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Die Kurfürstin Elisabeth befand sich auf der Heimreise, nachdem sie fast drei Monate im lieben Vaterland geweilt hatte. Die volle Befriedigung, die sie erwartet, hatte sie nicht gefunden. Es war alles so anders gewesen, als sie es sich vorgestellt, nur nicht schöner und besser. Die Eltern waren beide tot, und ihr Bruder Christian, der nun als König herrschte, war derselbe geblieben mit seinen Tugenden und Fehlern, aber wie sehr sie jene auch schätzte, so erschreckten sie doch diese und flößten ihr bange Sorge ein. Die Freundinnen und Jugendgenossen fand sie nicht mehr, sie waren zerstreut, auch wohl gestorben, oder ganz verändert, und vor allen Dingen fehlte ihr selbst die Hoffnungsfreudigkeit, das frohbewegte Herz und der heitere Sinn, den sie damals besessen.
Dennoch war es ihr geliebtes Dänemark mit seinen prachtvollen Buchenwäldern, vom Meere umrauscht, mit üppiger Fruchtbarkeit gesegnet und aller Zauber der Heimat verklärte ihr das teure Geburtsland. Sie fühlte sich wieder jung und frisch, und es überkam sie eine Zuversicht, als müsse doch noch alles gut werden und ihr doch noch das Glück erblühen, nach dem sie sich so vergeblich sehnte. Sie blühte auch körperlich auf, ihre bleichen Wangen röteten sich, die Augen strahlten, den lieblichen Mund umspielte ein heiteres Lächeln und manche Falte, die der Gram vorzeitig in ihr schönes Antlitz gegraben, verschwand jetzt wieder.
Überall am Hofe wurde Elisabeths Schönheit gehuldigt, und wenn sie in den Spiegel blickte und darin ihre zugleich anmutige und hoheitsvolle Erscheinung sah, so mußte sie sich zugestehen, daß diese Lobpreisungen nicht bloßer Schmeichelei entsprangen, sondern daß sie wahr und verdient waren, und das freute sie innig, nicht um ihrer selbst willen aus befriedigter Eitelkeit, sondern wegen eines andern, der ihr teuer und dem zu gefallen ihr ganzes Streben war.
Der Kurfürst schrieb selten, aber seine Briefe waren herzlich und zuletzt sprach ein heißes Verlangen nach seinem Weibe daraus, und so folgte sie gern und willig seinem Rufe, voll Sehnsucht nach ihm und ihren lieben Kindern, und wie sie von Dänemark schied, da nannte sie nicht mehr dies, sondern die Mark mit ihren sandigen Ebenen und ihren eintönigen Kiefernheiden ihr Vaterland.
Die Begegnung der hohen Gatten war eine sehr herzliche; Joachim war ihr eine Tagesreise entgegengekommen, er schien hoch erfreut über die neuerblühte Schönheit seiner Gemahlin und teilte ihr schon in der ersten Stunde des Wiedersehens die stolzen Hoffnungen mit, welche ihn für die Zukunft bewegten. Der König Franz I. von Frankreich hatte nämlich seine Tochter Renate dem Kurprinzen Joachim zur Gattin zugesagt, und so befanden sich also zwei jugendliche Brautpaare in der kurfürstlichen Familie.
Joachim erschien ganz verändert; sein herber Ernst war einem Anflug von Heiterkeit gewichen, und er, der sonst außer den Regierungssorgen sich nur an dem Vergnügen der Jagd erlabte, hatte jetzt Sinn für die Freuden des Lebens. So überraschte er seine Gemahlin mit der Verkündigung, daß ihr zu Ehren ein glänzendes Turnier in der Stadt Ruppin abgehalten werden solle. Solche Ritterspiele hatten zwar bedeutend von ihrem früheren Ansehen eingebüßt, seit durch die Erfindung des Schießpulvers andere Waffen und eine neue Art der Kriegführung aufgekommen und die Tapferkeit des einzelnen mehr in den Hintergrund getreten war, aber hier und dort wurden sie doch noch veranstaltet, und Joachim hing am Alten und Hergebrachten und stemmte sich gegen das Neue auf allen Gebieten.
Ein Wermutstropfen in dem Freudenbecher der Kurfürstin war die Kunde von Frau Mechthildis' Heimgang. Sie war zwar in banger Ahnung von ihr geschieden, aber als sie nun sogleich nach ihr fragte und die traurige Bestätigung ihrer Befürchtungen vernahm, da weinte sie der Geschiedenen Tränen aufrichtigen Schmerzes nach. Sie schickte sogleich nach Christine und ließ sie zu sich auf das Schloß entbieten, um sie in herzlicher Liebe in die Arme zu schließen und ihr zu sagen, daß sie ihr eine zweite Mutter sein wolle, und sie trat auch in das Haus des Meister Öhlert, gab ihm ihre warme Teilnahme zu erkennen und erbot sich, ihm bei der Erziehung seines Töchterleins hilfreich zur Seite zu stehen.
Es erfreute sie aufrichtig, als sie vernahm, wie trefflich sich Christine trotz ihrer großen Jugend bewährte, und sie hütete sich wohl, ihr in der Ausübung ihrer Pflichten in den Weg zu treten, aber sie wünschte, daß jene ihre Mußestunden im Frauengemach des Schlosses zubringe und hier widmete sie ihr nicht geringere Sorgfalt und fast die gleiche Liebe wie ihren eigenen Kindern.
Außer den Hofdamen der Fürstin, die sich wenig um die jüngeren Insassen des Frauengemachs kümmerten, fand sich eine ganze Gesellschaft von Mägdlein, die mehr dem kindlichen Alter angehörten. Die älteste von diesen war Ursula von Zetwitz, die mit der Prinzessin Anna sehr befreundet war. Diese wurde nun öffentlich als die Braut des Landgrafen von Hessen behandelt, ohne daß es ihren still bescheidenen Sinn beeinflußt hätte. Sie war wie Ursula eine große Meisterin in kunstreicher Stickerei, und die Kurfürstin, die selbst viel Freude an solchen Arbeiten hatte, sah es mit Vergnügen, wenn ihre Töchter so wie ihre Damen sich fleißig darin übten. So entstanden auf den Stickrahmen herrliche Werke und auch Christine wurde darin unterwiesen und zeigte sich nicht als die am wenigsten fleißige und geschickte Stickerin im Kreise der übrigen.
