer Hinsicht erlebte die verwitwete Kurfürstin noch vieles, was sie tief bekümmerte, so den Tod des Dr. Luther, den Ausbruch des Schmalkaldischen Krieges, das Unglück und die lange Gefangenschaft ihres treuen Verwandten, des Kurfürsten Johann des Beständigen von Sachsen, und endlich sogar die Gefährdung der ihr so teuren lutherischen Lehre durch den Sieg der Gegenpartei. Aber sie hatte gelernt, im Unglück nicht zu verzagen und auf des Herrn Hilfe zu bauen, und so ertrug sie diese schweren Zeiten mit ihren Sorgen und Nöten in stiller Ergebenheit.

Dann ward es ihr auch noch vergönnt, den Umschwung der Dinge, der durch Moritz von Sachsen herbeigeführt wurde, zu erleben und sie sah den ihr so teuren Glauben in seinem fröhlichen Aufblühen und Ausbreiten. So stand sie am Abend ihres Lebens da, zufrieden und dankbar, umgeben von ihren Kindern, mit denen sie sich eins wußte in ihren heiligsten Überzeugungen und hoffnungsvoll in die Zukunft blickend, von der sie den vollen Sieg der protestantischen Religion erwartete.

Sie überlebte ihren Gemahl um mehr als zwanzig Jahre, aber nun war das Ende ihrer Laufbahn gekommen, sie fühlte sich als eine müde Pilgerin, die sich nach Ruhe sehnte. Einen Wunsch hegte sie noch, nämlich den, ihre Tage in dem Schlosse zu Berlin zu beschließen, an das sie so viele liebe und schmerzliche Erinnerungen knüpften und das sie nicht wieder betreten hatte, seit jener Nacht, wo sie als eine heimatlose Flüchtige aus ihm geschieden war.

Sie sprach mit dem Dr. Olearius, ihrem vertrauten Gewissensrat, über dies Verlangen und sagte: »Ich habe Tage der Ruhe und des Friedens hier in Spandau verlebt, aber sie sind dahingeschwunden wie ein Traum. In Berlin habe ich mein eigentliches Leben gelebt, hier in Spandau, wo mein Dasein ereignislos verfloß, fesselt mich nichts, als das Bedauern, Euch Herr Doktor, als meinen täglichen Tröster und Berater zu verlieren. Aber ich glaube, ich vermöchte es nicht ohne Euch zu ertragen und so will ich mich bescheiden und hier mein Ende erwarten.«

Der Doktor überlegte einige Zeit, dann sagte er: »Da Eure Kurfürstlichen Gnaden so gesonnen sind, so erscheint mir der Ruf, welchen ich jetzt erhalten habe, um an den Dom zu Berlin als Hofprediger zu kommen, wie eine Fügung von oben. Unser gnädigster Kurfürst hat schon lange gewünscht, mich in solcher Stellung in seiner Nähe zu haben, doch lehnte ich immer ab, weil ich dem Amt, welches ich bei meiner Kurfürstin bekleidete, nicht ungetreu werden wollte. Auch jetzt wollte ich die Berufung nicht annehmen; da Euch aber durch eine solche ein Gefallen geschieht, so willige ich mit Freuden ein.«

Die Kurfürstin vernahm mit Rührung von dem Opfer, welches ihr der treue Mann so schweigend gebracht hatte, und sie freute sich, daß ihm dasselbe nun erspart wurde. So bewirkte sie ihre Übersiedelung nach Berlin sehr bald, und fast zu gleicher Zeit mit ihr traf der Dr. Olearius in seinem neuen Amte ein.

Er wurde von den Bewohnern der Schwesterstädte mit frohem Vertrauen bewillkommnet, denn er war ja einer von den Ihren durch seine Geburt und seinen alten Vater, der noch unter ihnen lebte, auch war er ihnen lieb und wert durch manche Gastpredigt, die er im Lauf der Jahre auf ihren Kanzeln gehalten auf den besonderen Wunsch des ihm so wohlgewogenen Kurfürsten.

