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Achtes Kapitel.
In Rede und Schrift


Einige Jahre waren seitdem vergangen, und wenn sich für Meister Öhlert ein Tag dem andern anreihte in emsiger Arbeit und friedlicher Ruhe, so begab sich in der Welt desto mehr, und ein großes Ereignis folgte dem andern. Kaiser Maximilian war zu seinen Vätern versammelt und aus dem Streit um die Krone des Deutschen Reiches war sein Enkel Karl als Sieger hervorgegangen.

Kurfürst Joachim hatte das Seine dazu durch seine Kurstimme beigetragen, und Franz I. von Frankreich, der auch auf den deutschen Kaiserthron Anspruch erhob, zugleich mit Heinrich VIII. von England, grollte ihm bitter und hatte deswegen auch das Verlöbnis seiner Tochter Renate mit dem Kurprinzen aufgehoben, eine empfindliche Beleidigung für den Stolz des Hohenzollern.

Das hatte ihn tief verstimmt und nicht minder war dies der Fall mit den Streitfragen, welche die Gemüter noch immer so heftig bewegten und die von Wittenberg ausgingen. Joachim sah darin nur ein unberufenes Auflehnen gegen die von Gott gesetzte geistliche und weltliche Obrigkeit, und da die verschiedenen Religionsgespräche nur das Feuer noch heller entfacht hatten und durchaus zum Vorteil des Wittenberger Mönches ausgeschlagen waren, so sehnte er mit Ungeduld die Entscheidung des jungen Kaisers herbei.

Auf dem Reichstage zu Worms, dem ersten, welchen Karl V. berief, sollte diese getroffen werden, und der Kurfürst rüstete eifrig dazu und entbot die Elite seines Adels, um ihm das Geleit zu geben. Hierzu gehörte in erster Linie Dietrich von Rochow, der sich immer mehr hervortat in seiner Stellung als Familienhaupt des angesehenen Geschlechts und der stets am kurfürstlichen Hofe mit ganz besonderer Gunst aufgenommen wurde.

Der Rochowhof war längst in seinem Umbau vollendet und machte sich stattlich und wohnlich zugleich; dennoch verweilte sein junger Gebieter nicht allzuviel in dessen Räumen, sondern wenn ihn der Hofdienst nicht in Anspruch nahm, so brachte er nach guter alter Gewohnheit seine Mußestunden bei Meister Öhlert zu, und es war schwer zu sagen, wer sich dabei wohler fühlte, der würdige Meister oder der junge ritterliche Herr.

Es schien ihnen wohl beiden, wenn sie sich nach einer Trennung von vielen Monaten wiedersahen, als seien sie erst gestern auseinandergegangen, so warm und unverändert waren sie in ihren gegenseitigen Gefühlen, und sie wurden nur an den Flug der Zeit durch Christinens Heranwachsen und Erblühen erinnert. Jedesmal fand Dietrich sie größer und der verstorbenen Mutter ähnlicher, voll Lieblichkeit und Anmut und er erfreute sich an ihrem hausfraulichen Walten und an ihrer nie ermüdenden Sorge für das Wohlsein des Vaters und die Behaglichkeit des Hauses.

Viel zu fragen und zu erzählen war noch immer nicht Christinens Weise, sie hörte lieber zu, und ihre Augen, blau wie der Himmel und doch wieder so dunkel, als liege in ihnen eine unergründliche Tiefe, hafteten dann auf dem Antlitz des Sprechers voll innigen Anteils, manchmal füllten sie sich mit Tränen des Mitgefühls, aber ebenso lächelte ihr frischer Mund wieder, und sie verstand es so recht, sich mit den Fröhlichen zu freuen und mit den Weinenden betrübt zu sein.

Das machte sie der Kurfürstin so lieb und teuer, denn die hohe Frau hatte viel Schweres zu tragen, von dem sie doch zu keinem Menschen sprechen durfte. Noch einen Sohn, der den Namen Georg erhielt, hatte ihr der Himmel geschenkt, aber so sehr sie dies erfreute, war doch durch sein Erscheinen keine Annäherung an ihren Gemahl erfolgt, und sie sah mit stillem Gram die Kluft zwischen ihm und ihr immer mehr sich erweitern. Wagte sie es doch nicht, ihm zu zeigen, was ihre Seele so ganz erfüllte, das Verlangen nach der neuen und doch so alten Wahrheit, welche Dr. Martinus verkündete! So lauschte sie begierig auf jedes seiner Worte, und da war Christine wieder die Vermittlerin, durch die diese zu ihr drangen, denn wer konnte mehr eingeengt sein, als gerade sie, die Fürstin!

Christine selbst hatte mit Feuereifer die Botschaft aus Wittenberg vernommen, und sie konnte kaum die Briefe erwarten, welche Albrecht nach Hause schickte und denen sehr oft die Schriften Dr. Luthers beigelegt waren, das heißt, immer dann, wenn sich eine sichere Gelegenheit bot, denn es war keine ungefährliche Sache, in der brandenburgischen Hauptstadt diese Lehren zu verbreiten, und wie viele auch atemlos ihrer harrten, taten sie es doch im geheimen.

