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Sechstes Kapitel.
Wetterwolken


Es war im Monat Juli. Die Kurfürstin, ermüdet von der drückenden Schwüle des Tages, trat auf den Altan ihrer Burg und blickte über die beiden Städte und die zwischen ihnen fließende Spree. Sie fand die ersehnte Frische nirgends, denn eine dicke, mit allerlei Dünsten und unangenehmen Gerüchen beladene Luft brütete in den engen Straßen und auf dem Flusse, und sie vermochte nichts zu erspähen, was ihr Auge erfreute. Als sie drüben den Erker sah, in dem einst Frau Mechthildis zu sitzen pflegte, seufzte sie in schmerzlicher Sehnsucht, denn sie empfand mehr als je das Bedürfnis, sich einer befreundeten Seele in ihrem leidvollen Sinnen und Trachten mitzuteilen.

Noch waren nicht drei Monate verstrichen seit jenen wonnigen Maitagen, in denen so frohe Erwartungen des Glückes ihr Herz geschwellt hatten, und doch war alles um sie und in ihr verändert, und wie der Reif einer Nacht alle Blüten und Knospen zerstört, so hatte auch die düstere Wolke auf der Stirn ihres Gemahls und seine zunehmende Entfremdung alle Hoffnungen Elisabeths vernichtet.

In ihrem Frauengemach wurde emsig an den Stickereien der für die Prinzessin Renate bestimmten Gewänder gearbeitet und die Kurfürstin selbst saß manche Stunde am Stickrahmen, aber Joachim hatte keinen Blick mehr für das mühevolle Werk, wie er kaum noch dieser Pläne erwähnte, und wenn sein ältestes Töchterlein ihm zu Gesicht kam, so verfinsterten sich seine Mienen. Anna litt darunter sehr; so still und anspruchslos sie war, so sehnte sie sich doch nach Liebe und entbehrte den Mangel jeder Freundlichkeit schmerzlich. Die Mutter tröstete sie und umgab sie mit doppelter Zärtlichkeit, ohne ihr vollen Ersatz für die verlorene Gunst des Vaters gewähren zu können.

»Was habe ich nur getan, um den Herrn Vater so zu erzürnen,« klagte die junge Prinzessin, und wenn die Mutter ihr keine Antwort zu geben wußte, schüttete sie ihr Herz gegen Ursula aus und sagte dann wohl:

»O, wenn ich doch im Kloster wäre! Dort ist man geborgen vor allem Leid; in tiefem Frieden könnte ich dort Gott dienen und für die lieben Meinen beten.«

Die Ursache von Joachims Verstimmung gegen seine unschuldige Tochter lag in dem Verhalten ihres Verlobten, des Landgrafen Philipp von Hessen, der alle Rücksichten immer mehr aus den Augen setzte und deutlich zeigte, daß ihm die bevorstehende Verbindung nicht mehr angenehm sei. Joachims fürstlicher Stolz litt sehr darunter, daß seine Tochter und sein Haus zugleich solche Geringschätzung erdulden sollten; noch hoffte er auf eine Änderung des wankelmütigen Fürsten; so ertrug er dessen Verhalten und sprach sich nicht einmal darüber aus, aber je weniger er seinem Zorn Luft machte, um so mehr steigerte sich dieser.

Nacht für Nacht stieg der Kurfürst hinauf in das Turmgemach, wo Rossolo unermüdlich die Gestirne beobachtete und in wunderlichen Zeichen und langen Zahlentabellen die Ergebnisse seiner Berechnungen niederschrieb. Was er aus dem Munde seines Astrologen vernahm, stimmte Joachim nicht heiterer, und vor einigen Nächten war ihm eine Prophezeiung geworden, die ihn in die größte innere Erregung versetzte. Niemand außer ihm und dem Sterndeuter kannte indes den Inhalt der Voraussagung, und die Bemühungen seiner Gemahlin, in das Geheimnis einzudringen, um dann seine Sorgen zu teilen, wies Joachim schroff zurück.

An dem Tage, wo die Fürstin in ernstem Sinnen auf dem Altan stand, hatte sich Großes in Berlin und Cölln ereignet, und die Bewohnerschaft der Schwesterstädte befand sich noch in bedeutender Erregung, von der das so ungewöhnlich lebhafte Treiben in dieser späten Stunde Zeugnis ablegte. Johann Tetzel, der den Ablaßhandel besorgte, hatte unter dem Geläut aller Glocken, unter dem Zulauf des Volkes und unter Vorantritt der Geistlichkeit mit feierlichem Gepränge seinen Einzug gehalten, um dann in einer langen, mit großer Zungenfertigkeit gehaltenen Predigt den Ablaß anzupreisen. Die Kirche hatte nicht die Menge des hinzuströmenden Volkes fassen können, und der große, eisenbeschlagene Koffer, der das für die vielbegehrten Ablaßbriefe bezahlte Geld aufnahm, hatte mehrmals geleert werden müssen.

Erst der Anbruch der Dunkelheit hatte dem Treiben ein Ende gemacht, aber morgen sollte es wieder beginnen und sich wahrscheinlich durch eine Reihe von Tagen fortsetzen. Auch in der nächsten Umgebung der Fürstin, unter ihren Frauen und in der Dienerschaft wurde kaum von etwas anderem gesprochen, und viele konnten es kaum erwarten, bis sie die heißbegehrten Zettel in Händen hielten. Frau Elisabeth aber fühlte sich im tiefsten Innern beunruhigt. Wie konnte es möglich sein, also durch schnöden, oft schlecht erworbenen Mammon dem gerechten Gott seine Sünde abzukaufen ohne Reue und Besserung!

