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Erstes Kapitel.
Im Jahre 1504


Der kurfürstlichen Burg zu Cölln an der Spree gegenüber lag auf der anderen Seite des Flusses ein stattliches Bürgerhaus, dem man es ansah, daß seit seiner Entstehung noch nicht viel Jahrzehnte verflossen waren. Es war weder durch zu nahe Nachbarschaft eingeengt, noch fehlte es ihm an Licht und Luft, wie das in den engen, winkeligen Straßen der Stadt so oft der Fall war; dennoch zeigte seine Bauart ganz den mittelalterlichen Charakter, der mit dem Raume zu geizen hatte. Der Giebel war der Straße zugekehrt und stieg steil und spitz empor, die Stockwerke, aus Fachwerk aufgeführt, ragten eins über das andere, das Erdgeschoß mit seinen starken Steinmauern hatte kleine Fenster, die durch eiserne Gitter beschützt wurden, darüber traten zierliche Erker hervor, und allerlei Spitzen und Bogen zeugten davon, daß der Besitzer nicht gespart hatte, um seiner Behausung den Anstrich behaglicher Wohnlichkeit zu geben.

Dieses Haus gehörte dem Meister Peter Öhlert, dem hochangesehenen und wegen seiner Geschicklichkeit berühmten und weit und breit geschätzten Goldschmied, dem seine Kunstfertigkeit nicht nur Ehre und Ruhm, sondern auch eine bedeutende Mehrung des ererbten väterlichen Vermögens eingebracht hatte. Solcher Männer gab es damals in brandenburgischen Landen noch gar wenige, und so war Kurfürst Johann Cicero sehr erfreut gewesen, als es ihm gelang, den Meister aus seiner fränkischen Heimat zur Übersiedlung nach der Mark zu bewegen, und sein Sohn, der junge Kurfürst Joachim, hatte Meister Öhlert schon manchen Beweis gegeben, wie hoch er in seiner Gunst stand.

Auch jetzt hatte der erlauchte Herr wieder den Goldschmied durch einen ehrenvollen Auftrag ausgezeichnet, indem er ihm die Anfertigung eines herrlichen Geschmeides für sein erwähltes zukünftiges Gemahl, die schöne junge Elisabeth von Dänemark, übertrug. Die Zeichnungen, welche der Meister entworfen und dem Kurfürsten eingereicht hatte, fanden dessen vollen Beifall, und so war jener seit Monaten unablässig mit der Ausführung beschäftigt, die er fast ganz allein besorgte, denn wenn er sich auch manchen tüchtigen Gesellen herangebildet, so verließ er sich doch in so wichtigen Dingen am liebsten auf sich selbst.

Dem Meister verflog die Zeit nur zu schnell, denn die ihm gesetzte Frist war nicht allzu reichlich bemessen; um so langsamer aber schlichen die Stunden an seinem Eheweibe, der Frau Mechthildis, dahin, und wenn sie nicht ihre beiden herzigen Buben gehabt hätte, die an ihrer Seite spielten und tollten, so würde es ihr ergangen sein wie in den ersten Jahren hier im fremden Lande, das Heimweh würde sie überwältigt haben und den Händen die kunstvolle Stickerei entglitten sein, indes ihre Augen sich mit heißen Tränen füllten.

Aber jetzt würden ihr die beiden gar nicht Muße zu solcher Traurigkeit gelassen haben, sie hatten fortwährend etwas zu fragen und zu bitten, und wenn auch Albrecht, ihr Erstgeborener, der die dunklen Augen und das krause, lockige Haar des Vaters geerbt hatte, zuweilen still und schweigend neben ihr stehen und sie so recht anblicken konnte, als wolle er in ihrer Seele lesen, so litt das doch sein Bruder Peter nicht. Das war ein gar munterer und lebhafter kleiner Bursch, stets aufgelegt zu allerlei Unfug und Tollheit, der keinem die Ruhe gönnte, und doch konnte man ihm nicht böse sein, selbst wenn er es ein wenig schlimm trieb; seine treuherzigen, blauen Augen, seine blonden Locken, die ihm so wohl standen, und sein rotbäckiges, lachendes Gesichtchen entwaffneten Zorn und Ärger und halfen dem Schelm bei seinen dummen Streichen, daß diese ohne unangenehme Folgen für ihn verliefen.

Frau Mechthildis' Wiege hatte in dem schönen, durch Bildung und Kunst so ausgezeichneten Nürnberg gestanden, und sie hing auch jetzt noch an ihrer Vaterstadt mit ganzer Seele und fühlte sich noch immer fremd in der neuen Heimat. Zwar war sie ihrem Gatten willig gefolgt; als er ihr vorstellte, daß dort in der aufblühenden Residenz der kurfürstlichen Zollern auch sein Heil erwachsen werde, wollte sie ihm kein Hindernis sein, sondern schied sich von ihrer Sippe und von ihrer Heimat, aber sie behielt eine Wunde in ihrem Herzen, die in der Stille weilerblutete.

Meister Öhlert fand alles, was er begehrte, bis auf eins, den Verkehr mit Gleichgesinnten und Gleichstrebenden. Man zählte die Goldschmiede ja damals zu den Künstlern, und von Kunst wußte und verstand man nichts in einem Lande, das wie die Mark Brandenburg unter so schweren inneren und äußeren Kämpfen gelitten hatte, daß man immer nur an des Lebens Notdurft, nicht an seine Schmückung denken konnte. In den Zunftgenossen fand Meister Öhlert keinen Ersatz, es waren biedere, wohldenkende Männer, aber die hehren Ziele, welche er sich vorgesetzt, waren ihnen fremd und unverständlich.

Da trieb es denn den Meister hinaus in die weite Welt, nicht nur nach Nürnberg zu den Freunden und Gefährten seiner Jugend, mit denen er sein Können messen konnte, sondern noch weiter gen Süden, nach Welschland, wo sich die Kunstschätze der Vergangenheit befanden, wo ein neues Leben sich in der Welt, des Schönen regte und eine freudige Wiedergeburt lange vergessener Ideen gefeiert wurde. Mit neuen Anregungen kehrte er dann heim, und die mitgebrachten kostbaren Vorräte an Gold und Silber und edlen Steinen gestalteten sich unter seinen Händen zu Kunstwerken, die auf den Altären der Kirchen, den Tafeln der Fürsten und an den Gewändern der Großen ihren würdigen Platz fanden.