Dietrich von Rochow saß wieder in der Wandnische, in der er schon manch trauliches Wort mit Meister Öhlert geredet. Vor ihm stand ein Krug mit Bier, wie er ihn statt des guten Weins, den ihm sonst Christine zu kredenzen pflegte, erbeten hatte, denn sie hatte es meisterhaft gelernt, den bräunlichen Trank mit Ursulas Hilfe zu brauen nach der Vorschrift, die von der seligen Mutter stammte, und sie errötete in freudigem Stolz, wenn sie darüber gelobt wurde.

Auch den Meister freute es, wenn ein Gast sich an seinem Bier erlabte; nicht jedes Haus besaß die Erlaubnis zum Brauen und er hielt viel auf sein Vorrecht und nickte seinem Töchterlein heiter zu, so oft sie die Krüge aufs neue füllen mußte.

»Ja, ja, mein liebes Weib verstand's, sie war eine Hausfrau, wie keine zweite so leicht zu finden ist,« sagte der Meister wehmütig. »Von ihr hat's meine Christine geerbt, denn sie hatte die Ursel gut angelernt und das kam nun wieder unserer Tochter zu statten. Wenn Ihr eine liebe Herrin auf Burg Rochatz führt, Herr Ritter, dann soll Euch Christine die Vorschrift zum Brauen für diese aufschreiben.«

Dietrich lachte. »Damit hat's gute Zeit, und ich denke noch nicht an ein Gemahl, so lange es nicht anders und besser bei mir aussieht, denn Burg Rochatz liegt noch immer in Verfall.«

»Ihr spracht doch schon lange von der Wiederherstellung der Burg,« sagte der Meister.

»Ja, und jetzt soll auch damit im Ernst begonnen werden,« erwiderte der Ritter. »Aber ich habe meinen Sinn geändert. Nicht eine neue Burg mit Wällen und Graben will ich bauen, sondern ein stattliches und wohnliches Schloß. Die Zeiten sind vorüber, wo der Adel hinter dicken Mauern hauste, stets zur Fehde bereit; jetzt gilt es ein friedliches Leben auf den eignen Besitzungen, statt der ewigen Streitigkeiten das Bebauen des Bodens, das Urbarmachen des Landes, die Hebung des Gutes durch verständige Bewirtschaftung.«

»So ist's recht, Herr Dietrich, das höre ich gern,« rief der Meister erfreut.

»Ich möchte die alte Stammburg nicht in Trümmer fallen lassen,« fuhr Dietrich fort, »sondern es soll dem Verfall entgegengetreten und sie wieder in den früheren Stand gesetzt werden, daran will ich das neue Schloß erbauen, und meine Nachkommen mögen den Bau dann nach ihrem Gefallen erweitern, so daß jeder sich selbst ein Denkmal setzt in dem, was er geschaffen hat.«

»Ein sehr guter Gedanke,« lobte Meister Öhlert, »Ihr werdet gewiß Nachahmer finden und Euer Beispiel wird von Segen sein.«

»Ich bin dessen nicht gewiß,« entgegnete der Ritter, »viele werden mich auch tadeln, denn gerade die Ritter und Herren begreifen noch immer nicht, daß eine neue Zeit hereinbricht, die andere Anforderungen an sie stellt und wollen am Alten festhalten. Erst neulich geriet ich in Zwiespalt mit dem edlen Herrn von Priewitz, der mir doch sonst wohlgesinnt ist.«

»Er gehört ja zu den reichsten unter dem märkischen Adel,« warf der Meister ein.

»Aber auch zu denen, die sich nimmermehr mit der neuen Ordnung versöhnen können, obwohl er dem Kurfürsten persönlich zugetan ist,« sagte Dietrich.

»Ist er nicht Euer nächster Nachbar?« fragte der Meister.

»Unsere Besitzungen grenzen aneinander,« entgegnete Dietrich, »Burg Priatz ist übrigens wohl die schönste und stolzeste in der ganzen Mark, mit großem Ehrenhof und prächtig eingerichteten Gemächern. Erst kürzlich führte mich der Herr von Priewitz durch alle Räume und seine Tochter, Fräulein Wolfhild, zeigte mir die schönen Teppiche, die an den Wänden hängen, das blinkende Glas in den Fenstern, die farbigen Butzenscheiben in den Erkern, die kostbaren Stickereien auf Truhen und Tischen, den Reichtum an silbernen Geräten auf der Kredenz und den Borden, und dabei gab sie mir guten Rat, wie ich es in meinem eigenen Schlosse einrichten sollte.«

»Das Fräulein ist wohl sehr klug und schön?« fragte Christine jetzt.

»Schön ist sie sicher und wird es wohl in noch höherem Grade werden,« erwiderte Dietrich, »denn sie ist noch sehr jung, kaum fünfzehn Jahr, und im Erblühen. Sie ist eine kühne Jägerin und begleitet uns Männer nicht nur auf der Pirschjagd auf Hirsch und Reh und zur Sauhatz, sondern sie nimmt es auch mit Wolf und Luchs auf, und ihr Vater hat seine Freude daran, daß sie mit der Schießwaffe umzugehen weiß, wie mit Lanze, Speer und Jagdmesser.«

»Hat der Herr von Priewitz keine Söhne?« fragte der Meister.