Nie hatte sie freudiger den Eintritt ihres Gemahls begrüßt, als in diesem Augenblick, nur wurde ihre frohe Regung wieder gedämpft, als sie den finstern Mißmut gewahrte, der aus seiner ganzen Erscheinung sprach. Sie war ihm entgegengegangen, und auf seinen Wink nahm sie auf einer mit schöngestickten Kissen belegten Truhe Platz, während er sich in dem weitarmigen, hochlehnigen Sessel ihr gegenüber niederließ.

Noch war kein Wort zwischen den Gatten gewechselt worden, denn bei solchen Anzeichen fehlte es Frau Elisabeth an Mut, und der Kurfürst saß noch in düstrem Sinnen. Endlich brach er das Schweigen und begann:

»Ich habe Eurer Liebe eine sehr unwillkommene Mitteilung zu machen. Was ich schon längst vorausgesehen, ist eingetroffen. Der Landgraf von Hessen glaubt wahrscheinlich eine vorteilhaftere Verbindung schließen zu können und wünscht das Verlöbnis mit unserer Tochter aufzuheben, wenn ich dem zustimme. Wie kann ich anders tun, denn diese Klausel ist nur Formsache, sonst handelt er doch nach seinem Belieben.«

»Gottlob, daß der Landgraf jetzt zu dieser Einsicht gelangt ist und unser liebes Kind nicht unglücklich wird in einer freudlosen Ehe!« rief Elisabeth aus.

Ihr Gemahl runzelte die Stirn und blickte sie mißbilligend an, als er erwiderte: »Diese Eure Gesinnung befremdet mich sehr und ich kann dieselbe nicht teilen. Bei Fürstlichkeiten walten zuerst Staatsrücksichten ob, und es steht erst in zweiter Reihe, ob ihr persönliches Glück bei solchen Verbindungen gesichert ist. Dieses Verlöbnis war gleich vorteilhaft für Hessen wie für Brandenburg, und außerdem ist es eine Zurücksetzung für unsere Tochter.«

»Anna wird das leicht überwinden,« suchte die Mutter zu beruhigen.

»Ich um so weniger,« rief der Kurfürst in flammendem Zorn. »Wer wird jetzt Anna zur Ehe begehren, nachdem sie der Landgraf gewissermaßen verstoßen hat! Die einzige Zuflucht für sie bleibt das Kloster. Sie soll unverzüglich eintreten.«

»Nur das nicht, lieber Herr,« flehte Elisabeth. »Bedenkt, sie ist noch so jung und da sollte sie schon allen Freuden des Lebens entsagen.«

»Besser so, sie lernt dann die weltlichen Genüsse gar nicht erst kennen,« sagte Joachim.

»Jetzt würde sie sich ohne Widerstreben fügen,« fuhr die Kurfürstin wieder fort, »und bei ihrem stillen Sinn kostet es sie kein Bedauern, aber später wird dann die Reue in ihr erwachen, wenn das Leben hinter den Klostermauern sie nicht befriedigt, und wie könnte das der Fall sein, wenn so viele Zweifel jetzt in uns erweckt werden durch die Kirche selbst, die uns jeden Mißklang lösen sollte?«

»Ich verstehe Euch nicht,« sagte der Kurfürst streng und kalt.

»O, mein Gemahl, mein Herz ist zu voll, ich muß zu Euch sprechen,« rief Frau Elisabeth. »Ihr glaubt nicht, wie mich dieser Ablaßhandel erschreckt und beunruhigt, er raubt mir das Vertrauen in diejenigen, welche ihn ins Leben gerufen haben.«

»Der Heilige Vater selbst und vor ihm andere Päpste,« sagte Joachim.

»Doch in dieser Weise noch nie,« fuhr Elisabeth fort. »Glaubt mir, lieber Herr, ich bin ein einfältig Weib, aber ich sehe es voraus, es muß Unheil daraus entstehen, wenn wir sündigen Menschen unser Vertrauen auf Geld setzen statt in Gottes Gnade.«

»Es ist nicht an Euch, darüber zu grübeln. Ihr habt nur zu glauben, was die heilige Kirche durch ihre Diener lehrt,« entgegnete der Kurfürst.

»Wenn ich aber nicht glauben kann, wenn ich zweifeln muß!« rief Elisabeth aus. »O, lieber Herr, helft mir doch in meiner Not.«

»Laßt mich solche Worte niemals wieder vernehmen,« fuhr Joachim zornig auf; »ich würde es Euch nicht wieder vergeben. Wehe Euch, wenn Ihr Euch solchen Gedanken hingebt! Nun sehe ich auch klar über den Ursprung Eurer Abneigung, daß unsere Tochter ins Kloster geht. Aber dies bestärkt mich nur in meinem Vorsatz. Noch heute soll ein reitender Bote nach Brandenburg zu den Ursulinerinnen und sie dort anmelden: sie wird ihm ohne Verzug folgen.«

Eine furchtbare Angst ergriff die Kurfürstin; es war ihr, als sehe sie ihr geliebtes Kind in schrecklichster Gefahr, aus der sie es erretten müsse, und alles andere vergessend, warf sie sich ihrem Gemahl zu Füßen und flehte mit gerungenen Händen und von Tränen erstickter Stimme:

»O, mein hoher Herr, hört auf mein Bitten. Entscheidet nicht so schnell über das Lebenslos unseres Kindes! Denkt, was es heißt, sein ganzes Dasein in unfruchtbarer Reue und in unerfüllten Wünschen zu verbringen! Anna ist noch so jung und sie soll sich nun schon durch unlösbare Gelübde binden! Ihr brecht mein Herz, wenn es geschieht.«

Der Schmerz seiner Gemahlin blieb nicht ohne Eindruck auf Joachim; er hob sie auf und redete ihr mit mehr Güte zu, indem er sagte: »Beruhigt Euch, Elisabeth, ich will Euch nicht betrüben. Mein Entschluß, Anna ins Kloster zu senden, steht fest, aber sie soll nicht eher ihre Gelübde ablegen, als bis sie alt genug ist, den ganzen Umfang dessen, was sie tut, zu ermessen.«

»Dank, mein Gemahl,« stammelte die Kurfürstin.