Die einzige Ausnahme machte die Prinzessin Elisabeth, für deren unruhigen Geist solche Beschäftigung mit der Nadel sich nicht eignen wollte; sie war noch immer sehr herrisch und eigensinnig und suchte durch Trotz und Ungestüm stets ihren Willen durchzusetzen. Ihrer Mutter bereitete sie manche Sorge und alle Versuche der Kurfürstin, sie zu zähmen und weiblicher zu machen, waren bis jetzt gescheitert. Dagegen war die Prinzessin Elisabeth der ausgesprochene Liebling ihres Vaters, den ihr Eigenwille nur belustigte und dem es sogar Spaß machte, sich etwas von ihr abtrotzen zu lassen. Die gleiche Nachsicht bewies er Elisabeths Eitelkeit und Putzsucht gegenüber; er meinte, dieselbe sei bei einem so reizenden Wesen ganz verzeihlich und natürlich und er prophezeite ihr eine große Zukunft.
Noch immer liebte es Joachim, das Gebiet des Zukünftigen im voraus zu erforschen, und noch immer opferte er willig den Schlaf so mancher Nacht, um zu Meister Rossolo hinaufzusteigen und sich von diesem das Horoskop stellen zu lassen. Das Geschick seines Regentenhauses, das Lebenslos seiner Kinder, die Ereignisse der Weltgeschichte, alles zog er in den Bereich seiner Nachforschungen, und sein scharfer Verstand war förmlich von dem schlauen Italiener unterjocht, der seine Voraussagungen meist in so unbestimmter, rätselhafter Weise machte, daß man ihnen leicht eine mehrfache Deutung geben und er sich also stets herausreden konnte, wenn seine Prophezeiungen nicht in Erfüllung gingen.
Die Kurfürstin erblickte in der Kunst der Sterndeuterei eine Art Vermessenheit, die Gottes Willen vorgreifen wollte, der die Zukunft in Dunkel gehüllt hatte, und sie glaubte auch nicht an die Möglichkeit, daß die Gestirne einen Einfluß ausübten, sondern stellte alles gläubig dem Herrn der Welt anheim. Doch hütete sie sich, ihren Gemahl durch Widerspruch zu erzürnen, wie sie sich ja stets bemühte, in allen Dingen sich nach seinem Gefallen zu richten.
So hatte sie auch auf den Wunsch des Kurfürsten kostbare Stickereien in Gold, Silber und Perlen auf Sammet, Atlas und Brokat begonnen, natürlich mit der Unterstützung ihrer Frauen und Jungfrauen. Es sollten Festgewänder daraus gefertigt und an den König von Frankreich verschenkt werden, denn die zukünftige Verschwägerung sollten prächtige Geschenke von beiden Seiten besiegeln. Christine rechnete es sich zur hohen Ehre, daß auch ihr vergönnt wurde, bei der Arbeit hilfreich zu sein.
Indessen nahte der Monat Juli, in dem das Turnier stattfinden sollte. An die benachbarten und befreundeten Fürsten, an Ritter und Herren vom Adel waren Einladungen ergangen und von ihnen mit freundlichem Dank angenommen worden. Der stets kluge Kurfürst verband mit dem Feste einen doppelten Zweck und so sparsam er sonst war, so scheute er keine Kosten zur Erreichung seines Zieles. Es galt nicht nur eine Huldigung für die Landesfürstin, sondern Joachim wollte vor allen Dingen den Adel, der ihm seine Strenge gegen die Raubritter noch immer nicht vergeben hatte und der grollend auf seinen Burgen saß, an sich heranziehen und an den Hof gewöhnen. Nach Berlin und Cölln in das kurfürstliche Schloß zu kommen versäumten sie trotzig, aber an einem anderen Ort gestaltete sich der Verkehr zwangloser, und war nur einmal der erste Schritt getan, so folgten auch wohl andere nach.
Natürlich würde der Erzbischof von Magdeburg bei dem Ritterspiel nicht fehlen, es tat ihm wohl nur leid, daß die Rücksicht auf sein geistliches Gewand ihm verwehrte, selbst eine Lanze zu Ehren seiner schönen Schwägerin zu brechen. Er war in frohster Stimmung, denn es hatte sich ihm eine Aussicht erschlossen, seinen ewigen Geldverlegenheiten, die mit der Zeit selbst seinen leichten Sinn bedrückten, ein Ende zu machen, und er sah sich nicht nur den drängenden Gläubigern entronnen, sondern auch im Besitz eines schier unerschöpflichen Reichtums, der ihm erlaubte, alle seine verschwenderischen Neigungen zu befriedigen.
Das ging so zu. Der kunstsinnige Mediceer Leo X., der jetzt auf dem päpstlichen Stuhle saß, brauchte zum Bau der Peterskirche und für den Glanz, womit er sich umgab, viel Geld, und um dies zu erlangen, hatte er einen Generalablaß ausgeschrieben, der den Leuten überall angeboten werden sollte, damit sie auch ausgiebig Gebrauch davon machten, und um sich dies mühsame Geschäft zu erleichtern, hatte sich der Heilige Vater nach Hilfskräften umgesehen und in dem Erzbischof Albrecht von Brandenburg einen bereitwilligen Helfer gefunden, der ihm für Deutschland den Handel abnahm und dafür einen ansehnlichen Profit für die eigene Tasche zugesichert erhielt.
Noch ehe er nach Ruppin aufbrach, hatte der Erzbischof alles in Ordnung gebracht, und er konnte sich vergnügt sagen, daß er in dem Dominikanermönch Johann Tetzel den rechten Mann für das heikle Geschäft gefunden hatte, der Frechheit, Zungenfertigkeit und Unverschämtheit im höchsten Maße besaß. Binnen kurzem sollte dieser die Reise durch alle deutschen Lande antreten und der Erfolg würde nicht ausbleiben.
