Ida Gräfin Hahn-Hahn
Faustine
Ida Gräfin Hahn-Hahn

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XXXI

Ich werde zwar nicht ohnmächtig wie die Prinzessin Lamballe, wenn sie Veilchen sah, und nicht tiefsinnig wie Ritter Parzival, als er drei Blutstropfen im Schnee erblickte, doch erinnert mich die dunkelrote Nelke jedesmal an Faustine. Diese Blume kommt nicht oft zur Vollendung; sie entzückt uns selten in ihrer reinen Form als glühende Liebesfackel oder als Köcher voll zartgefiederter Liebespfeile. Ist der Kelch sehr gefüllt, so platzt er; die Blätter fallen traurig heraus, zerflattern, verwelken. Ist er dürftig gefüllt, so platzt er zwar nicht, aber die Blume bleibt auch dürftig. Fast eben so selten wie eine Nelke bringt sich der Mensch zur Herrlichkeit; er verwildert oder ermattet. An Faustinen war das Wunder geschehen; sie hatte die Glut, die Fülle, die Pracht ihres Wesens unzersplittert beisammen. Sie wollte nicht immer ein und dasselbe, – wenigstens wollte sie es nicht in unveränderter Gestalt, – aber was sie jedesmal wollte, das wollte sie ganz. Sie war ein leidenschaftlicher Charakter, und daher nur schwankend, ehe ein kraftvoller Entschluß in ihr Wurzel gefaßt. Um ein großartiger Charakter zu sein, fehlte ihr nichts als Strenge gegen sich selbst.

Nach dem Tode des unglückseligen Klemens brachte ich sie sogleich zu meinen Eltern, und nach drei Wochen, als sie meine Frau ward, war sie auch schon deren geliebtestes Kind, denn diese prunkende Frau, die sich nur zu zeigen brauchte, um für ihre Erscheinung allein jeder Huldigung gewiß zu sein, diese Sibylle mit dem Seherblick und den Prophetenlippen, heimisch in der Kunst, vertraut mit der Wissenschaft, war heiter wie ein harmloses Kind und anspruchslos wie ein junges Mädchen, das die eigene Anmut nicht ahnt. Auf der einen Seite hätte eine Matrone nicht mehr Eindruck gemacht und dem verwegensten Mann nicht strenger ein leichtes Wort auf den Lippen getötet durch ihren unbefangenen Ernst; auf der anderen Seite lagen die Jugend, die Neuheit, die Unkenntnis und die Verheißungen, die so reizend um Neulinge in der Welt schweben. Das war sie. Bis dahin hatte sie außerhalb der Welt gelebt und sich ihr nicht wie ein Feind, (dazu war sie ihr zu gleichgültig,) aber wie ein Fremdling gegenübergestellt. Bis dahin mochte sie nicht in die hergebrachten Verhältnisse eingehen. Sie verstand das Familienglück nicht, denn sie war ein verwaistes Kind; nicht die Ehe, denn sie war ein gequältes Weib gewesen; vielleicht nicht einmal die Liebe, obgleich sie Andlau mächtig geliebt hatte, denn sie wollte sich durch die Liebe außerhalb aller Schranken frei fühlen. Und nur innerhalb der Schranken kann Freiheit bestehen; außerhalb liegen Willkür und Auflösung. Das erkannte sie. Jede Erkenntnis war ihr eine Wonne. Sie liebte mich glühend, weil sie mir diese verdankte.

Ein Jahr früher hatte ich zu meinem Freunde Feldern gesagt, ich begehrte kein anderes Glück als ein ganz gewaltiges, das mich gerade im Mittelpunkt meines Wesens träfe. Es war mir geworden! Faustine strahlte in meine Seele hinein wie ein tausendfarbiger Diamant, wie ein indisches Gedicht, Stern und Rose, Glanz und Duft. Das unbedeutendste Weib, der beschränkteste Mann werden belebt und verschönt durch die Liebe, so daß sie uns erfreuen und fesseln können. Und nun Faustine! Bald entzückte sie mich, bald machte sie mich zittern, bald bewunderte ich sie! Herz, Sinne, Geist, alles fand bei ihr Nahrung, Befriedigung, Anregung. Ich ward nie müde, sie zu betrachten. Wie in Rafaels Arabesken Genien aus Blumen keimen, so schwebte ihre Seele in und über ihrer holdseligen Gestalt, die zart und durchsichtig genug war, um jeder Regung leicht zu folgen. Ihre Augen waren von jener unbestimmten grauen Farbe, die man bei Augen blau zu nennen pflegt und die darum so schön ist, weil sie alle Schattierungen annimmt, vom lichtesten Azur in der Freude bis zum tiefsten Schwarz in der Leidenschaft. Ebenso wechselnd war auch ihre Hautfarbe, durchschimmernd, kräftig; an ihrem Farbenton erriet ich ihre Stimmung. Zu dieser Frische stand in seltsamem Gegensatz dunkles Geäder um ihre Augen, das, wenn es nicht von Krankheit herrührt, einem blühenden Kopf wundervollen Reiz von Melancholie und Leidenschaft gibt, wie zum Beispiel der sogenannten Fornarina in der Tribuna zu Florenz. Ich wurde auch nie müde, sie zu beobachten. Es war etwas Unergründliches, Geheimnisreiches, Einfaches in ihr, etwas von der urwüchsigen Frische des Naturlebens, worin alle Elemente spielen und blitzen. In ihr stand das Gewitter neben der Sonne, und das Mondlicht neben der Morgenröte. Sie war von einer Leidenschaftlichkeit, die man hätte fiebernd nennen dürfen, wenn Körper und Seele ihr nicht gewachsen gewesen wären. O, wie sie mir entgegenflog, wenn ich nach kurzer Abwesenheit wiederkehrte! Sie erkannte meinen Schritt im Vorzimmer, fast ohne ihn zu hören. Sie lief mir entgegen, sie hing sich an meinen Hals. So trug ich sie fort! Goldfunken lagen auf ihrem Haar; unter dem Sammet ihrer Wange rieselte das Blut; silberne Streifen schlangen sich durch das schwarzblaue Auge. Und ihre Stimme! O der goldne Klang, der Lerchenjubel, wenn sie dann sagte: »Mario!« Der Tonwechsel dieser Stimme gemahnte abermals an Naturzustände. Erzählte sie von ihrer gleichgültigen, halb vergessenen Kindheit, so war es, als fließe ein schmaler klarer Bach durch eine grüne Ebene. Ihr Ton war gleichmäßig sanft, bebte nicht, weil damals das Herz nicht gebebt hatte. Aber er zitterte traurig wie das Rauschen fallender Blätter, sobald sie mit dumpfem Trübsinn von ihrer Ehe sprach. Haben Sie je am hohen Mittag, im heißen Sommer, das leise schwere atemlose Flüstern erlauscht, das durch die Natur weht? Zittern die Blätter, oder die Flügel der Insekten, oder die Wellen im See, oder Schilf, Gras und Blumen in der brennenden Berührung des wundertätigen Sonnenstrahles? Nun, so war es, wenn Faustine in meinem Arme ruhte, mit ihren weißen Zähnen oder brennenden Lippen meine Wange berührte, ohne sie zu küssen, und Worte flüsterte, die nur die Liebe hören darf, weil nur die Liebe sie erfindet. Haben Sie je den wilden jauchzenden Schrei der Schwalbe beachtet, wenn sie abends durch das Wollustbad der Luft gleich einem dunklen Blitz schießt? Dieser Ton des höchsten Jubels rang sich bisweilen in einem abgebrochenen Laut aus ihrem Busen; und dann girrte sie wie eine verblutende Taube, wenn die Melancholie schwerer Erinnerungen über sie kam. Alle Temperamente waren in ihr in einer Auslese vereint. Heftig und eifersüchtig trug sie wie eine Andalusierin den kleinen Dolch im Strumpfband, um den Geliebten zu verteidigen oder zu strafen. Aber bei allen Angelegenheiten des Lebens hatte sie eine Fügsamkeit in den fremden Willen, die sich nie verleugnete und die ich tausendmal auf harte Probe stellte; denn ich wollte, daß sie sich fügen lernen sollte – nicht mir (ach, daß sie mich liebte, war mein Triumph, nicht, daß ich sie beherrschte!), aber dem anerkannten festen Gesetz. Ich glaubte, die allmähliche Gewöhnung werde auch ihre innerste Wesenheit nach und nach zügeln können. Seitenlang war sie weichlich, üppig wie eine Morgenländerin, lag halbe Tage auf dem Diwan mit halbgeschlossenen Augen, träumend, denkend, dichtend, und langweilte sich nicht, während sie dann plötzlich von vernichtender Langweile sprach, wenn ich am wenigsten es vermutete, und sich, um ihr zu entgehen, lernend oder schaffend in das Reich des Gedankens oder der Begeisterung warf. Hatte sie sich dann in irgendeinem Werk als das Genie gezeigt, das die Welt anerkannt hat, so trieb sie kleine unbedeutende Kunstfertigkeiten, um ihre Geschicklichkeit auch in diesem Fache zu prüfen; doch sie erfreute sich nur so lange damit, bis sie es zur Fertigkeit gebracht; dann sah sie sich nach etwas Neuem um. Jede vollendete Arbeit war ihr gleichgültig. Gleichgültig: haben, besitzen, genießen! Streben war ihr alleiniges Glück, und der Moment, wo sie das Erstrebte mit der Fingerspitze berührte, ihre Seligkeit. Sollte sie aber festhalten, so ermattete ihre Hand.

