Ida Gräfin Hahn-Hahn
Faustine
Ida Gräfin Hahn-Hahn

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XXII

Nachdem Klemens vergeblich einige Zeit auf und ab gerannt, entschloß er sich nach einigen Stunden, Faustinen seinen Besuch zu machen, unbefangen, gleichmütig, als sei nichts vorgefallen, und es darauf ankommen zu lassen, wie sie ihn empfangen werde. »Gott,« dachte er, »wenn sie nur diesen Mengen nicht liebte! Der macht sie gleichgültig gegen mich! In Oberwalldorf war sie anders, nicht anders gegen mich, nicht freundlicher, aber dort konnte ich nicht glauben, daß sie für irgendeinen Mann – Andlau etwa ausgenommen – liebenswürdiger sein könne; ja sogar ihre Empfindungsweise für Andlau kränkte mich nicht so tief, nicht so bitter. Zeit, Treue, Gewohnheit gaben ihm Rechte. Ich weiß ja alles, ich mache mir ja kein Trugbild! Ich verlange ja nichts, als daß sie mir erlaube, mein Herz vor ihr niederzulegen, als daß sie freundlich meine Liebe anlächle, sie dulde! Statt dessen weist sie sie ab, drängt mir das Wort in den Busen zurück oder verdreht es mir auf der Lippe, während sie an diesen Mengen ihre Liebe verschwendet. Der Teufel mag wissen, in welchem Grade!«

Durch solche und ähnliche Vorstellungen regte er seinen Zorn und seine Leidenschaft dermaßen auf, daß er halb vernichtet bei Faustinen eintrat und keines Wortes mächtig neben ihr auf das Sofa sank.

Sie wähnte wie Mario vorhin, die Erinnerung an seine Ungezogenheit quäle ihn, und dadurch ward sie in ihrem Vorsatz, den gestrigen Vorfall gänzlich zu übersehen, noch mehr bestärkt. Sie frühstückte, denn Klemens, dem die Sekunden zu Ewigkeiten wurden, hatte sich in den Stunden verirrt.

»Brav, daß Sie so früh kommen! Ich fürchtete schon, Sie würden mir meine gestrige Abtrünnigkeit nicht ganz verziehen haben. Das kam aber so . . . .«

Sie erzählte ihm, wodurch sie gestört worden sei, und dann vom Ball, der elegant und unterhaltend gewesen, und dann, daß Mengen sie heut im Eisschlitten fahren wolle. Alles so schlicht, so natürlich, wie die Unbefangenheit, und freundlich, wie die Güte es tut, die einen andern aus peinlicher Lage befreien möchte. Doch Klemens in seinem aufgeregten Zustand war nicht dafür empfänglich. Er sah nur eine geschickte Heuchelei. Das überwältigte ihn. Er schlug verzweiflungsvoll die Hände vor das Gesicht.

Die erste Bewegung Faustinens war, mißtrauisch von ihm wegzurücken. Doch besann sie sich, daß er unmöglich morgens um zehn Uhr im Rausch sein könne, und seine starke Erregtheit auf Rechnung seiner Beschämung schreibend, faßte sie sich, blieb neben ihm sitzen, zog seine Rechte von seinem Gesicht herab und sagte:

»Guter Klemens, beruhigen Sie sich!«

Da blickte er sie an, schüttelte den Kopf und rief:

»Aber Sie strafen ja den lieben Gott Lügen! Ja ja,« fuhr er fort, als Faustine tödlich erschreckt ihn sprachlos ansah, »jetzt fällt die Maske! Doch, wenn man nichts ahnt, nichts weiß, und nur Ihr Gesicht sieht, so würde jeder meinen, der liebe Gott habe seinen Lieblingsengel auf die Welt geschickt, um die Menschen von ihm zu grüßen; und vielleicht ist das auch seine Absicht mit Ihnen gewesen. Aber dies himmlische Antlitz lügt! Es wohnt nichts dahinter – als ein lügenhaftes Weib.«

Faustine erhob sich. Sie stand vor Klemens so hoch, so groß als sei sie plötzlich um einen Fuß gewachsen. Kalt und befehlend zeigte sie mit der ausgestreckten Rechten nach der Eingangstür, und ohne Klemens eines Blickes zu würdigen schritt sie königlich stolz aus dem Salon in ihr Zimmer und verschmähte es, die Tür hinter sich zu schließen.