So läuteten denn die Glocken der Domkirche ganz besonders fröhlich und feierlich an dem Pfingstsonntage, an dem der neuernannte Hofprediger seine Gemeinde zum ersten Male begrüßen sollte, und die Andächtigen strömten in Scharen herbei, so daß sie die Kirche kaum zu fassen vermochte.

In dem Chorstuhle der kurfürstlichen Familie saß die greise Elisabeth, von Kindern und Enkeln umgeben, ihr gegenüber auf einer Empore, welche seiner Zunft gehörte, der Meister Öhlert, der mit Stolz und Freude der Verkündigung des Wortes durch seinen Sohn lauschte. Dieser verstand es, die Herzen zu rühren und die Seelen zu erheben, und es war wohl keiner in der ganzen Versammlung, zu dem er nicht redete wie mit Engelszungen, so daß sie alle an seinem Munde hingen und seine Worte in sich aufnahmen.

»Ja, das ist die Wahrheit, die mein Sohn so redlich gesucht und so voll gefunden hat,« sprach der alte Meister mit hoher Befriedigung zu sich selbst und er dankte Gott, der ihn diesen Tag hatte erleben lassen.

Auf seinem Heimwege drängten sich die Leute zu ihm und priesen ihn glücklich als Vater eines solchen Sohnes, und wie seine eigene Seele erfreut und gestärkt war, so vernahm er um sich her das Zeugnis so vieler, denen das gleiche widerfahren war. Er hatte nun nicht mehr um ein einsames Alter zu klagen, denn Albrecht war auf seinen Wunsch zu ihm gezogen, Ursula waltete als sorgsame Hausfrau und pflegte den geliebten Vater wie eine Tochter, und ihre und Albrechts Kinder erfüllten die stillen Räume mit neuem fröhlichen Leben, so daß der Großvater mit ihnen wieder jung und frisch wurde.

Der Kurfürstin Elisabeth war es noch eine letzte Freude, zu vernehmen, wie schnell sich ihr verehrter Seelsorger die Herzen seiner Gemeinde gewann und wie segensreich sich sein Wirkungskreis gestaltete.

Oft stand sie am Fenster des Schlosses und blickte zu dem Erker hinüber, in dem sie vor langen Jahren Frau Mechthildis so oft gesehen und ihr freundlich zugewinkt hatte, und dann war es ihr, als werde die Vergangenheit zur Gegenwart, und sie vergaß, daß die blonden Kinder, die dort sich zeigten, schon die Enkel der ihr so lieben Frau waren. Vor ihrem geistigen Auge zog ihr ganzes Leben vorüber, die Freuden und Schmerzen, die Kämpfe und das Sehnen, welches ihre Seele erfüllte, und das alles nun in weiter Ferne hinter ihr lag, während stiller Frieden bei ihr eingekehrt war.

Sie litt nicht, aber sie wurde alle Tage schwächer, und die Gewißheit des Endes erfüllte ihr ganzes Wesen; sie wußte, daß sie einen guten Kampf gekämpft und sie hoffte auf die Palme des Sieges. So nahm sie Abschied von ihren Kindern, und auch von ihren Getreuen. Ursula war in den letzten Tagen nicht von ihrer einstigen Gebieterin gewichen, Christine eilte herbei, um sie noch einmal zu sehen und Dr. Olearius stand ihr zur Seite und gewährte ihrer Seele den Trost aus dem göttlichen Wort, auf das sie alle ihre Hoffnungen setzte.

Ohne Kampf ging die Kurfürstin hinüber, indem sie in sanften Schlummer versank, aus welchem sie nicht mehr erwachte. Ihre letzten Worte waren ein Bekenntnis ihres Glaubens gewesen. Sie wurde aufrichtig und tief betrauert von ihren Kindern und allen, die ihr nahegestanden hatten, und im ganzen Lande blickte man auf sie als das leuchtende Beispiel einer frommen Bekennerin.

Ihrem letzten Wunsche gemäß, dem sie auch in ihrem Testament wie im Leben Ausdruck gegeben hatte, wurde sie an der Seite ihres Gemahls beigesetzt, von dem sie ihre religiöse Überzeugung getrennt, den zu lieben und zu ehren sie aber nie aufgehört hatte. Die Bestattung erfolgte, wie sie es angegeben, in der Stille und in würdiger Einfachheit, ihr Andenken blieb lebendig und wirkte Gutes in weiten Kreisen.