Frau Mechthildis war von ihrem Eheherrn versprochen worden, sie solle ihn auf solcher Wanderfahrt begleiten und daheim bei den Ihren rasten und ihn erwarten, wenn er noch weiter gen Süden zöge, und dieser Trost hatte ihr damals den Trennungsschmerz erleichtert. Doch sie erkannte bald, daß die Ausführung ihrer Hoffnungen unmöglich sei, denn als der Meister zum ersten Male von dannen zog, da lag ihr Albrecht in der Wiege und über zwei Jahre war auch Peter da und sie mehr an ihr Haus gebunden, als wie dies durch eiserne Fesseln hätte geschehen können.

Sie verzichtete klaglos und pries sich glücklich, daß sie ein so liebes Band daheim festhielt; als aber die Knaben heranwuchsen, regte sich mehr und mehr ein heißer Wunsch in ihr; sie dachte, die Zeit werde nur zu bald kommen, wo die Söhne ihrer Zucht und Leitung entwüchsen und sie wieder einsam sein werde, und sie sehnte sich nach einem Töchterlein, das ihr zur beständigen Gefährtin und zum Augentrost erblühen möchte. Doch es schien nicht, als solle ihr Begehren Erfüllung finden, sie gab die Hoffnung auf und es breitete sich über ihr ganzes Wesen etwas, wie ein Hauch stiller Wehmut.

Jetzt lebte man übrigens in einer Zeit, wo Sorge, Kummer und Schmerz wohl auf allen Bewohnern der Schwesterstädte Berlin und Cölln lasteten, denn das Jahr 1504 hatte eine schwere Heimsuchung über sie heraufbeschworen. Die Pest, diese furchtbare Geißel der Völker, die nun schon seit Jahrhunderten ihren Schreckenszug durch die Lande hielt, war hier eingekehrt und richtete traurige Verheerungen an. Die schlechte Bauart, die Unreinlichkeit und das Entsetzen selbst halfen der Seuche, sich zu verbreiten, die ärztliche Kunst vermochte wenig, und strenge Absperrung schien der einzige Schutz zu sein.

So sah es öde und still in den Straßen aus; wer hinaus mußte, der eilte scheu dahin und vermied jeden Begegnenden, die Gewölbe waren geschlossen, denn Handel und Wandel stockten, der Torhüter hielt jeden Fremden vor der verschlossenen Pforte an und wer sich nicht ausweisen konnte, den wies er zurück, und hinaus zog vollends niemand, denn die Bewohner der heimgesuchten Städte waren schlimmer daran, als die Verfemten, jeder Ort weigerte ihnen den Eintritt und sie waren ausgeschlossen von jeder Gemeinschaft. So sah man nun die Leichenträger und Totengräber ihres schauerlichen Amtes walten, und alles, was der Tod Versöhnliches hat, das fehlte, das Geleit der Priester, das Gefolge der Freunde, die ernste Feierlichkeit des düsteren Gepränges. Nur die Glocken von St. Nikolai und St. Marien ließen Tag und Nacht wimmerndes Geläut hören, und vor den verlassenen Altären lasen die Geistlichen Bußpsalmen und Totenmessen.

Es war wohl begreiflich, daß Kurfürst Joachim seine ihm angelobte Braut nicht in dies Elend führen wollte, und doch sehnte er sich, sie, nachdem das Verlöbnis zwei Jahre bestanden, zu seiner Gattin zu machen. So war denn Stendal ausersehen, um dort die Hochzeit zu feiern. Die junge Fürstin kam nach Deutschland, begleitet von einem jüngeren Bruder ihres Vaters, dessen Vermählung mit Joachims Schwester zu gleicher Zeit begangen werden sollte, und der Kurfürst rüstete sich, seiner Braut entgegenzureisen und ihr mit seinen Edeln ein stattliches Geleit zu ihrem Einzug zu geben.

In Meister Öhlerts Werkstatt herrschte eine erwartungsvolle Stimmung, denn der Kurfürst hatte sich angesagt, um das bestellte Brautgeschmeide, das nun in seiner Vollendung in sammetgefütterten Kasten und Truhen dalag, zu besichtigen und in Empfang zu nehmen. Joachim war ein strenger und viel fordernder Herr, und so hatte er sich gleich ausbedungen, daß er den Schmuck erst als sein eigen annehmen werde, wenn derselbe zu seiner vollen Zufriedenheit ausgefallen sei.

Mit stolzer Ruhe war der Meister auf diese Forderung trotz ihrer Seltsamkeit eingegangen, er fühlte sich seines Könnens sicher und er kannte den Kurfürsten auch als gerecht und traute ihm keine unredliche Absicht zu, die Arbeit durch Mäkeln herabzusetzen.

Frau Mechthildis war mehr beklommen ums Herz. Sie fürchtete sich vor Joachim, der ihr fast unnatürlich erschien in seinem strengen Ernst, welcher so gar nicht mit seiner Jugend in Einklang stand, aber sie verschwieg ihre Gedanken und kleidete sich auf das Geheiß ihres Eheherrn in ihre Feiertagsgewänder. So sah sie schön und stattlich aus in dem lang schleppenden Kleide von dunklem Sammet, mit kostbarem Pelz verbrämt, wie sie es wohl tragen durfte als Gattin eines reichen Bürgers. Stirn und Wangen bedeckte die feine Schleierhaube und ein goldenes Kettlein, an dem ein kunstvoll gearbeitetes Kreuz hing, schlang sich um ihren Hals.

An der Hand führte sie ihre beiden Knaben, beide in höchstem Staat. Albrecht benahm sich ernst und sittig, während Peter mit Mühe seine Ungeduld bezähmte. Der Meister selbst war im Arbeitskleid, das Schurzfell hatte er nicht abgelegt, nur sein wohlgeordnetes Haupt- und Barthaar und die blendende Weiße seines Hemdes von feinstem Leinen deuteten an, wie auch er seinem hohen Besucher Ehre erweisen wollte. Die Gesellen und Lehrlinge, in ähnlichem Aufzuge, hielten sich bescheiden im Hintergrunde der Werkstatt.

Jetzt nahte der Kurfürst, von einigen seiner Hofherren begleitet; sie stiegen von den Pferden, warfen den herbeieilenden Troßknechten die Zügel zu und traten in das Haus, auf dessen Schwelle Meister Öhlert ehrerbietig seinen hohen Gast begrüßte.