»Nein, sie sind jung gestorben, und Wolfhild ist sein einziges Kind. Sie ist ohne Mutter aufgewachsen, die bei ihrer Geburt starb, und es war dem Vater eine Freude, daß sie ihm durch ihr Wesen den Sohn ersetzte.«

»Daneben weiß sie auch hausfraulich zu walten, nicht wahr?« forschte Christine. »Ihr erzähltet von ihrer Freude an all dem Schönen, was ihre Burg schmückt.«

Dietrich lachte. »Das Fräulein gleicht mehr einem neckischen Kobold, als einem guten Hausgeist, und wenn es ihr Vergnügen macht, mit dem köstlichen Hausrat der Burg zu prunken, so befaßt sie sich sonst wenig damit. Es müßte ein seltsamer Anblick sein, sie mit Nadel oder Spinnrad hantieren zu sehen! Aber zu regieren versteht sie, die kecksten der Mannen fürchten sich vor ihr, und die Mägde weiß sie in Zucht zu halten. Alles muß ihres Winkes gewärtig sein. Und es ist gut, daß sie diese Gabe besitzt. Priatz und alles, was dazu gehört, ist Kunkellehen und fällt nach dem Tode des Burgherrn nicht an die Lehnsvettern, sondern an seine Tochter, so daß sie eine reiche Erbin und stolze Herrin sein wird.«

»Wenn ich sie doch einmal sehen könnte!« sagte Christine leise, wie selbstvergessen, vor sich hin.

Der Ritter lachte. »Dazu kann wohl Rat werden. Wolfhilds Sinn steht danach, an einen fürstlichen Hof zu gelangen und ihr liegt wenig an der Einsamkeit von Burg Priatz. Noch widerstrebt ihr Vater, aber sie wußte ihren Willen stets durchzusetzen. So werden sie früher oder später gewiß hierher kommen, es muß dem Priewitzer auch daran liegen, den Schutz des Kurfürsten als Lehnsherrn seiner Tochter zu gewinnen.«

»Wenn sich diese nicht schon längst in den Schutz eines Gatten begeben hat, wenn sie den Vater einmal verliert,« meinte der Meister.

»Das Fräulein scheint danach wenig Verlangen zu tragen.« erwiderte der Ritter. »Sie hat es schon oft ausgesprochen, daß sie ihre jetzige Freiheit nicht mit dem Ehejoch vertauschen möchte.«

»Sie wird andern Sinnes werden, wenn der Rechte kommt,« sagte der Meister lächelnd. »Jetzt hat sie ja noch lange Zeit bei ihrer Jugend.«

»Mir hat sie den strengen Befehl gegeben, in Worms genau aufzupassen und ihr von allem zu berichten, sie wünschte nur, sie könnte dort an meiner Stelle sein,« erzählte Dietrich.

»Das möchte mancher wünschen,« versetzte der Meister, »nicht nur um unsern jungen Kaiser in seinem ganzen Glanze mit den um ihn versammelten Fürsten zu sehen, sondern vor allen Dingen den Dr. Martinus, der dort die Feuerprobe bestehen wird.«

»Nach dem letzteren fragt Fräulein Wolfhild wohl nicht viel, sie weiß kaum von dem Streit, der die Gemüter so erregt,« sagte Dietrich. »Aber ich muß gestehen, daß ich mich nicht weniger darauf freue, diesen Luther zu sehen, als auf den Kaiser selbst. Jetzt wird es sich zeigen, ob er wirklich ein Gottesstreiter ist. Die Gefahr ist groß für ihn, und viele meinen, er wird es nicht wagen, nach Worms zu kommen. Hus' Schicksal möchte ihm zur Warnung dienen.«

»Nein, er geht,« rief der Meister mit jugendlichem Feuer und fast triumphierend aus, »und Gott sei gedankt, daß er es tut. Nun wird keiner von denen, die seinem Worte lauschten, irre an ihm werden.«

»Dieser frühere Mönch beweist wahrlich einen Heldenmut,« sagte der Ritter. »Aber seid Ihr dessen sicher, Meister?«

»So sehr ich es nur sein kann,« erwiderte dieser, »mein Albrecht hat es mir geschrieben. Er ist gewürdigt worden, den Doktor Martinus zu begleiten, denn jener hat ihm oft Gunst und Liebe bewiesen, und so hat er ihn auch zu diesem Ehrendienst erkoren.«

»Und Ihr fürchtet nicht für Euren Sohn, Meister?« fragte Dietrich.

»Ich befehle ihn in des Herrn Hand,« entgegnete jener einfach.

»Dann werde ich Albrecht also in Worms sehen,« sagte Dietrich, »und verlaßt Euch darauf, Meister Öhlert, daß er in mir einen treuen Freund finden soll, wenn er einen solchen nötig hätte.«

»Habt Dank, Herr Dietrich, und ich will dem Dr. Albrecht Olearius Eure Bereitwilligkeit melden,« entgegnete der Meister. »Ihr müßt nämlich wissen, daß mein Ältester seinen Namen in einen lateinischen gewandelt hat nach der Sitte der gelehrten Herren, die sich ihres guten deutschen Namens schämen. Es war mir nicht ganz recht, als ich es vernahm, und meine Freude, daß man ihn zum Doktor der Gottesgelehrtheit gemacht hatte, wurde dadurch getrübt. Dann habe ich mich auch darin ergeben. Albrecht ist ein guter Sohn, auf den ich stolz sein kann, Peter nicht minder, ich erlebe Freude an meinen Kindern.«

»Peter ist noch immer in Nürnberg?« fragte Herr Dietrich.