Sie setzte sich an ihren Schreibtisch, legte den Kopf in beide Hände, um sich zu besinnen, ob Klemens verrückt oder betrunken, krank oder unverschämt sei, brachte es nicht heraus, und schrieb, um sich zu zerstreuen, ein paar herzliche Zeilen an Kunigunde, als Antwort auf ihren gestrigen Brief.

So war eine Viertelstunde verflossen. Klemens saß noch immer regungslos auf dem Sofa. Er bereute sein Benehmen, besonders deshalb, weil er, mit der Tür ins Haus fallend, Faustinen Waffen in die Hand gegeben. Darum hob er ganz demütig an:

»Ich bin noch hier, Gräfin Faustine.«

»Wider meinen Willen, Herr von Walldorf,« sprach sie eisig von ihrem Schreibtisch herüber.

Er stand auf, ging bis zur Schwelle ihres Zimmers und bat:

»Wenn ich ein Verbrecher bin, so geben Sie mir durch die Beantwortung einiger Fragen dreist den Todesstoß!«

»Sie sind ein Wahnsinniger!« sagte sie gelassen und legte die Feder hin.

»Sind Sie nicht heute nacht in Graf Mengens Begleitung nach Hause gekommen?«

»Ja.«

»In seinen Mantel gehüllt?«

»Ja.«

»Warum das?«

»Weil der meine samt meinem Bedienten verschwunden war und noch ist.«

»Ich bitte um Vergebung! Der Mantel ist da. Ich habe ihn vor zwei Stunden gesehen.«

»Wo denn?«

»Wo? Sie fragen? Gräfin, haben Sie in der Tat den Mut zu fragen?«

»Himmel,« rief sie sehr ungeduldig, »hängt er als Wetterfahne an der Katholischen Kirche, oder ist ein neuer Faust auf ihm durch die Luft gefahren? Oder was sonst!«

»Er lag in Graf Mengens Zimmer – auf dessen Bett.«

»Nun das ist mir lieb! Der gute Mengen! So hat er den Ernst aufgefunden. Ich war schon ganz verzagt . . . . Weiter im Examen, Herr von Walldorf! Sie sehen, ich bleibe keine Antwort schuldig.«

»Ich bin zu Ende.«

»Das tut mir leid.«

»Warum?«

»Weil es mir nicht geglückt ist, Ihnen den Todesstreich zu geben, das heißt Ihren wahnsinnigen Hirngespinsten, denn Sie sehen zwar ganz versteinert aus, aber gar nicht klar und verständig.«

»Faustine!« rief Klemens und warf sich ihr zu Füßen. »Haben Sie Mitleid mit mir! Wie kann ich klar sein, wenn die rasendste Leidenschaft, Eifersucht meine Besinnung, mein Urteil verstümmelt, und wenn alle äußern Zeichen mich gräßlich in dem Verdacht bestärken, daß – Mengen glücklicher ist als ich?«

»Das wünsche ich ihm aus tiefster Seele,« sagte Faustine finster.

Klemens fuhr auf und sagte mit hämischer Bitterkeit: »Daran hab ich nie gezweifelt! Ich wußte es . . ., als ich den Mantel bei ihm sah.«

»Verschonen Sie mich mit diesem ewigen Mantel!« rief sie ungeduldig.

»Er muß doch sein, wo die Besitzerin ist – oder war.«

Der tiefe Unmut in Faustinens Zügen ging plötzlich in eine so tiefe Trauer über, daß Klemens wie niedergedonnert abermals zu ihren Füßen hinsank. Sie sagte nur: »Klemens!« – aber es lag ein herzzerschneidender Vorwurf in ihrem leisen zitternden melancholischen Ton.

»Vergebung!« stammelte er mit gerungenen Händen.

»O,« sagte sie, »nicht mich haben Sie am tödlichsten gekränkt: sich selbst, die reine Blüte Ihres Gefühls! Stehen Sie auf, Herr von Walldorf! Gehen Sie! Sie können doch künftig nicht mehr den Mut haben, mir fest ins Auge zu sehen. Unwillkürlich würden Sie es niederschlagen, und einen solchen Menschen kann ich nicht in meiner Nähe dulden. Gehen Sie!«

»Sei gnädig, Faustine!« seufzte Klemens und drückte seine Stirn auf ihre Füße. Doch mit unsäglichem Widerwillen machte sie mit dem Fuß eine abwehrende Bewegung und wiederholte:

»Gehen Sie!«

Und er ging.