Erzbischof Albrecht erschien bei dem Turnier mit einer zahlreichen und glänzenden Geleitschaft, wie er das liebte, und in seinem Gefolge befand sich auch Dietrich von Rochow, der vor einigen Monaten seinen Vater begraben hatte und nun das Oberhaupt der zahlreichen Familie geworden war. So nahm der Junker eine sehr einflußreiche Stellung ein, viele Augen waren auf ihn gerichtet und durch sein Verhalten mußte allgemach auch das seiner Lehnsvettern bestimmt werden.
Dietrich hatte so ganz andere Anschauungen gewonnen, als die, nach welchen sein Vater gelebt hatte, und wenn sein Verweilen in Meister Öhlerts Hause den ersten Anstoß dazu gegeben, so hatte sich durch eignes Nachdenken und zuletzt unter dem Einfluß seines Verkehrs am erzbischöflichen Hofe die Ansicht in ihm befestigt, daß der Adel der Mark nur sein Heil im Anschluß an die Zollernfürsten finden könne und daß von diesen alles Gedeihen für die Zukunft zu erwarten sei.
Die Einladung des Kirchenfürsten, ihn zu dem Turnier zu begleiten, war ihm daher höchst willkommen und viele der Rochows, die auf ihren Burgen in der Nachbarschaft saßen, folgten dem Beispiele ihres jungen Verwandten und schlossen sich Herrn Albrecht an.
Das sonst so stille Städtchen Ruppin hatte ein ganz verändertes Ansehen erhalten, von nah und fern strömten die Gäste herbei, weltliche und geistliche regierende Herren, Grafen und Ritter, dazu fehlte es nicht an dem fahrenden Volk, Spielleuten und Gauklern, die bei jeder solchen Gelegenheit zu finden waren, verachtet und für unehrlich angesehen und doch unentbehrlich für die nach allerlei Kurzweil verlangenden vornehmen Herren und ihr Gefolge. Das kurfürstliche Schloß konnte nur einen kleinen Teil der Gäste beherbergen und in dem Städtchen fand sich nur wenig Gelegenheit; so hatte man vor den Toren ein ansehnliches Zeltlager aufgeschlagen, und die Banner und Fähnlein, die auf hohen Stangen lustig im Winde flatterten, dienten zum Wahrzeichen, um die einzelnen in der Gesamtheit aufzufinden.
Es herrschte ein reges Treiben, fast wie in einem Kriegslager, nur fröhlicher und ungezwungener. Die Knappen und Reisigen tummelten ihre Rosse und die ihrer Gebieter, blökende und brüllende Viehherden wurden herangetrieben, um die nötige Speise zu liefern, schwer bepackte Wagen brachten Proviant für die Menschen und Futter für die Pferde herbei, dazwischen sah man die Karren der Hausierer, die bei solcher Gelegenheit eine reiche Ernte hielten. Sie bargen unter dem Plandache, mit dem sie überspannt waren, alles, was nur das Herz begehren konnte für Herren und Knechte, die edlen Ritterdamen und die geringsten der Mägde. Viele dieser wandernden Händler waren weit und breit bekannt, denn ohne Rast und ohne Ruhe durchzogen sie die Länder, auf den Burgen, in den Dörfern und wohl auch den kleinen Städten hochwillkommen als Bringer von Neuigkeiten und als die Vermittler von allen guten Dingen, die sonst oft unerreichbar waren. Nicht ohne Gefahr für Leib und Leben machten sie die langen Reisen; aber seit Kurfürst Joachim mit eiserner Faust für die Sicherheit der Straßen sorgte, fühlten sie sich in seinen Landen geborgen, und wenn die Zaunritter und ihre Gesellen ihm bitteren Haß widmeten, so stiegen aus dem Herzen der Kaufleute und der Hausierer dankbare Gebete für ihn zum Himmel empor.
Der Kurfürst hatte an der Seite seiner Gemahlin seinen Einzug in Ruppin gehalten, und nun bewillkommnete das Fürstenpaar huldreich seine Gäste. Frau Elisabeth entfaltete den ganzen Zauber ihrer Anmut und Liebenswürdigkeit dabei, und wie die Männer sich vor ihrer Schönheit beugten, so gewann sie die Frauen durch ihre Güte und Holdseligkeit. Ihrem staatsklugen Gemahl entging der Einfluß nicht, den sie ausübte, er freute sich des und bezeigte ihr seine Zufriedenheit und dies beglückte sie wieder und erhöhte den Zauber ihres Wesens.
Den Anfang der Feste machte eine feierliche Messe, welche in der Stadtkirche von dem Erzbischof selbst mit allem möglichen Gepränge abgehalten wurde. Danach ließ sich der Kurfürst die Junker vorstellen, welche von ihm den Ritterschlag erhalten sollten. Unter diesen befand sich auch Dietrich von Rochow, dessen hohe Gestalt die seiner Gefährten um ein Beträchtliches überragte. Zwar war es ihm nicht vergönnt gewesen, als Knappe im Gefolge eines andern Ritters in den Kampf zu ziehen, um sich dort die Sporen zu verdienen, aber wie er so fest und sicher einherschritt, ruhig und selbstbewußt und doch frei von Trotz und Anmaßung, blickten alle Anwesenden wohlgefällig auf ihn und sein Name ging von Mund zu Mund mit günstigen Worten, die seiner Zukunft galten.
Der Erzbischof forderte nun die Junker auf, sich würdig vorzubereiten auf die Weihe, die ihnen der folgende Tag bringen sollte. Er selbst verschmähte es nicht, im Verein mit anderen hohen Würdenträgern der Kirche ihre Beichte zu hören, und nachdem sie die Absolution empfangen, ihnen das heilige Abendmahl zu reichen. Darauf wurden sie in verschiedene Kapellen und Kirchen geführt und eingeschlossen, mit ihnen die Waffen, die ihnen am andern Tage verliehen werden sollten, und so mußten sie im Gebet und frommer Betrachtung die Waffenwacht halten durch die lange Nacht.
