Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zehntes Kapitel.
Am Hofe


Als Ritter Dietrich durch das Stadttor von Berlin einritt, war auch ihm zumute, als habe er nun ein ersehntes Ziel erreicht und sein Herz klopfte in stürmischer Freude. Er ritt über die Brücke am Schloß und übergab Jochen sein Roß, um es in den Rochowhof zu führen, der mit seinem hohen Ziegeldache stolz über die noch meist mit Stroh gedeckten andern Gebäude emporragte. Er selbst trat bei Meister Öhlert ein, und wie er die Haustür öffnete, vergaß er, daß viel Jahre dazwischen lagen, und es war ihm, als sei er erst gestern hier ein- und ausgegangen.

Den Meister würde er in der Werkstatt finden, des konnte er sicher sein, aber trotzdem ging er an deren Tür vorbei und lenkte seine Schritte der Treppe zu. Auf dem Absatz derselben lag ein weiches Fell und auf diesem ein alter Hund, in dem sich schwer die einst so stattliche Dogge erkennen ließ. Mühsam und steifbeinig erhob er sich, um als treuer Wächter dem Fremden zu wehren, aber als der Ritter leise »Wodan« rief und ihm die Hand auf den Kopf legte, spitzte er die Ohren und wedelte mit dem Schwanze, um dann in ein freudiges Gebell auszubrechen.

Der Ritter gebot ihm Stille, aber schon hatte sich im oberen Stockwerk eine Tür geöffnet, und ein junges Mädchen erschien, hoch und schlank, lieblich und anmutig, wie er Christine sich vorgestellt, und doch eine andere, als wie er zu finden erwartet. Das Kindliche in ihrem Wesen war fort, sie war jetzt eine Jungfrau, voll Milde und voll Ernst zugleich. Ihr schönes Haar war in einer hohen Flechtenkrone über der weißen Stirn aufgesteckt, ein violettes Gewand fiel in schweren Falten zur Erde, am Gürtel trug sie ein Schlüsselbund, das Zeichen der Hausfrauenwürde.

Einen Augenblick standen sich beide gegenüber, sprachlos und ohne sich zu bewegen, und wie Dietrich Christines Bild in seine Seele aufnahm, mochten auch ihre Augen sich an seiner hohen, stolzen Erscheinung, an seinem schönen, männlichen Antlitz und an der Sicherheit seines Auftretens erfreuen. Dann besann und faßte sie sich, streckte ihm die Hand entgegen und sagte mit einer tiefen, klangvollen Stimme:

»Willkommen, Herr Ritter. Wie wird sich der Vater freuen!«

»Und Ihr nicht auch, Christine?« fragte er, ihre Hand, die sie ihm wieder entziehen wollte, in der seinen festhaltend. »Seid Ihr nicht froh, daß ich heimkehre?«

»Gewiß,« sagte sie, »aber tretet ein und gestattet, daß ich den Vater rufe.«

Sie deutete auf einen Sessel und schritt hinaus, ruhig und anmutig in jeder ihrer Bewegungen, aber dem Ritter tat etwas im Herzen weh.

Bald darauf trat der Meister ein, der sich nicht Zeit genommen, sein Schurzfell abzubinden und der den Heimkehrenden in seiner lieben, väterlichen Weise begrüßte. Gottlob, er war der Alte geblieben, kaum, daß die durchlebten Jahre seinem Haupt noch etwas Schnee zugefügt hatten.

Christine erschien nun auch wieder, gefolgt von einer Dienerin mit der Weinkanne und Erfrischungen und sie kredenzte ihm den Willkommenstrunk aus einem prachtvollen Pokal, dem Stolz des Hauses. So saßen die Männer wieder beieinander, wie in alten Zeiten, und wie der Ritter erzählte und sein Auge zu Christine hinüberschweifte, fand er in ihr auch alles wieder, was ihm lieb gewesen, die Ähnlichkeit mit der verklärten Mutter, das kindliche Mädchen, und daneben die sittige Jungfrau, zu der er in ehrerbietiger Scheu emporsah.

Mit welcher Teilnahme lauschten Vater und Tochter seinen Worten, wie war ihnen nichts, was ihn anging, zu gering und zu unwichtig, und wie gern vernahm er das Lob des alten Meisters über seine Handlungsweise, und las er in Christines strahlenden Augen ihre Billigung, und es deuchte ihm, als könne es gar keinen schöneren Lohn für ihn geben. Dann begann er von seiner Begegnung mit Peter zu berichten, leise und vorsichtig, bis sie alles wußten; nur was er für ihn getan hatte, das mußten sie erraten.

Christine lauschte ihm mit strömenden Tränen, und der alte Vater nahm sein samtenes Barettchen von den weißen Haaren, faltete die Hände und sagte: »Gott, ich danke dir tausendmal, daß du meinem Sohne einen solchen Freund in solcher Stunde gesandt hast, und ich bitte dich, segne es ihm jetzt und immerdar.«

»Es war nur meine Pflicht als Ritter und Landsmann,« suchte Dietrich abzuwehren, »und Peter hätte ebenso gehandelt an mir. Nun trauert aber nicht, liebe Jungfer Christine, Euer Bruder wird Euch bald selbst sagen, wie frisch und gesund er wieder ist.«

»Jetzt wird es mir zur Gewißheit, daß der Italiener damals den Juwelendiebstahl in meiner Werkstatt beging,« sagte der Meister. »Den Schlosser hat er zu seinem Werkzeug gemacht und nachher brachte er ihn um.«

»Warum machte sich der aber nicht auf eigene Hand mit der Beute aus dem Staube?« fragte der Ritter.