Gleich nach unserer Vermählung gingen wir nach Florenz, wohin ich als Geschäftsträger gesendet ward. Faustine verließ Deutschland gern. Völlig veränderte Umgebung schickte sich für ihre veränderten Verhältnisse. Anfangs fürchtete sie, irgendwo in Italien Andlau zu begegnen, denn sie war gewiß, daß er dorthin gegangen wäre, und sie meinte, er könne nichts tun, um sie zu vermeiden, da er ja gar nicht wisse, wie sie heiße, ob sie noch lebe. Diese Unkenntnis quälte sie.

»Es würde ihm ein Trost sein, mich glücklich zu wissen!« rief sie, »und die Furcht, daß ich mich selbst so elend gemacht haben könnte wie ihn, ist gewiß ein Gift in seine Wunde.«

Sie trauerte um ihn, zuweilen bis zum tiefsten Gram; aber sie wünschte nie, anders gehandelt zu haben. Darum suchte ich auch nicht, ihr die Trauer zu nehmen. Wenn sie bereut hätte, wäre ich trostlos gewesen. Die Erinnerung an Klemens trat zuweilen wie ein Gespenst oder ein Fiebertraum vor sie hin. Sie rang die Hände, und Totenfarbe überzog ihr Antlitz; sie marterte sich ab mit allerlei Vorstellungen, wie sie dieser Katastrophe hätte vorbeugenkönnen.

»O Gott,« sagte sie oft, »ich hätte ja aber eine ganz andere Faustine sein müssen, wenn ich alles ganz anders hätte machen sollen! Die furchtbarsten Erschütterungen, die gewaltsamsten Zustände habe ich überdauert. Ich liebe und hoffe so wie einst. Keine Gabe, keine Fähigkeit ist in mir untergegangen; nichts Heiliges ist mir zum Märchen geworden. Ich glaube an die unberechenbare Gotteskraft im Menschen, die ihn auf immer neue unvorhergesehene Bahnen, aber nie zum Untergang führt. Erfülle ich nicht auf diese Weise meine Bestimmung?«

So sprach sie sich ruhig, und immer seltener kamen die Beängstigungen. Ihr malerisches Können entfaltete sich wunderbar. Der Glanz der italienischen Farben schwebte um ihren Pinsel, der mit allen in Glut und Kräftigkeit wetteifern durfte und von keinem an Phantasie übertroffen wurde.

Bonaventura ward im ersten Jahr geboren. Mario ist der Name, den der Erstgeborne in meiner Familie seit langen Zeiten zu führen pflegt; aber Faustine bat und flehte:

»Es gibt nur einen Mario für mich! Ich kann niemanden außer Dir so nennen, von keinem zweiten Mario Glück erwarten! Gib ihm einen andern Namen!«

Sie sprach diese Laune so zärtlich für mich aus, daß ich sie hingehen ließ; und warnte ich sie, halb im Ernst, halb im Scherz, vor ihrem unlöschbaren Durst nach etwas Anderem, – wie sie es selbst nannte, dann rief sie:

»O, fürchte Dich nicht! Ich liebe Dich, Mario!«

Sie liebte auch Bonaventura, aber meinetwegen. Für ihn sollte ich arbeiten und sorgen; mit seiner Erziehung mich angenehm beschäftigen; in ihm ihre Seele, ihr Wesen wiederfinden, – »wenn ich einst tot sein werde«, sagte sie. Sie knüpfte ihre Zukunft nicht an das Kind. Wenn sie meine leidenschaftliche Zärtlichkeit für den Knaben bemerkte, war es ihr stets wie ein Trost für mich. Sonst dachte sie nicht häufiger an den Tod, als ich oder jeder andere es tut, der den ernsten Gedanken vertragen kann und den Tod weder wünscht noch scheut.

Vier goldene Jahre verlebten wir in Florenz. Sie war glücklich! Die selige Überzeugung habe ich! Strahlend glücklich. Zuweilen, in Momenten der Liebe, der Begeisterung, wenn ein neues Bild vor ihr auftauchte, ein neuer Gedanke in ihr erwachte, wenn sie die Lava ihres Herzens vor mir ausströmen ließ, des innigsten Verständnisses gewiß. Dann rief sie:

»O wäre doch das Leben eine ununterbrochene Kette solcher Augenblicke! Träte doch nie Abspannung, Nüchternheit, Öde an die Stelle der Begeisterung, der Tatkraft, der Fülle! Folgte doch nur nicht auf den höchsten Schwung die tiefste Ermattung!«

»Wären wir doch Götter und nicht Menschen!« entgegnete ich lächelnd.

»Oder gäbe Gott uns etwas so Dauerndes, so Wechselloses, daß, trotz aller Schwankungen der Sinne und des Geistes zwischen Verlangen und Befriedigung, die Seele in einem andauernden Bewußtsein tiefster, unwandelbarster Befriedigung bliebe.«

»Mir hat Gott dies Wechsellose gegeben, Faustine!« sagte ich: »Die Liebe zu Dir! Tausendmal kann ich geirrt, hundertmal gefehlt haben; allein die Liebe zu Dir hat mich nie anders als stark und gut gemacht. Dies Bewußtsein ist etwas Ewiges.«

»O Mario!« rief sie und warf sich in meine Arme mit der inbrünstigsten Leidenschaft in Blick, Stimme und Gebärde, die stets mein ganzes Wesen zittern machte. »Mario, diese Liebe zu mir ist mein Triumph, meine Rechtfertigung, mein Heiligenschein! Aber siehst Du denn nicht ein, daß sie heute in den Himmel hebt und morgen in die Hölle schleudert? Mario, auf Augenblicke der Verzückung, wo Seele an Seele ruht, wo ich kein Wort brauche, um Dir mein Innerstes zu offenbaren, wo wir sind wie das Himmelblau, das alle andre Farben in sich auflöst, – folgen andere . . . . Da habe ich Dir nichts zu sagen, wenigstens nichts, was ich nicht ebensogut allen Menschen sagen könnte. Da sind wir in Kleinigkeiten verschiedener Meinung; und eben weil es Kleinigkeiten sind, denkt jeder, der andere könne wohl nachgeben. Da hast Du ein dringendes Geschäft, wenn ich mit Dir umherstreifen möchte, oder ich sitze tief in Farben vergraben, wenn Du kommst, mit mir zu plaudern. Da ist Dein Blick kälter, Dein Gespräch unbelebter, Dein Kuß ruhiger, Dein ganzes Wesen gleichgültiger. Da fühle ich, daß Du durchaus das Nämliche bei mir findest. Da betrübe ich mich denn unsäglich, und weder Dein glänzendes Lächeln noch Deine klangtiefe Stimme, bei denen mir doch sonst zumut wird, als bräche der Tag an, haben genug Gewalt über mich, um Niedergeschlagenheit und Trübsinn zu verjagen, die mich erschlaffend anwehen wie der Scirocco. Dann denke ich: Wäre die Liebe rechter Art, so könnte nie ein solcher Moment eintreten. Die Seligen sind gewiß niemals niedergeschlagen, die Seligen jenseits des Grabes. O wie gut verstehe ich den alten Montaigne, der da sagt: Il n'y a de satisfaction ça-bas que pour les âmes ou brutales ou divines. Geschöpfe vom Mittelschlage wie ich haben es auch nur mittelmäßig.«