Joachim zählte erst wenig über zwanzig Jahre, aber seiner ernsten und gebietenden Erscheinung fehlte alles Jugendliche und Frische. Obwohl nur von mittlerer Größe, lag doch in seiner stolzen, selbstbewußten Haltung, in seinem festen, sichern Auftreten, in jeder seiner Bewegungen eine solche Würde und Hoheit, daß er stets als der Bedeutendste erschien im Kreise der ihn Umgebenden. Sein Antlitz war bleich, die Mienen streng, der Blick scharf, fast düster; das dunkelbraune Haar trug er lang in den Nacken herabwallend, Kinn und Wangen wurden von einem kurzen Bart eingerahmt, auch auf seiner Oberlippe keimte ein solcher, ohne den herben Zug, der den festgeschlossenen Mund umspielte, zu verbergen.

Joachim war nie jung gewesen; durch den frühen Tod seines Vaters als fünfzehnjähriger Knabe zum Herrscher über ein Land berufen, das noch immer in Gesittung hinter anderen zurückstand, in dem ein zügelloser, räuberischer Adel ihm hohnlachend gegenübertrat, hatte er mit eiserner Hand und festem Mut den Kampf bestanden. Die Zaunritter, wie man diese Edelleute nannte, hatten ihre Missetaten mit dem Leben büßen müssen, sogar seines Freundes hatte der junge Fürst nicht geschont, aber er selbst hatte einen hohen Preis für seinen Sieg bezahlt. Jugend, Frohsinn, Hoffnungsfreudigkeit hatte er begraben, und so fühlte er sich jetzt mit seinen zwanzig Jahren mit den Erfahrungen eines Fünfzigjährigen belastet.

Der Kurfürst beantwortete den ehrerbietigen Gruß der Anwesenden mit einem kaum merklichen Neigen seines Hauptes und trat sofort zu den geöffneten Schmucktruhen hin. Lange und aufmerksam prüfte er jedes Stück, das prachtvolle Diadem, das kostbare Halsband, die Armspangen, Ringe und Schmucknadeln, das kunstvolle Gürtelschloß und die Agraffe, welche zur Befestigung des Mantels bestimmt war; er nahm auch wohl das eine oder andere Stück heraus, um es noch genauer zu mustern und dabei erhellten sich seine strengen Mienen und seine Augen blickten den Meister weniger finster an.

»Ihr habt meinem Vertrauen entsprochen,« sagte er dann, »und ich lobe Euer Werk, Meister Öhlert. Ihr sollt auch fernerhin einen gnädigen Herrn in mir finden. Nun verpackt alles gut und liefert es meinem Marschälle aus. Euer Lohn soll Euch sofort werden.«

Der Meister verneigte sich, doch nicht allzu tief; diese Anerkennung kam ihm von Rechts wegen zu und sein künstlerisches Selbstgefühl konnte darin keinen besonderen Gnadenbeweis sehen.

Der Kurfürst mochte mehr Demut erwartet haben, er runzelte die Stirn, doch dann wurde er anderen Sinnes und fügte freundlich hinzu:

»Der Herr der Welten hat Euch ein reiches Geschenk beschert in Eurer Begabung als Künstler, verwaltet es gut und weise. Ich sehe, Ihr seid auch sonst gesegnet durch eine tugendsame Hausfrau und zwei liebe Kinder. Werden sie auch die Erben Eurer Kunstfertigkeit dereinst sein?«

»Ich hoffe es, Kurfürstliche Gnaden,« erwiderte der Meister.

Da rief Peter, der sich zuerst scheu hinter dem Kleide der Mutter verborgen, aber längst Mut gefaßt hatte, ganz laut und keck: »Wenn ich groß bin, dann werde ich auch ein Goldschmied, wie mein Vater, und dann mache ich für den Herrn Kurfürsten die allerschönsten Sachen.«

Frau Mechthildis erschrak und legte dem vorlauten Bübchen die Hand auf den Mund, und sein Vater warf ihm einen drohenden Blick zu, indem er zu dem Kurfürsten sagte: »Unser allergnädigster Herr wolle es dem kindischen Unverstande zugute halten, daß er sich solches erdreistet.«

Aber Joachim gefiel der kecke, kleine Bursch und er winkte ihn zu sich heran. Ohne Zögern trat Peter vor und schaute den Fürsten mit seinen blauen Augen ruhig und zuversichtlich an.

»Verstehst du denn schon etwas von deinem künftigen Gewerbe?« fragte ihn Joachim.

»Es ist kein Gewerbe, es ist eine Kunst,« antwortete Peter stolz.

»So verzeih' mir meinen Irrtum,« sprach der Kurfürst, in dessen Gesicht sich ein Lächeln stahl. »Was willst du denn für mich arbeiten?«

»Einen Kurhut und ein Zepter,« erwiderte Peter ohne Besinnen. »Gezeichnet habe ich es schon.«

»Er redet, wie er es versteht, Kurfürstliche Gnaden,« suchte der Vater zu begütigen. »Allerdings versucht er sich im Zeichnen und wenn ich meine Modelle entwerfe, so verwendet er kein Auge von mir.«

»Ich denke, Ihr werdet Freude an Eurem Knaben erleben, und wenn er so weit ist, will ich mich seiner erinnern,« sprach der Kurfürst. »Zeigt Euer Erstgeborener die gleiche Anlage?«

Über die Stirn des Meisters zog es wie ein Wolkenschatten. Frau Mechthildis aber strich wie liebkosend über Albrechts dunkles Lockenhaar. Nach einer kleinen Pause versetzte der Vater:

»Bis jetzt beweist mein Ältester nur geringe Neigung für die Kunst des Vaters, doch denke ich, Fleiß und ernster Wille könnten wohl die mangelnde Begabung ersetzen. Er muß nur nicht so viel über den Büchern hocken. Jetzt bereue ich es, daß ich ihn so früh in der Kunst des Lesens und Schreibens unterweisen ließ, denn seitdem hat er für nichts anderes Sinn, als hinter den Folianten zu sitzen, deren er habhaft werden kann.«

Der Meister hatte wie grollend gesprochen und Albrecht, der wohl den heimlichen Zorn des Vaters empfand, ließ wie in Beschämung den Kopf sinken. Aber Joachim blickte ihn voll Freundlichkeit an und winkte ihm, näherzutreten.