»Wahrscheinlich wagte er nicht, die Edelsteine selbst zu verkaufen, das sollte Francesco besorgen,« meinte der Meister. »Und nun ist dieser Schurke wieder straflos ausgegangen.«

»Doch nicht,« erwiderte der Ritter: »als wir nach Airolo kamen, einer kleinen Stadt am Gotthard, führte man eben einen armen Sünder zum Galgen, und Jochen, der den Umweg nicht scheute, um sich an solchem Schauspiel zu ergötzen, erkannte Francesco Malefatti in dem Missetäter, der wegen Straßenraub erst gehängt und dann aufs Rad geflochten werden sollte.«

»So ist der Gerechtigkeit doch Genüge geschehen,« sagte Meister Öhlert.

»Nun berichtet mir aber auch von dem, was sich hier ereignet hat,« sagte Dietrich. »Wie es hier im Hause steht, habe ich mich durch den Augenschein überzeugt, sonst weiß ich nichts, denn in den langen Jahren hat mir niemand geschrieben, als der Baumeister, der mein Schloß fast zur Vollendung unterdes geführt hat.«

»So habt Ihr Euch auf dem Rochowhof noch nichts erzählen lassen?« fragte der Meister.

»Auf dem Rochowhof?« erwiderte Dietrich. »Nein, das war ganz unmöglich, weil ich noch gar nicht dort war, mein erster Besuch galt Euch.«

Ein freudiges Rot überflog Christinens gewöhnlich so bleiche Wangen, während ihr Vater nur ein bedeutsames »So« hören ließ. Dann sagte er:

»Ich bin bereit, Euch Rede zu stehen. Womit soll ich beginnen?«

»Sprecht erst von der Kurfürstin,« bat Dietrich. »Ich verehre sie innig, und ich werde nie vergessen, daß ich mich als junger Ritter ihrem Dienst gelobt habe. Oft habe ich an die hohe Frau gedacht, aber nie etwas aus ihrem stillen Leben erfahren. Daß ihr Gemahl treu zum Kaiser steht und daß er ein großer Feind des Luthertums ist, weiß jedermann.«

Der Meister seufzte. »Leider ist es so. Ich darf doch offen zu Euch sprechen, Herr Ritter? Oder habt Ihr in kaiserlichen Diensten auch die Meinung Eures Gebieters angenommen, von dem man sagt, daß ihn nur die kriegerischen Verwickelungen hindern, den Anhängern des neuen Glaubens entgegenzutreten?«

»Im Feldlager wird nicht nach der Meinung eines Soldaten in religiösen Dingen gefragt,« entgegnete Dietrich, »und wie ich damals in dem Doktor Martinus den Befreier gesehen und wie ich ihn in Worms bewundern gelernt und die Überzeugung gewonnen habe, daß er die Wahrheit vertritt, so bin ich nur noch mehr zu ihm und seinen Ansichten bekehrt worden, und ich stehe treu zu ihm und seiner Lehre.«

Christine hatte in äußerster Spannung an Dietrichs Munde gehangen und stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, der Meister ergriff seine Hand und schüttelte sie kräftig.

»Ich hatte es nicht anders erwartet,« sagte er, »und doch erfreut mich Eure Antwort über alle Maßen. In der Zeit, in welcher wir leben, regt das religiöse Bekenntnis alle Gemüter auf, führt die Menschen in Freundschaft zusammen und scheidet alte Freunde auf ewig. Jeder nimmt Partei und keiner kann sich der heranströmenden Flut widersetzen. So mag es auch in der Familie des Kurfürsten sein. Während Joachim am liebsten die Reformation mit Feuer und Schwert vernichten möchte, gehört seine Gemahlin zu den stillen, aber, treuen Anhängern des neuen Glaubens. Ist doch auch ihr Bruder, König Christian von Dänemark, ein begeisterter Bekenner desselben und hat er doch Thron und Reich verloren und lebt als Flüchtling in deutschen Landen, nur um seiner Glaubensneigung treu zu bleiben.«

»Verzeiht, daß ich Euch widerspreche,« fiel Dietrich hier dem Meister in die Rede, »ganz so verhält es sich doch nicht. König Christian steht wohl fest zu der lutherischen Lehre, aber seinen Jähzorn, seine Grausamkeit und noch manche schlimme Fehler hat er nicht abgelegt, und deswegen haben sich endlich seine Untertanen empört und ihn vertrieben.«

Der Meister neigte sein Haupt. »Leider habt Ihr recht, und vielleicht wird das Unglück ihm zum Segen in dieser Beziehung. Unsere Kurfürstin hat sich viel um den Bruder, der ihr teuer war und dessen gute Eigenschaften sie schätzte, gehärmt. Ach, sie hat Leid genug! Zwischen ihr und ihrem Gemahl herrscht eine immer wachsende Entfremdung. Da sucht sie ihren Trost in der Religion. Aber der alte Glaube genügt ihr nicht, ihre Gebete richtet sie nicht an die Heiligen und ihre Hoffnung gründet sie nicht auf Reliquien, sondern sie hat es gelernt, sich nur auf Gott zu verlassen.«

»Was sagt der Kurfürst dazu?« fragte Dietrich.