»Nun, Faustine,« entgegnete ich, »auch ich kann mit fremden Worten reden! Novalis sagt: Und da kein Sterblicher den Schleier der Isis heben kann, so wollen wir suchen, Unsterbliche zu werden.«

»Ja, das wollen wir! Und Du bist mein Cherub!« rief sie.

Dies Gespräch fand statt, als wir einst bei Sonnenuntergang nach San Miniato hinaufstiegen, und unter den Zypressen beim Kloster von San Francesco rasteten. Ich lehnte an einer Zypresse und blickte auf Faustine hinab. Sie saß auf einer Stufe der Treppe und hatte ihre Hände gefaltet um ihre Knie gelegt. Ihr Hut war zurückgefallen. Der Abendwind wehte ihre Locken hin und her; ihr Gesicht war von innerer Glut, ihr blaßrotes Kleid von der sinkenden Sonne in Feuer getaucht. Plötzlich hob sie die Hände zu mir empor und rief:

»Mario! Ewig anbeten, das würde mich beseligen!«

»Das verdient kein Mensch!« sagte ich.

»Nein, aber Gott!« antwortete sie.

Sie hatte recht, immer recht; darum fiel mir auch damals das Wort nicht weiter auf, um so weniger, da sie plötzlich zu künstlerischen Betrachtungen übersprang und behauptete, in meiner gegenwärtigen Stellung hätte ich große Ähnlichkeit mit dem Antinous im Palazzo Braschi in Rom. Ich lachte über dies allzu schmeichelhafte Kompliment; doch sie sagte ernsthaft:

»Sträube Dich und lache immerhin! Die Ähnlichkeit bleibt. Antinous denkt nach über seinen Kaiser Hadrian, für den er sich freiwillig den Tod im Nil gegeben, damit die Priester in seinen Eingeweiden das künftige Schicksal des Kaisers lesen möchten; denn so hatte das Orakel geboten. Darauf ließ der Kaiser ihm göttliche Ehren erweisen und ihn als ägyptische Gottheit mit der Lotosblume über dem Haupte darstellen. Was half das dem Antinous? Er hat doch vor der Zeit sterben müssen! Mario, Mario, wirst Du auch sterben müssen? Meinetwegen sterben? Auch ich bringe den Untergang denen, die mich lieben!«

»Aber nicht denen, die Du liebst, Faustine!« sagte ich und nahm ihre Hand.

»O doch, doch!« antwortete sie mit jener himmlischen Schwermut, die ihren Blick, sonst so rein, klar und schwer wie Gold, in ein dunkles nächtliches Meer verwandelte, das unter dem Mondstrahl zittert.

Sie stand auf, und wir gingen schweigend nach San Miniato, denn ich störte sie nicht in solchen Augenblicken der Erinnerung. Zerstreuung wäre ungeschickt gewesen, und Anregung, sich mitzuteilen, hätte sie noch mehr in den Gegenstand versenkt. Zuweilen wandelte es mich an wie Eifersucht, daß Schatten Macht über sie haben konnten. Schatten nenne ich, was für sie tot und unfähig war, ihr neuen Schwung zu geben. Sie brauchte ihre und die fremde Wesenheit immer ganz voll, ganz beisammen; darum war die Gegenwart ihre Herrin und darum auch meine Eifersucht nie von Dauer.

Sie war seltsam anders als ihr Geschlecht! Wir sprachen einmal über die Korinna der Madame von Staël, worin uns alles Andere besser gefiel als die eigentliche Liebesgeschichte; und ich sprach meine Verwunderung aus, wie ein so glanzvolles Geschöpf diesen trübseligen Oswald lieben könne.

»Mitleid, Mitleid, liebes Herz!« rief sie. »Aber davon habt ihr Männer gar keinen Begriff, und ich auch nur einen halben; denn ich bringe es mit dem Mitleid nicht weiter, als mich lieben zu lassen, nicht so weit, um wieder zu lieben. Der Gegenstand meines Mitleids wird kleiner als ich, und ich bedarf eines größeren, der mich ganz umfängt, hebt und trägt. Aber die meisten Frauen sind gutmütiger und rührbarer als ich. Stirbt doch gar Korinna wegen dieses trübseligen Oswalds! Das ist mir nun vollkommen unbegreiflich. Für die Liebe leben, für den Geliebten leben oder sterben, wie es kommt, das ist einerlei! Aber nur nicht sterben, weil ein Mann mich nicht mehr liebt! Die Männer müssen um die Frauen sterben, so schickt es sich; das habe ich von jeher behauptet.«

»Ja,« sagte ich, »Du hast darüber wundersam selbstherrliche Ansichten.«

»Selbstherrlich? Möglich, doch nicht wundersam. Die Liebe ist unser Element, unser Königreich. Ihr nehmt nur dann und wann eine Stelle darin ein, bringt es auch wohl zu einem Ehrenposten oder dergleichen. Wir sind heimisch, wo Ihr fremd; Herren, wo Ihr Einwanderer seid. Dies Bewußtsein macht selbstherrlich. Wir wollen lieben über alles, und lieben, nichts als lieben, Königinnen sein, von allen Gaben strahlend, im Reiche der Liebe! Darum, Mario, begreife ich, daß eine Frau sterben kann, wenn sie nicht mehr liebt! Macht ihr Herz seine Pendelschwingungen nicht mehr, so steht das Uhrwerk ihres Lebens still. Lieben ist, sich einem Gegenstand weihen. Aber muß der Gegenstand durchaus derselbe bleiben? Sind in uns keine Fortschritte, keine Umwälzungen, die einen andern bedingen? Können wir mit zwanzig Jahren reif genug sein, um unsere Entwickelung mit dreißig und deren Ansprüche vorher zu wissen und uns gleich von Haus aus dafür einzurichten? Ich meines Teils hatte vor zehn Jahren kaum eine Ahnung von allem, was ich geworden bin. Es mag ein hohes Glück sein, beim Eintritt ins Leben der Seele zu begegnen, mit der wir bis zum Austritt daraus verbunden bleiben; aber es ist ein seltener Glücksfall, daß zwei Menschen durchaus gleichen Schritt halten in ihrer Entwickelung, und daß keiner den andern überflügelt. Darum sollte man eine Ausnahme nicht zur Richtschnur machen wollen; nicht sagen: Nur das Festhalten an einem Gegenstande ist Liebe.«

»Vielleicht hat man zuweilen darin unrecht, Faustine!« entgegnete ich. »Nur bleibt es gewiß, daß häufig im Wechseln mehr Selbstliebe als Liebe liegt. Glaubst Du nicht, daß ein Mensch in Opfer und Entsagung bis zum Tode ebensosehr der Vollendung entgegenreifen könne, als indem er Andern das Opfern überläßt? Denk an Vinzenze Sonsky!«

»Ach, Vinzenze!« rief Faustine. »Ich beuge mich gern vor ihr, denn mehr als sie kann der Mensch nicht tun. Aber das ist ein trauriges Beispiel! Sie hat sich geopfert, und doch ist niemand beglückt. Sie selbst tot, ihr Mann einsam im Alter, Ohlen einsam in der Jugend . . . O sage mir, daß Du glücklich bist, Mario!«

