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Feldern ritt auf der öden beschneiten Heeresstraße den wohlbekannten Weg zu der Braut. Im Hause begegnete er zuerst dem Vater und fragte hastig nach Kunigunden.
»Es geht nicht besser,« sagte der alte Mann wehmütig, und eine zerdrückte Träne machte sein sonst nichtssagendes Auge beinahe schön. »Kommen Sie zu ihr!«
Er brachte ihn vor ihr kleines enges, schmuckloses, nonnenhaftes Zimmer. Da saß Kunigunde vor einem Tischchen und las in der Bibel. Er ging voran.
»Wie geht es dir, mein Kind?« fragte Herr von Stein und legte zärtlich seine Hand unter das Kinn seiner Tochter.
»Gut, mein lieber Vater!« antwortete sie, die Hand küssend.
»Nicht wahr, du stirbst mir nicht, mein frommes, mein bestes Kind?«
Er streichelte ihre Wangen, ihre Stirn, ihr Haar.
»Nein, mein lieber Vater,« erwiderte sie, mit wehmütiger Zärtlichkeit zu ihm aufblickend.
Als er aber sagte: »Feldern ist auch da. Darf er kommen?« da glitt ein Schauer über ihr mildes Gesicht, ein Krampf, ein Grauen.
»Ja,« gab sie zur Antwort.
Der Vater ließ das Paar allein.
»Nun, Kunigunde!« sagte Feldern und setzte sich ihr gegenüber.
»Guten Abend, mein lieber Feldern!« war alles, was sie vorbrachte. Ihre Brust hob sich in unbeschreiblicher Beängstigung.
»Haben Sie mir weiter nichts zu sagen? Können Sie kein Vertrauen zu mir fassen? Reden Sie doch nur, aber mit einem einzigen Grund.«
»Ich habe mich müde geredet! Und einen Grund habe ich nicht.«
»So beharren Sie also darin aus Eigensinn, aus Laune, mich fortzuweisen, mich – Ihren treuen, erprobten und bewährten Freund, den Sie Jahre lang als Ihren künftigen Gatten betrachtet haben?«
»Keine Laune, o Gott!« seufzte Kunigunde und rang die Hände.
»Nun, liebe Kunigunde, so sprechen Sie nur das Warum aus! Sobald ich weiß, was zwischen uns liegt, will ich es ändern, vermeiden oder auch ganz Sie aufgeben. So aber kommt es mir wie eine Geistesbefangenheit, wie eine Krankheit vor, die über kurz oder lang weichen wird, und der ich unmöglich mein Glück, meine Zukunft und vielleicht die Ihre – opfern kann.«
»Sie sprechen so gut, so verständig, daß ich Sie ganz und gar begreife. Besser Sie begreife, als mich selbst! Denn ein Warum kann ich Ihnen nicht sagen. Aber heiraten kann ich Sie auch nicht.«
»Dann ist es nicht anders möglich als, daß Sie einen Anderen lieben.«
»Ihre fixe Idee, die ich schon hundertmal verneint habe.«
»Einen Anderen, dessen Sie sich schämen, der Ihrer unwürdig ist . . . .«
»Ist es denn eine solche Schmach zu lieben, daß ich den Mann, den ich liebte, nicht einmal meiner würdig achten sollte?«
»Weshalb nennen Sie ihn denn nicht?«
»Weil ich keinen liebe!«
Feldern stand mit heftiger Ungeduld auf und ging im Zimmerchen hin und her. Endlich blieb er vor Kunigunden stehen und fragte scharf:
»Wen wollen Sie heiraten?«
»Niemanden!« erwiderte Kunigunde und sah ihn befremdet an. »Das wissen Sie ja. Wollte ich heiraten, so könnte ich gewiß am leichtesten Sie heiraten, den ich achte, den ich kenne, der brav, treu und rechtschaffen ist, der mich herzlich lieb hat . . . .«
»Kunigunde!« rief Feldern zärtlich, legte den Arm um ihre Schulter und bog sich herab. Doch sein Kuß streifte nur ihre Wange, denn sie wandte den Kopf, schloß die Augen und sagte mit zitternder Angst:
»Erbarmen!«
Tief gekränkt ließ Feldern den Arm sinken. Er sagte, verletzt und hart:
»In Ihrem Benehmen liegt Lüge und Wahnsinn!«
»Keine Lüge! Jedes Wort ist reine Wahrheit. Ich heuchle keine Achtung, kein Vertrauen zu Ihnen. Ich hege es wirklich. Darum habe ich den Mut gefaßt, Sie zu bitten, mein Wort zu lösen.«
»Das ist aber, – wenn nicht Wahnsinn, doch Verschrobenheit. Überspannung, Sentimentalität! Was wollen Sie denn? Etwa katholisch und Nonne werden? Die religiöse Schwärmerei verrückt zuweilen die klarsten Köpfe.«
»Ich mag nicht Nonne werden. Niemals!« rief Kunigunde, und ein frischer rosiger Hauch des Lebens überstreifte ihr Antlitz und machte es so schön, daß Feldern trotz seines Unmutes bewundernd und lächelnd sagte:
»Es wäre auch schade. wenn Sie den Klosterberuf hätten! Aber was soll denn eigentlich aus Ihnen werden, Kunigunde?«
»Was Gott will!«
Sie faltete die Hände, legte sie auf die Bibel und neigte das Haupt.