»Er ahnt es nur, Gewisses weiß er nicht,« erwiderte der Meister. »Die hohe Frau verbirgt klüglich ihre wahre Gesinnung, soweit das möglich ist, und wie sie, machen es viele. Die neue Lehre zählt viele Anhänger in Berlin und Cölln und gewinnt sich täglich neue, aber es geschieht in der Verborgenheit, und unser Kurfürst ist weit entfernt, den wahren Stand der Dinge zu kennen. Wir hoffen auf die Zukunft und schicken uns in die Zeit.«

»Wie steht der Kurprinz zu dieser Frage?« fragte Herr Dietrich.

»Noch weiß man es nicht, er ist sehr vorsichtig, aber man hält ihn für einen Freund der neuen Lehre,« sagte der Meister. »Dann hat er sich jetzt mit der Tochter Herzog Georg des Bärtigen von Sachsen verlobt, und es ist bekannt, wie sehr dieser Fürst gegen Doktor Martin Luther feindlich ist, aber der Kurprinz hat doch auch bewiesen, daß er nicht die strengen Ansichten der Kirche teilt.«

»Wodurch?« fragte der Ritter.

»Seiner Schwester Anna gegenüber,« versetzte der Meister.

»Ach, die arme Prinzessin, die schon als Kind ins Kloster geschickt wurde,« sagte Dietrich. »Doch dort hinter dessen Mauern endigte ja ihr eigentliches Leben, und kein Seufzer und keine Träne dringen hindurch, die von ihrer Reue und Trauer über solchen Schritt, dessen Tragweite sie nicht ermessen konnte, berichten.«

»Doch nicht,« erwiderte Meister Öhlert. »Der Mutter war es gelungen, die Aufschiebung des Klostergelübdes zu erreichen, und so war die Prinzessin noch nicht unwiderruflich gebunden. Der Kurprinz, der diese Schwester zärtlich geliebt hatte, besuchte sie zuweilen; er kam auch als glücklicher Bräutigam, um ihr von seinen frohen Lebenshoffnungen zu berichten, und er fand sie bleich und traurig, ihr verfehltes Dasein beweinend. Das erschütterte ihn tief. Er bot nun alles auf, von dem Vater die Erlaubnis zum Austritt aus dem Kloster zu erlangen; der Kurfürstin wurden ihre liebsten Wünsche damit erfüllt.«

»So befindet sich die Prinzessin jetzt wieder am Hofe?« fragte der Ritter gespannt.

Der Meister schüttelte den Kopf und sagte: »Es kam ganz anders. Unser Kurprinz besitzt einen vertrauten Freund in dem Herzog Albrecht von Mecklenburg, und mit diesem sprach er oft von der sanften Schwester und ihrem schweren Lose. Der Herzog vernahm es mit herzlicher Teilnahme, und bald konnte er kaum genug davon hören. Ohne sie gesehen zu haben, lernte er die Prinzessin lieben und faßte den Entschluß, sie zu seiner Gemahlin zu machen. Dieser schilderte der Kurprinz seinen Freund so warm und innig, daß sie in ihm den besten der Menschen erblickte, und so fanden sich ihre Herzen. Sie verließ das Kloster und wurde bald darauf mit dem Herzog vermählt. Der Kurfürst war sehr befriedigt in seinem Stolz, und die Mutter nur zu glücklich über die Wendung, welche das Geschick ihrer Tochter nahm.«

»Woher wißt Ihr denn das alles so genau, Meister?« fragte Dietrich verwundert.

Meister Öhlert deutete auf Christine: »Von ihr, die noch immer bei der Frau Kurfürstin aus- und eingeht. Ihr müßt mich eben nicht für geschwätzig halten. Wenn ich nicht Eure Ergebenheit für Frau Elisabeth kennte, so würde ich gewiß nichts von diesen vertraulichen Dingen berichtet haben.«

»Dank Euch, Meister, daß Ihr mich so gerecht beurteilt,« sagte der Ritter und setzte dann hinzu: »Da ist die liebe Jungfer Christine wohl allgemach aus der Spielgefährtin die Freundin der Prinzessin Elisabeth geworden?«

»Nichts weniger als das,« rief Christine aus und verstummte dann, denn sie war mehr für das Schweigen und Handeln, wie für das Sprechen angelegt.

»Prinzessin Elisabeth ist sehr stolz,« fuhr der Vater fort, »ganz das Gegenteil ihrer Schwester. Meiner Christine ist sie nie hold gewesen, sie hielt sich immer für sich. Jetzt aber hat sie doch eine Freundin gefunden, in dem Fräulein Wolfhilde von Priewitz.«

»Wie, weilt Wolfhilde jetzt hier am Hofe?« rief Dietrich lebhaft aus.