Der Meister lächelte. »Er sitzt dort ziemlich fest, und erst hatte er die Absicht, sich die Welt recht gründlich anzusehen und ich mußte ihn ermahnen, nicht zu schnell seine Meister zu wechseln. Das hat jetzt wenig Not, ich habe schon angefragt, ob er den Plan, nach Welschland zu ziehen, denn ganz aufgegeben habe? Er ist nun schon seit Jahren auf der Wanderschaft, und später möchte ich ihn auch wieder daheim haben.«

»Was hat Euch Peter geantwortet?« fragte Dietrich.

»Eigentlich nichts,« entgegnete der Meister. »Er war nie ein großer Schreibkünstler, und wenn er jetzt auch eingesehen hat, wie notwendig diese Fertigkeiten sind, so ist er doch nie ihr Freund geworden. So hören wir selten von ihm, und Antworten auf meine Fragen erhalte ich auch nicht gerade, der Windbeutel hat sie längst vergessen.«

»Aber es gefällt ihm gut in Nürnberg?«

»Das will ich meinen,« versetzte Meister Öhlert. »Sind wir doch mit den besten Familien dort verschwägert, und sie alle haben ihn freundlich aufgenommen. Er arbeitet bei Meister Jamnitzer, dem berühmten Nürnberger Meister in unserem Gewerbe, und dieser hält große Stücke auf ihn. Auch bei Hans Sachs, meinem lieben Gevatter, ist er wie ein Kind im Hause, wie der mir selbst geschrieben hat.«

»Ja, und in den Fastnachtsspielen, die der Meister so schön zu schreiben weiß, spielt Peter mit,« fiel nun Christine ein, »er versteht es so sehr, und die Bösewichter kann keiner so gut darstellen wie er.«

»Vielleicht ist er selbst einer,« neckte sie der Ritter.

»Das dürft Ihr nicht sagen, mein Peter ist so gut, wie kein zweiter,« verteidigte sie nun den Bruder mit großer Lebendigkeit. »Sie haben ihn alle gern, und beim Tanzen zieht er die schönsten Mädchen der Stadt auf, aber am liebsten von allen tritt er mit Gretchen Jamnitzer, seines Meisters Töchterlein, zum Reigen an.«

»Die holde Maid fesselt ihn dann wohl so an Nürnberg, daß Wanderlust und Welschlands Schönheiten ihn nicht mehr locken?« lachte nun Dietrich.

»Das wäre töricht von ihm, denn der stolze Vater will sicher höher mit ihr hinaus,« sagte der Meister. »Auch ist Peter noch viel zu jung, um an Freierei zu denken.«

»Es hat mancher sein Herz schon früher verloren,« sagte Dietrich.

»Peter nimmt das nicht so ernsthaft,« meinte der Vater, »er war von jeher ein Leichtfuß, und bis aus ihm ein seßhafter Meister und ehrbarer Hausvater geworden ist, wird er noch manchem Mägdlein schön tun und noch manches braune oder blaue Augenpaar wird ihm zu schaffen machen.«

»Er wird doch sicher einst hier die Meisterschaft erwerben,« sagte der Ritter.

»Das ist noch ungewiß,« erwiderte der Meister. »Im ganzen ist hier kein günstiger Boden, und wenn der Kurfürst in seinen gnädigen Gesinnungen wankend wird, so ist das ein schwerer Verlust. Doch diese Fragen gehören der Zukunft an, der wir sie überlassen wollen. Kommt Zeit, kommt Rat, war von jeher mein Wahlspruch.«

»Und ich vergesse beim Plaudern ganz die vorgerückte Stunde,« rief der Ritter aus und erhob sich, um sich zu verabschieden.

Der Meister fand in dieser Nacht wenig Schlaf, allerlei Gedanken bewegten seine Seele, Nachklänge des Gesprächs am Abend. Allerdings hatte er gelernt, alles Gott anheimzustellen, doch schloß dies nicht die kluge Vorsorge aus, und wie er sein Töchterlein ans Herz drückte, da gelobte er sich, auf der Hut zu sein, um sie vor künftigem Leid zu bewahren.

»Wie schade,« hatte Christine gesagt, »nun sind es nur noch drei Abende, die uns Herr Dietrich besuchen wird; dann zieht er fort mit dem Kurfürsten nach Worms, und uns wird es sehr einsam sein.«

»Nicht mehr als sonst,« erwiderte der Vater, und im stillen fügte er hinzu: »Gut, daß es nur noch drei Abende sind. Da mag noch alles beim alten bleiben und mir wird ein Einschreiten erspart, das auch für mich schmerzlich gewesen wäre.«

Drei Tage darauf verließ der Kurfürst, begleitet von einem stattlichen Gefolge, sein Schloß, um nach Worms zu reisen. Christine stand am Fenster und blickte hinüber, und als aus der Schar ein Ritter mit wallenden Federn als Helmzier die Lanze neigte, als er vorüberritt, da wurde sie glühend rot und verbarg sich schamhaft hinter den Blumen, die das Fensterbrett schmückten.