»Was ich von dir vernehme, mein Sohn, gefällt mir nicht schlecht, und ich denke, auch der Vater wird sich damit aussöhnen,« sprach er. »Legt seiner Neigung keine Hindernisse in den Weg, Meister Öhlert; so uns der Herr seine Gnade verleiht, denken wir binnen kurzem dem hohen Gedanken unseres in Gott ruhenden Herrn Vaters, von dessen Ausführung ihn der Tod abrief, Gestaltung zu geben und eine Universität zu gründen, wie andere Länder eine solche schon besitzen und große Ehre dadurch gewinnen. Da wird es uns nicht wenig erfreuen, wenn unsere eigenen Landeskinder der Segnung solcher Stiftung teilhaftig werden.«

»Es ist ein mühseliger und schwerer Beruf,« wandte der Meister ein, »und ein Vater sieht es am liebsten, wenn er der Lehrmeister seines Sohnes sein kann und dieser ihm in seinen Fußtapfen nachfolgt.«

»Nicht immer ist es so,« entgegnete der Kurfürst mit großer Bestimmtheit, »und mit dem neuen Jahrhundert, das wir jetzt begonnen haben, werden wir auch viel Neues in Anschauungen, Sitten und Einrichtungen erleben. Glaubt mir, Gutenbergs Erfindung wird noch Großes bewirken, und es wird den Fürsten und das Land ehren, wenn klangvolle Namen gelehrter Männer daraus hervorgehen.«

»Kurfürstliche Gnaden, ich möchte meinen Sohn nicht in der Mönchskutte und nicht im Priesterrock sehen,« sprach der Meister kühn, denn des Kurfürsten eigener Oheim und sein jüngerer Bruder gehörten dem geistlichen Stande an. Aber bei den Bürgern von Berlin und Cölln, und fast in allen Städten und Landen, war man dem pfäffischen Wesen sehr abhold, und sprach von den Trägern desselben mit geringer Achtung und dachte noch schlechter von ihnen.

»Es hat zu jeder Zeit fromme Hirten für die Herde Christi gegeben,« sagte der Kurfürst. »Außerdem bedenkt auch, daß ich jetzt daran bin, hier in Berlin als höchsten Gerichtshof das Kammergericht zu gründen, an welchem weise und unsträfliche Richter das Recht ohne Ansehen der Person sprechen sollen. Wohl mag sich der Vater glücklich preisen, dessen Sohn einen solchen Ehrenposten gewinnt.«

Der Meister schwieg, zu widersprechen verbot ihm die Ehrfurcht vor dem Fürsten, überzeugt war er nicht. Joachim wandte sich zum Gehen, indem er gnädig sagte: »Gehabt Euch wohl, Meister Öhlert. Nicht zum letztenmal werde ich Eure Schwelle überschritten haben und von Euch, wohlehrbare Frau, vermute ich, daß Ihr im Verein mit Eurem Eheherrn aus Euren Knaben mir Untertanen erzieht, mit denen ich wohl zufrieden sein kann, auf welches Feld auch Neigung und Veranlagung sie hinweisen.«

Er neigte huldreich sein Haupt ein wenig wie zu einem herablassenden Gruße und schritt hinaus, ehrerbietig von dem Meister geleitet. Gleich darauf vernahm man in der Werkstatt den Hufschlag der sich entfernenden Pferde und man konnte dem fürstlichen Zuge mit den Augen folgen, wie er über die Brücke der Burg zuritt.

Doch war derselbe noch nicht hinter den sich öffnenden Pforten des Schlosses verschwunden, als eine zweite und der Zahl nach weit stattlichere Reiterschar über die Brücke in entgegengesetzter Richtung daher kam, wie es schien, gerade auf das Haus des Goldschmiedes zu. Doch erwies sich der Anschein trügerisch, denn der Trupp schwenkte seitwärts auf das Nachbargehöft zu, welches durch eine halb verfallene Mauer, in deren Mitte sich ein mächtiges, mit Eisen stark beschlagenes Bohlentor befand, fast den Anstrich einer kleinen Festung erhielt, denn hinter diesem Bollwerk sah man verwitterte Stroh- und Schindeldächer, die von einer Menge von Gebäuden Zeugnis ablegten.

Es war dies der Rochowsche Hof, in dem dies zahlreiche und stolze Geschlecht bei seinem Aufenthalt in der Stadt zu hausen pflegte, denn um Wirtshäuser war es noch immer schlecht bestellt und die eigne Behausung, die von einem Dienstmann und seinem Weibe verwaltet wurde, einer Herberge bei weitem vorzuziehen. Man hatte die Rochows seit lange nicht so zahlreich in der Stadt gesehen, denn sie gehörten noch immer zu den grollenden Gegnern der Hohenzollern, und wenn sie auch bei den Landtagen, die meist zu wilden Trinkgelagen wurden, nicht fehlten und dem Kurfürsten nach besten Kräften Widerstand leisteten, so mieden sie doch geflissentlich den Hof und bei festlichen Veranstaltungen glänzten sie durch Abwesenheit.

Alle waren an die Fenster der Werkstatt geeilt, obgleich dieselben kaum großen Umblick gestatteten, weil sie wegen der Dicke der Mauern und wegen ihrer Schmalheit, noch dazu mit starken eisernen Gittern versehen, fast das Aussehen von Schießscharten hatten. Es war ein stattlicher Trupp, voran die Ritter in voller Rüstung, wenn auch mit geöffnetem Visier, ihre Söhne neben ihnen, manche schon als Knappen, andere noch in so jugendlichem Alter, daß sie die Troßknechte vor sich im Sattel hatten, was namentlich dem einen Junker gar nicht zu behagen schien.

»Die Rochows samt und sonders!« rief Frau Mechthildis aus. »Wie seltsam, daß die jetzt in unsere Stadt einziehen, welche doch von jedem sonst sorgfältig gemieden wird!«

»Den Grund kann ich mir vorstellen,« meinte der Meister. »Sie sitzen ja dort in der Altmark auf ihren Edelhöfen und unser durchlauchtiger Herr erwartet von all den Ritterbürtigen dort, daß sie in seinem Gefolge der schönen Prinzessin von Dänemark, seiner erlauchten Braut, entgegenreiten. Das wollen eben die Rochows nicht, die noch immer die alten Tücken nicht vergessen können, und weil sie es doch nicht so weit treiben wollen, sich offen zu weigern, so machen sie sich aus dem Staube und lassen nur ihre Frauen und Töchter im leeren Nest zurück.«

»Sie werden den Herrn sehr erzürnen,« meinte Frau Mechthildis, »ich glaube, er hat sie noch aus der Ferne wahrgenommen und sein Adlerauge hat sie gewiß erkannt.«

»Um so lieber wird es ihnen sein; diese Rochows fragen in ihrem Übermut wenig nach fürstlicher Huld und Gnade,« erwiderte der Meister. »Zum Glück hat sich unser Kurfürst trotz seiner Jugend bei ihnen gefürchtet gemacht, sonst finge diese Sippschaft wohl gern das alte Unwesen wieder an und lauerte hinter Zaun und Busch ehrlichen und friedlichen Leuten auf, um sie auszuplündern und wohl gar noch in ihre Verließe zu schleppen. Mir ist immer wohler zumute, sobald ich mit einer gefüllten Geldkatze in ihre Gegend muß, wenn ich erst wieder aus dem Umkreis ihrer Burgen fern bin.«

»Und da soll ich mich nicht um dich sorgen und ängstigen,« murmelte Frau Mechthildis, der ihr Gatte schon oft Vorwürfe gemacht, weil sie sich das Leben durch zu großen Trübsinn verbittere.