Wenn sie in den Ausdruck der Liebe überging, war sie unwiderstehlich. Darin war sie ein Genie wie in ihrer Kunst; dadurch beherrschte sie mich so maßlos, daß ich oft mit Erstaunen wahrnahm, wie sie meine Besonnenheit schwanken machte, meine Besonnenheit, die ich mir mit so eisernem Willen angearbeitet hatte! Vom ersten Augenblick unsrer Bekanntschaft an war meine Seele ihr untertan. Faustine veränderte nicht meine Richtung, aber indem ich dabei beharrte, sah ich nach ihr wie nach der Nordnadel hin, und in den Außendingen des Lebens behielt ich deshalb unumschränkte Gewalt, weil sie zu träg und zu gleichgültig gegen deren Handhabung war. Oft in diesen vier Jahren hatte sie mich gebeten, eine Reise in den Orient mit ihr zu machen oder wenigstens nach der Schweiz, die sie noch nicht kannte. Meinen Plänen zufolge sollte sie sich jedoch an den geregelten, einförmigen Gang des Daseins gewöhnen, im Verkehr mit Andern wie in der bürgerlichen Stellung. Ich schlug es ihr unerbittlich ab und sagte, ich hätte kein Geld dazu. Das glaubte sie leicht, und deshalb sagte sie ganz ruhig:

»Ich werde suchen, etwas zu verdienen.«

Sie schickte ein eben vollendetes Gemälde zur Kunstausstellung nach Mailand, wie sie das öfters tat. Nach zwei Monaten händigte sie mir eine Anweisung an meinen Bankier in Florenz auf 8000 Franken ein. Ich fragte, ob sie eine plötzliche Erbschaft gemacht habe.

»Nein,« antwortete sie, »ich hatte nach Mailand geschrieben, man solle den Ezzelino verkaufen, wenn sich ein Liebhaber fände. Das ist geschehen. Können wir nun in den Orient?«

Ich war ganz verdrießlich; das wunderschöne Gemälde ging nach Rußland. Ich sagte, wenn sie mir genau ein ähnliches male, dann wollten wir reisen. Ich wußte wohl, daß sie es nicht tun werde. »Dieselbe Ideenfrucht zweimal reifen zu lassen, das kann sogar der liebe Gott nicht« sagte sie. Aber sie malte Neues und immer Schöneres. Dazwischen dichtete sie viel, meistens Lieder, tiefsinnig und graziös wie sie selbst war, denen nichts zur Vollendung fehlte, als daß sie sich ein wenig Mühe hätte geben sollen, sie nochmal durchzuarbeiten. Wenn ich sie dazu ermahnte, so entgegnete sie, damit wolle sie sich beschäftigen, sobald die Zeit des Schaffens für sie vorüber sei. Sie sagte: »Vor meinem Tode will ich es tun, damit die Welt wisse, was sie eigentlich an mir gehabt hat; vorher lohnt es der Mühe nicht! Die beste Berühmtheit hebt nach dem Tode an! Wer volkstümlich war, wird selten unsterblich.«

Ich neckte sie bisweilen mit ihrem Ruhmdurst.

»Oh,« rief sie, »Bedürfnis des Ruhms ist nur Bewußtsein der Zukunft! Wer nicht an seine eigene Zukunft glaubt, der verdient auch keine Gegenwart; und man sagt mir doch, – und ich meine mit Recht, – ich sei ein großes Talent. Daß meine Gemälde nur in der Mode und deshalb zukunftlos sein könnten, fällt mir oft schwer aufs Herz. Ich weiß wohl, daß ich einen köstlichen Schatz besitze; jedoch, ob ich ihn zu Kleinodien oder zu Münzen oder zu was weiß ich verarbeite, das weiß ich nicht, wenigstens nicht genau. Wir irren uns über den Wert unsrer Schöpfungen wie Mütter über die Schönheit ihrer Kinder. Von seinem Gedicht Afrika erwartete Petrarka die Unsterblichkeit und fand sie durch seine Sonette. Es wäre doch traurig, wenn ich nur Afrikas hinterließe!«

Endlich ging ich auf die orientalische Reise ein. Ich gönnte Faustinen und mir diesen Genuß. Überdies halte ich eine solche Anfrischung der Lebensgeister nicht bloß dem Künstler notwendig, sondern allen, die sich jahrelang nur mit ihrem Geschäft und Beruf abgegeben haben. Man wird allzu einseitig, sobald man sich ihm ausschließlich widmet. Die Einseitigkeit hat auch ihr Gutes. Sie macht zufrieden, sie lehrt das Geringe schätzen, sie erhält sogar in einem gewissen Grad von Unschuld, indem sie manche Illusionen beläßt; aber nicht alle Seelen sind für diese friedliche Beschränkung geboren. Der eine fliegt lieber, der andere geht lieber, jeder nach seiner Eigentümlichkeit. Die Schattenseiten seiner Vorzüge hat jeder Charakter; aber man bemerkt sie nur bei ausgezeichneten Menschen; weil bei den alltäglichen kaum der Unterschied zwischen Licht und Schatten wahrgenommen wird. Das ist in der Ordnung. Man sieht nicht hin, wenn jemand im Gehen stolpert; will aber jemand fliegen und die Schwingen brechen, so sieht es das stumpfeste Auge.

Wir reisten zuerst nach Deutschland, um meine Eltern zu besuchen und ihnen Bonaventura vorzuführen. Meine Schwestern waren jetzt alle drei verheiratet und mäßig glücklich mit kleinen Sorgen und manchen Freuden. Kunigunde war Braut. Nichts glich unsrer Überraschung, als sie uns den Verlobten vorstellte, einen benachbarten Landpfarrer von der Sorte, die man jetzt die fromme zu nennen pflegt, mit gescheiteltem Haar und niedergeschlagenen Augen, aus denen zuweilen hastige, stechende, ausforschende Blicke schossen, die in unbehaglichem Widerspruche zu seinem salbungsvollen Ton standen und der ganzen Erscheinung etwas Falsches gaben. Faustine wünschte ihm Glück zu der Braut; bei Kunigunden erstarb ihr das Wort auf den Lippen. Hernach sagte sie zu mir:

»O Gott, welch ein matter trister Gesell! Gegen den war ja Feldern ein Held! Und diese klare bestimmte Kunigunde kommt mir ganz verwirrt vor, denn sie spricht von diesem Menschen, als sei er mindestens ein Apostel.«

»Meine Liebe,« entgegnete ich, »Du kannst Dir gar nicht vorstellen, zu welchen Schritten die Furcht treibt, eine alte Jungfer zu werden! Die liebenswürdigsten, ausgezeichnetsten Mädchen, zu denen Kunigunde gewiß zu zählen ist, verfallen bei dieser Lebenskrise fast immer in ein Fieber, das ihnen die Besonnenheit raubt. So ist es Kunigunden gegangen, und da sie diesen Mann unmöglich lieben kann, so hat sie sich für ihn blind begeistert. Wahrscheinlich wird sie später aus Stolz und Beschämung nie eingestehen, daß sie nicht vollkommen glücklich ist; aber sie wird es gewiß nicht! Eine Ehe dauert etwas zu lange für derlei Begeisterung.«

»Und Feldern ist doch ein schlichter unverschrobener Mensch,« sagte Faustine niedergeschlagen, »trotz seiner Vorliebe für die herkömmlichen Formen. Sie sind ihm das, was ihm die Kleidung ist, ein Gesetz, das der Anstand gegeben hat. Aber dieser Mann, so gezwungen einfach, so unnatürlich schlicht, kann dessen Seele wahr sein?«

Meine Eltern freuten sich meines Glücks in Weib und Kind. Faustine war aller Liebling, aller Stolz. Die geistige Überlegenheit, die mittelmäßige Frauen so unerträglich macht, daß man sie wie ein lästiges Anhängsel betrachtet, etwa wie einen vornehmen Namen bei großer Armut, schien Faustinen gegeben, um zu beweisen, daß die überlegenste Frau die liebenswürdigste sei. Sie faltete still ihre Flügel zusammen, damit niemand bemerken dürfe, daß er keine habe; aber sie schüttelte sie und flog auf, bei der geringsten Anregung, und ließ in unsern Kreis den Glanz, die Himmelslust, die Blüten ihres Höhenreiches hineinspielen.