»Wußtet Ihr das nicht?« fragte der Meister. »Schon seit Monaten, und sie ist wie ein glänzender Stern dort bewundert und umworben. Ist sie doch die reichste Erbin und, wie viele behaupten, das schönste Mädchen in den Brandenburgischen Landen. Ihr Vater starb vor Jahresfrist und der Kurfürst hat sich seitdem als Lehnsherr und als Vormund des Fräuleins sehr gnädig angenommen.«

»Sie ist also so schön geworden, wie sie versprach?« fragte Dietrich mit großer Lebhaftigkeit.

»Ihr werdet ja selbst urteilen,« versetzte der Meister.

»Gewiß, und das morgen schon,« erwiderte der Ritter. »Ich bin ja ihr nächster Nachbar, und wir waren stets gute Freunde. Doch Ihr solltet meine Neugier befriedigen. Jungfer Christine, wollt Ihr mir nicht das Fräulein beschreiben.«

Ehe diese zu antworten vermochte, hörte man draußen das dumpfe Tuten eines mächtigen Hornes in zehnmaliger Wiederholung, vor dessen erschütternden Tönen jede Unterhaltung verstummen mußte, und nun stimmte eine heisere Baßstimme ohne jede Melodie einen Gesang an:

»Hört Ihr Herrn und laßt Euch sagen,
Die Glock' hat zehn geschlagen!
Verwahrt das Feuer und das Licht,
Daß in der Stadt kein Schad' geschicht,
Und lobet Gott den Herrn!«

Der Ritter sprang auf, sobald das letzte langgezogene Wort verhallt war und rief aus: »Ich wußte nicht, daß es so spät war, Ihr hättet es mir sagen sollen, die Zeit verging so schnell. Arme Jungfer Christine, wie blaß Ihr ausseht, Ihr seid gewiß sehr müde.«

Er verabschiedete sich, indem er sagte: »Morgen will ich mich bei Hofe vorstellen, am Abend hoffe ich wieder hier bei Euch zu sein, aber ich werde mich vor einer ähnlichen Unbescheidenheit hüten.«

Der Meister und Christine sagten sich gute Nacht und trennten sich wie immer mit einer zärtlichen Umarmung. Sie hätten sich soviel zu sagen gehabt, und doch sprachen Sie kein weiteres Wort; die späte Stunde, in der sie sonst längst die Ruhe gesucht hätten, diente ihnen als Vorwand. Doch der Schlaf floh alle beide, und sie hatten noch kein Auge geschlossen, als sich der Nachtwächter mit einem andern Lied zurückzog, weil nun der Tag für die Städte und ihre Bewohner wieder begann. Es lautet:

»Hört Ihr Herrn und laßt Euch sagen,
Die Glock' hat fünf geschlagen!
Vergangen ist die finstre Nacht,
Ihr lieben Christen werdet munter und wach,
Und lobet Gott den Herrn!«

Ritter Dietrich von Rochow fand bei dem Kurfürsten den freundlichsten Empfang. Er mußte von seinen Erlebnissen erzählen und manche eifrige Frage Joachims beantworten. Dann reichte ihm dieser huldvoll die Hand und sagte:

»Ihr habt Euch bewährt in allen Lagen, Ritter, auch darin, daß Ihr den Lockungen des Ehrgeizes widerstandet und zu Eurem Fürsten zurückkehrtet. Ich brauche Männer, wie Ihr einer seid, aber ich weiß sie auch zu belohnen. Ich habe oft an Euch gedacht und Euch einen Preis bestimmt, um den sich viele vergebens bemüht haben. Welche Absichten habt Ihr jetzt.«

»Ich denke nach Rochatz zu gehen und den Schloßbau dort zu besichtigen,« antwortete Dietrich.

»Recht so, bereitet Euch ein warmes Nest,« lobte der Kurfürst. »Doch jetzt möchte ich Euch ungern missen. Am Hofe stehen Festlichkeiten bevor zu Ehren der neuvermählten Kurprinzessin, und wenn ich da dem märkischen Adel, dem es leider noch immer an feiner Sitte fehlt, gern das Beispiel ritterlichen Wesens aufstelle, so habe ich auch für Euch eine Augenweide in Bereitschaft und Ihr werdet mir dankbar sein. Jetzt entlasse ich Euch, um der Kurfürstin Eure Huldigung darzubringen.«

Dietrich folgte dem erhaltenen Befehl und begab sich sogleich zu der hohen Frau, die er im Kreise ihrer Damen fand. Sie sah müde und bleich aus, von ihrer einstigen Schönheit sah man nur noch Spuren, aber ihre Anmut und gewinnende Liebenswürdigkeit waren ihr geblieben, und mit dieser begrüßte sie den Heimgekehrten. Etwas zurück stand Ursula von Zetwitz, die ihr unentbehrlicher denn je war, und die, als sie von ihrer Gebieterin ins Gespräch gezogen wurde, in ihrer sanften Weise einige verständige und kluge Worte dazu gab.

