Ida Gräfin Hahn-Hahn
Faustine
Ida Gräfin Hahn-Hahn

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XIII

»Endlich!« sagte Mario, als er am nächsten Tage vor Faustinen stand.

»Gerade zu rechter Zeit!« sagte Faustine.

Beider Blicke begegneten sich und sanken ineinander wie zwei gefaltete Hände. Er fühlte, daß die ungekannte Königin seiner Seele ihm nahe war. Er sprach ungewöhnlich wenig; er ließ Feldern reden, und Kirchberg, den er schon vorfand, und Klemens, der später kam, und sie, die allein für ihn mit süßer Melodie und nicht mit Schellengeklingel redete. Und wenn sie es tat, so sah er sie an mit einer Befriedigung, als habe er durch ein glückseliges Ohngefähr die Lösung eines seltsamen Problems gefunden.

Klemens sah sie an mit gespannter Unruhe, mit leidenschaftlicher Angst, ob ihr Auge länger, lieber auf einem andern Gegenstande ruhe; Mario, als wolle er seinen Blick zu einem Teppich machen, der ihr zartes traumähnliches Wesen ungefährdet und unverletzt tragen dürfe. Heute, bei hellem Tageslicht und in der Nähe, kam sie ihm nicht so blendend vor wie im Salon von Frau von Eilau, nicht so majestätisch wie auf der Terrasse. Das eigene Heim gab ihr einen Anstrich von traulicher Häuslichkeit. Sie selbst und alles um sie her war so friedlich, so bequem. Kein Fußtritt war auf dem starken Teppich zu hören; tiefdunkelrote Vorhänge fielen lang über die Fenster herab, verhüllten die Aussicht auf Schnee und Reif, fingen den matten Strahl der Wintersonne auf und gaben ihm eine glühendere Färbung. Die Tür nach einem zweiten Zimmer war geöffnet; auch dort dieselbe blaßgraue Tapete, derselbe Teppich, dieselben dunkelroten Vorhänge. Diese gleichmäßige Farbenstimmung tat dem Auge und dadurch auch der Seele wohl. Es war nur alles so schnurgerade verschieden von dem, was man sonst zu erblicken pflegt. Ein Gemälde hing im ersten Zimmer, auch eins von denen, die man nicht häufig sieht. Es war eine sehr gelungene Kopie vom Tizianischen Christus mit dem Zinsgroschen, aus der Dresdner Galerie.

Klemens fragte, ob sie es gemalt.

»Nein,« erwiderte sie, »ich kann nicht kopieren. Ich tue vorschnell stets etwas von dem Meinigen hinzu, und das wäre doch jammerschade um dies himmlische Bild gewesen.«

»Keines von allen auf der ganzen Galerie hat mich so angezogen wie dieses Bild,« sagte Mario, »und überhaupt niemals habe ich einen Christus gesehen, der mit seinem feinen, durchschmerzten, edlen und so überaus geistreichen Gesicht mehr der Idee entsprochen hätte, mit der ich ihn verkörpere.«

»Das freut mich!« rief Faustine. »Es teilen gar wenige meine Vorliebe. Ini allgemeinen finden die Christusbilder von Guido Reni, Carlo Dolce und Bellini mehr Beifall. Es kommt immer auf die Vorstellung an, die wir selbst davon mitbringen. Mir scheint, Himmel und Erde sind wohl nie in einem so engen Raum, mit so geringen Mitteln, in so großartiger Einfachheit zusammengebracht worden.«

»Aber können Himmel und Erde sich je so nah kommen wie in diesem Gemälde?« fragte Mengen.

»O, sie sind es ja immer, immer!« rief Faustine lebhaft. »Immer und ganz untrennbar! Aber dennoch so weit geschieden wie Christus und der Pharisäer, wie Himmel und Erde bleiben, wenn sie sich auch in unserm Gesichtskreise vereinigen. Denn nur die Sinne vereinen, und die Seele trennt.«

»Und vereint!«

»Aber einzig und allein das Gleichartige, und das nenne ich Liebe.«

Leichenblässe legte sich bei diesen Worten über Felderns Züge. Er stand auf und ging. Faustine sah Kirchberg fragend an; der machte ein diplomatisch ablehnendes lächelndes Gesicht, und sie erschrak wie jemand, der zuviel gefragt hat. Mengen sah das und sagte ruhig:

»Die Verlobung geht wahrscheinlich zurück, weil die beiden Leute sich durchaus nicht verstehen. Mir war das auf den ersten Blick klar.«

»Man sagt . . .« meinte Kirchberg.

»Das ist nicht war!« rief Faustine.

»Was denn, gnädige Gräfin?« fragte er befremdet.

»Ein Man sagt! ist von Haus aus nicht wahr,« wiederholte sie.