Unterdes ging es auch still und ernst unter den Festgästen her, selbst die fahrenden Leute, die abseits in ihrer Wagenburg hausten, mußten sich ruhig verhalten, ja, es war ihnen verboten, sich außerhalb ihres Bereichs sehen zu lassen. Die ganze Versammlung sollte teilnehmen an dem bedeutsamen Weiheakt, durch welchen so viele tapfere und fromme Ritter neu geschaffen wurden.
Der Kurfürst hatte das mit klugem Sinn so angeordnet. Er wußte wohl, wie sehr das Rittertum mit seinen Gebräuchen im Ansehen gesunken war, und er bemühte sich, die letztern wieder ihrer Vergessenheit zu entreißen. Dadurch hoffte er, dem Adel seines Landes ins Gedächtnis zu rufen, was alles von einem echten Ritter erwartet werde und somit ihren Sinn von dem Streben nach Gewalt und Macht, die sich gegen Sitte und Gesetz betätigen wollten, auf höhere Ziele zu lenken.
Am Morgen wurde den edlen Jünglingen ein weißes Gewand gereicht und mit diesem angetan traten sie vor den Altar, wo ein ehrwürdiger Priester sie mit dem Schwert umgürtete. Danach wurden sie in die reichgeschmückte Festhalle geführt, in der am oberen Ende Kurfürst Joachim mit seiner Gemahlin thronte, um sie herum die ganze Versammlung ritterlicher Herren und schöner Edeldamen.
Als der erste trat Dietrich von Rochow vor, dem seine Genossen in Rücksicht auf seine große Ahnenzahl, wie auf den Reichtum und das Ansehen seiner Familie, aber noch mehr unter der Einwirkung seiner Persönlichkeit den Ehrenplatz zugestanden hatten. Er schritt auf den Kurfürsten zu, beugte das Knie vor ihm und sprach mit feierlich erhobener Hand und lauter Stimme:
»Im Angesicht des allmächtigen Gottes und vor allen edlen Anwesenden gelobe ich für mich und für die mit mir hier knienden Junkherren, daß ich und sie alle echte und rechte Ritter sein wollen, jederzeit bereit, die Kirche zu ehren, unserm Lehnsherrn treu, gewärtig und hold zu sein; wir geloben ferner mit feierlichem Eide, keine ungerechte Fehde zu führen, Witwen und Waisen zu schirmen und die Frauen zu ehren. Des helfe uns Gott der Herr mit seinen lieben Heiligen. Amen.«
Eine feierliche Stille trat ein, dann winkte der Kurfürst und die Wappenherolde schritten heran, in ihren Händen die Waffen tragend, welche die neuen Ritter hinfort führen sollten. Sie legten ihnen den Panzer an, danach die Halsberge und dann die Arm- und Beinschienen; dann schnallte man ihnen die goldenen Sporen an und umgürtete sie mit dem Wehrgehenk, in welches sie das bereits empfangene Ritterschwert steckten.
Nun waren die Junkherren bekleidet mit allem Zubehör ihres ritterlichen Standes. Dietrich kniete abermals vor dem Kurfürsten nieder, der sich erhoben und sein Schwert gezogen hatte, mit dessen flacher Klinge er dem neuen Ritter drei leichte Schläge auf die Schulter gab im Namen der heiligen Dreifaltigkeit. Nach ihm wurde an den andern dieselbe Zeremonie vollzogen, und nun drängte sich alles um die jungen Ritter, um ihnen glückwünschend die Hand zu schütteln.
Doch noch einmal hemmte ein Wink Joachims das laute Treiben; alle blickten auf ihn, der sich erhoben hatte und in seiner vollen Würde, von dem hermelinbesetzten Fürstenmantel umwallt, dastand. Mit hohem Ernst und mit bewegter Stimme sprach er:
»Ihr meine Edlen, deren Schwert gesegnet ist und die ihr nun Ritter worden seid, erwäget wohl den Ritterpreis und auch euch selbst, wer ihr seid und habt eure Geburt und eure Edelkeit stets vor Augen. Seid demütig und ohne Trug, seid wahrhaftig, haltet Zucht und Fug, seid gegen Arme freundgefällig, gegen Reiche hochgemut, ziert und ehret euren Leib, ehret und schirmt die Frauen, seid mild und getreu und ermüdet nicht in allen ritterlichen Tugenden und christlichen Werken.«
Die Türen des Festsaales taten sich nun auf und draußen erblickte man die stolz sich bäumenden, reichgeschmückten Rosse, die kaum von den Knappen gezügelt werden konnten. Verwandte und Freunde eilten herbei, um den neuen Rittern Helm, Lanze und Schild zu reichen, und mit einem Sprunge, ohne den Steigbügel zu berühren, schwangen sich diese in den Sattel, tummelten die feurigen Rosse und grüßten durch das Neigen ihrer Lanzen die Frauen, welche von den Fenstern der Halle herab auf sie niederschauten und ihnen huldreich mit Hand und Schleier winkten.
Am nächsten Tage begann das Turnier. Die Kurfürstin saß auf der Tribüne, im Kreise edler Frauen und blühender Jungfrauen, in golddurchwirktem azurnen Gewande, über das der hermelinbesetzte Mantel fiel. Sie strahlte von Diamanten und edlen Steinen, mit denen ihre Kleidung übersäet war, ein goldener Gürtel umgab ihre Hüften, die Stirn zierte ein prachtvolles Diadem und ihr reiches goldblondes Haar war heute nicht unter der Frauenhaube verborgen, sondern umwallte ihre anmutige Gestalt fast bis zu den Knien.