Dann fuhren wir die Donau hinab nach Konstantinopel, Griechenland und Palästina. Erwarten Sie keine Beschreibung der Reise, Gräfin! Gedenke ich jener Tage, so wühlt die Erinnerung wie eine göttliche Harpye in meinem Herzen. Faustine war selig, war von einem Reichtum, einer Vollendung, einer Süßigkeit, wie noch nie. Berauscht von den Quellen der Urgeschichte und der Urpoesie, die jenem Boden entströmen, sagte sie:

»Ich bin allzu glücklich! Hier muß ich sterben, wäre der Tod nicht allzu grausig. Ich will leben, ohne zu altern, schaffen, ohne zu ermüden, genießen, ohne mich abzustumpfen, forschen, ohne zu zweifeln, ruhen, ohne mich zu langweilen! Glaubst Du nicht, Mario, daß dies alles hier, in diesen einfacheren Zuständen, leichter zu erreichen sei als da draußen, in der verschrobenen, abhetzenden abendländischen Zivilisation?«

»Vor allen Dingen glaube ich, daß Du Dich binnen Jahresfrist glühend zur europäischen Kultur zurücksehnen wirst, gegen die Du freilich oft genug zu Felde ziehst, wenn Du ihr bequem im Schoß sitzest,« sprach ich.

»Und Bonaventuras Erziehung ruft uns zurück! Er ist nun bald vier Jahre alt. Da muß er denn in irgendeine gelehrte Schule gesteckt werden und seine schöne frische jauchzende Kindheit mit Studien über Dinge hinbringen, deren eine Hälfte er nicht braucht und deren andre er vergißt. Armer Bonaventura, wärst Du mein Sohn allein, so erzöge ich Dich hier, fern von der entarteten Gesellschaft, fern vom Wust kleinlicher Gelahrtheit, mit dem Homer, dem Plutarch und der Natur; und wärst Du zum Jüngling herangereift, so ließe ich Dich nach Europa in alle Länder, zu allen Völkern, auf alle Universitäten ziehen, um die Gegenwart durch unmittelbare Anschauung kennen zu lernen. Die Männererziehung ist heutzutage unausstehlich einseitig! Die armen Jünglinge werden mit Kenntnissen vollgepfropft, für das Prokrustesbett des Staatsdienstes gepreßt, der von allen dasselbe Maß verlangt, das Genie herunter und den Dummkopf heraufzerrt. Lernen müssen sie; ob sie das Gelernte verarbeiten und wirklich wissen, darum kümmert man sich nicht. Die meisten verkommen im Sumpfe des Lernens, ohne sich zur Entwicklung geistiger Selbständigkeit zu erheben.«

»Bonaventura!« rief sie und hielt den erstaunten Knaben auf ihrem Schoße fest. »Wenn Du in zwanzig Jahren eine Brille auf der Nase hast, Runzeln auf der Stirn, Falten um Mund und Augenwinkel, wenn Du schulmeisterlich bist, mein Bonaventura, langweilig, unbeholfen, dürr an Leib und Seele, unerquicklich wie die verkörperte Vernunft, gehörig eitel auf Deine negative Entwicklung, so verklage ich den Staat beim lieben Gott, weil dessen Geschöpf und mein Sohn so kläglich mißhandelt ward von dem alles verschlingenden Moloch, dem wir unsre lieben Kinder auf die versengenden Arme legen müssen!«

»Ich bin aber der Meinung, daß Kinder in dem Lande und in den Verhältnissen zu erziehen sind, für die die Geburt sie bestimmte. Ausländische Erziehung ist fast immer unverträglich mit der späteren Bestimmung, und die Gewöhnungen der Kindheit so stark, daß oft ein trauriger Zwiespalt entsteht, wenn man nicht gesucht hat, sie, wenigstens einigermaßen, jener anzupassen.«

Auf diese Einwendung entgegnete Faustine:

»Ich habe auch nur gesagt: Wenn Bonaventura mein Sohn allein wäre! Jetzt bist Du mein Herr und der seine.«

Der Orient war der Höhepunkt meines Glücks. Nach Florenz zurückgekehrt, nahm Faustinens Wesen eine andere Richtung. Ein Hauch von Schwermut hatte immer um sie geschwebt wie ein leichter Duft um Gebirge; jetzt verdichtete er sich oft zu Wolken. die ihre Heiterkeit überschatteten und lähmten. Es geschah ohne äußere Veranlassung. Sie war nicht kränklich; sie hatte keine der Verdrießlichkeiten, der winzigen Sorgen, die reizbaren phantastischen Menschen unerträglich sind, keinen Verlust, keinen Unfall. Es kam wie eine Schickung über sie. Es war da. Ist es eine traurige Mitgift des Genies, daß er im Geben ein Krösus und im Genießen ein Übersättigter ist, – oder wähnt er leicht, das vorgesteckte Ziel nicht erreicht zu haben und nie erreichen zu können – oder läßt alles Erreichbare eine Lücke in ihm, und alles Sichtbare eine Öde – oder fühlt er vorahnend seinen Flug erlahmen – oder haben diese glühenden, dürstenden, strebenden Naturen unaufgelöste Geheimnisse zwischen sich und dem Schöpfer, die sie auf alle Weise zu enträtseln suchen, – genug, Faustine war verändert. Viele, ich weiß es, werden sagen: »Das Schicksal hatte sie verwöhnt; sie war übersättigt von Glück; sie machte sich Trugbilder, weil sich die Wirklichkeit für sie erschöpft hatte. Man muß in sich das Genügen finden, und wer das nicht tut, ist ohne inneren Gehalt,« und allerlei, was die Klugheit der Welt und die schnöde Mittelmäßigkeit zu ihrem eigenen Vorteil vorzubringen wissen. Aber Faustine war nicht das Kind, das in Tränen ausbricht, weil es nicht den Mond haschen kann, und ihr Schicksal ist darum so traurig, weil es der Mittelmäßigkeit gleichsam gewonnenes Spiel gibt, indem sie Fehler beging, die jener nie nahe kommen. Es ist auch traurig lehrreich, indem es zeigt, wie der herrlichste Mensch untergeht, sobald er sein Ich in der Welt vereinsamt, sei es auf die feinste, die geistigste Weise. Aber das wird die Menge schwerlich bemerken! Sie versteht nur die Bestrebungen für das Ich, insofern sie sich auf Vermögen, Ansehen, schöne Kleider und ähnliche Äußerlichkeiten beziehen.

»Jetzt mag ich nicht mehr reisen!« sagte Faustine. »Ich weiß nun, daß die Erde überall dieselbe ist, und der Mensch ist es auch. Nur die Oberfläche wird bei jener durch das Klima, bei diesem durch das Temperament verändert. Das Neue ist immer etwas Altes, und etwas Anderes ist immer dasselbe; nur das äußere Kleid ward gewechselt. Das kann uns keine volle Befriedigung geben.«

»Volle Befriedigung ist mir undenkbar für den menschlichen Zustand auf der Erde,« sagte ich. »Der Augenblick, wo ich inne würde, am Ziel alles Strebens zu sein, und keine Arena der Wünsche und Kämpfe mehr fände, würde mich trostlos machen, statt mich zu befriedigen. Fertig sein und doch nicht vollkommen, das ist wie das Leben in harter Gefangenschaft.«

»Das äußere Leben kann fertig und das innere strebend sein,« sagte sie, »zum Beispiel im Kloster.«

»Oder in jedem anderen Verhältnis,« setzte ich hinzu, »zum Beispiel in der Ehe.«

Sie war nicht trübe, nicht unzufrieden, nicht erkaltet gegen mich, nur von einer unbesieglichen Schwermut. Ich bat, ich beschwor sie, zu malen, zu dichten.