»Ach was, unser Herrgott hilft einem ehrlichen Mann schon durch,« erwiderte er, »und unser Kurfürst sorgt auch dafür, daß die Zaunritter nicht allzu kühn werden. Sie wissen wohl, daß sie ihren Kopf dabei wagen.«

»O, seht doch den Junker!« rief Peter jetzt aus. »Er ist nicht viel größer als ich! Mit dem möchte ich spielen! Wenn er doch auf die Straße käme.«

Der Meister mußte lachen, als er die glühenden Wangen und die vor Verlangen blitzenden Augen des Kleinen sah, aber er sagte: »Laß du nur den Junker sein. Art gehört zur Art und ein Rochow ist kein Spielgesell für ein Bürgerskind. Sie sind mir keine erfreuliche Nachbarschaft und ich möchte wohl, sie wären erst wieder fort.«

Damit wandte er sich zu seinen Gesellen und Lehrlingen und gebot streng und ernst: »Nehmet euch alle in acht; lasset euch nicht unnütz auf der Straße sehen und geht den Rittern und ihren Knechten aus dem Wege; sie sind gar schnell dabei, Händel anzufangen, wir aber sind friedsame Bürger und haben mit solchen nichts zu schaffen.«

Unterdes hatte sich das Einlaßtor des Rochowhofes vor den Herren geöffnet, sie waren mit ihrem ganzen Gefolge eingezogen und krachend waren die Doppelpforten hinter ihnen zugeschlagen. Meister Öhlert rief nun seine geschicktesten Gesellen, um mit ihrer Hilfe das Brautgeschmeide sicher und fest zu verpacken und es dann sofort in die kurfürstliche Burg zu schaffen, denn jetzt war es ihm doppelt lieb, so große Kostbarkeiten nicht länger unter seinem Dache zu beherbergen.

Frau Mechthildis hatte großes Wohlgefallen an den herrlichen Schmucksachen, sie versenkte sich mit echt weiblicher Freude in ihren Anblick und ließ es gern geschehen, daß der Meister ihr eins nach dem andern zur näheren Betrachtung in die Hand gab.

»Das gefällt Euch wohl, liebe Traute,« scherzte er mit ihr, »und Ihr möchtet wohl an Stelle der Prinzessin sein, um Euch damit zu schmücken.«

Doch da wurde Mechthildis sehr ernst und erwiderte mit einem Seufzer: »Da sei Gott vor, daß solcher Wunsch in mir aufsteige. Um alles in der Welt möchte ich nicht mit dieser hohen Dame tauschen. Nicht ohne Bangen vermag ich sie mir, so jung und kaum dem Kindesalter entwachsen, an der Seite eines solchen Gemahls vorzustellen. Es gemahnt mich an den Reif, der auf alle Frühlingsblüten in einer Nacht fällt.«

»O nicht doch,« sprach der Meister hoffnungsvoll, »warum soll die junge schöne Fürstin nicht dem Sonnenstrahl gleichen, der die düstere Wetterwolke mit einem lichtglänzenden Rande verklärt? Hat unser hoher Herrscher in so jungen Jahren so Schweres erfahren, daß er jetzt nur die Strenge und den Ernst kennt, so mag ihn sein liebliches Gemahl wohl die Milde und das Erbarmen lehren.«

»Das walte Gott!« fügte Frau Mechthildis hinzu.

Nun ging es an die Arbeit, der Meister gab seine Befehle und zur Unterhaltung blieb keine Muße mehr. Während die Mutter mit Anteil zusah, wie eins nach dem andern von den herrlichen Dingen hinter den bergenden Deckeln der Truhe verschwand, standen die Knaben neben ihr und taten das gleiche. Doch wurde Peter der Sache bald überdrüssig, er zupfte den Bruder am Ärmel und flüsterte ihm zu: »Komme mit, ich weiß was Schönes.«

Obwohl Albrecht zwei Jahre im Alter voraus hatte, war er es doch gewohnt, nach des sechsjährigen Bruders Willen zu tun, und obgleich er an dem halb scheuen, halb mutwilligen Blick, den dieser verstohlen auf den Vater warf, erriet, daß nicht alles in Ordnung war, so dachte er doch nicht an Widerstand, und unbemerkt traten sie beide zuerst etwas beiseite und schlichen sich dann in aller Stille davon.

»Was hast du nur vor?« fragte Albrecht draußen.

»Komm in den Garten,« versetzte der kleine Wicht und lief ihm voraus.

Der Garten, der sich hinter dem Hause befand, war nicht allzu breit, aber von beträchtlicher Länge; er enthielt einige Obstbäume und Gemüsebeete, auch eine Rabatte, auf der Goldlack und Nelken nebst einigen Rosensträuchern wuchsen; doch hatte dies alles kein rechtes Gedeihen, weil der Schatten der umliegenden Gebäude nicht genug Sonnenschein zuließ. Um so schöner grünte eine Rasenfläche, die Frau Mechthildis von großem Wert war, denn hier pflegte sie das Linnen ihres Haushalts zu schneeiger Weiße zu bleichen. Auch ihren Söhnen war dieser Platz zum Tummeln und Spielen sehr willkommen.

Doch heute hatte Albrecht wenig Lust dazu und sagte ärgerlich: »Warum hast du uns nicht in der Werkstatt gelassen? Ich mag nicht spielen und hätte dort lieber zugesehen.«

»Sollst noch was Besseres zu sehen bekommen,« meinte Peter pfiffig und lief auf die lange Lehmwand zu, die zu dem Rochowhofe gehörte. Sie war, weil sie keinen erfreulichen Anblick bot, von Frau Mechthildis mit Efeu bepflanzt worden, hinter dessen üppigem Laubwerk sich die Schäden und Risse des Gemäuers verbargen.

Peter stand bereits an dieser Wand, hatte die Efeuranken zur Seite gebogen und bemühte sich aus Leibeskräften, das Loch, welches ihm hier wohlbekannt war, zu erweitern.