»Wohl möglich, und ich will es wünschen! Indessen sagt man doch, daß eine liaison de bas étage die Heirat unmöglich mache.«

»Kirchberg!« sprach Faustine mit ganz leiser gedämpfter Stimme, und ihre Augen sprühten Funken. »Sagen Sie von einer Frau, was Sie wollen! Es wird schlecht von Ihnen sein, aber es tut nichts. Doch von einem Mädchen, einem schönen jungen Mädchen, – wie wagen Ihre Lippen das! Vor den Frauen habt ihr Männer keinen Respekt mehr, et elles vous le rendent bien! Aber vor den Mädchen habt doch um Gottes willen noch Achtung, denn aus deren Reihen wollt ihr ja eure künftigen Gattinnen, die Mütter eurer Kinder wählen! Ich begreife wirklich nicht, daß ihr vor diesen Geschöpfen nicht das Knie beugt. Es rührt wohl daher, daß sich kein Mann vorstellen kann, was es eigentlich ist: ein Mädchen. Er sieht immer das Unvollendete, das Unentwickelte darin; ich sehe das Unangetastete. Ach, ich wollte, alle Mädchen stürben in ihrem achtzehnten Jahre.«

»Dieser Wunsch findet wohl keinen Anklang bei den jungen Damen,« entgegnen Kirchberg lachend.

»Ich meinte nicht die jungen Damen. Die können meinetwegen leben, bis sie alte Damen werden,« sagte Faustine, »sondern die Mädchen.«

»Ich finde da in der Tat keinen Unterschied.«

»Keinen Unterschied!« rief Faustine, in höchster Verwunderung die Hände zusammenschlagend. »Bester Walldorf, Graf Mengen, weiß wirklich keiner der Herren den Unterschied zwischen einem Mädchen und einer jungen Dame?«

Klemens starrte Faustinen unverwandt und stumm an; ihm waren alle Frauen der Welt so gleichgültig, daß er nur zwischen ihnen und ihr einen Unterschied machte. Auch war er gar nicht gewöhnt an diese Art der Unterhaltung. Er verhielt sich untätig. Er verstand nicht, in Faustinens zwischen Ernst und Scherz schwebendes Wesen einzugehen; er wollte ihr immer in allem Ernst sein Herz sagen, sonst aber nichts.

Mengen hingegen war hierbei recht in seinem Elemente. Als sich Faustine zu ihm wandte, sagte er:

»Das Mädchen ist ein frisch vom Himmel herabgeflatterter Engel; er wird gern zur Heimat wieder auffliegen. Die junge Dame ist bereits auf der Erde etwas in die Schule gegangen, hat ihre schneeweißen Schwingen im Salon zusammenfalten gelernt, damit sie niemanden belästigen, und wünscht wohl die ganze Schulzeit durchzumachen.«

»Nun, das ist doch etwas!« entgegnete Faustine. »Die Herren mögen sich bei Graf Mengen bedanken, daß er sie vom Verdacht der Blindheit freispricht.«

»Wir sind gar nicht blind,« sagte Klemens. »Wir mögen nur nicht sehen, was uns nicht angeht.«

»Wirklich?« fragte Faustine. »Ich meinte, nur Frauen wären so einseitig; Männer aber betrachteten und bedächten alles, was ihnen vorkommt, um über alles ein Urteil zu haben. Darum sind sie ja eben so unerhört langweilig.«

»Darum?« sagte Mario lachend.

»Freilich! So unfrisch, so gleichgültig, so ohne Meinungen, die ihnen wie Blut in den Adern pulsieren! Denn was gibt es zu sagen über Dinge, die dem innersten Wesen fremd bleiben? Gemeinplätze, gelehrte Vermutungen, vage Theorien, Spitzfindigkeiten, das ganze Gepäck des exerzierenden Soldaten. Verstand! Wir aber ziehen als echte Krieger ohne alles Gepäck in die Schlacht und kämpfen begeistert.«

»O gnädige Gräfin,« rief Mario, »die Begeisterung ist dem Manne doch viel eigentümlicher als dem Weibe! Ich nenne nicht die augenblickliche Überspannung, die Leib und Leben, Seele und Seligkeit wagen und opfern läßt, allein Begeisterung, sondern auch festes Beharren, unverbrüchliche Richtung, ausdauerndes Handeln in einem und demselben Sinne, für eine und dieselbe Idee, mit einer und derselben Wärme und Kraft.«

»Das ist Charakter!« sagte Faustine.

»Aber was nährt den Charakter, wenn nicht Begeisterung? Welch ein dürres, unerquickliches, unwirksames Wesen wird daraus, wenn der Charakter nur wie ein Maultier immer vorwärts trabt und seine Last über das Gebirge fortschafft. Ohne Freudigkeit am einmal Erfaßten, ohne Andacht zu ihm, ohne Befriedigung in ihm, ohne Triumph mit ihm – ward nie etwas Großes geleistet, und was ist der Kern dieser Empfindungen, wenn nicht Begeisterung? Was ist der Pulsschlag, der ihnen Leben zuströmt, wenn nicht Begeisterung? Begeisterung ist der elektrische Schlag, der die Kette des Daseins durchströmt, und die Geschichte beweist, daß nur Männer ihn empfangen.«

»Nur Männer?« unterbrach Faustine. »Und die Prophetinnen der Hebräer und die todverlachenden Römerinnen und die Priesterinnen der Germanen und die Heldinnen von Saragossa?«