»Wozu?« antwortete sie. »Was nicht erster Ordnung ist, braucht gar nicht zu sein, und erster Ordnung sind in der Welt etwa hundert Bücher und ebensoviel Kunstwerke. Sie bestimmten eine Zeit; sie brachen eine Bahn; sie gaben eine Richtung. Dies hängt nicht sowohl von dem ab, der sie schrieb, malte oder baute, sondern davon, daß Gott ihn im rechten Moment, als er ein tüchtiges Werkzeug brauchte, auf die Erde schickte. Ein solcher Genius ist für alle Zeiten groß. Nur für eine Epoche es zu sein, ist demütigend! Denke doch: Gluck wird unsterblich genannt, aber von tausend Menschen gähnen neunhundertneunundneunzig bei seiner Musik.«

»Nach dem Urteil der Menge darfst Du nicht hören, denn zuweilen beherrscht falscher Geschmack, durch irgendwelche Laune eines Tonangebers auf den Schild gehoben, lange Zeitläufte. Während des Baustils der Renaissance war der gotische verachtet; erst jetzt lernt man allmählich ihn bewundern.«

»Freilich, er ist erster Ordnung!« sagte sie traurig.

Wie diese Mutlosigkeit mich grämte! Wie ich sie anflehte, mir deren Grund zu sagen! Ich warf ihr Mangel an Vertrauen vor.

»Nein,« rief sie, »meine Seele liegt offen vor der Deinen, aber Du, Mario, Du willst nicht sehen, was ich doch ganz klar und deutlich sehe, daß meine Zeit aus ist . . . Schweig! schweig!« rief sie, als ich antworten wollte. »Weshalb sollte ich das nicht sehen? Weiß doch die Wasserlilie ihre Zeit, steigt zum Blühen auf die Wellen empor, und sinkt dann in die Tiefe zurück, befriedigt, still, mit dem Schatze seliger Erinnerungen. Die Blume weiß, wann ihre Zeit vorüber ist, und der Mensch bemüht sich, es nicht zu wissen! Diese Jahre mit Dir, Mario, waren meine höchste Blütezeit!«

»Du liebst mich nicht mehr!« rief ich mit bitterm Schmerz.

»Tor!« sagte sie ruhig, mit jenem verzückten Lächeln, das ich nur auf ihrem Antlitz gesehen habe. »Tor, hast Du nicht das Tabernakel meines Herzens berührt? Ist nicht Bonaventura Dein Sohn? Nein, Mario, ich liebe Dich. Ich habe nichts so wie Dich geliebt. Ich werde nach Dir nichts lieben, aber über Dir – Gott! Bester, meine Seele hat mit der Deinen in solchen Ekstasen der Liebe und Begeisterung geschwelgt, daß alles, was ihr in diesem Reiche widerfahren kann, nur Wiederholung, und vielleicht . . . . eine matte sein dürfte. Wir haben mein Herz so nach seinen Schätzen durchgraben, daß die Goldminen . . . . vielleicht erschöpft sind. Ehe die trostlose Gewißheit uns kommt . . . .«

»Faustine!« sagte ich, ich weiß nicht mit welchem Ton, denn sie fiel mir zitternd in die Arme und sprach ganz, ganz leise:

»Ah, wenn Du mir zürnst, habe ich keinen Mut, Dir meine Seele zu entfalten.«

Ich erkannte wohl, daß ich sie nicht einschüchtern durfte, umarmte sie und fragte gelassen, was sie denn zu tun gesonnen sei.

Sie erwiderte:

»Ich will die Minen verschütten! Ist noch edles Metall darin, so mag es in der Tiefe ruhn! Oben darauf will ich Blumen pflanzen.«

»Aber was möchtest, was willst Du tun?« rief ich in Todesangst.

»Ganz Gott angehören und in ein Kloster gehen,« sagte sie.

Ich aber sprach bestimmt:

»Nie, Faustine, nie, niemals!«

Ich bemühte mich, die Sache für eine vorübergehende Aufregung zu halten, zu glauben, daß irgendein Buch, irgendein Gespräch mit ihrem Beichtvater sie lebhaft erschüttert habe; doch ihre Lektüre bestand gerade jetzt aus den alten römischen Geschichtschreibern, und ihr Beichtvater, der zugleich der der halben Florentiner Welt war, Pater Gerolamo, war mir sehr wohl bekannt als ein ruhiger milder kluger Mann ohne alle asketischen Anforderungen.

Wir waren dazumal in Pisa, teils weil sich der Hof für einige Monate dort aufhielt, teils weil Faustine eine besondere Vorliebe für diese melancholische Stadt hatte. Wir bewohnten den Palazzo Lanfranchi am Lung' Arno, wo Lord Byron während seines Aufenthalts in Pisa wohnte, und bei uns lebte Graf Kirchberg, ein alter Freund Faustinens, der soeben nach Italien gekommen war. Zufällig oder absichtlich – ich weiß es nicht – äußerte er einmal im Gespräch mit mir, Andlau sei von den Ärzten seiner Gesundheit wegen nach Italien geschickt, er glaube nach Rom. Ich bat Kirchberg, nichts davon gegen Faustine zu erwähnen; sie sei ohnehin in einem krankhaft erregten Zustand. Er fand das auch, denn er hatte sie wirklich lieb. Nur Gleichgültige sehen uns mit immer gleichem Auge an.

Wir machten täglich weite Spazierritte mit ihr. Daran fand sie viel Vergnügen; und fast täglich auch ging sie in das Campo santo, »um Studien zu machen«, wie sie sagte. Doch umsonst begehrte ich, daß sie dort Zeichnungen und Skizzen entwürfe.

»Ich sehe und denke. Ist denn das nicht genug? Sehen nicht die meisten Leute, ohne zu denken?« fragte sie.

»Für Dich ist das nicht genug. Du mußt schaffen!« rief ich, und wie aus einem Munde mit mir sprach Kirchberg, der gegenwärtig war:

»Sie müssen schöpferisch sein!«

»Immer soll ich mich ganz außergewöhnlich benehmen, Ihr wunderlichen Leute,« sagte sie mit ihrer alten Heiterkeit, »aber doch nur gerade so weit, wie Euch das Ungewöhnliche nicht absonderlich erscheint. Ach, wie seid Ihr so schwerfällig, Ihr Klügler! Aber heute habe ich wirklich Lust, das Innere des Campo santo zu zeichnen. Ihr könnt allein spazieren reiten!«

Dieser Entschluß wurde dahin abgeändert, daß sie erst mit uns einen Spazierritt machte, worauf wir sie zum Campo santo begleiteten und ihr Pferd mitnahmen. Sie blieb allein unter der Obhut der Aufseher. In zwei Stunden sollte ich ihr den Wagen schicken.

Ich war höchst befremdet, als der Wagen leer zurückkam und der Diener mir meldete, der Aufseher habe gesagt, die Signora sei schon vor einer Stunde fortgefahren. Ihr Zeichenbuch brachte er; der Aufseher hatte es im Campo santo auf der Erde gefunden. Ich glaubte, Bekannte hätten Faustinen zu einer Spazierfahrt entführt; doch war mir bänglich zumute, weil sie niemals bestimmte Stunden versäumte. Jetzt war es halb fünf; um fünf speisten wir, aber sie war um halb sechs noch nicht da. Dies überschritt alle ihre Gewohnheiten. Mich befiel unsägliche Angst. Kirchberg konnte mich nicht beruhigen. Ich ließ aufs Geratewohl anspannen.