»Mach's wie ich,« flüsterte er dem Bruder zu, »dicht bei dir ist auch ein ganz schönes Loch.«

»Aber wozu denn?« fragte dieser verwundert.

»Dummbart!« rief Peter ungeduldig. »Zum Sehen.«

Albrecht hatte noch nicht begriffen und so fügte er ungeduldig hinzu: »Was man für Not mit dir hat! Verstehst du denn nicht, dies ist ja ein Schuppen von den Rochows, wo sie ihre Pferde einstellen. Nun können wir fast den ganzen Hof überblicken.«

»Daraus mache ich mir gar nichts,« sagte Albrecht.

»Ich mir aber viel, und du kannst es bleiben lassen,« rief Peter.

»Der Vater würde es nicht haben wollen,« wandte Albrecht wieder ein.

»Er weiß es ja nicht,« sagte der gehorsame Sohn und war schon wieder bei der Arbeit.

Lange widerstand Albrecht auch nicht und so standen sie beide und vergnügten sich an dem regen Treiben auf dem Nebenhofe, wo die Pferde abgesattelt, in die Stallungen geführt und gefüttert wurden. Die geringeren Tiere kamen in den Schuppen, weil es sonst an Raum für so viele Rosse gebrach. Die Knappen sahen zu, daß die Troßknechte alles ordentlich machten, sie lachten und riefen sich Scherzworte zu, dazwischen wieherten die Pferde und bellten die großen Doggen, die den Zug der Reisigen begleitet hatten.

Mit der Zeit wurde es ruhiger; als sie ihre Pferde untergebracht und versorgt hatten, verschwanden die Troßknechte in die Dienerhalle, aber die beiden Brüder standen noch immer auf ihrem Beobachtungsposten und erfreuten sich an dem für sie so ungewohnten und interessanten Bilde. Endlich ermüdete Albrecht doch und wollte fort, aber nun ergriff ihn Peter ungestüm am Arm.

»Da ist er, ich glaube, er kommt gerade hierher!« flüsterte er, atemlos vor Aufregung.

»Wer denn?« fragte Albrecht zurück.

»Nun, der kleine Ritter, der mir schon vorhin auffiel,« rief Peter. »Ich glaube, er ist nicht größer als du, aber er sieht ganz anders aus als wir, beinahe wie ein Knappe.«

Albrecht war jetzt nicht minder gespannt; der Junker tat einen Pfiff und die Hunde umsprangen ihn schmeichelnd. »Heda, Jochen, wo steckst du?« rief er ungeduldig.

»Hier bin ich, Junker Dietrich,« lautete die Antwort eines Troßbuben, der einige Jahre älter sein mochte.

»Ich empfehle dir meinen Packan,« sagte der Junker gebieterisch und deutete auf die mächtige Dogge, die ihm die Hand leckte. »Sorge mir gut für ihn, aufs beste. Jetzt aber lege ihn sofort an die Kette mit den übrigen Rüden. Sie sind nicht gewohnt, in Städten zu sein, und in solchem Nest mit den krummen, engen Gassen möchten sie sich leicht verirren.«

»Soll sogleich geschehen, Junker Dietrich,« erwiderte Jochen und machte sich an sein Geschäft, das ihm die Doggen nicht erleichterten, weil sie nicht gern ihre Ungebundenheit gegen die Gefangenschaft an der Kette vertauschten.

Der Junker trat indes in den Schuppen, ging zu einzelnen von den Pferden, die er streichelte und klopfte und überzeugte sich mit sachkundigem Eifer, ob alle gut abgerieben und mit reichlichem Futter versehen seien. In dem Schuppen herrschte Dämmerung, denn der Hof, nach dem hin sich derselbe öffnete, war eng und schmal, um so mehr trat der lichte Sonnenschein hervor, der durch die Löcher in der Wand vom Nachbargarten her einfiel.

Unwillkürlich folgte Dietrich diesem hellen Schein, mit wenigen Schritten stand er an der Wand, um hinauszublicken, und da sah er dicht vor sich ein junges Gesicht, das zuerst erschrocken zurückfuhr.

»Hallo! was soll das heißen? Wer untersteht sich, uns auszuspionieren? Das soll ihm übel bekommen!« Damit hatte er blitzschnell zugegriffen und erwischte den Jenseitigen am Schopfe, von dem ihm ein Büschel dunkler Kraushaare in der Hand blieb.

»O weh, Peter, laß uns schnell entfliehen, sonst geschieht uns etwas Böses!« rief Albrecht aus und wollte davonlaufen.

Aber Peter war anderen Sinnes. Wutentbrannt schrie er mit hochrotem Gesicht durch sein Loch: »Was erfrechst du dich? Wir sind auf unserem eigenen Grund und Boden und wir können da tun, was wir wollen. Mir ist es ganz gleich und wenn du zehnmal ein Junker bist. Wir sind Bürgerkinder und brauchen uns vor niemand zu fürchten.«

»Aber ihr habt nichts bei unserem Schuppen zu suchen,« rief Dietrich.

»Haltet eure Wände in Ordnung, und niemand wird euch stören,« höhnte Peter nun. »Aber wo eine Öffnung ist, da kann ich auch durchsehen.«

»Ich leide es aber nicht! Fort mit euch!« befahl Dietrich.

Albrecht suchte Peter mit sich zu ziehen und bat: »Laß uns doch nur gehen, wir geraten in einen schlimmen Streit.«

»Ist mir ganz gleich,« sagte dieser. »Ich laufe vor keinem Rittersohn fort.«

»Dann komm herüber und ich will dir bessere Sitten beibringen,« rief Dietrich.

»Fällt mir nicht ein, aber wenn du dich traust, so kannst du zu uns kommen,« lautete Peters Antwort. »Wirst dich aber wohl fürchten.«

Es dauerte keine Minute, da fuhr des Junkers Kopf durch die Mauer, die Arme folgten nach, aber die Schultern erwiesen sich zu breit, er blieb stecken und konnte weder vor- noch rückwärts. Nun liefen die beiden Brüder herzu und zogen aus Leibeskräften an seinen Armen, während Jochen sich bemühte, seinen Junker an den Beinen zurückzuholen.

Es war eine schlimme Lage und Dietrich von Rochow sah sich ganz hilflos, vermochte aber selbst nichts für sich zu tun. Da faßte er einen schnellen Entschluß und rief Jochen zu: »Stoß mich nur nach vorn.«

Dieser gehorchte und nun flog der Junker plötzlich durch das Mauerloch, ein gut Teil von dem Lehm und Gemäuer mit sich reißend, in den Nachbargarten, wo Albrecht und Peter das Gleichgewicht verloren und mit ihm zusammen zu Fall kamen, unterdes die Hunde auf der anderen Seite wütend bellten und an ihren Ketten zerrten.