»Die Richtung nehme ich aus. Wo das Herz des Weibes getroffen wird, wo die Liebe es berührt, sei es ausschließlich für einen Menschen oder für das Vaterland oder für Gott, da schlägt der elektrische Funke ein, da lodert die Begeisterung auf. Aber selbst dann begnügt sich das Weib damit, für das Geliebte zu leiden und zu sterben. Zum Schaffen, zum Handeln, zum Die-Welt-aus-ihren-Fugen-Heben wird das Weib nie angeregt, nie! Wohl verstanden, nie durch Begeisterung. Durch Intrigen, durch Laune, ja, damit belustigt sie sich zuweilen. Noch keiner Frau ist es eingefallen, den Geliebten unsterblich zu machen, wie Petrarka die Laura und Dante die Beatrice. Sie beherrschen nicht einmal die Kunst, viel weniger die Wissenschaft! Die Frau soll noch geboren werden, die imstande ist, sich für eine reine Idee zu begeistern bis zum gelassenen Erdulden von Kerker und Verfolgung, wie zum Beispiel Galilei mit seinem eppur si muove! Ein weiblicher Sokrates läßt sich nun vollends gar nicht denken.«

»Doch war die schöne und weise Hypatia, die unter Kaiser Theodosius II. einen Lehrstuhl zu Alexandrien einnahm, wie Sokrates Lehrer der Jugend; und gleich ihm fand sie den Märtyrertod, den ihres Ruhms und ihrer Wissenschaft neidische Feinde über sie verhängten. Übrigens, da Männer die Geschichte schreiben, und da die Geschichte sich überhaupt mehr mit Darstellung der Tatsachen als mit Entwicklung der Beweggründe beschäftigt, kann niemand wissen, ob nicht, während ein Dutzend Männer auf der Lebensbühne gewirkt und gehandelt, eine Frau im Souffleurkasten ihnen ihre Rolle vorspricht.«

»Davon bin ich überzeugt,« entgegnete Mario, »die Frauen haben grenzenlosen Einfluß auf uns. Wo ein Mann zugrunde gerichtet ward, trug gewiß eine Frau die erste Schuld.«

»Graf Mengen!« rief Faustine. »Sie sind unerhört parteiisch für Ihr Geschlecht! Ganz der nämliche Vorwurf läßt sich umkehren und bleibt ebenso wahr.«

»Aber der zugrunde gerichtete und gesunkene Mann kann durch eine Frau erhoben und gebessert werden. Läßt sich diese Behauptung auch umkehren?«

»Ich glaube kaum. Die gesunkene Frau steht nicht wieder auf. Ein böser Mann verdirbt so gründlich, daß ein guter nicht mehr retten kann. Unser Einfluß aber ist stärker im Guten als im Bösen.«

Klemens, der immer ruhig zugehört, hob jetzt an: »Keineswegs! Wenn Sie mir befehlen, den einen aus dem Wasser zu holen und den andern ins Wasser zu werfen, so tue ich beides mit gleichem Vergnügen.«

»Gott behüte mich vor einem so blind ergebenen Freund!« rief Faustine. »Auf Menschen Einfluß zu haben, ist Genuß; dabei kommt es doch auf meine Eigentümlichkeit an. Aber eine willen- und gedankenlose Maschine kann jeder lenken. Ich sage mich Ihnen gegenüber von allem Einfluß los und ledig.«

»Sie üben ihn unwillkürlich.«

»Ich will aber nicht!« sagte sie und kreuzte ihre Arme über der Brust, als wickle sie sich in sich selbst zusammen, um niemanden zu berühren, wie man wohl tut, wenn man im Gedränge von Menschen steht oder geht.

Mario fühlte, daß es Zeit sei zu gehen. Es kam ihm zudringlich vor, den ersten Besuch über die Gebühr auszudehnen. Er dachte heimlich: »Wenn sie nur schwiege; wenn sie sich nur nicht bewegte; wenn sie nur überhaupt gar nicht sie wäre, so würde ich ja sehr gern gehen.«

Kirchberg war längst fort. Nun ging auch Klemens. Da überwand sich Mengen und stand auf. Er sagte nur noch:

»Feldern hat mir vor längerer Zeit einmal gesagt, Sie wären zu beschäftigt mit Ihrer Kunst, um Freude am geselligen Umgang zu finden, und als ich fragte, was Sie malten, entgegnete er: Bäume. Wollen Sie die Gnade haben, mich einmal diese Bäume sehen zu lassen, die Sie so lange verschattet haben?«

Faustine lachte. »Bäume, sagt Feldern, hätte ich gemalt? Das ist doch drollig, nur Bäume auf meinen beiden Bildern zu sehen! Wenn Sie morgens kommen wollen, werde ich sie Ihnen zeigen.«

»Morgen?« verwandelte Mario ihr Wort.

»O ja, morgen.«

Er schied ebenso beglückt, wie Klemens verdrießlich, und Faustine dachte: »Ein angenehmer Mann! Warum habe ich ihn nicht früher kennen gelernt? Ich habe es meinem Hang zum Alleinsein zu danken. Das taugt nie etwas!«


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