Aus einer der tiefen Fensternischen erklangen fröhliche Mädchenstimmen und lautes Lachen und jetzt vernahm man ein Rauschen seidener Gewänder, als wenn sich die Übermütigen hinter den schweren Vorhängen versteckten. Die Oberhofmeisterin schüttelte mißbilligend den Kopf und raunte einem jungen Fräulein, das ihr zunächst stand, ein Wort des Tadels zu, das diese in äußerste Bestürzung zu versetzen schien.

Da trat plötzlich eine andere vor, groß und schlank, mit dunklen, sprühenden Augen, von wahrhaft berückender Schönheit, die durch die Pracht ihrer Kleidung noch gehoben wurde.

»Ich war es, gnädigste Frau, die die Störung verursachte,« wandte sie sich an die Oberhofmeisterin, »und an mich müßte sich Euer Tadel richten.«

»Das verwundert mich kaum,« erwiderte Frau von Arnim erzürnt, »denn seit das Fräulein von Priewitz uns mit ihrer Anwesenheit beehrt, ist die Zucht unseres Hauses eine andere geworden.«

»Doch sicher keine schlechtere, gestrenge Frau,« erwiderte die Gescholtene unerschrocken, »denn wer den Namen Priewitz trägt, der hat ihn auch stets mit Ehren getragen.«

Die Oberhofmeisterin wurde rot vor Zorn, denn Prinzessin Elisabeth hatte den Arm um die stolze Gestalt ihrer Freundin geschlungen, mit der ihre elfenhafte, zarte und höchst anmutige Erscheinung einen starken, aber sehr anziehenden Gegensatz bildete, und rief:

»Und jeder Priewitz hat sich auch zu verteidigen verstanden, wie du es tust, meine teure Wolfhild.«

Die Kurfürstin wandte sich jetzt nach den Sprechenden um, die nun verstummten, und sie winkte ihre Tochter zu sich und sagte:

»Sieh hier den Ritter von Rochow, dem ich einst beim Turnier den Siegespreis erteilen durfte, obwohl er erst eben den Ritterschlag erhalten hatte.«

»Und der sich damals und für immer dem Dienst seiner Fürstin gelobte,« fügte Dietrich hinzu.

»Es freut mich Eure Bekanntschaft, Herr Ritter,« sagte die Prinzessin, »zumal ich Euren Namen schon oft vernommen aus dem Munde dieses edlen Fräuleins.«

Sie machte Wolfhilde ein Zeichen, und diese sagte lachend: »Jawohl, ich habe Euch in gutem Andenken behalten; dafür erwarte ich aber auch, daß Ihr mich nicht vergessen habt.«

»Gewiß nicht,« versicherte Dietrich, »und ich habe schon gestern abend, dem ersten meines Hierseins, Erkundigung nach Euch eingezogen.«

»Bei wem denn? Befriedigt meine Neugier,« begehrte das Fräulein.

»Die Jungfer Öhlert ist Euch ja wohl bekannt,« sagte der Ritter.

»Das heißt, sie drängt sich mir zuweilen in den Weg,« versetzte Wolfhild hochmütig. »Bekannt mit ihr zu sein hätte ich keine Ursache. Doch freue ich mich Eurer Ankunft. Morgen ist eine Sauhatz im Grunewald angesagt, da rechne ich auf Eure Begleitung, denn die Jungfer Öhlert wird sich dabei doch wohl nur als Zaungast einfinden.«

»Wohl schwerlich, denn sie würde nie etwas tun, das dem Ansehen ihrer Familie nicht entspräche,« erwiderte der Ritter mit kaum verhehltem Zorn.

»Gewiß nicht,« bestätigte die Kurfürstin. »Christine ist mir lieb und wert und ich kenne sie seit ihrer Kindheit und weiß, wie gut sie ist.«

»Wenigstens hat sie es verstanden, meiner erlauchten Mutter die beste Meinung über sich beizubringen,« sagte Prinzeß Elisabeth spöttisch.

Die Kurfürstin tat als höre sie die böse Bemerkung nicht, sondern lenkte das Gespräch auf die Erlebnisse des Ritters und dieser verabschiedete sich dann bald. Der wohltuende Eindruck, den er bei der Aufnahme durch das Fürstenpaar erhalten hatte, war durch die verletzende Weise, mit der Christine von der Prinzessin und von Wolfhild erwähnt wurde, sehr beeinträchtigt, und sein Entschluß stand fest, für sie einzutreten.

Christine war ruhig wie immer ihren täglichen Geschäften nachgegangen, aber sie freute sich dabei stets im stillen auf den Abend, der den Ritter Dietrich wieder in ihr Haus führen sollte. Sein Bild hatte die ganze Nacht vor ihrer Seele gestanden, nur manchmal fiel ein Schatten darauf, wenn sie an Wolfhilde dachte und diese neben ihm stand. Jetzt blieb ihr keine Zeit zum Sinnen und Grübeln, denn der Vater rief sie zu sich, weil er eben ein großes Schreiben aus Wittenberg erhalten hatte. Es war von Albrecht, schloß aber einen Brief Dr. Luthers an die Kurfürstin ein, welche durch die Vermittlung der ihr so ergebenen Öhlertschen Familie einen Briefwechsel mit dem von ihr hochverehrten Gottesmanne unterhielt.