»Aber laßt Euch eins gesagt sein,« fuhr Joachim fort, »sprecht nie wieder zu mir, wie Ihr getan, über unsere heilige Kirche und ihre Einrichtungen. Ich würde es Euch nicht wieder verzeihen.«

Damit verließ er sie und die arme Frau ging in ihr Betkämmerlein, um dort Zuflucht zu suchen in ihrer Seelennot und ihrem Herzenskummer; sie wußte nun, daß sie auf sich selbst angewiesen war und daß sich zwischen ihr und ihrem Gemahl eine trennende Schranke befand, welche nicht zu übersteigen war.

Zwei Tage später trat die Prinzessin Anna als Novize in das Nonnenkloster zu Brandenburg ein. Sie selbst hatte die Änderung ihres Schicksals ruhig hingenommen, und wenn ihre Tränen beim Abschied reichlich flossen, so wurden sie hauptsächlich hervorgerufen durch den Schmerz der Mutter, die sie immer wieder in ihre Arme schloß und sich gar nicht von ihr trennen konnte. Dann ergab sich die Kurfürstin in das Unabänderliche; sie hatte getan, was sie vermochte, es blieb ihr nur noch, ihr liebes Kind Gott anzubefehlen, er würde alles wohlmachen.

Die Aufregung in Berlin und Cölln dauerte fort und noch viele Tage lang strömten die Ablaß Fordernden zu Tetzel, der, wenn der Eifer nachzulassen schien, die Kanzel bestieg, um ihn wieder neu zu beleben. Vielen war der Handel sehr willkommen und sie opferten willig ihr Geld, um ihr Gewissen über vergangene Schuld zu beruhigen oder um sich die Möglichkeit zu verschaffen, ungestraft neue Sünde zu begehen. Aber viele fühlten sich auch tief empört und wollten von solchem Tun nichts wissen.

Zu diesen letzteren gehörte auch Meister Öhlert, der, obwohl es nicht ohne Gefahr sein mochte, sich doch nicht scheute, im Ratskeller bei der Morgensprache seine Ansicht zu vertreten, wie auch, diese in seiner Werkstatt auszusprechen und seine Leute zu warnen, sich auf solchen Ablaß zu verlassen. Sie hatten alle ein so großes Vertrauen zu ihm, daß sie sich willig fügten; nur Francesco Malefatti schlich nach Feierabend aus dem Hause nach dem Kloster der Dominikaner, wo der Ablaßhandel bis spät in die Nacht betrieben wurde. Sehr zufrieden kehrte er zurück.

»Hast wohl deine Eltern aus dem Fegefeuer erlöst?« fragte ihn einer seiner Mitgesellen.

»Sollte mir fehlen, für die Toten mein sauer verdientes Geld hinzugeben,« lautete die Antwort. »Wenn ich dem Mönch etwas abkaufte, so wär's, was mir zustatten käme, keiner kann wissen, was er noch alles begeht. Aber ich habe mich gar nicht nach dem Ablaßhandel umgesehen, Ihr wißt ja, was der Meister davon hält, und ich würde doch nicht gegen seinen Willen handeln.«

»An den hast du dich stets sehr gekehrt!« spottete der Altgesell, aber Francesco blieb ihm gegen seine Gewohnheit die Antwort schuldig.

Am nächsten Tage kam Meister Öhlert ziemlich aufgeregt aus der Morgensprache; wie jetzt stets war von Tetzel und seinem Tun die Rede gewesen, und da hatten seine Gegner triumphierend erzählt, daß der Kurfürst von Sachsen, der doch wahrlich ein frommer Herr sei, in seinem Lande den Ablaßhandel verboten habe.

»Täte doch unser Kurfürst das gleiche!« hatte der Goldschmied ausgerufen.

»Das würde nie geschehen,« widersprach ein anderer Meister, »sintemalen unsers Herrn Bruder selbst der eifrigste dabei ist, und es wird die beiden Herren nicht wenig ärgern, daß ein anderer Fürst so öffentlich dagegen Partei nimmt.«

Das war auch wohl der Fall, denn Kurfürst Joachim ging seit einigen Tagen mit bleichen Wangen und tiefliegenden Augen umher, er sprach zu niemand und keiner wagte ihn zu fragen; er aß nicht und schlief auch nicht, denn seine Diener fanden am Morgen sein Bett unberührt und er stieg erst beim Grauen des Tages, wenn die nächtlichen Gestirne zu erblassen begannen, von dem Turm herab, wo er mit Rossolo seine Beobachtungen gemacht hatte. Eine sonderbare Unruhe trieb ihn dann umher, er wanderte durch die Räume des Schlosses ohne Ruh und Rast, und er, der sonst so tätig war, betrat kaum sein Schreibzimmer, und die Räte, mit denen er stundenlang zu arbeiten pflegte, wurden zurückgeschickt. Der Kurfürst war heute für niemand zugänglich, auch nicht für den Leibmedikus, nach dem Frau Elisabeth, der man Mitteilung gemacht, im geheimen schickte.