Da kam sie auf einmal zu Fuß, im Reitanzug, leichenblaß, verstört, atemlos. Wie zerbrochen fiel sie in meine Arme und ächzte:

»Er ist da! Er ist da! Er stirbt und will mich nicht sehen.«

Andlau war in Pisa, todkrank an seinen alten Brustwunden. Der milde Tag hatte ihm große Sehnsucht gegeben, das Campo santo zu sehen, und er war in Begleitung seines Arztes hingefahren. Sowie Faustine ihn gewahrte, erkannte sie ihn, trotz der Verwüstung der Krankheit, und flog ihm mit einem Wehruf entgegen. Andlau aber streckte die Hand abwehrend aus und sank ohnmächtig in die Arme des Arztes. So ward er in den Wagen und in seine Behausung gebracht; Faustine begleitete ihn verzweiflungsvoll. Der Arzt beschwor sie, den Kranken zu verlassen, als er wieder zur Besinnung gekommen, da ihr Anblick ihn tödlich erschüttere.

»Er soll mich auch nicht sehen!« sagte sie und rang die Hände. »Aber lassen Sie mich nur hier im Vorzimmer, damit ich ihn sehen kann.«

So blieb sie zwei Stunden. Andlau erholte sich auf Augenblicke.

»Er hat den Arzt nicht nach mir gefragt, und wo ich geblieben sei,« sagte Faustine traurig. »Da fiel mir ein, wie Du besorgt sein müßtest, Mario, und ich bin heimgegangen.«

Dies erzählte sie alles so hastig, so abgebrochen, daß wir sie kaum verstehen konnten. Kirchberg ging sogleich zu Andlau; er kannte ihn aus früherer Zeit. Faustine gab ihm einen Diener mit, der ihr jede Stunde Nachricht bringen sollte. Anfangs lautete sie immer gleichförmig. Faustine ging den ganzen Abend auf und ab im Zimmer und sagte zuweilen:

»Mario! Mario! Mario! Ich töte ihn! Dem Klemens habe ich Leib und Seele getötet. Ihm, das Herz . . . und jetzt auch den Leib!«

Gegen Mitternacht kam Kirchberg und fragte Faustinen, ob sie noch einmal Andlau sehen wolle? Er werde den Morgen nicht erleben. Sie stürzte sich in den Wagen; Kirchberg begleitete sie. Er sagte mir hernach, sie habe sogleich neben Andlau niedergekniet, der mit geschlossenen Augen und schon über den Todeskampf hinaus auf dem Bett gelegen. Sie sagte fast unhörbar: »Anastas!« – und er, der nichts mehr beachtete, hörte auf ihre Stimme, öffnete die Augen, lächelte, versuchte die Hand ihr zu reichen, sagte »Ini!« und verschied.

Ihr gehörte jeder Hauch seines Lebens, auch der letzte.

In der folgenden Nacht, bei Fackelschein, fuhren wir in einer Barke mit seiner Leiche den Arno hinab nach Livorno, wo sie auf dem protestantischen Gottesacker ihre Ruhestatt fand. Faustine war dabei. Sie schien absichtlich all diese Erregungen zu suchen, vielleicht in der Hoffnung, ihrem Schmerz dadurch einen Ausweg zu bahnen. So macht man Wunden größer, damit die Kugel oder der Splitter herausgenommen werden können. Aber bei ihr blieb der Splitter. Sie verfiel in herzzerreißende Trauer.

Zuweilen sagte sie mit heißer Sehnsucht:

»O, wenn Gott mir doch einen großen Gedanken in die Seele hauchen wollte, so wie sonst, daß ich ihn ausbilden, ihn auch andern verständlich machen und mich daran erfreuen könnte! Aber nichts, nichts! Meine Seele ist dürr und öde, keines Aufschwungs mächtig, ausgesperrt aus ihrem alten Himmel der Begeisterung, der Phantasie, der Kunst. Laß mich einen neuen suchen, Mario! Den, den die Kirche uns verheißt. Laß mich den Rest meines Lebens einzig Gott weihen und in ein Kloster gehen.«

»Du tötest Dich!« sagte ich mit dumpfer Verzweiflung.

»Nein,« antwortete sie, »dort werde ich still werden. Mario, dies Fieber in mir, das durch nichts in der Welt gestillt werden konnte, nicht durch die Liebe, nicht durch den Schmerz, nicht durch das Glück, nicht durch den Genuß, durch nichts, nichts, was sonst der Menschen Lust und Wonne oder ihre Vernichtung ausmacht, dies Fieber, das mich rastlos umhertreibt, obgleich ich wohl weiß, daß es nur genährt, nicht beschwichtigt wird durch die Aufregungen, o, laß mich versuchen, ob die Entsagung alles dessen, was ich bisher so glühend geliebt und gesucht, es ersterben läßt! Die Unmöglichkeit besänftigt die wildesten Wünsche. An Klostermauern scheitert der äußere Reiz. Anfangs werde ich selig darüber sein; dann wird eine Zeit der Verzweiflung kommen, wo meine unbändige Natur sich gegen den Zwang auflehnt; endlich aber legen sich Kämpfe und Stürme, der Friede kommt, die Ruhe in Gott!«

»Die Ruhe im Grabe!« rief ich.

»Mein geliebter Mario,« flehte sie, »gönne mir ein wenig, nur ein ganz wenig Ruhe diesseits des Grabes! Wenn Du wüßtest, Herz, wie müde ich bin, nicht des Lebens, nicht der Liebe, aber vom Leben und Lieben, so führtest Du mich selbst auf einen andern Weg!«

»Du schlägst einen falschen ein,« sagte ich, »denn Du willst allen Deinen Pflichten treulos werden. Hast Du nicht vor Gott gelobt, in Not und Tod bei mir auszuharren? Hast Du nicht die Kindheit Deines Sohnes zu bewachen und seine Jugend zu leiten? Hast Du nicht den Genius zu pflegen, diese Gabe, himmlisch wie keine, weil sie für Andere eine Stimme des Trostes, der Wahrheit, der Kraft wird?«

»Ach,« unterbrach sie mich, »Du glaubst noch an meinen Genius, mein armer Mario, und ich erreiche, was ich auch schaffen möge, nie das, was ich gewollt. Am letzten Schöpfungstage sah Gott, daß es gut war. Die Menschen sprechen, der Genius mache gottähnlich, denn aus dem Nichts bilde er Wunder und Welten; so müßte ich denn doch auch sehen, daß es gut ist, und mich ausruhen in diesem Bewußtsein.«

»Faustine,« rief ich, »vergiß nicht, daß die Dornenkrone untrennbar vom Strahlenkranz ist! Die tiefsten Schmerzen haben den höchsten Genius geboren. Wer auferstehen will, muß sich ans Kreuz schlagen lassen. Wer gen Himmel fahren will, muß die Höllenfahrt nicht scheuen. Mit welchem Recht willst Du bequem nur die Glanzseiten genießen?«

Diese und ähnliche Vorstellungen hatten den Erfolg, daß sie sich mit gewaltiger Kraft emporriß, und in einem Augenblicke göttlicher Begeisterung den »Moses« schrieb, dies Gedicht, das die brennende Farbenpracht und die mystische Tiefe des Morgenlandes gleichsam abkühlt und aufklärt in den Kristallfluten ihrer Andacht, Sehnsucht und Schwärmerei. Ueber die Erhabenheit der Gedanken, über die Weltumfassung der Anschauungen, über den lyrischen Schwung der Darstellung breitet die Melancholie ihrer Seele einen duftigen, bläulich dämmernden Hauch, wie er in Kirchen schwebt, halb Weihraucharom, halb gedämpftes Sonnenlicht. So hat sie mit einem glorreichen Schwanengesang von der Welt Abschied genommen. Solange sie daran arbeitete, und bis sie das Manuskript zum Druck nach Deutschland schickte, war sie fast so lebendig, so angeregt, so frisch wie in ihrer besten Zeit. Nachdem es fort war, sank sie zusammen. Der Erfolg war ihr gleichgültig.