»Der Bote wird eine Antwort zurückbringen, deshalb mußt du ohne Zeitverlust noch heute das Schreiben aufs Schloß tragen,« sagte der Vater. »Der Abend wird am besten sein.«

Christine sah ihn bestürzt an. »Dann kommt ja der Ritter Dietrich zu uns,« wandte sie schüchtern ein.

»Zu mir,« verbesserte sie der Vater ruhig. »Dich hindert sein Besuch nicht an der Ausübung einer übernommenen Pflicht.«

Sie schwieg und fügte sich seinem Willen ohne weitere Einwendung. Doch sah sie sehr blaß aus, als sie später dem Vater Lebewohl sagte und in ihrem schönsten Gewande hinüber ins Schloß ging. Sie tat ihm von Herzen leid, und er mußte an sich halten, um fest zu bleiben, aber wenn er ihr in Zukunft schweren Kummer ersparen wollte, durfte er den Schmerz nicht scheuen, den er ihr nicht abwehren konnte.

Christine fand unschwer Zugang zu den Gemächern der Kurfürstin, denn sie war Wachen wie Dienern wohlbekannt und ebenso die Gunst, welche die hohe Frau ihr erwies; dennoch zögerte ihr Fuß und ihr Herz klopfte ängstlich, sie scheute sich vor den Demütigungen, welche der Stolz der Prinzessin ihr oft bereitete, und ebenso der Hochmut des ihr so abgeneigten Fräuleins Wolfhild von Priewitz.

Als sie in das Vorgemach trat, standen jene in heiterem Gespräch beisammen, während die anderen Hoffräulein am Stickrahmen saßen. Die sonst so gestrenge Frau von Arnim, die so genau ihres Amtes waltete, hatte es längst aufgegeben, über diese beiden eine Herrschaft auszuüben. Mit sittigem Gruße war Christine eingetreten, und sie versuchte nun, unbeachtet hinter der Prinzessin vorbeizuschlüpfen, aber diese wandte sich um und musterte sie mit einem höhnischen Blick, während Wolfhild in ein spöttisches Gelächter ausbrach.

»Was willst du?« fragte Prinzeß Elisabeth. »Sage dein Begehr, denn sonst würdest du hier doch nichts zu suchen haben.«

»Ich möchte zur Frau Kurfürstin,« stammelte Christine verlegen.

»Dürfen die Mägde sich ungerufen zu ihr drängen?« fragte Wolfhild. »Auf meiner Burg gestatte ich dem Gesinde nicht solche Freiheit, die an Frechheit grenzt.«

»Wenn ich auch kein Ritterfräulein bin, so stamme ich doch aus angesehenem Bürgerhause, dem keine Mägde entsprießen,« erwiderte Christine, vor Zorn bebend.

Wolfhild kehrte ihr verächtlich den Rücken. »Da ich dich hier nicht nach Verdienst in deine Schranken weisen kann, so habe ich nichts mit deinesgleichen gemein,« sagte sie, und die Prinzessin zeigte unverhohlen ihr Einverständnis mit der verletzenden Rede.

Ursula, die in einer Fensterecke eifrig an ihrem Stickrahmen arbeitete, war aufgestanden, kam zu Christine und ergriff sie freundlich bei der Hand, indem sie sagte: »Setzt Euch zu mir, liebe Jungfer, Ihr wißt, daß Ihr mir lieb und angenehm seid.«

Christine sah sie dankbar an und entgegnete leise: »Ich möchte zur Kurfürstin.«

»So kommt,« sagte Ursula und geleitete sie zur Tür, welche in die inneren Gemächer führte.

Als die Prinzessin das sah, vertrat sie den beiden den Weg und rief: »Das ist gegen alle Sitte, und ich dulde es nicht, daß meine Mutter belästigt wird von der ersten besten, die herzugelaufen ist.«

»Verzeiht, Prinzessin Elisabeth, aber die Frau Kurfürstin hat ausdrücklich befohlen, daß die Jungfer Öhlert stets Zutritt erhält,« sagte Ursula ruhig und schritt weiter.

Die Kurfürstin saß in tiefen Gedanken vor einem Tische, der mit Schreibgerätschaften bedeckt war; als sie Christines ansichtig ward, rief sie ihr entgegen: »Bringst du mir Nachrichten aus Wittenberg, nach denen mein Herz sich sehnt?«

»Ein Schreiben meines Bruders, dem ein Brief des Dr. Luther beigeschlossen ist,« entgegnete Christine.

Die Kurfürstin griff danach und wollte eben das Siegel lösen, als sie einen Blick in Christines verstörtes Gesicht tat, und sie erriet sofort die Ursache.

»Armes Kind, haben sie dich wieder gekränkt!« sagte sie mitleidig und streichelte ihr liebevoll die heißen Wangen. »Wie leid ist es mir, daß ich dich nicht immer vor diesen Nadelstichen schützen kann, mit denen man dir deine Ergebenheit für mich lohnt.«

»Sie sind schon vergessen,« sagte Christine und küßte der Fürstin die Hand.