»Es mag der ungünstige Einfluß der Witterung sein,« suchte sie der gelehrte Herr zu beruhigen. »Wir nähern uns den Tagen, wo der Hundsstern regiert, und in diesem Jahre scheint dieser mehr als sonst zu vermögen.«

Die Kurfürstin mußte ihm recht geben, die Schwüle war kaum noch zu ertragen, seit vielen Wochen brannte die Sonne mit sengender Glut auf die schmachtende Erde nieder, Menschen, Tiere und Pflanzen lechzten nach erfrischendem Regen, aber der Himmel blieb seit lange verschlossen. Die Nächte brachten keine Abkühlung, die Luft war von dichtem Staube erfüllt und qualvoll einzuatmen, kein Windhauch ließ sich wahrnehmen, und mit jedem neuen Tage hatte sich die Glut gesteigert. Mehrmals waren Wolken aufgestiegen, hatten sich zusammengeballt und ein furchtbares Gewitter schien sich vorzubereiten, aber noch nie war dasselbe zum Ausbruch gekommen.

Kurfürst Joachim hatte eben wieder einen Blick zu dem in bleifarbigen Dunst gehüllten Himmel getan; unheimlich und drohend sah er aus und die bleichen Gesichter der Menschen bezeugten es, wie sie alle eine bange, niedergedrückte Stimmung erfüllte. Noch einmal stieg der hohe Herr zu Rossolo hinauf, den er wie immer bei seinen Berechnungen traf.

»Es ist Mittag, und noch erspähe ich keine Wolke,« sagte der Fürst.

»Aber noch nicht Abend,« versetzte der Astrolog.

»Und Ihr habt nochmals das Horoskop befragt und keine Änderung ist eingetreten?« forschte Joachim.

»Die Konstellation ist dieselbe geblieben, und was im Buche des Himmels geschrieben steht, das wird sich auf der Erde vollziehen,« sprach der Italiener feierlich.

»So sind also diese beiden Städte dem Verderben geweiht?«

»Wie dereinst Sodom und Gomorrha.«

Der Kurfürst schwieg eine Weile, dann sagte er: »Sie mögen es um ihrer Sünden willen verdient haben. Aber muß ich ihr Los teilen?«

»Es steht geschrieben: Die Gerechten sollen nicht mit den Ungerechten umkommen,« versetzte Rossolo.

»Wird man es mir nicht als Feigheit auslegen, wenn ich meine Untertanen in ihrer Not verlasse?« fragte Joachim zaudernd.

»Der Herr selbst sandte seinen Engel, um Lot und die Seinen zu erretten,« erwiderte der Astrolog.

»Nun, wohlan, so will ich diesem Fingerzeige folgen,« sagte der Kurfürst. »Ich vermöchte ja doch nicht, meine Untertanen zu beschirmen, denn gegen das Wüten der Elemente bin ich ohnmächtig, und zu einer Warnung ist es zu spät.«

»Eine solche würde auch zu nichts nützen, denn sie würden den Glauben versagen,« sprach Rossolo. »Gedenkt an Lots Tochtermänner, durchlauchtigster Fürst; auch sie verlachten die Warnung.«

»Ihr habt recht, und ich will nicht in die gleiche Sünde verfallen,« sagte Joachim, »sondern mit den Meinen dem Unheil zu entfliehen suchen. Ihr seid gewiß, daß das Verderben nur Berlin und Cölln bedroht?«

»So steht es in den Sternen,« versetzte Rossolo feierlich. »Die Schleusen des Himmels werden sich auftun und alles unter Wasser setzen im Umkreise der dem Untergang geweihten Städte.«

»Dann werde ich und die mit mir sind auf den Pichelsbergen in Sicherheit sein, und von dort aus könnte man das Strafgericht des Herrn beobachten,« sagte der Kurfürst. »Aber ich muß ohne Zeitverlust handeln. Ihr werdet uns begleiten, Rossolo, oder wollt Ihr hier verweilen?«

»Gern suche ich Zuflucht bei meinem Fürsten,« lautete Rossolos Antwort.

»So haltet Euch bereit und nehmet auf einem der Wagen Platz,« gebot Joachim. »Ich will sofort meine Befehle erteilen.«

Gleich darauf begann ein lebhaftes Treiben im Schlosse, Diener und Boten eilten treppauf, treppab, durch die langen Korridore, über die Höfe, in die Stallungen, und mit Staunen und Verwunderung gehorchte man dem Gebot des Kurfürsten, alle Pferde aus den Ställen zu führen, sie zu satteln oder anzuschirren und alle vorhandenen Gefährte, von der großen Staatskarosse an bis zum einfachsten Lastwagen zu bespannen. Darauf erging der Befehl an alle, die zur Hofhaltung gehörten, sich binnen wenigen Minuten zum Aufbruch fertig zu machen.

Die Stunde des Mittagessens war inzwischen herangekommen und in der Küche der Hofburg war alles gerichtet und zum Auftragen der Speisen bereit, aber als der Kämmerer es wagte, mit Bezug hierauf eine Frage zu tun, stampfte der Kurfürst ungeduldig mit dem Fuße und rief:

»Es ist jetzt nicht Zeit, an Essen und Trinken zu denken, sondern an die Errettung des Lebens; wem das seine lieb ist, der folge mir. Wer dahinten bleibt, hat sich selbst sein Verderben zuzuschreiben.«

Solche Worte erfüllten alle, die sie vernahmen, mit Schrecken und Entsetzen und eine wilde Jagd begann, denn jeder suchte sich nun zu retten, so daß die Wagen bald überfüllt waren und die meisten Rosse außer ihrem Reiter noch einen zweiten im Sattel tragen mußten.