»Aber wie soll sein Wille sich Ihnen offenbaren, wenn Sie verstockt sind und auf Wunsch, Rat, Bitte Ihrer besten Freunde nicht hören?«
»Meiner besten Freunde? Ja, das ist es eben! Ich habe gar keine Freunde!«
»Ihre Eltern . . . . mich . . . .«
»Ja, Sie, mein lieber Feldern, Sie sind wirklich mein Freund; und es ist gar zu traurig, daß diese Angelegenheit Sie selbst zu nahe betrifft, um ganz unbefangen zu sein. Und meine Eltern? Ach mein armer harmloser Vater! Der grämt sich um mich, der möchte alle Welt fröhlich wissen, seine Lieben zuerst. Darum tut er ja alles, was die Mutter will. Und meine Mutter ist eine kluge Frau, und auch eine gute Frau! Sie meint es gewiß gut mit uns allen, auch mit mir. Sie spricht, ich sei arm, und was ich denn weiter wolle als einen braven Mann; und so lange ich im Elternhause weile, hindere ich die Versorgung meiner Schwestern, da ich die schönste von ihnen und deshalb die begehrteste sei . . . . Sonst aber habe ich keine Freunde und weiß auch niemanden, den ich mir zum Freunde wünschte, als . . . .«
»Nun als?« fragte Feldern gespannt. Und da sie schwieg: »Graf Mengen etwa?«
»Wen?« sagte Kunigunde zerstreut.
»Graf Mengen der im Spätsommer mit mir einmal hier war?«
»Ach nein! Keinen Mann. Eine Frau, eine himmlische wunderbare Frau, der Sie mich im vorigen Winter auf dem Maskenball vorgestellt haben: die Gräfin Obernau. Ich habe sie nur das einzige Mal gesehen, aber ich kann sie gar nicht vergessen! Wie sie ansah und aussah, wie sie ging und stand, wie sie sprach und lächelte, immer fiel mir das Mädchen aus der Fremde ein, und ob ich nicht auch eine arme Hirtin sein könne, der sie eine Gabe brächte.«
»Liebe Kunigunde, Sie sind wirklich ein wenig sentimental! Das Liebesgefühl lebt in Ihrem Herzen, aber es scheint Ihnen zarter, überirdischer, engelhafter, eine Freundin zu lieben als einen Freund, und so quälen Sie sich und mich. Die Gräfin Obernau ist zwar eine äußerst anmutige Person, aber da nicht jeder die Kraft und die Selbständigkeit hat, so frei das Leben zu beherrschen, so dürfte sie nicht als Richtschnur für allgemeine Verhältnisse dienen.«
»Das begehre ich nicht. Ich wünschte nur, daß sie mich liebte. Wünschen Sie das nicht auch für sich?«
»Ganz und gar nicht, obschon es sehr angenehm ist, mit ihr zu leben. Möchten Sie bisweilen sie besuchen, so will ich sie darum bitten. Sie erlaubt es gern. Die Eintönigkeit und Einsamkeit Ihres Lebens hier mag wohl Ihre Nerven abspannen. Vielleicht tut sanfte Zerstreung, ohne Lärm, ohne Geräusch, Ihnen gut. Teure Kunigunde, ich möchte Sie so gern genesen und glücklich sehen.«
Kunigunde gab ihm dankbar die Hand, froh der Aussicht, die er vor ihr eröffnete. Sie wußte nichts Bestimmtes davon zu hoffen; deshalb war ihr, als ginge sie dadurch ihrem Glück entgegen, ihrer Befreiung, ihrer Erlösung. Ihr schönes Gesicht, das durch lange reine Schmerzen unaussprechlichen Adel hatte, lichtete sich an der Hoffnung auf wie eine frierende Blume am Sonnenstrahl. Freundlicher als seit Monaten schieden die Verlobten.
Feldern dachte: »Faustine hat zwar wunderliche und etwas unanwendbare Ansichten von den geselligen und bürgerlichen Verhältnissen, aber niemand ist weniger rührselig denn sie. Kunigundens Überspannung wird in ihrer klaren Geisteswelt weichen; und ist sie nur erst gewichen, so bin ich ja des Mädchens gewiß, das für keinen andern Neigung gefaßt hat, sondern nur überhaupt ruhiger, kühler Art ist. Das werden die besten Frauen, – Frauen, auf die man sich verlassen kann, ohne Schwankungen, ohne besorgniserregende Gewohnheiten, – Frauen, die den Mann nie hinreißen und ihm stets gefallen. Solch eine Faustine entzückt, aber wer hat den Mut, sie zu heiraten? Nicht einmal Andlau. Weibern gegenüber, die immer wie in einem Regen von Brillantfeuer stehen, kommt man sich so dunkel, so unterlegen, so dumm vor, daß ungeheure Selbstverleugnung dazu gehört, sie zu lieben. Vielleicht aber liegt in ihrer Liebe Lohn für diese Demütigung. Der starke Mann fürchtet nicht zu der Geliebten emporzublicken; er fühlt die Kraft in sich, mit einem Schwung ihr zur Seite zu stehen. Der eitle und schwache Mann hält sie gern in seiner Höhe; er fürchtet die Überstrahlung und fühlt nicht die Kraft, ein Gegengewicht in die Schale zu werfen.«