Während sich diese mit dem Lesen der Briefe beschäftigte, zogen sich die beiden Mädchen in eine entfernte Fensternische zurück, um sie nicht zu stören. Es dauerte nicht allzulange, dann rief die Kurfürstin Christine herbei und sagte:

»Mir ist ein großer Trost in meiner bedrängten Gemütsverfassung durch des Doktor Martinus ermunternde Worte geworden; ich will ihm sogleich danken, und so bitte ich dich, mein liebes Kind, zu verweilen, bis der Brief fertig ist.«

Christine verneigte sich und kehrte zu Ursula zurück, betrübten Herzens, denn sie sah sich nun jeder Aussicht beraubt, den Ritter Dietrich noch nach ihrer Heimkehr zu treffen. Ursula merkte ihr an, daß etwas auf ihr lastete, sie wußte nur nicht, ob es der Schmerz über die ihr widerfahrene Kränkung war, oder noch etwas ihr Unbekanntes. Sie selbst war ja auch mit dem Leid vertraut, denn das freundlose und nicht mit besonderer Körperschönheit ausgestattete Hoffräulein, dem man die Gunst seiner hohen Gebieterin neidete, war vielfachen Demütigungen und Feindseligkeiten ausgesetzt, die sie schweigend ertrug, aber unter denen sie nicht wenig litt. So verstand sie es jetzt, Christine eine Trösterin zu sein, und obwohl eine weite Kluft im Alter und in ihrer Lebensstellung zwischen den beiden Mädchen lag, wurden sie in dieser Stunde Freundinnen, und ohne sich über das, was sie bedrückte, auszusprechen, wurde doch jede von ihnen der andern zur Stütze.

Als die Kurfürstin ihre Briefe an Dr. Luther und Dr. Olearius beendigt hatte, übergab sie beide Christine und sagte, indem sie sich die Tränen trocknete, welche ihren Augen entströmten: »O, wie wohl hat mir dies getan! Wie köstlich ist mir jedes Wort aus Dr. Luthers Munde! Und doch ist es nur Menschenwort und ich sehne mich nach Gottes Wort, wie es in der Heiligen Schrift niedergelegt ist. Wie habe ich es immer schon beklagt, daß ich nicht genug Latein verstehe, um die Bibel lesen zu können!«

»Dr. Luther hat sie ja aber ins Deutsche übersetzt, als er auf der Wartburg war,« rief Christine aus.

»Ich weiß es wohl,« erwiderte die Kurfürstin, »aber was hilft mir das? Ich kann ja keine deutsche Bibel erlangen! Ihr Besitz gilt als ein Beweis der Ketzerei, und in den brandenburgischen Landen wagt es kein Buchhändler, sie feilzuhalten.«

»Vielleicht kann ich Euer Kurfürstlichen Gnaden zu Dienst sein!« rief Christine aus. »Ich will mit dem Vater sprechen, ob mein Bruder uns nicht von Wittenberg eine Bibel senden kann.«

»Ach liebes Kind, ich fürchte, das ist ein gefährliches Unternehmen,« sagte die Kurfürstin, »und ich möchte Euch nicht dem Zorn des Kurfürsten aussetzen.«

»Wir tun es mit Freuden und wir fürchten uns nicht,« versicherte Christine und der frohe Schimmer, welcher sich auf dem gramvollen Gesicht ihrer geliebten Fürstin zeigte, bewies ihr, wie sehr sich diese durch die Erfüllung ihres Herzenswunsches beglückt fühlen würde.

Unterdes hatte Meister Öhlert ein ernstes Gespräch mit Dietrich von Rochow gehabt, der sich bei ihm einfand, sobald er den Feierabend hereingebrochen wußte. Er erhielt freundlichen Willkommen und die beiden Männer saßen dann wieder beim Becher im behaglichen Zimmer beisammen, aber so feurig der Wein war, er mundete dem Ritter doch nicht, weil Christines roter Mund ihm den Trunk nicht kredenzt hatte, und er hörte nicht auf, sich nach ihr umzuschauen, aber vergeblich.

Endlich tat er die Frage, die schon lange auf seiner Zunge brannte. »Wo bleibt denn heute die Jungfer Christine, die sonst so anmutig in Eurem Hause waltet, Meister?«

»Ich habe sie fortgeschickt,« entgegnete dieser ruhig.

Der Ritter sah ihn erstaunt an und fragte hastig: »Doch nicht meinetwegen?«

Der Meister nickte stumm, und auch der Ritter schwieg. Doch dann erhob er sich und sagte: »Wenn es so geschehen ist, so muß ich dies Haus verlassen und in Zukunft meiden, obwohl ich Euch keinen Anlaß gegeben habe, mich so zu beleidigen.«

Er wollte fort, aber Meister Öhlert legte seine Hand auf Dietrichs Arm und sagte: »Noch einen Augenblick, Herr Ritter. Vernehmet erst meine Rechtfertigung. Ich hoffe, Ihr werdet dann anders urteilen.«

Mühsam seinen Zorn beherrschend, blieb Dietrich stehen; doch verschmähte er es, seinen Sitz wieder einzunehmen.

Der Meister begann: »Ihr seid mir von jeher lieb gewesen, Herr Ritter, und ich habe Eure Freundschaft hochgeschätzt; wieviel mehr jetzt, wo ich Euch das Leben meines Sohnes verdanke. In meinem einsamen Hause kannte ich keine größere Freude, als Eure Gesellschaft. Aber ich habe auch eine Tochter und an diese muß ich denken.«

»Haltet Ihr Christine, die mir lieb wie eine Schwester ist, durch mich gefährdet?« fragte Dietrich noch immer zornig.