Die Kurfürstin hatte mit Verwunderung das sonderbare Treiben im Schlosse wahrgenommen, es drangen auch wirre, unbestimmte Gerüchte zu ihr, und ob sie ihnen noch Zweifel entgegensetzte, beschlich sie doch die Furcht vor einer großen, sich nahenden Gefahr. Doch beugte dies ihren Mut nicht, noch raubte es ihr die Geistesgegenwart. Sie versammelte ihre Kinder um sich und berief ihre Frauen, Hofdamen wie Dienerinnen, von denen aber viele nicht mehr zu finden waren, denn sie waren in die Höfe geflüchtet und machten sich bereits die Unterkunft auf den Wagen streitig. Andere weinten laut, klagten und rangen die Hände, waren aber sonst zu nichts zu brauchen, und doch hatte die Kurfürstin Helfer nötig, sowohl um ihre erschreckten Kinder zu beruhigen und sie anzukleiden, als auch ihre teuersten Besitztümer, Erinnerungen und Andenken zusammenzupacken, um sie mitzunehmen.

Ursula zeigte sich ruhig und besonnen und unterstützte ihre Gebieterin in wirksamster Weise, so daß diese es mit Staunen wahrnahm, da sie noch so jung war, und ihr einige Worte des Lobes nicht vorenthielt, daß sie sich so gar nicht ängstlich zeigte.

»O, meine teure Herrin, wie könnte ich an mich denken, solange Eure Kurfürstliche Gnaden mich nötig haben,« erwiderte Ursula, »und ich würde mich nicht fürchten, was auch geschehen mag, solange ich bei meiner Fürstin bin.«

Nun trat der Kurfürst ein, nicht mit ruhiger Würde wie sonst, sondern in ungestümer Erregung und rief seiner Gemahlin zu:

»Alles ist bereit, rettet Euch und unsere Kinder so schnell wie möglich, hier kann das Verderben sofort hereinbrechen.«

»Was bedroht uns, lieber Herr, und woher ist Euch die Kunde gekommen?« wagte die Kurfürstin eine Frage.

»Ein furchtbares Unwetter wird den Untergang dieser Städte herbeiführen,« erwiderte Joachim mit zorniger Ungeduld, »Rossolo hat es aus den Gestirnen vorausgesehen. Nun also fort, ohne Zögern.«

Die Kurfürstin unterließ jede weitere Bemerkung, aber doch war eine große Beruhigung über sie gekommen; sie, die so fest auf Gott vertraute, glaubte nicht an die Prophezeiungen des Sterndeuters, dessen ganze Wissenschaft sie gering achtete. Doch für den Augenblick blieb ihr nichts übrig, als sich dem Willen ihres Gemahls zu fügen.

Es war eine wenig erfreuliche Fahrt mit den erschreckten und hungrigen Kindern, in der brennenden Sonnenglut, der drückenden Schwüle und dem unendlichen Staube, welcher den ganzen Zug der Wagen und Reiter in eine undurchdringliche Wolke hüllte. Die Bürger von Berlin und Cölln traten vor ihre Haustüren oder eilten an die Fenster, um mit Verwunderung den seltsamen Auszug des Hofes zu sehen, dessen Ursache man sich nicht erklären konnte und über den bald die sonderbarsten Vermutungen von Mund zu Mund gingen.

Unterdes steigerte sich die Schwüle noch, die Luft glich einem heißen Ofen, jeder Atemzug war peinvoll, wie eine Lähmung lag es auf jedem lebenden Wesen, die ganze Natur erschien tot und ausgestorben, nur die keuchenden Pferde des kurfürstlichen Zuges schleppten sich mühsam durch den brennenden Sand. Aller Augen waren auf das bleigraue Himmelsgewölbe gerichtet, um in dem Auftauchen der kleinsten Wolke das Heraufziehen des Verderbens wahrzunehmen. Doch Stunde auf Stunde verging, die Sonne hatte längst den Zenith erreicht, und noch immer ließ sich nichts erspähen.

Allmählich legte sich die Spannung, die aufgeregten Gemüter begannen sich zu beruhigen, statt bebender Furcht und banger Erwartung zog der Zweifel in die Herzen ein und zuletzt die Hoffnung. Nur der Kurfürst hielt noch fest an der Prophezeiung seines Astrologen und so sehr alle die hungrigen und ermüdeten Menschen um ihn her das Zeichen zur Rückkehr ersehnten, so dachte er doch nicht daran, es zu geben, sondern harrte noch immer des Kommenden.

Da faßte sich seine Gemahlin ein Herz, und wenn sie auch seinen Zorn zu erregen fürchtete, so ließ sie sich doch dadurch nicht abhalten, zu tun, was sie für recht erkannte. So sprach sie also zu dem Kurfürsten:

»Lieber Herr, die Zukunft liegt in Gottes Hand, er hat sie in seiner Weisheit vor unseren Augen verhüllt, damit wir ihm vertrauen und mutig vorwärtsschreiten sollen. Hat er nun unseren guten Städten Berlin und Cölln ein so schweres Geschick beschieden, so dünkt es mich, es wäre eines guten Fürsten würdig und stände uns wohl an, wenn wir solch Unglück mit unsern Untertanen teilten, statt auf die eigene Rettung bedacht zu sein. Deshalb bitte ich Euch, mein lieber Herr, inständig, laßt uns heimkehren und in Demut erwarten, was Gott über uns und die Unsern beschlossen hat.«

Wie die Fürstin so sprach, sah sie hinreißend schön aus, zugleich voll sanfter Demut und starken Gottvertrauens. Keiner, der sie sah und hörte, konnte sich dem Eindruck entziehen, und auch Joachim nicht. Es fiel wie Schuppen von seinen Augen, und er gewahrte den Gegensatz zwischen seinem mutlosen Aufgeben seiner Pflicht und der Bereitwilligkeit seiner Gemahlin zum Ausharren auf dem ihr zugewiesenen Posten. Es ergriff ihn eine weiche Stimmung und tief gerührt zog er sie an seine Brust.