Ihr Gemahl fehlte an ihrer Seite, denn er ritt als erster in die Schranken und eröffnete mit dem Herzog von Braunschweig das Turnier. Die ritterlichen Kämpen prallten oft hart aufeinander, aber der Kurfürst, der die Farben seiner Gemahlin trug, saß fest im Sattel und ging als Sieger aus dem Streit hervor. Es war ein Augenblick stolzen Glückes für Elisabeth, als ihr Gatte dann heranritt, um sie mit gesenkter Lanze zu begrüßen, und wie sie sich ihm zuneigte, da sandte er ihr einen Blick heißer Liebe zu.
Das Turnier ging weiter, und die Kurfürstin wurde darin von allen Seiten gefeiert. Ihr zu Ehren stritten die stolzesten Ritter und unzählige Lanzen wurden in ihrem Dienst gebrochen. Der Erzbischof hatte sich ihr zur Seite niedergelassen und Joachim nahm seinen Platz hinter ihr. Die beiden Brüder verfolgten mit gespannter Aufmerksamkeit das Turnier, und es war leicht zu erkennen, wie sehr den Kurfürsten die Huldigungen erfreuten, welche Elisabeth als der schönsten der Frauen zuteil wurden.
»Ich bedaure nur, daß mein geistliches Gewand mir verbietet, meiner schönen Schwägerin mit Lanze und Schwert meine Ergebenheit zu beweisen,« sagte der Erzbischof, »aber ich weiß einen jungen Ritter, dem ich wohlgeneigt bin und der den heißen Wunsch hegt, dies an meiner Stelle zu tun. Wollen Eure Liebe es diesem gestatten?«
Elisabeth neigte in freundlicher Zustimmung das Haupt, und der Erzbischof winkte Dietrich von Rochow heran, der sich vor der schönen Fürstin auf ein Knie niederließ und sagte:
»Erhabene Frau, Ihr macht mich stolz und froh durch diese Erlaubnis, und ich will alles aufbieten, um mich der Ehre würdig zu machen, als Euer Ritter zu streiten.«
Er tat sich nun so auf dem Kampfplatz hervor, daß er alle seine Gegner in den Sand warf. Der Erzbischof sah ihm mit innigem Vergnügen zu und pries ihn laut gegen seine Verwandten.
»Es ist ein tüchtiger Kern in diesem jungen Ritter,« sagte er, »und ich bin erfreut, daß ich dazu tun konnte, ihm zur Entwickelung zu verhelfen. Lieber Herr Bruder, ich empfehle Euch diesen Dietrich von Rochow ganz besonders, er wird Euch von Nutzen sein.«
Joachim nickte zustimmend, und als jetzt eine Pause in dem Waffenspiel eintrat, winkte er dem jungen Ritter.
»Ihr habt Euch brav bewährt,« sprach er gnädig zu ihm, als er mit geöffnetem Visier vor ihm stand, »und das Vertrauen, welches meine Gemahlin in Eure noch unerprobte Tapferkeit setzte, nicht zuschanden gemacht. Heut ist noch nicht der Tag, an welchem der Preis zuerkannt wird, aber Ihr sollt doch ein Zeichen der Gnade Eurer Landesherrin erhalten. Wollt Ihr mir diese Bitte gewähren, so will ich mich Eurer Liebe verbunden halten,« wandte er sich an Elisabeth.
Diese neigte sich freundlich zum Zeichen der Gewährung und nahm von ihrem Kleide ein blaues, goldbefranztes Band, wie deren viele zur Verzierung angebracht waren. Sie reichte es Dietrich, der es kniend empfing und an seinem Helm befestigte.
»Dies Band soll mir stets ein Zeichen sein, daß Ihr, durchlauchtigste Frau Kurfürstin, mir Huld und Güte beweiset, die ich mir verdienen muß. Von heut an bis an mein Lebensende will ich Euch als Euer getreuer Ritter dienen,« sprach er bewegt.
»Tut so,« entgegnete der Kurfürst anstatt seiner Gemahlin, »und ich hoffe, Ihr werdet an unserem Hofe Euch die Gelegenheit erspähen, Euch als ein Edelmann und Ritter zu bewähren. Daß Ihr uns willkommen seid, mögt Ihr Euch gewiß halten.«
Dietrich verneigte sich nur stumm, aber aus seinen Mienen sprach eine Begeisterung, wie sie sich nicht glühender in Worten ausdrücken konnte. Für jetzt zog er sich bescheiden zurück und der Kurfürst folgte ihm mit zufriedenem Blick.
»Er ist noch mehr Euer Ritter, liebe Traute, als unser Untertan,« sagte er, »aber ich baue darauf, Ihr werdet ihn auch zu diesem machen. Gibt es doch nichts, das uns nicht gemeinsam sei, und ich denke, dies wird in alle Zukunft so bleiben, und wer Euch ein treuer Diener ist, der ist es mir nicht minder.«
»Gewiß, so ist es meine Pflicht und mein höchster Wunsch,« erwiederte Elisabeth, und wieder durchströmte sie das Glücksgefühl. Ja, sie war endlich eins mit ihrem Gatten, und alle Schatten waren entflohen.
Der Kurfürst beschloß diesen Tag sehr vergnügt. Diesen jungen Rochow, der so einflußreich war als das Haupt einer großen und wichtigen Familie, hatte er sich gewonnen, und so war er auch hier bei Scherz und Spiel als kluger Regent tätig gewesen und das Turnier hatte ihm bereits Frucht getragen.
Drei Tage währte das Fest und es nahm seinen Fortgang ohne jeden Mißton. Am Ende der Zeit verteilte die Kurfürstin die Preise an die Sieger. Dietrich von Rochow gehörte zu denen, die sich am meisten ausgezeichnet hatten. Stolzer aber als auf die goldene Kette, welche Frau Elisabeth ihm um den Hals hing, war er auf das blaue Band, durch das sie ihn zu ihrem Ritter angenommen hatte, und er hegte nur den Wunsch, ihr als solcher seine Treue zu erweisen.
Für Elisabeth war es eine glückliche und sorgenlose Zeit gewesen, und mit frohem Herzen kehrte sie nach Berlin zurück in der sicheren Erwartung auf ein ungetrübtes Glück. Mochten auch von außen Sturm und Unwetter sie bedrohen, wie sie keinem Sterblichen erspart bleiben, was fragte sie danach, wenn sie sich in Liebe mit ihrem Gatten vereint fand und ihre Kinder sich in gedeihlicher Entwicklung um sie scharten.