»Nicht sie, aber ihren Ruf,« erwiderte der Meister. »Christine hat keine Mutter und ich muß deshalb mit um so größerer Sorgfalt über sie wachen: Wir müssen das Opfer bringen, welches die Welt verlangt, und so hoffe ich, wir bleiben treue Freunde, wenn wir uns auch meiden.«

Er hielt dem jungen Ritter die Rechte hin, dieser legte die seine hinein und sie schüttelten sich die Hände. Dann gürtete Dietrich sein Schwert um und verließ das Haus. Er war sehr bewegt gewesen und hatte mit sich gekämpft, als wolle er einen wichtigen Entschluß zur Ausführung bringen. Endlich hatte er begonnen: »Hört mich an, Meister.«

Aber der Meister sah ihn mit klaren, ernsten Augen an, als lese er in seiner Seele und sprach: »Nicht weiter, Herr Ritter. Noch seid Ihr Herr des nicht gesprochenen Wortes, später sein Sklave. Ein weiser Mann erwägt wohl, und so rate ich Euch – schweigt. Unsere Herzen bleiben einander treu, die Satzungen der Welt scheiden uns. Art zu Art, Ritter und Bürger gehören nicht zusammen.«

Dietrich von Rochow schied also aus dem Hause, das er sich wie eine zweite Heimat vorgestellt hatte. Er war eine Beute widerstreitender Gefühle; zuweilen zürnte er dem Meister, dann gab er ihm wieder recht, und wenn er sich Christines Bild vorstellte, das so rein und hoch in seinem Innern lebte, und an die Möglichkeit dachte, daß, ohne sein Verschulden, und doch durch ihn, ein trüber Hauch an sie herantreten könne, dann schien ihm kein Opfer zu schwer, um sie vor dem Übel zu bewahren.

Von einem kurfürstlichen Trabanten geleitet, wie es ihre hohe Gönnerin angeordnet, kehrte Christine heim. Ihr rascher Blick durchflog das Gemach und als sie hier nur den Vater wahrnahm, verwandelte sich der rosige Anhauch ihrer Wangen in tiefe Blässe. Er sah es und das Herz tat ihm weh um ihretwillen. Sie berichtete nun von der Kurfürstin und ihrer Sehnsucht nach einer deutschen Bibel und Meister Öhlert war sogleich bereit, ihr diesen Wunsch zu erfüllen.

»Auch mich verlangt es danach, selbst zu forschen,« sagte er, »und wir wollen ohne Verzug an Albrecht schreiben, daß er uns zwei Bibeln sendet. Ohne Gefahr ist es nicht, aber ich weiß bereits manche Familie, in der das unverfälschte Wort Gottes so seinen Einzug gehalten und in der Stille weitergewirkt hat. Wenn sich doch unser Kurfürst nicht so dagegen stemmen wollte! Bei ihm ist wenig Aussicht zu einer Sinnesänderung, fürchte ich, und sein Haß gegen Dr. Luther nimmt immer zu.«

»Der Bruder unseres Herrn soll viel milder gesinnt sein, obwohl er ein geistlicher Herr ist,« sagte Christine. »Ursula von Zetwitz erzählte mir davon, und daß im Erzstifte Magdeburg die reine Lehre von Tag zu Tag Anhänger gewinnt.«

»Auch ich hörte davon,« erwiderte der Meister. »Erzbischof Albrecht läßt das aber nicht zu, weil er von der Wahrheit überzeugt ist, sondern aus Gleichgültigkeit und Weltklugheit. Er überlegt nur, ob es ihm vorteilhafter ist, beim Kaiser und dem alten Glauben zu verharren oder sich der neuen Lehre zuzuwenden und sich zum weltlichen Fürsten zu machen.«

»Wie traurig, in den höchsten Dingen so zu wägen,« sagte Christine.

»Es ist der Welt Lauf, und wir können es nicht ändern,« entgegnete der Meister, »wir müssen uns begnügen, auf unserem Posten unsere Schuldigkeit zu tun, mag sie uns leicht oder schwer werden. Und nun wollen wir zur Ruhe gehen, mein Kind.«

Als Christine ihm die Hand küssen wollte, zog er sie an sich und sah ihr lange ins Auge; dann sagte er: »Ich habe heute auch getan, was ich mußte, aber es wurde mir sehr schwer, denn Dietrich von Rochow wird nicht mehr zu uns kommen, ich habe ihn darum gebeten.«

»So schied er im Zorn?« fragte Christine erbebend.

»Nein, nur mit Bedauern, allein er sah ein, daß ich recht hatte,« sagte der Vater, »und daß ich so handelte, geschah aus Liebe zu dir, mein Kind. Nun sei auch du tapfer.«

»Mein lieber, lieber Vater,« war alles, was Christine hervorbrachte, und sie schmiegte sich an seine Brust, denn ihr war zumute, als wanke die ganze Erde, und als sei ihre einzige Zuflucht hier an ihres Vaters Herzen.


 << zurück weiter >>