»Ihr habt recht, liebe Traute, und ich will nach Eurem Rate tun,« sagte er und fügte seufzend hinzu: »Wollte zu Gott, daß es gleich geschehen wäre. Es wäre besser gewesen.«

Der Befehl zur Umkehr wurde sofort gegeben, und so schnell es die ermüdeten Pferde vermochten, trat man die Heimreise an. Doch war es schon spät, und der Abend war zur Nacht geworden, als man sich Berlin näherte. Die Schwüle währte fort und der Himmel hatte sich mit dichten Wolken umzogen, aus denen zuweilen ein schwefelgelbes Licht hervorbrach; in der Ferne grollte der Donner. Alles verkündete den Ausbruch eines Unwetters.

Elisabeth achtete kaum darauf in ihrem frohen Mut; noch einmal war es ihr vergönnt, am Herzen ihres Gatten zu ruhen, als sie, von seinem Arm umschlungen, neben ihm im Wagen saß, und dabei hatte sie das frohe Bewußtsein, recht gehandelt zu haben. So fuhr sie durch die hereinbrechende Wetternacht ohne einen bangen Gedanken, so sehr auch die anderen um sie her sich fürchteten und ängstigten.

Nun waren sie fast am Ziel und fuhren durch die engen, schlecht gepflasterten Straßen, die durch den Schein der Fackeln in den Händen der Vorreiter erhellt wurden. Doch lagen die beiden Städte nicht wie sonst um diese Zeit in tiefem Schlaf, sondern die erleuchteten Fenster in den meisten Häusern bewiesen, daß deren Bewohner durch die Sorge vor dem hereinbrechenden Unwetter wachgehalten wurden.

Noch fiel kein Tropfen aus den schwarzen Wolken, welche mit Windeseile dahinjagten, noch herrschte auf dem Erdboden jene unheimliche Stille, die der Vorbote des Sturmes ist, als der Wagen der Kurfürstin als der erste in das weitgeöffnete Tor des Schlosses einfuhr. In demselben Moment zuckte ein blendender Strahl hernieder, als stände alles in Feuer und zu gleicher Zeit erschallte ein krachender Donnerschlag.

Der Kurfürst fuhr entsetzt in die Höhe, seine Gemahlin fiel wie betäubt in die Kissen zurück, es umgaben sie Angstgeschrei und Rufe um Hilfe, der Wagen schwankte und kam zu einem vollen Stillstand. Nach einigen Minuten war der erste Schreck überwunden, die Fackelträger eilten herzu und nun sah man das eine Pferd des Viergespannes regungslos am Boden, der Blitz hatte es getötet, doch sonst war niemand verletzt.

Noch war das kurfürstliche Paar nicht in das Schloß eingetreten, als der Regen prasselnd herniederströmte und ein Blitz dem andern folgte, während die Donnerschläge ohne Aufhören krachend einherrollten. Die ganze Nacht tobte das Unwetter, doch richtete es keinen besonderen Schaden an, und am nächsten Morgen stand die Sonne klar und leuchtend am wolkenlosen blauen Himmel und lächelte auf die erfrischte, zu neuem Leben erwachte Erde nieder.

Nur wenige hatten in dieser Nacht beim Wüten der Elemente den Schlaf gefunden, und der Kurfürst gehörte nicht zu ihnen. Schwere Gedanken bewegten seine Seele; er war mit sich selbst unzufrieden, ja, er schämte sich fast, daß er solchen Kleinmut gezeigt, und so erhaben er sich im Bewußtsein seiner Fürstenhoheit über seinen Untertanen fühlte, so war es ihm doch nicht gleichgültig, denken zu müssen, daß sie über ihn spotten und sein Benehmen mit dem seiner Gemahlin vergleichen würden. Das wurmte ihn sehr, und obgleich er Elisabeths ruhige Fassung zuerst bewundert hatte, fing er allmählich an, ihr deswegen zu zürnen und es fast als eine Vermessenheit zu betrachten, daß sie ihm in irgend einer Hinsicht sich überlegen gezeigt.

Gegen den Astrologen war der Kurfürst in rasenden Zorn entbrannt, und noch in dieser Nacht suchte er ihn in seinem Turm auf und überhäufte ihn mit Vorwürfen und Schmähungen, denn ihm gab er die Schuld an allem. Er nannte ihn Lügner und Betrüger und drohte ihn schwer zu strafen und ihn mit Schimpf und Schande fortzujagen.

Meister Rossolo ließ alles ruhig über sich ergehen, und erst als der Grimm des Fürsten sich ausgetobt hatte, begann er seine Rechtfertigung. War nicht alles eingetroffen? Wütete das Unwetter nicht jetzt noch? Dem Kurfürsten hatten feindliche Gestirne geleuchtet, und wäre er in seinem Schlosse geblieben, so hätte es die Vernichtung von Berlin und Cölln und seinen eigenen Untergang bedeutet. Wer hatte ihn rechtzeitig gewarnt? War nicht dadurch alles Unheil abgewendet worden? War nicht jener furchtbare Blitzstrahl, der ihm beinahe das Leben gekostet, der Beweis, daß jene feindlichen Mächte nicht mehr imstande waren, ihm zu schaden, obwohl sie noch im letzten Augenblick den Versuch gemacht? Hatte nicht der getreue Rossolo schon wieder den Himmel durchforscht für seinen Herrn, aber die Konstellationen ganz verändert gefunden, alles zum Guten gewendet?