Öfter noch als sonst betrat sie ihr Betkämmerlein, nicht um etwas zu erflehen, sondern um zu danken für das, was ihr zuteil geworden war. Ihr kostbares Reliquienkästlein prangte dort auf dem kleinen Altar, vor dem sie zu knien pflegte, die Bilder der Heiligen schauten von den Wänden auf sie nieder, und sie küßte das kostbare Stück Holz, dem ein so heiliger Ursprung nachgesagt wurde, und rief bald diese, bald jene Heilige oder die Madonna selbst an, ihr auch ferner beizustehen. War es nicht, als ob ihre Gebete eher Erhörung fänden, seit sie das Bruchstück des heiligen Kreuzes besaß? So pries sie in gläubiger Seele dessen Wunderkraft und glaubte sich geborgen vor allem Unheil.
Dietrich von Rochow war seine Burg nie öder und verfallener erschienen, als jetzt, wo er von dem glänzenden Feste heimkehrte; trotzdem liebte er Rochatz als die Heimstätte seines Geschlechts und der Wunsch regte sich in ihm, dasselbe in neuer Gestalt aus seinem jetzigen Zustande, der es fast einer Ruine gleichmachte, hervorgehen zu sehen. Sein Vater hatte sich noch wohlgefühlt in den kahlen Mauern, die vom Herdrauch geschwärzt waren, beim Schein des flackernden Kaminfeuers oder dem Lichte einiger Kienspäne, die von eisernen Klammern gehalten wurden; mit dem nur aus unsauberem Estrich bestehenden Fußboden, über den bei dem Herrensitze die Felle der erlegten Waldtiere hingeworfen waren, während die kleinen, scheibenlosen Fensteröffnungen Wind und Kälte einließen, aber nur wenig Licht, und nur durch hölzerne Läden einen Schutz gegen die Unbilden der Witterung gewährten. Dem jungen Ritter erschien es unmöglich, so weiterzuleben, und wie er die große Halle, in der sich nach altem Brauche die Bewohner der Burg zusammenfanden, mied, saß er einsam auf dem verfallenen Altan und träumte im Schein des Mondes von einem neuen Leben, das beginnen sollte.
Schon wenige Tage nach seiner Rückkehr vom Turnier rüstete sich der junge Burgherr zu einer neuen Fahrt, die nach Berlin gehen sollte. Die Begleitung seiner Mannen verschmähte er zu deren großem Leidwesen. Sie hielten es kaum für möglich, daß Herr Dietrich ohne stattliches Gefolge zu Hofe gehen wollte und ihnen gefiel die neue Weise ihres Gebieters gar nicht; doch ließ er sich nicht beirren und blieb bei seinem Willen. Er kannte die rauhen Sitten seiner Burgleute zu gut, und ehe sie sich nicht an bessere Zucht gewöhnten, mußten sie eben daheimbleiben; Schande wollte er nicht an ihnen erleben.
Nur Jochen focht die ungünstige Entscheidung wenig an; er fühlte sich zu sicher als getreuer Schildknappe, und außerdem – wer wußte besser in der Stadt und mit dem städtischen Wesen Bescheid als er, der seit so vielen Jahren in jedem Winter den Ritt dorthin machte! So verließ ein kleiner, aber stattlicher Zug Burg Rochatz, voran Herr Dietrich in ritterlicher Kleidung, die Rüstung einem glänzenden Spiegel gleich, auf dem Haupt den Helm mit seiner wallenden Federzier, doch das Visier zurückgeschlagen und darunter das fröhliche Antlitz mit den blitzenden Augen, der hohen, von lichtbraunem Haar umgebenen Stirn und dem frischen Mund, auf dessen Oberlippe ein keckes Bärtchen sproßte; etwas hinter ihm ritt der ehrliche Jochen, noch breiter und stattlicher geworden, so daß sein Gaul sein Gewicht wohl spürte, in tadelloser Knappentracht, und dann folgten noch zwei Reisige, die hinter sich die mächtigen Bündel aufgeschnürt hatten, in denen alle Vorräte enthalten waren.
Gegen Abend des zweiten Tages langten die Reiter vor den Schwesterstädten an, und Dietrich fühlte sein Herz freudig klopfen bei dem Anblick des Ortes, an dem er sich einst so glücklich gefühlt hatte. Sie ritten durch die Straßen dem kurfürstlichen Schlosse zu; aber nicht dieses zog das Auge des jungen Ritters auf sich, sondern jenes stattliche Bürgerhaus, das gegenüber auf der anderen Seite der Spree lag; dem Rochowhof galt kaum ein Gedanke.
Er winkte Jochen zu sich heran, indem er sein Pferd vor dem Hause des Goldschmiedes anhielt und sagte zu ihm: »Ich steige hier ab, um die alten Freunde zu besuchen. Du reitest voran in den Rochowhof, ich denke, daß Niklas alles zu unserer Aufnahme gerüstet hat.«
Damit hatte er sich schon vom Pferd geschwungen und hatte einem der herbeigeeilten Knechte die Zügel zugeworfen; die Reiter zogen weiter und klopften an das Tor des Rochowhofes, das sich alsbald knarrend vor ihnen öffnete. Niklas, der langjährige Wächter, machte ein sehr verdutztes Gesicht, als er seinen jungen Herrn nicht, wie er erwartet hatte, an der Spitze der kleinen Schar erblickte und anstatt seiner ein lediges Roß, und die Erklärung, welche Jochen ihm gab, schien ihm auch nicht zu behagen.
»Da nebenan ist unser Herr? Der Ritter beim Bürger, das ist eine sonderbare Welt, und unser alter Herr hätte es nimmer getan,« brummte er vor sich hin und schien nicht übel Lust zu haben, wartend im Eingang stehen zu bleiben, doch widerriet es ihm Jochen.