Wodan stand neben ihr, und sie neigte sich zu ihm und streichelte ihn. »Wie lieb hab' ich dich, du treues Tier,« flüsterte sie, »aber am meisten, weil du seine Gabe bist. Ob Fräulein Wolfhild wohl so viel an ihn denken mag, wie ich es tue? Wenn ich sie nur einmal sehen könnte! So schön und so reich und so vornehm, wie glücklich muß sie sein.«

Eine atemlose Spannung herrschte in allen deutschen Gauen und noch weiter hinaus, und aller Blicke waren auf Worms gerichtet und man lauschte mit brennendem Verlangen jeder Kunde, die von dort kam. Die Kurfürstin war in Herzensangst; sie kannte die Gesinnung ihres Gemahls und sie wußte, daß ihn seine Strenge und seine Abneigung gegen den Doktor Luther zu Schritten hinreißen möchten, die sich mit seinem sonst so gerechten Sinn schwer vereinigen ließen. Ach, wie lange konnte es dauern, bis sie erfuhr, wonach sie sich so sehnte! Sie hatte es nicht gewagt, an ihren hohen Gemahl die Bitte zu richten, ihr Nachricht zukommen zu lassen, denn sie mußte ja ihre Ansichten sorgfältig vor ihm verbergen, sich aber an einen seiner Begleiter zu wenden, hielt sie ihr fürstlicher Stolz zurück.

Sie ahnte nicht, daß in ihrer Nähe zwei treue Augen waren, die in ihrer Seele lasen, und daß das junge Menschenkind, dem sie soviel mütterliche Sorgfalt und Liebe erwiesen, ihr dies überreich vergalt. Christine, die so gewöhnt war, für andere zu sorgen und für andere zu denken, hatte nie durch ein Wort oder einen Blick verraten, daß sie das Geheimnis ihrer geliebten Fürstin kannte. Jetzt wagte sie es zum ersten Male, aus ihrer Zurückhaltung hervorzutreten, doch auch in so zarter Weise, daß der Schleier, mit dem sich die hohe Frau umgab, nicht gelüftet wurde.

Meister Öhlert hatte seinem Sohn Albrecht zur Pflicht gemacht, ihm zu schreiben, sobald er nur konnte und so oft es anging, und ihm gesagt, er wolle gern ein reichliches Botenlohn zahlen, wenn er nur sichere und baldige Kunde von allem erhalte, was sich in Worms begab, und der Doktor Olearius hatte die Gelegenheit wahrgenommen, als der Kurfürst von Sachsen einen Kurier nach Wittenberg schickte, diesem sein Schreiben mitzugeben, das dann von dort weiterbefördert wurde.

Schon zum dritten Male ließ Meister Öhlert sich von Christine den Inhalt vorlesen, der ihn so mächtig bewegte, daß er seine Tränen nicht zurückzuhalten vermochte, und doch hatte er sich noch nicht satt daran gehört.

»Das ist eine köstliche Botschaft,« sprach er nun, »wohl uns, daß wir solchen Gottesstreiter gefunden haben! Nun wird alles gut werden und die Wahrheit wird über Lüge und Falschheit triumphieren.«

»Und daß Albrecht das alles mit erleben, daß er täglich um einen solchen Mann sein darf!« rief Christine aus.

»Dafür preise und danke ich jetzt dem Herrn,« sagte der Vater, »und doch hat es mich erst in meiner Kurzsichtigkeit tief geschmerzt, als Albrecht diesen Beruf erwählte. Doch wie konnte ich ahnen, daß so Großes sich jetzt ereignen würde.«

Er saß mit Christine wie allabendlich am Kamine beisammen, und hier konnte er sich nun ohne Rückhalt aussprechen. Die Augen gehorchten ihm beim Kerzenlicht nicht mehr wie einst, aber er ließ sich doch wieder den Brief geben, um diese oder jene Stelle mit Mühe selbst zu lesen.

»Ein köstlicher Brief,« sagte er nun; »wie dankbar würde manch einer sein, wenn er sich auch daran erfreuen könnte! Doch in diesen Zeiten ist Vorsicht geboten, zumal bei der Gesinnung unseres Kurfürsten.«

»Ich wüßte jemand, dem es ein Labsal sein würde, dieses Schreiben zu kennen,« sagte Christine und fügte dann leise hinzu: »Es ist die Frau Kurfürstin selbst.«

»Kind, wie könnten wir das wagen! Es brächte uns die größte Gefahr, wenn es unser Herr erführe,« rief der Meister aus.

»Ich will es schon klug anfangen,« schmeichelte Christine, »gebt mir nur die Erlaubnis, Herr Vater, und vertraut mir den Brief an. Wieviel hat die Frau Kurfürstin für mich getan, und wie gern beweise ich ihr meine Dankbarkeit!«

»Nun, so folge deinem Herzen,« sagte der Meister. »Gedenke dabei des Wortes: Ohne Falsch wie die Tauben, listig wie die Schlangen.«

Christine küßte dem Vater die Hand und versprach alles; von nun an erwartete sie sehnsüchtig eine Botschaft, die sie aufs Schloß berief. Doch einige Tage verstrichen in vergeblichem Harren, und so entschloß sie sich endlich, sich ungerufen einzufinden. Es war nicht schwer für sie, die allen Dienern so wohl bekannt war, bis in das Frauengemach der Fürstin vorzudringen, wo sie wie gewöhnlich die Damen derselben versammelt fand. Einige saßen am Stickrahmen, andere spielten auf der Harfe und der Laute und sangen dazu, die Prinzessin Elisabeth stand vor einem hohen venetianischen Spiegel, einem Geschenk der Republik Venedig an den ersten Kurfürsten aus dem Hause Hohenzollern, hatte ihr wundervolles blondes Haar aufgelöst und zeigte es voll Stolz den bewundernden Frauen und Jungfrauen.