Der Kurfürst hörte ihn an, erst verwundert, dann mit Staunen, zuletzt mit dem alten Vertrauen. Es war seltsam, daß er, so klug und zu gleicher Zeit so mißtrauisch, dennoch diesem Italiener glaubte und daß sich sein starker Geist nicht aus den Fesseln eines Aberglaubens losmachen konnte, der allerdings in der damaligen Zeit von den meisten geteilt wurde. Doch konnte Joachim seinen Gleichmut nicht so leicht wieder gewinnen. Sein Gewissen sagte ihm, daß er sich klein und schwach gezeigt und daß er im Urteil der Menschen verloren haben müsse. Auch kränkte ihn jetzt die Überlegenheit, welche seine Gemahlin bewiesen hatte, es verdroß ihn, daß er zu ihr hatte emporblicken müssen und daraus entstand eine neue und noch tiefere Entfremdung.

Es war richtig, daß in Berlin und Cölln die Gemüter erregt waren durch die glücklich überstandene Gefahr der Nacht sowohl, als noch mehr über das Verhalten des Kurfürsten, und im Ratskeller wie in den Häusern, auf dem Markte und in den Kaufgewölben unterhielt man sich darüber und gab mehr oder weniger deutlich seine Meinung zu erkennen. Aber es währte doch nicht allzulange, bis andere Ereignisse jene Vorgänge in den Hintergrund drängten.

Zunächst verließ Johann Tetzel die Stadt, und wenn sein Abzug auch mehr in der Stille geschah, so gab ihm doch noch ein ansehnlicher Zug von Geistlichen, Mönchen und Volk das Geleit. Er spendete mit erfreuter Miene nach allen Seiten den Segen und lobte die Einwohner von Berlin und Cölln, die willig und reichlich ihr irdisch Gut für das himmlische geopfert. Von hier aus wollte er sich nach Jüterbog wenden und dort seinen Aufenthalt für einige Zeit nehmen; doch verschmähte er es nicht, unterwegs selbst das kleinste Dorf mit seinem Handel zu brandschatzen.

»Gut für uns, daß der Mönch fort ist,« sagte Meister Öhlert, »besser wäre es noch gewesen, wir hätten ihn gar nicht in unseren Mauern gesehen.«

»Der Meister hat die geringste Ursache, so zu sprechen,« meinte Francesco halblaut zu seinen Mitgesellen, »denn er hat doch auch seinen Gewinn von dem Krame.«

»Das ist eine von deinen Lügen und Verleumdungen,« erwiderte der ehrliche Fritz, der schon viele Jahre in der Werkstatt war und treu an seinem Meister hing, in großem Zorne.

»So? du solltest nicht so grob werden, ehe du weißt, was du sprichst,« sagte der Italiener höhnisch. »Ist nicht Seine erzbischöfliche Gnaden von Magdeburg hierhergekommen, um dem Tetzel seine Einnahme abzufordern? hat der hohe Herr nicht aus seinem Anteil die kostbaren Steine bezahlt, die er gestern unserem Meister übergab, um daraus eine Monstranz anzufertigen, mit der Herr Albrecht bei hohen Kirchenfesten prangen wird? Und wird nicht Meister Öhlerts schöner Verdienst dabei aus derselben Quelle bezahlt?«

»Das geht unsern Meister nichts an, er erhält seinen Lohn für seine Kunst und mühevolle Arbeit,« rief Fritz noch immer erbost.

Francesco lachte höhnisch, und der andere, der nicht allzu geduldig war, hielt ihm die geballte Faust hin und drohte: »Nimm dich in acht, du ausländischer Fuchs, daß ich dir nicht das Fell gehörig durchbläue.«

»Was soll das heißen? Zank und Streit in der Werkstatt, so etwas ist nicht zu dulden,« schalt der Altgesell.

»Ich leid's aber nicht, daß der Italiener über unsern Meister spricht,« verteidigte sich Fritz. »Er tut's bei jeder Gelegenheit, und wenn er nicht einmal eins auf seinen bösen Mund erhält, läßt er's nicht.«

Die andern Gesellen mischten sich auch hinein, es entstand ein förmlicher Aufruhr, alle zeigten sich erbittert gegen Francesco Malefatti, der sie mit höhnischen Worten noch mehr gegen sich aufbrachte.

»Ruhe,« gebot nun Meister Öhlert mit mächtiger Stimme. »Schämt euch über euer Betragen und benehmt euch friedfertig.«

»Mit dem Francesco ist nicht mehr auszukommen,« hieß es nun; »er wird jeden Tag unverschämter.«

»Das habe ich auch bemerkt,« sagte der Meister, »und ich rate dir zum letzten Male, Francesco, dich zu ändern, sonst muß ich dir den Abschied geben.«

»Das Unglück wäre nicht so groß, Meister,« entgegnete Francesco Malefatti, »und ich denke, ich setze meinen Stab weiter, sobald meine Zeit abgelaufen ist, am Ende des Quartals.«

»Ich will dich nicht halten,« erwiderte der Meister, »es wäre mir sogar lieb, du machtest dich gleich davon.«

»Doch nicht, es sieht nicht schön im Wanderbuche aus,« meinte der Italiener, und der Meister, der zu billig dachte, um einen langjährigen Arbeiter plötzlich zu entlassen, erklärte sich einverstanden, ihn noch bis zum Quartalsschluß zu behalten.