Herr Dietrich hatte indessen die schwere Eichentür geöffnet und war in den geräumigen Hausflur eingetreten, auf den viele Türen mündeten, während im Hintergrunde eine breite Treppe mit schön geschnitztem Geländer in das obere Geschoß führte. Ohne Zögern öffnete er die Tür zur Werkstatt, aus der ihm das Geräusch von Feilen, Hämmern und das mächtige Pusten des Blasebalges entgegenscholl.
Der Meister selbst stand unter seinen Arbeitern, der unverdrossenste von ihnen allen, und so vertieft in sein Werk, daß er des Eintretenden gar nicht achtete, sondern eifrig fortfuhr, die silberne Platte, welche über ein Modell gelegt war, zu bearbeiten, um ihr Form und Gestalt zu geben, und Dietrich war es, als seien all die Jahre spurlos verschwunden und er stehe wieder als Knabe am Amboß und lerne dort zum erstenmal die Freude des Schaffens und Arbeitens verstehen. Er hatte den übrigen einen Wink gegeben, seine Anwesenheit nicht zu verraten, denn Gesellen und Lehrlinge waren nicht ganz so vertieft wie der Meister und schauten den fremden Ritter mit neugierigen Augen an.
Endlich sagte Dietrich: »Grüß Gott, Meister Öhlert, ich hoffe, Ihr werdet mir ein freundliches Willkommen bieten.«
Da sah jener auf und mit einem freudigen Ausruf legte er seine Arbeit fort und reichte dem Gaste beide Hände hin.
»Dietrich von Rochow! Fast hätte ich Euch nicht wiedererkannt. Verzeiht, ich dachte an den Knaben von einst, und Ihr seid ein stattlicher Ritter geworden. Aber die Augen sind dieselben geblieben, und auch der Klang der Stimme weckt die alten Erinnerungen. Seit wann seid Ihr hier?«
»Erst soeben angekommen,« erwiderte Dietrich. »Seht, ich ließ mir nicht Zeit, den Reisestaub zu entfernen, so verlangte mich nach Euch, Meister Öhlert, und den lieben Eurigen.«
Der Meister hatte sein Schurzfell abgebunden und rief dem Altgesellen zu, daß er für die Aufsicht sorgen und später alles verschließen solle, er selbst wolle mit dem werten Gast hinaufgehen.
»Doch wo ist Peter? Ich möchte ihn zuvor begrüßen,« fragte Herr Dietrich.
»Der ist auf der Wanderschaft,« lautete die Antwort des Meisters. »Das Haus ist sehr einsam geworden, alles ist verändert.«
Die Trauer, die aus seinen Worten sprach, fand einen Nachhall in Dietrichs Herzen; doch erwiderte er nichts. Wie sehr der Meister selbst verändert, war ihm beim ersten Blick aufgefallen. Der einst so rüstige, in der Vollkraft des Lebens stehende Mann war gebeugt, sein Haar ergraut, das Antlitz trug tiefe Furchen zur Schau, die der Gram hineingezeichnet hatte, und als er seinen Gast jetzt nach oben führte, war sein Schritt müde und langsam.
Dem jungen Ritter war sehr trüb zumute; er wußte ja, daß die, welche des Hauses Sonne gewesen und die er so hoch verehrt hatte, jetzt in der Erde schlummerte, aber es war ihm doch, als sei sie ihm erst jetzt verloren; ihr Bild war so eng mit diesen Räumen verknüpft gewesen, sie hatte so lebendig vor seiner Seele gestanden, daß er den Gedanken an ihren Verlust gar nicht in seinem ganzen Umfange erfaßt hatte und daß es ihm fast war, als sterbe sie für ihn erst in diesem Augenblicke.
Schweigend folgte er dem Meister durch mehrere Gemächer, die in ihrer Verlassenheit seine trübe Stimmung noch vermehrten. Doch nun öffnete sich eine letzte Tür und es bot sich den Eintretenden ein gar liebliches Bild. In dem Erker, wo Frau Mechthildis so gern gesessen, befand sich ein junges Mädchen, eigentlich ein Kind, aber ganz ihr Ebenbild. Sie hatte eine Laute im Arm, auf der sie einige Akkorde griff und dazu mit leiser, lieblicher Stimme sang, während die große Dogge, welche zu ihren Füßen ruhte, sie unverwandt aus treuen Augen betrachtete.
Ohne jede Befangenheit und doch in kindlicher Bescheidenheit erhob sich das Mägdlein, als sie die beiden Männer gewahrte und ging ihnen entgegen, indem sie sich sittig vor dem Ritter in Erwiderung seines Grußes verneigte.
»Meine Tochter Christine,« sagte der Meister, »der Trost, den mir ihre Mutter für mein Alter gelassen. Und dies ist unser edler Freund, Herr Dietrich von Rochow,« wandte er sich an die Kleine.
Über ihr feines Gesichtchen glitt ein liebliches Lächeln und sie reichte dem Fremden die Hand. »Seid willkommen, Herr Ritter,« sprach sie, »nun weiß ich, daß Ihr ein treuer Freund unseres Hauses seid, und ich hoffe, Ihr werdet Euch dessen Gastlichkeit gütig gefallen lassen.«
»Christine waltet seit dem Tode der Mutter an ihrer Statt und mein Haus hat durch sie wieder eine Regiererin,« sagte der Meister wie erklärend, denn er bemerkte wohl das Staunen Dietrichs, als dieser eine solche hausfrauliche Sicherheit bei so zarter Jugend wahrnahm.
Die beiden Männer ließen sich auf den hochrückigen Lehnsesseln nieder, die in einer großen, mit Teppichen behängten Wandnische standen, und auf Christines Gebot brachte eine Magd zwei Becher von kunstvoller Arbeit und einen eben solchen mit Wein gefüllten Krug, womit sie den Tisch besetzte. Das Einschenken besorgte Christine selbst und kredenzte den Trank, indem sie den Becher mit den Lippen berührte, erst dem Gast und dann dem Vater.