»Ich habe mich erschöpft,« sagte sie. »Höheres kann ich nicht, Geringeres mag ich nicht leisten. Ich habe das Meine getan! Nun ist es genug für die Welt! Nun muß ich gehen, mein geliebter Mario, und wie die alten Einsiedler einzig mit Gott verkehren. Ich scheide nicht gleich einer büßenden Magdalena; ich glaube nicht, im Staub und in der Asche mit blutigen Kasteiungen das gutmachen zu müssen, was ich gefehlt habe. Ich will nur Auge und Seele unmittelbar in Anschauung Gottes versenken, statt ihn wie bisher in seinen Werken und Geschöpfen zu lieben und zu verherrlichen, und statt mich durch das Sichtbare an das Unsichtbare, durch das Vergängliche an das Ewige gemahnen zu lassen.«

Ich erinnerte sie an Bonaventura und an das Glück, auf das sie durch die Trennung von ihm verzichte. Mit einer Glut und Innigkeit, die mich vor dem Gedanken zittern machten, daß all diese Flammen unter dem Schleier lodern sollten, verlodern oder verzehrend sich nach innen wenden, rief sie:

»Die Trennung von Dir überwiegt jede andere! Dich nicht zu sehen, nicht mit Dir die Gedanken auszutauschen, nicht vor Dir die Seele hinzubreiten, nicht für Dich Sonnen, Sterne und Flammen funkeln lassen, nicht im Liebesglanze Deiner Augen das Herz zu baden, Mario, Mario, das ist ein wahnsinniger Schmerz, den ich nicht überwinden könnte, wenn ich nicht glaubte, ein Opfer bringen zu müssen.«

»Aber Du opferst mich!« rief ich.

»Nicht Dich, nicht mich, sondern uns!« erwiderte sie. Sie hielt nach ihrer anmutigen Art meinen Kopf zwischen ihren Händen und sah mich an mit ihrem seltsam zauberhaften Blick, dem kein Mann widerstehen konnte. Er glitt in die Seele wie ein langsamer Blitz, alles zerschmelzend und versengend.

Ich hatte ihr oft gesagt, sie brauche nicht für einen dereinstigen Platz im Himmel zu sorgen, sondern nur den heiligen Petrus mit diesem Blick anzuschauen; er werde ihr alsbald die Pforte öffnen. Mich überfiel die unermeßliche Größe des drohenden Verlustes, und ich sprach mit harter Bitterkeit:

»Und was willst Du denn eigentlich werden? Graue Schwester etwa? Du, deren Nerven beim Anblick einer Verstümmelung beben, die Dich die dicke Luft eines Krankenzimmers ohnmächtig macht! Oder Ursulinerin, die kleinen Kindern das Buchstabieren und das Einmaleins beibringt? Du, die Du ungeduldig wirst, wenn Deine raschen Worte und Gedanken nicht schnell genug Verständnis und Antwort finden!«

Sanft und demütig antwortete sie: »Nein, Herz, die irdische Geschäftigkeit war nie mein Gebiet. Du hast ganz recht, darin bin ich ungeschickt. Ich bedarf eines ganz abgeschiedenen und beschaulichen Lebens: heilige Bücher lesen, Psalmen dichten, die Orgel spielen, viel, viel beten! Ich finde, was ich brauche, bei den Vive sepolte

Die Vive sepolte. Schon der Name macht mich schaudern.

Ich besuchte den Pater Gerolamo und erzählte ihm genau alles, wie sich Faustine über ihr Vorhaben zu mir geäußert hatte, und er versicherte, daß sie geradeso auch zu ihm rede und sich durch die Einwürfe nicht stören lasse, die er ihr anfangs gemacht.

»Es ist eine Berufung, Signor,« sprach er gelassen und überzeugt.

Faustine war in ihrem Entschluß so fest und sicher, daß ihre Ruhe zuweilen auf mich überging und mich ihr Glück, wie sie es nun einmal begriff, hoffen ließ, ganz fern, ganz leise. Daß das meine in Trümmer ging, bekümmerte mich am wenigsten, und ich zürnte ihr nicht, weil sie nicht darauf Rücksicht nahm. Ich sagte mir, ich hätte auf wundersame Schicksale gefaßt sein müssen von dem Augenblick an, wo ich Faustinen in mein Leben verwebt; denn unbeseligt und unverwundet bleibe keiner im Verkehr mit solch einem Wesen. Die Schöpfung habe für außerordentliche Geschöpfe auch außerordentliche Heimsuchungen und Entwickelungen, und Faustine, die sich nie in hysterische Religionsschwärmerei verloren, möge wirklich im Gefühl der Unzulänglichkeit menschlichen Glückes, prophetisch, eine bessere Zukunft für sich wahrnehmen. Selber voll Ueberschwenglichkeit wiederhole ich mir, ein Herz wie das ihre könne an keinem Menschenherzen Genüge haben und nur von Gott als dem Herzen des Alls erfüllt werden. Ich ersann mir erhabene Tröstungen und gab meine Einwilligung.

Der Papst löste unsre Ehe und erteilte Faustinen die Erlaubnis, ohne Noviziat den Schleier bei den Vive sepolte in Rom nehmen zu dürfen. Sie schritt der Erfüllung ihres Schicksals entgegen, zuversichtlich, hoffnungsreich. Sie ging, wie Moses, einsam auf die Höhe des Nebo, um hinüber zu schauen in das ersehnte Kanaan.

Kein Wort, keine Silbe von den Verzweiflungen des Abschieds und der letzten Trennung! Es gibt Geister, die dem Magus überlegen sind und ihn töten, wenn er sie hervorruft. Ich war Zeuge ihrer Einkleidung. Bis zum letzten Augenblick wollte ich sie sehen! Kein weltliches Auge sollte länger als das meine auf ihr ruhen!

Die schönen Locken fielen; der Schleier sank über die holde Gestalt, das begeisterte Antlitz, die glühende Brust. Die Sonne meines Lebens versank in Wolken! Ach wenn nur ihr eine neue Morgenröte gedämmert hätte! Aber nein, nein, und tausendmal nein! Denn sie ist tot, Gräfin! Sie wissen es ja, vor fünf Monaten ist sie gestorben, kaum anderthalb Jahr nach ihrer Einkleidung.

Der Beichtvater ihres Klosters schrieb mir, sie sei an kurzer Krankheit gottselig verschieden, und der Bischof des Klosters, ein Kardinal in Rom, den ich wohl kannte, schrieb dasselbe und viel Lobpreisungen ihrer Demut, ihrer Milde, ihrer Frömmigkeit dazu. Das sollte mich trösten, meinten sie; mich trösten dafür, daß sie nicht an jener kurzen Krankheit, sondern am langen Gram, an der bitteren Enttäuschung, vielleicht an der zernagenden Reue gestorben ist. Denn die Überzeugung ist unerschütterlich in mir: zum dritten Stadium des Klosterlebens, das sie einst mir beschrieb, ist sie nicht gelangt; das zweite hat sie aufgerieben. Sie hat sich die Flügel im Käfig wund geschlagen und ist daran verblutet. Sie hat zu spät eingesehen, daß unser Leben nichts ist als der Hinblick nach dem verheißenen Lande. Sie hat ihre herrliche Natur in dumpfer Trostlosigkeit zu Ende gehen lassen und ihren Irrtum mit dem Tode gebüßt!

Ruhe Dir, Du ruheloses Herz!

Von mir habe ich nichts zu sagen! Sie werden fühlen, daß seit meiner Trennung von ihr die Sonne mir kälter ist, die Nacht länger, mein Auge trüber, meine Bewegung schwerer, mein Gedanke langsamer; daß mir die jubelnde Freude am Leben, an der Natur, an der Kunst erstorben ist, weil sie alles das nicht mehr durchgeistet; daß mir zumute ist, als könne mein Herz seine bei ihr gelernten Pendelschwingungen nicht ausschwingen. Jetzt ruft mich der kürzlich erfolgte Tod meines herrlichen Vaters nach Deutschland. Ja, tot ist der Mann, den ich am meisten verehrt habe, tot das Weib, das ich einzig geliebt habe! Aber der Gegenstand meiner süßesten Hoffnungen lebt, blickt mit Faustinens Auge, spricht mit ihrer Stimme, liebt mit ihrer Glut, ist ihr Vermächtnis und mein einziges Kind.


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