Dietrich war zuerst wieder auf den Füßen, Peter gleich nach ihm, während Albrecht einige Zeit brauchte. Da der Junker sah, wie er seine beiden Gegner bedeutend an Länge überragte, hörte er auf sich zu fürchten und rief Jochen, der sich daran machte, die Doggen loszuketten, zu, dies zu unterlassen und lieber selbst ihm nachzukommen, worauf dieser ohne Zögern folgte.

»Wer seid ihr denn?« fragte Junker Dietrich das Brüderpaar, »und was habt ihr hier zu suchen?«

»Wir sind Meister Öhlerts Söhne und der Garten gehört unserm Vater,« entgegnete Albrecht nicht ohne Selbstgefühl.

Der Junker schaute sich um und es schien ihm zu gefallen. »Wir werden noch hier bleiben, Jochen,« sagte er ruhig, warf sich auf den Rasen und steckte einen von den Äpfeln, die herabgefallen waren, in den Mund. »Sie sind gut,« entschied er, »ich möchte noch mehr davon.«

Jochen reichte ihm einen andern und biß selbst in einen dritten; in kurzer Zeit hatten sie mit allen aufgeräumt, die im Grase lagen, obgleich sie nicht ganz reif waren, so daß sie Albrecht und Peter, die Besseres gewohnt waren, wenig begehrenswert erschienen. Auf den Ritterburgen aber kannte man kaum anderes als das wilde Obst, wie es auf den Waldbäumen wuchs, und der Gaumen der edlen Herren war wenig verwöhnt.

»Nun sind die Äpfel alle,« sagte Jochen betrübt.

»O, auf dem Baume gibt es noch viele und noch schönere,« rief der Junker, »steige hinauf und hole mir welche.«

Jochen wollte ohne weiteres gehorchen, aber nun sagte Albrecht: »Das geht nicht an, unser Vater erlaubt das nicht und wir dürfen es nicht zugeben.«

»Seht doch diese Krämersöhne!« schrie nun der Junker. »Wißt ihr nicht, daß man sich nimmt, wonach man Gelüste hat. Dazu seid ihr Pfeffersäcke da, und wenn ihr uns hindern wollt, so werde ich euch Rittersitte zeigen.«

»Das ist Räubersitte,« rief Albrecht aus und Peter setzte hinzu:

»Ich laufe hinüber in das Schloß zu unserm Kurfürsten und sage ihm alles, dann läßt er dich hängen wie viele andere Raubritter.«

»Wenn er nicht vorher gehängt wird,« rief der Junker wütend. »Her zu mir, Jochen, wir wollen es diesem Krämerblut eintränken.«

Albrecht wollte Hilfe rufend davoneilen, Peter aber ballte seine Fäuste und richtete sich auf den Kampf ein, als plötzlich die Gartentür aufging und Frau Mechthildis darin erschien, die nach ihren Kindern sehen wollte. Die Eindringlinge erschraken, warteten nicht ab, ob noch mehr Gegner auftauchten und traten schnell den Rückzug an. Peter ließ es sich nicht nehmen, ihnen höhnende Worte nachzurufen, indes Albrecht der Mutter das Abenteuer berichtete.

Sie war sehr erschrocken und beruhigte sich erst, als sie sicher im Hause war. Bei seiner Rückkehr vom Schlosse erfuhr der Meister den Vorfall. Er ließ sogleich das Loch zumauern und hielt selbst Umschau, daß kein neues entstand. Zur größern Sicherheit verbot er seinen Söhnen jetzt das Betreten des Gartens, solange die unheimliche Nachbarschaft dauern würde.

»Ihr habt es nun selbst erfahren,« sagte er zu seinen Knaben, »daß es kein Bündnis in Freundschaft gibt zwischen Rittern und Bürgern, ebensowenig wie zwischen Wolf und Lamm.«

Doch hinderte dies die Brüder nicht, von ihrem Erker aus fleißig nach dem Junker auszuspähen, der ihnen wie ein guter Bekannter erschien. Auch Meister Öhlert hatte sein Wohlgefallen an dem schönen, schlanken Knaben, der bereits so gut zu Pferde saß, daß er dem alten Knappen, der sein Lehrmeister war, wenig Mühe mehr machte und der oft an seinem Hause vorüberkam, doch meist den Blick wie scheu zur Seite wandte.

Nach einigen Wochen röteten sich die Äpfel und der Meister ließ sie vom Baum nehmen und bat seine Gattin, mit den besten einen Korb zu füllen. Den schickte er hinüber in den Rochowhof und ließ den Junker Dietrich bitten, sich die nun reifen Früchte wohlschmecken zu lassen.

Am andern Tage kam Dietrich selbst, in der Hand einen Strauß schöner Reiherfedern, die er mit verlegenem Gruß dem Meister bot und sagte: »Ich danke für die Äpfel und diese Federn gebt Eurer Frau; ich habe sie selbst erbeutet auf der Falkenjagd und keine Edeldame brauchte sich ihrer zu schämen.«

Der Meister achtete wenig auf den Trotz, der in Dietrichs Weise lag, er führte ihn zur Frau Mechthildis und vor ihrer sanften Güte verschwand aller Hochmut im Gebahren des Junkers. Er redete freundlich zu Albrecht und Peter, vertilgte mit ihnen um die Wette die Äpfel und das mit Ingwer und Safran gewürzte süße Backwerk, welches Frau Mechthildis trefflich zu bereiten verstand, und als er endlich Abschied nahm, fragte er treuherzig: »Darf ich denn wiederkommen?«

Das wurde ihm freundlich zugestanden und von nun an war er ein täglicher Gast in dem Bürgerhause. Im Rochowhofe ließ man ihn gewähren und legte wenig Wert darauf, daß er den gering geachteten Nachbarn solche Gunst erweise. Für Dietrich aber erschloß sich eine neue Welt. Er hatte seine Mutter früh verloren, und auf der väterlichen Burg waltete Frau Jutta als Beschließerin, ein rauhes Mannweib, die mit den zuchtlosen Mägden den ganzen Tag keifte und schalt und auch von den Knappen und Knechten wegen ihrer Bösartigkeit gefürchtet war.

Hier lernte der Junker zum ersten Male eine edle, echt weibliche Frau kennen und er dachte oft, wie glücklich ihre Söhne wären. Er sah hundert Dinge, die zum Behagen und zum Schmuck dienten, von denen man auf der Burg daheim keine Ahnung hatte, und wenn er dann in der Werkstatt der Arbeit des Meisters zusah, so kam ein tief nachdenklicher Zug in sein junges Gesicht.