Danach wollte sie das Gemach verlassen, allein der Meister hielt sie zurück, indem er zu dem Ritter sagte: »Es ist wohl gegen den Brauch, aber Ihr gestattet, lieber Herr, daß Christine uns Gesellschaft leistet. Ich habe mich so gewöhnt an ihr Walten an Stelle meiner lieben Heimgegangenen, daß ich sie schwer zu entbehren vermag.«
»Und ich würde mich betrüben, ließet Ihr Euch durch mich in Eurem Behagen stören, lieber Meister,« sprach der Ritter. »Außerdem erfreut sich auch mein Auge gern an solchem Anblick, dessen es gar ungewohnt auf meiner unwirtlichen Burg ist.«
Christine ließ sich nicht weiter nötigen, sondern nahm ihren alten Platz wieder ein in dem Erker, der sie zum Teil den Blicken entzog. Sie arbeitete emsig an einer Stickerei und man hätte von ihrer Gegenwart kaum etwas bemerkt, wäre sie nicht stets im rechten Augenblick erschienen, um die geleerten Becher zu füllen.
Die beiden Männer saßen im eifrigen Gespräch und achteten nicht auf den Flug der Zeit; trotz des Unterschiedes in Alter und Stand war ihnen zumute wie zwei guten Freunden und sie schütteten sich ihre Herzen aus und redeten von ihren eignen Plänen, Wünschen, Hoffnungen, Enttäuschungen und danach von Krieg und Frieden und dem Stande der Weltangelegenheiten, und so verschieden auch ihre Ansichten in manchen Punkten sein mochten, so erkannte doch jeder die redliche Gesinnung und die sittliche Tüchtigkeit des andern an, und sie ehrten und achteten auch die entgegengesetzte Meinung, weil sie auf gutem Grunde stand.
So entschwanden die Stunden, und Christine hatte längst das Gemach verlassen, um ihre Anordnungen zu erteilen und mit Ursel alles zu beraten, denn sie sah voraus, daß der Vater den Fremden zur Abendtafel behalten würde und ließ diese festlich rüsten, während den Gesellen und Lehrlingen unten für sich ihr Imbiß aufgetragen wurde.
Als sie hinausging, erhob sich auch Wodan, und ob er sich durch ihren Fingerzeig zurückhalten ließ, wich er doch nicht von der Tür, sondern stand dort mit gespitzten Ohren lauschend und erwartungsvoll.
»Euer Geschenk, Herr Dietrich,« sagte der Meister, dem diese vertrauliche Anrede immer wieder jede andere verdrängte, »und das treue Tier ist uns deswegen doppelt lieb. Seit ihre Brüder das Haus verlassen haben, ist Wodan Christines beständiger Gesellschafter und ihr bester Freund.«
»Ich könnte nichts Lieberes hören,« entgegnete der Ritter und lockte den Hund, der sich aber nicht daran kehrte, sondern auf seinem Posten unverrückt ausharrte, bis sein Wedeln und ein leises freudiges Gebell die Rückkehr der Herrin verkündete.
Christine trat ein; einige Veränderungen an ihrer Kleidung verrieten, daß sie dem Gast Ehre antun wollte, und nun bat sie zu Tische, während sich die Tür zum Speisezimmer öffnete und die festlich beleuchtete, gut besetzte Tafel sehen ließ.
Dietrich sprang auf und rief: »Wahrlich, ich wollte nicht so unbescheiden das Gastrecht mißbrauchen, aber mir war so wohl, daß ich alles vergaß, was ich hätte beobachten sollen.«
»Und mir kann kein größeres Vergnügen werden, als Euch an meinem Tisch zu sehen,« sagte der Meister.
So ließ sich Dietrich nicht lange nötigen, sondern nahm gern die freundliche Einladung an. Christine saß still und bescheiden auf ihrem Platze und antwortete nur, wenn man das Wort an sie richtete; aber ihr Auge wachte unablässig darüber, daß es an nichts fehlte und alles zur rechten Zeit und in der rechten Art geschah.
Als sich der Ritter dann verabschiedete, sagte er zu dem Goldschmied: »Mit Wehmut dachte ich in Eurem Hause an eine, die nicht mehr unter uns weilt, da sie zu gut für diese Erde war; aber ich habe auch die Überzeugung gewonnen, daß an ihrer Statt eine gute Fee waltet, die Eurem Alter Trost und Freude bringen wird. Und wie ich in Euch einen zweiten Vater verehre, so gestattet mir auch, in Christine ein liebes Schwesterlein zu sehen.«
»Ihr seid willkommen dazu, Herr Dietrich,« erwiderte der Meister; »vergeßt also nicht, daß mein Haus Euch gern eine zweite Heimat ist.«
Herr Dietrich dankte ihm und schien ihn auch wirklich beim Worte zu nehmen, denn er brachte den größten Teil der Zeit bei Meister Öhlert zu, und dieser, der sich seit dem Fortgange seiner Söhne sehr vereinsamt fühlte, empfand für den jungen Ritter eine väterliche Freundschaft und lebte förmlich auf in diesem Verkehr.
Dietrich von Rochow zögerte nicht, sich am kurfürstlichen Hofe vorzustellen und fand dort die freundlichste Aufnahme. Frau Elisabeth bewies ihm durch ihre huldvolle Weise, daß sie ihn gerne als ihren Ritter betrachtete, und Joachim stellte ihm in Aussicht, daß er sich seiner Dienste in wichtigen und ehrenvollen Angelegenheiten versichern werde.
Zunächst verweilte Dietrich nur kurze Zeit, da der Rochowhof in seiner gegenwärtigen Vernachlässigung zum dauernden Aufenthalte nicht geeignet war; er wandte sich daher an einen geschickten Baumeister und übertrug ihm die Herstellung und Verschönerung seines Stadthauses. Zugleich forderte er ihn auf, nach Burg Rochatz zu kommen, um an Ort und Stelle einen Plan zu entwerfen, nach dem aus den trümmerhaften Überresten ein neuer und ansehnlicher Bau entstehen sollte.