Noch hatte sich die Erregung, in welche dieser Vorgang die ganze Werkstatt versetzt hatte, nicht gelegt, als eine andere Ruhestörung die Gemüter bewegte. Meister Wilke, der in der Nachbarschaft das Schlosserhandwerk betrieb, stürzte herein mit Schurzfell und Hammer, ohne sich Zeit gelassen zu haben, sein berußtes Gesicht zu waschen.

»Habt Ihr's schon gehört, und was sagt Ihr dazu?« rief er atemlos.

»Wir wissen von nichts; was ist denn geschehen?« fragte Meister Öhlert.

»Sie haben den Tetzel überfallen auf der Landstraße, als er mit gefülltem Geldkasten von Jüterbog kam,« berichtete der Schlosser, »alles haben sie ihm abgenommen und sich an sein Verfluchen nicht gekehrt.«

»Das ist ja aber Straßenraub,« rief Meister Öhlert aus.

»Freilich,« gab der andere zu, »aber der Ritter, der ihn beging, ist kein Brandenburger und hat sich längst aus dem Staube gemacht.«

»Sonst würde es ihm unser Kurfürst auch versalzen haben,« lachte der Altgesell, der gleich allen anderen die Arbeit verlassen hatte, um die Kunde zu vernehmen; Meister Öhlert, der sonst so streng auf Ordnung hielt, fand es doch nicht angezeigt, jetzt die genaue Beobachtung der Regel und Satzungen zu verlangen.

»Aber der Kirchenbann ist ihm sicher, und der trifft ihn überall,« sagte Meister Öhlert.

»Das ist's ja eben,« rief der Schlosser aus; »sie können ihm nichts anhaben, es war ein zu schlauer Fuchs, er hat sich von Tetzel Ablaß für einen Straßenraub, den er erst begehen wollte, gekauft, denn was konnte man für Geld nicht alles von diesem erhalten, und als der Mönch nun fluchte und bannte, da hat ihm der fremde Ritter seinen eigenen Ablaß unter die Nase gehalten und ihn bloß ausgelacht.«

»Der hat's verstanden,« rief Francesco Malefatti wie bewundernd aus.

»Es ist aber doch eine schlimme Sache, wenn man so jede Sünde begehen kann,« meinte der Altgesell.

»Das sage ich auch,« stimmte der Meister zu, »und ich wundere mich nur, daß unser Herrgott nicht schon längst dreingeschlagen hat.«

Im ganzen meinten sie das alle in der Werkstatt, und in der Bürgerschaft auch, wo man in der nächsten Zeit sich mit Schadenfreude von dem Abenteuer erzählte, und es gab viele ernste Mienen und mancher Seufzer entrang sich der Brust der besten Männer über das Treiben der geistlichen Herren.

Doch was war das alles gegen die Welt erschütternde Kunde, die mit einem Male von Mund zu Munde lief und die die Herzen mächtig entflammte? In Wittenberg hatte ein einfacher Mönch getan, was alle billigten, und hatte mit den Worten der Schrift eine furchtbare Waffe gegen die Ablaßkrämerei geschleudert. Überall fand die Tat begeisterten Beifall und die Hammerschläge, welche die 95 Thesen an die Schloßtür zu Wittenberg befestigten, widerhallten in den Schlössern der Fürsten, den Burgen der Ritter, den Hochschulen, den Werkstätten, den Häusern und Hütten.

Die Kurfürstin las die Thesen, welche auch zu ihr einen heimlichen Eingang fanden, immer wieder und sie fielen wie erfrischender Tau in ihre wunde, von Schmerz und Zweifel gequälte Seele. Doch sie wagte nicht darüber zu sprechen, denn derjenige, zu dem es sie zuerst hingetrieben hätte, ihr Gatte, hatte ihr ja bei Strafe seines Zornes verboten, ihn in ihrer Gewissensnot aufzusuchen, und außerdem war er tief erzürnt, weil sich die Angriffe des Wittenberger Mönchs zunächst gegen seinen Bruder, den Erzbischof von Magdeburg, richteten, weil dieser dem Unheil in Deutschland Eingang verschafft hatte.

Herr Albrecht selbst empfand die ihm angetane Beleidigung viel weniger und setzte sich mit leichtem Sinn darüber fort. Das Mönchsgezänk würde verstummen, so dachte er, der große Profit aus dem Ablaßhandel aber blieb ihm und erlaubte ihm die Befriedigung aller seiner kostspieligen Neigungen. Daran erfreute er sich und ließ sich die gute Laune nicht verderben. Erwachte doch einmal eine Regung des Ärgers in ihm, so nahm er die Zeichnung Meister Öhlerts hervor und stellte sich die prachtvoll gearbeitete, von auserlesenen Edelsteinen funkelnde Monstranz vor, welche jener jetzt für ihn in Arbeit hatte.

Dann reckte der Erzbischof seine hohe, majestätische Gestalt empor und warf den ausdrucksvollen Kopf mit den edlen Zügen stolz in den Nacken; er war sich seiner äußeren Vorzüge wohl bewußt, und es freute ihn, wenn er in glänzendem Ornat, von aller Pracht seines Amtes umgeben, am Altar die Messe lesen konnte, der schon durch seine Erscheinung Ehrfurcht und Bewunderung einflößende Kirchenfürst, wie er auch wieder als ritterlicher Kämpe hoch zu Roß den Jagdzug anführte und es allen zuvor tat.


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