»Es ist schade, daß die jetzige Tracht nicht erlaubt, das Haar frei und fessellos zu tragen, wie es vor mehr als hundert Jahren geschah, wie würde sonst alles unsere Prinzessin anstaunen, denn solche Pracht sieht man selten,« sagte eine der Hofdamen und die anderen stimmten ihr zu.

Sie waren alle herangetreten, einige lobten die Feinheit und den Glanz, andere das Gold der Farbe, wieder andere hielten es wägend in der Hand und sprachen von seiner Fülle und Schwere und die junge Prinzessin hörte ihnen mit stolzer Freude zu.

Christines bescheidenes Klopfen an der Tür wurde von niemand wahrgenommen, sie öffnete deshalb und trat leise ein, wie sie das schon oft in ähnlichem Fall getan hatte. Doch jetzt erschreckte sie die Anwesenden, die schnell auseinanderstoben, weil sie glaubten, es sei die Kurfürstin, von der sie wohl wußten, daß sie so eitlem Tun abgeneigt war.

Die Prinzessin Elisabeth vor allem, die schon manchen Tadel von ihrer Mutter wegen ihrer Weltlichkeit erhalten hatte, war sehr ärgerlich und sie herrschte Christine zu: »Wie kannst du dir erlauben, hier einzudringen. Wahrlich, es wird Zeit, deiner Verwöhnung zu steuern. Noch nie sah man im Fürstenschlosse eine deinesgleichen außer als dienende Magd.«

Christine stürzten die Tränen aus den Augen vor Schmerz und Unwillen, sie fühlte sich tief verletzt und empört und hätte am liebsten in gekränktem Stolz das Gemach verlassen. Doch sie durfte jetzt an sich nicht denken, sondern mußte die harte Zurechtweisung in Demut hinnehmen, um nur ihre Absicht zu erreichen.

So erwiderte sie bescheiden: »Ich erbitte die Verzeihung Euer Gnaden und will nicht wieder in solchen Fehler verfallen.«

Die Prinzessin wandte ihr hochmütig den Rücken und achtete nicht weiter auf sie, ganz damit beschäftigt, ihr Haar noch weiter zu zeigen. Christine schlich in eine der tiefen Fensterbrüstungen, um dort, von niemand gesehen, geduldig zu harren, bis sie zu der Kurfürstin gelangen könne.

Aber ein Paar teilnehmende Augen waren ihr doch gefolgt, und es dauerte nicht lange, so stand Ursula von Zetwitz neben ihr, ergriff ihre Hand und nickte ihr freundlich zu, indem sie leise sagte:

»Sei nicht betrübt, du arme Christine; Prinzessin Elisabeth spricht manches unbedachte Wort, das nicht so böse gemeint ist. Du weißt ja, wie sehr dich unsere kurfürstliche Gebieterin liebt und wie mütterlich ihre Gesinnung gegen dich ist.«

Christine dachte, als sie in das blasse von Pockennarben nicht freie Antlitz des Hoffräuleins blickte, das ihr sonst recht wenig schön erschienen war, wie gewinnend und anmutig dasselbe durch das gütige Lächeln wurde, und sie flüsterte: »Dank, vielen Dank. Ach, ich bin nicht aus Vorwitz gekommen, sondern weil ich der Frau Kurfürstin eine ihr gewiß erfreuliche Mitteilung machen wollte, aber nur ihr allein.«

Ursula dachte einen Augenblick nach, dann sagte sie: »Gedulde dich ein wenig, ich werde Ihrer Kurfürstlichen Gnaden sogleich Bericht erstatten.«

Sie verließ das Gemach und kehrte bald zurück, um Christine einen Wink zu geben, die ihr unbemerkt folgte.

Sie fanden die Kurfürstin in ihrem Schlafzimmer; sie sah blaß aus und man sah es ihren Augen an, daß sie geweint hatte, doch redete sie Christine voll Güte an:

»Du möchtest mich sprechen, mein Kind. Wenn du ein Anliegen hast, so sage es ohne Scheu. Kann ich dir von Nutzen sein, so geschieht es gern.«

»Ich habe keine Bitte zu stellen,« erwiderte Christine, »sondern ich bin die Überbringerin eines Briefes, den ich Kurfürstliche Gnaden zu lesen bitte.«

Sie sah sich nach Ursula um, und als sie gewahrte, daß diese bescheiden das Zimmer verlassen hatte, fuhr sie fort: »Es ist ein Schreiben meines Bruders, der den Dr. Luther nach Worms begleitet hat.«

Die bleichen Wangen der Kurfürstin röteten sich und sie rief aus: »O, wie danke ich dir dafür! All mein Sinnen und Denken ist jetzt dort, und doch gelangt kaum eine Kunde zu mir, und ich weiß nicht, ob der Dr. Martinus seinen kühnen Mut bewahrt hat, und ob es ihm glücken wird, unversehrt aus der Höhle des Löwen zu entrinnen.«

Christine zog aus ihrer Gürteltasche den Brief hervor und überreichte ihn der Fürstin, die ihr winkte, den Riegel vor die Türe zu schieben, sich auf einem Sessel niederzulassen und dann zu lesen begann:

 

»Hochverehrter Herr Vater und vielliebe Schwester!