»Es muß Freude machen, so Schönes zu schaffen,« sagte er einst, »und ich beneide Peter, der das auch lernen wird. Warum aber quält sich Albrecht über den Büchern? Ich würde sie am liebsten verbrennen.«

»Ich auch,« hätte der Meister gern ehrlich zugestanden, aber er besann sich auf das, was ihm ziemte und versetzte: »Wer nicht mit den Händen schaffen will, sondern wessen künftige Arbeit auf dem Gebiete des Geistes liegt, der muß sich wohl ausrüsten mit dem, was kluge und gelehrte Männer vor ihm gesonnen und erdacht haben, und darauf baut er weiter und schafft an dem Werk, das er vorhat.«

»Jeder hier im Hause arbeitet,« sagte Dietrich wieder, »und jeden sehe ich zufrieden und beglückt. Für uns Schildgeborene war das Geschick weniger huldreich. Uns schändet die Arbeit, die den Bürger ehrt.«

»Mit nichten,« widersprach der Meister, »nur hat jeder Stand seine eigenen Satzungen und das eine schickt sich nicht für alle.«

»Den Krieg führen jetzt die Landsknechte,« klagte Dietrich, »und auf der Landstraße ziehen die Krämer mit ihren Waren unbehelligt, man nennt es Straßenraub, wenn sie den Rittern ihren Zoll entrichten müssen, den sie freiwillig nicht geben. Da herrscht Mißgunst und Langeweile auf den Burgen und wenn man von der Jagd heimkehrt, greift man zum Becher und zum Würfelspiel.«

»Ein rechter Ritter fände wohl andern Dienst,« sprach der Meister.

»Wo?« rief der Junker.

»Bei seinem Fürsten,« sagte Meister Öhlert.

»Bei ihm, dem Feinde und Unterdrücker des Adels?« rief Dietrich aus; »dem Fremdling, dessen Vorfahren hier eingedrungen sind und der nun unsern Meister spielen will! Aber wer vom Adel Mut und Kraft in sich fühlt, der widersetzt sich diesen stolzen Zollern und verspottet ihre Satzungen. O, daß ich erst ein Mann wäre, um gegen diesen Joachim, der so grausam gegen meine Standesgenossen gewütet hat, mich zu empören! Meinen letzten Blutstropfen will ich daran setzen.«

Der Meister betrachtete den vor Zorn erglühten Knaben mit ruhiger Überlegenheit. »Ihr seid noch sehr jung, Junker,« sagte er, »und Euer Ermessen hängt von dem Urteil Eurer Umgebung ab. Aber ich denke, Eure Gesinnung ist rechtlich und Euer Verstand nicht gering. So vertraue ich, daß Euer Blick sich erweitern wird, wenn Ihr heranwachst und dann werdet Ihr in unserm Fürstengeschlecht nicht mehr die fremden Eindringlinge, die Eure Rechte schmälern, sondern die von Gott gesetzte Obrigkeit, die Hüter des Gesetzes, die allen Untertanen wohl gesinnten Landesherren sehen, denen Ihr freudig Eure Dienste weiht.«

»Nimmermehr!« rief Dietrich aus. »Wenn sich der eingeborene Adel vor den Zollern beugte, so geschah es gezwungen, und wie im Kriege jede List gilt, so macht auch der Adel in diesem Kampfe sich jeden Umstand zunutze und wenn der Kurfürst Schwäche zeigt oder vom Unglück heimgesucht wird, dann erheben wir Edelleute das Haupt und dann sind wir die Herren im Lande.«

»Und überfallen die Kaufleute und plündern die Dörfer und Städte und werden der Schrecken des Landes,« ergänzte der Meister.

»Wir üben nur unser gutes Recht aus,« behauptete der Junker.

»Ein Recht, das ihr mit jedem Straßenräuber und Brandstifter, der durch Galgen und Rad endigt, teilt,« spottete der Meister.

Dietrich sprang auf. »Was nützt das Reden! Ihr versteht nichts von adliger Gesinnung. Der Edelfalk und der Spatz können nicht dasselbe Ziel im Auge haben,« rief er zornig. »Gehabt Euch wohl, Euer Haus betrete ich nicht wieder.«

»Wie es Euch beliebt, Junker,« entgegnete der Goldschmied und gab seinem jungen Gast höflich das Geleit.

Aber schon am nächsten Tage sprach Dietrich wieder vor, das Bürgerhaus hatte es ihm angetan, er fühlte sich hier wie in einer anderen Welt und jedes Wort des Meisters nahm er in sich auf und bewegte es in seiner Seele. Wenn er mit Albrecht und Peter fröhlich sich tummelte und ihnen ein guter Kamerad war, so empfand er für die stille anmutige Hausfrau hohe Verehrung, und zu ihrem Gatten sah er auf, wie zu einem klugen Lehrer und Meister. Der Goldschmied hatte den aufgeweckten, strebsamen Knaben liebgewonnen, fast wie einen eigenen Sohn und er hoffte zuversichtlich, daß dereinst aus ihm nicht ein Raubritter, sondern ein Edelmann im wahren Sinn des Wortes werden möchte.

Seinen Söhnen gestattete Meister Öhlert den Besuch des Rochowhofes nicht, so willkommen Dietrich auch stets in seinem eignen Hause war, denn er wollte den Knaben den Anblick der Zuchtlosigkeit und Roheit, die dort herrschte, ersparen. Der Junker sprach auch nie eine Aufforderung aus, denn ihn selbst beschlich ein unbehagliches Gefühl, fast eine Scheu, wenn er die beiden Haushalte verglich, und dabei sah er mit Bangen die Wochen verfließen, die nicht nur die Heimkehr auf die öde väterliche Burg, sondern auch den Abschied von dem lieb gewordenen Bürgerhause bedeuteten.

Doch die Zeit stand nicht still, und als die Seuche in Berlin und Cölln erloschen war und der Einzug des Kurfürstenpaares nahe bevorstand, machten sich die Rochows auf und zogen von dannen. Dietrich kämpfte mannhaft gegen die Rührung, die ihn überfallen hatte, aber er vermochte doch seine Tränen nicht zu unterdrücken. Worte wurden nicht viele gewechselt, sie sagten sich nur: »Auf Wiedersehen,« aber es lag darin zugleich eine Hoffnung und das Versprechen unverbrüchlichen freundschaftlichen Gedenkens.


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