Meister Öhlert gehörte zu denen, welche mit bewegtem Herzen der Fürstin das Geleit zu ihrer letzten Ruhestatt gaben; er war tief erschüttert durch ihr Hinscheiden und das Gefühl, daß er selbst am Ende seiner irdischen Laufbahn stehe, bemächtigte sich seiner mit ernster Mahnung. Mehr als je gedachte er an seine heimgegangene Mechthildis und freute sich, nun wieder mit ihr vereinigt zu werden, und zugleich erwachte die Sehnsucht nach seinen Kindern, die in der Ferne weilten.

Albrecht und Ursula gewahrten die Veränderung, die mit dem bisher so rüstigen Greise vor sich ging, und während sie ihm die zärtlichste Sorgfalt widmeten, beeilten sie sich, ihm seinen Wunsch zu erfüllen. Der achtzigste Geburtstag des geliebten Vaters sollte die ganze Familie zusammenführen und so machte sich Peter mit Weib und Kindern auf, und auch Christine kam mit ihrem Gatten und ihren Kindern.

Es war ein froher und zugleich ein wehmütiger Tag, als sich alles noch einmal um das ehrwürdige Familienhaupt vereint fand; sie, die aus einer Wiege hervorgegangen, durch das Leben in so verschiedene Bahnen geführt und doch durch treue Liebe miteinander verbunden waren, alle, Kinder wie Enkel, wetteiferten, dem Großvater ihre Verehrung zu beweisen, und sein Auge ruhte mit Wohlgefallen auf den stattlichen Gestalten der Männer, auf den anmutigen Erscheinungen der Frauen, auf den heranwachsenden Söhnen und Töchtern seiner Kinder, die sich nun anschickten, auch wieder ins Leben hinauszutreten, um dereinst zu wirken und zu streben.

Die, mit denen er jung gewesen und alt geworden war, ruhten nun fast alle im Grabe, aber ein neues Geschlecht entfaltete sich um ihn und breitete sich aus, und wie er getreu seine Pflicht getan, so würden auch die, welche von ihm stammten, ihm darin nacheifern, denn der Keim, den das Elternhaus gelegt, würde sich weiter entwickeln von Generation zu Generation. Da waltete Christine an der Seite des ritterlichen Gatten in echt adliger Gesinnung, da stand sein Ältester auf der Kanzel als Verkündiger des göttlichen Wortes und da schaffte sein anderer Sohn als würdiger Meister des zur Kunst erhobenen Handwerks, und sie alle bekannten sich zu der Lehre, welche ihm so teuer war.

Am Abend des Tages, der ihm so viele Freude gebracht, verlangte der greise Meister hinaus an das teure Grab, und obwohl seine Kinder es ihm in ängstlicher Besorgnis widerrieten, bestand er doch auf seinem Verlangen. Auf Christinens Arm gestützt, schritt er langsam dahin, die übrigen folgten. Lange umstanden sie schweigend den grünenden Hügel, und es war ihnen, als umschwebe sie der Geist der Verklärten.

Der Meister hatte sich auf das Bänkchen gesetzt, welches Peter, ehe er in die Fremde fortging, ihm eigenhändig gearbeitet hatte, um ihm das Weilen an der geliebten Stätte zu erleichtern. Seine Hände umfaßten den Stab, ohne den die wankenden Füße ihm den Dienst versagten, und das greise Haupt hatte sich hinabgesenkt.

In ehrerbietigem Schweigen standen die Seinen um ihn, sie wollten ihn in seinem Sinnen nicht stören, bis Dietrich, von einer Ahnung erfaßt, sich zu ihm hinabbeugte. Da sank er zur Seite, in seine starken Arme – er war sanft entschlummert.

Sie klagten und sie weinten nicht laut, der Frieden dieses Sterbens war zu groß, aber sie trauerten tief um ihn, und sie bewahrten sein Andenken und strebten ihm nach von Geschlecht zu Geschlecht.


Druck von A. W. Hayn's Erben,
Potsdam.

 


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