»Der allmächtige Gott sei mit Euch in seiner Gnade! Es hat ihm gefallen, mich großer Dinge teilhaftig zu machen, so ich in meiner Unwürdigkeit nie für mich möglich gehalten. Denn da unser teurer Dr. Martinus auch mich erwählte, um mit ihm gen Worms zu ziehen, hat sich meiner hohe Freude bemächtigt. Auf dem ganzen Wege lobte der Dr. Martinus den Herrn, und sein Herz war fröhlich und wohlgemut, so daß er sang und auf der Laute spielte, dem Herrn zu Ehren, wie er es wohl in Wittenberg zu tun pflegte. Und da er gesagt hatte, als ihn kleingläubige Ratgeber zurückhalten wollten, daß, wenn zu Worms so viel Teufel seien, als Ziegel auf den Dächern, er doch hineingehe, so geschah es, daß die Dächer bei seinem Einzuge nicht voll von Teufeln waren, sondern statt der Ziegel, die sie abgedeckt, viele Tausende von Menschen dort sich aufgestellt hatten, sintemalen die Fenster der Häuser dicht besetzt waren und unser Wagen nur mühsam zur Herberge gelangen konnte, alldieweil eine schier undurchdringliche Menschenmenge uns umgab. Wahrlich, solchen Einzug hatte noch kein Fürst, selbst der Kaiser nicht gehalten!

»Den andern Tag verlebten wir bange Stunden des Harrens, denn Dr. Martinus hatte sich in die Sitzung des Reichstags begeben und sollte dort vor allen Fürsten und des Kaisers Majestät Zeugnis ablegen. Wir aber konnten nichts tun, als ihn durch unsere Gebete unterstützen! Es währte gar lange und wir ermatteten schier und verzagten, und als er dann zurückkehrte zu uns, da trug sein Antlitz eine bleiche Farbe, seine Augen waren eingesunken und sein fröhlicher Mut hatte ihn verlassen, also daß wir ihn nicht zu fragen uns getrauten, sintemalen wir wohl gewahrten, daß nicht alles zum besten verlaufen war.

»Wir baten ihn nur sehr beweglich, er möge etwas genießen, auch einen Becher Wein trinken und der Ruhe pflegen, denn er war ganz erschöpft und seines Leibes Kraft hatte ihn verlassen. Er willfahrte uns, sprach aber nicht und schloß sich in seine Schlafkammer ein. Am andern Morgen erwarteten wir mit banger Sorge, wie er sein werde, allein er schritt frisch und frei einher und sein Antlitz leuchtete wie unter den Strahlen der Morgensonne. Er betete mit uns gar kräftiglich und dann schied er von uns. Gefragt hatten wir wieder nicht, aber unsere Herzen waren voll froher Zuversicht und wir lobten Gott.

»Als ich dann später am Fenster der Herberge stand und auf die von allerlei Volk belebten Straßen sah, da erblickte ich einen jungen Ritter von gar stattlichem Aussehen, und wie ich genauer hinschaute, siehe, da glaubte ich den edlen Herrn Dietrich von Rochow zu erkennen, obwohl ich ihn seit vielen Jahren nicht gesehen hatte. Ich rief seinen Namen, er schaute erst verwundert nach mir aus, dann lief er eilig hinein zur Herberge und in nicht gar langer Zeit stand er vor mir und redete zu mir fast wie ein Bruder zum andern. Danach berichtete er, daß er in den Reichstag wolle und fragte mich, ob ich ihn begleiten möchte. Da ich ihm freudig zustimmte, gingen wir selbander. Vor dem Ritter ließen die Trabanten die gekreuzten Speere, mit denen sie sonst den Zutritt weigerten, sinken und wir gelangten in einen großen Raum, der vor dem Saale lag, wo der Kaiser mit allen Fürsten und Herren den Reichstag abhielt.

»Es war sehr still, keiner sprach ein lautes Wort, und wenn sich die Tür nach dort auftat, hielt jeder den Atem an. So vernahmen wir die Stimmen, die drinnen redeten, doch nicht, was sie sagten. Mit einem Male aber erhob sich laut und deutlich, wie der Klang einer Glocke, die Stimme des Doktors und er sprach: ›Hier stehe ich, Gott helfe mir, ich kann nicht anders.‹«

Die Kurfürstin ließ den Brief, den sie in größter Spannung gelesen hatte, hier auf den Schoß sinken, faltete die Hände auf der Brust und murmelte: »Gott sei Lob und Dank! Er hat nicht widerrufen. Die Wahrheit trägt den Sieg davon!«

Dann las sie weiter:

»Nun wußten wir, daß Dr. Martinus sich zu allem bekannt hatte, und aus manchem Herzen stieg ein frohes Dankgebet gen Himmel, ich gewahrte aber auch viele, die die Fäuste ballten und schlimme Verwünschungen murmelten. Nicht lange danach trat unser Doktor heraus, so stolz und so aufrecht wie ein Kaiser, und ein ritterlicher Herr mit einer kostbaren Feldbinde über dem glänzenden Harnisch schüttelte ihm die Hand und sprach zu ihm, was, konnte ich nicht verstehen, aber daß es eitel Lob und Preis war, vermochte jeder zu erkennen.

»Unsern Doktor Martinus aber focht die Lobpreisung so wenig an, wie nachher des Reiches Acht, womit ihn der Kaiser belegte, was wir andern doch mit Angst und Zittern vernahmen. Noch kann ihm ja nichts geschehen, denn er hat noch für einige Tage freies Geleit vom Kaiser, also, daß er die Rückreise ohne Gefährdung machen kann, dann aber gnade ihm Gott! Er ist wie das Tier des Waldes, friedlos und freudlos, und jeder kann sich an seinem teuern Leben vergreifen. Da heißt es noch mehr beten und zum Herrn rufen, daß er ihn bewahren möge!

»Der Ritter Dietrich von Rochow hat sich uns gar freundschaftlich erwiesen und uns oft in der Herberge aufgesucht, und von ihm habe ich noch manches vernommen. Denn der Kaiser, von dem es heißt, daß er mit den Franzosen in Italien Krieg führen will, hat sich dem Herrn Dietrich sehr huldreich erwiesen und dieser will unter seinen Fahnen in den Streit ziehen, alldieweil das ritterliche Blut in ihm sonst sich nicht zufrieden gibt. Und so hat des Kaisers Majestät es nicht verschmäht dem Ritter seine Freude darob zu bezeugen, und hat verordnet, daß die Trabanten ihn in den Sitzungssaal des Reichstags einlassen sollten.

»Da war Herr Dietrich gegenwärtig, als die Acht über den Doktor ausgesprochen wurde und hörte die Beratung mit an, ob ihm das freie Geleit, das ihm zugesagt, auch gehalten werden sollte. Und da muß ich mit Trauern sagen, daß unser Herr, Kurfürst Joachim, der dem Doktor sehr zuwider ist, mit der Meinung auftrat, einem Ketzer, der noch dazu vom Bannfluch des Papstes betroffen, brauche das gegebene Wort nicht gehalten zu werden. Doch der Kaiser ließ sich nicht zum Bösen verleiten.

»Als Herr Dietrich uns das erzählte, haben wir uns beide geschämt, daß die Leidenschaft und Feindseligkeit einen sonst so gerechten Fürsten so verblenden konnte, daß er vergaß, was Ehre und Ritterlichkeit gebieten.«

Die Kurfürstin weinte laut und bedeckte ihr Antlitz mit den Händen; Christine stand mitleidig neben ihr und sah sie voll Teilnahme an.

»Hätte ich den Brief lieber nicht bringen sollen?« fragte sie. »Ich dachte nicht, daß Euer Kurfürstliche Gnaden sich so betrüben würden, da Ihr doch die Gesinnung Eures Herrn kennt.«

»Laß nur, mein gutes Kind, Tränen erleichtern mir das Herz!« erwiderte die Kurfürstin; »du konntest mir nichts Lieberes erweisen.«

Sie fuhr fort zu lesen:

»Es ist ein Trost, daß unser Doktor auch viele und mächtige Freunde hat. Hängt doch der Kurfürst von Sachsen begierig an seinem Munde, und der Landgraf von Hessen nicht minder, und der Herzog Erich von Braunschweig, ein biederer Herr, ließ dem Doktor Martinus einen Krug Einbecker Bier zur Erquickung reichen, als er merkte, wie die Hitze im Saal und der große Durst ihm schier die Kräfte nahmen. Es war nur eine kleine Freundlichkeit, aber wer kann wissen, was aus solchem geringen Anfang Großes entsteht und ob nicht dadurch allgemach des Fürsten ganzes Herz für die gute Sache gewonnen wird.

»Nun aber, hochverehrter Herr Vater und vielliebe Schwester, will ich schließen, denn der Kurier, welcher den Brief mitnehmen soll, schickt sich an auszurücken. Ich habe viele Tage daran geschrieben, weil es mir an Muße und Ruhe fehlte in dem bewegten Treiben um uns her. Morgen treten auch wir die Rückreise an, um noch Wittenberg zu erreichen, ehe das freie Geleit für den Doktor zu Ende geht. Wie es dann werden wird, kann niemand sagen, aber wir wollen auf den treuen Gott bauen.

»Somit befehle ich Euch dem Herrn, dessen Gnade über Euch walten möge allezeit bis in Ewigkeit. Amen. Ich verbleibe, Herr Vater,

in Dankbarkeit und Liebe Euer gehorsamer Sohn

Dr. Albrecht Olearius.

Gegeben zu Worms, am 28. April 1521.«

 

Die Kurfürstin gab Christine den Brief zurück, ihr vielmals dankend und sie bittend, ihr mitzuteilen, sobald sie wieder von dem Bruder höre.

»Ach, wer kann wissen, wie traurige Kunde es sein mag,« seufzte sie. »An jedem Tage und zu jeder Stunde der Nacht ist dieses teure Leben aufs höchste gefährdet.«

Christine versprach es und verabschiedete sich von der Fürstin. Nun folgten Wochen qualvoller Ungewißheit, aus denen Monate wurden. Doktor Luther schien vom Erdboden verschwunden, und die racheschnaubenden Gegner wie die um ihn in größter Besorgnis schwebenden Freunde befanden sich in gleicher Dunkelheit über sein Schicksal, die Saat aber, welche er ausgestreut, ging freudig auf, wuchs und breitete sich aus.


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