Große Tränen quollen aus ihren Augen. Sie blickte mit tiefer Sehnsucht Andlaus Bild an und sagte: »Anastas, mein Freund! Kommst Du denn nie wieder zum Schutz und Schirm für Deine Ini?«

Da hörte sie im Vorzimmer Marios Schritt. Schnell trocknete sie die Augen. Es war vielleicht ihr größter Schmerz, daß sie ihm den Grund ihrer Betrübnis nicht sagen durfte. Das machte sie verdrießlich. Sie empfing ihn nicht eben freundlich, als er mit den Worten eintrat:

»Darf ich für den Sünder Ernst um Gnade bitten?«

»Der ist an allem schuld!« rief sie unmutig.

»Ist Ihnen Unangenehmes widerfahren?« fragte Mario sehr besorgt.

»Nein, gar nichts,« sagte sie verlegen. »Ich meinte nur gestern . . . und dann, wo ist mein Mantel?«

»Aha,« dachte Mario, »Klemens hat bereits geplaudert.« Laut sagte er ruhig:

»Ich habe ihn gestern abend dem weinseligen Ernst abgenommen, um ihn vor den Rauchwolken der Bedientenstube zu schützen. Jetzt hängt er wieder auf dessen Arm.« Dann erzählte er ihr, daß und wie Ernst zu dem Rausch gekommen.

Sie rief:

»Mit Trunkenen habe ich nichts zu schaffen! Den einen habe ich soeben fortgeschickt, und der andere mag auch gehen.«

»Teure Gräfin, möchten Sie nicht über den Vorfall hinweggehen?«

»Nein! Klemens beharrt in einem fortwährenden Rausch, der mir ganz lästig ist, und was ich jetzt von ihm erfahren habe, – die Bestechung meines Dieners, – das trägt nicht dazu bei, ihn in meiner guten Meinung herzustellen.«

»Aber Ernst, der zum ersten Male diesen Fehltritt begangen und ihn mit Tränen bereut hat?«

»Nun, so ermahnen Sie ihn, reden Sie ihm ins Gewissen, nehmen Sie ihm Schwur und Eid ab, liebster Mengen! Ich verstehe mich nicht auf Strafpredigten und behalte ganz gern einen seit Jahren treu ergebenen Diener.«

So vermittelte Mario den Frieden; und bald war es ihm auch gelungen, die Unmutswölkchen aus Faustinens Seele zu verscheuchen, denn sie hatte die reizbare Beweglichkeit eines Kindes, und jeder goldene Apfel eines Gedankens, den man auf ihren Weg warf, hemmte ihren flüchtigen Atalantenlauf. Mario erzählte ihr von einer Heirat, die als eine schauerliche Mißheirat, nicht sowohl des Standes als auch des Alters und aller äußeren Verhältnisse, die Gemüter in Bewegung setze.

»Der Mann ist ein Künstler,« meinte Faustine.

»Aber hoch in Jahren, eine Ruine! Was hilft es der Frau, ihn alle Abend drei Stunden lang glänzend und gefeiert zu sehen, wenn alsbald vor ihren Augen der Nimbus schwindet?«

»O wir sind kapriziös! Drei Stunden täglich den Liebsten bewundert zu sehen, alle Seelen beherrschend, alle Blicke auf sich ziehend, das mag eine große Befriedigung sein.«

»Dann kommt er matt, unschön, abgespannt heim, ein in die Raupenhülle zurückgekrochener Schmetterling . . . .«

»Ach, Bester, die Frau bekommt den Mann sehr häufig in unschöner Gestalt zu sehen, ohne daß er zuvor die Welt entzückt! Und dann glaube ich, daß es fast unmöglich ist, den Zauber zu ergründen, der über dem vertrauten Umgang aller Kunstmenschen schwebt, und daher auch schwer, ihm zu widerstehen, wenn man dafür empfänglich ist. Launen mögen sie haben; heftig, zerstreut, wild mögen sie sein; dennoch besitzen sie eine Wunderkraft, die mit dem allen versöhnt.«

»Es fragt sich doch, ob diese Wunderkraft für das Leben ausreicht. Welcher junge Mann ist nicht einmal in eine Schauspielerin oder Sängerin bis zum Wahnsinn verliebt gewesen, und wie selten entspringt daraus ein dauernder Bund?«

»Sie haben freilich die eigene Erfahrung für sich,« sagte Faustine launig. »Dagegen kann ich nicht streiten. Künstler aller Art sind und bleiben aber doch meine geborenen Freunde. Nur müssen es wahre Künstler sein, schaffende, begeisterte, keine Nachahmer, keine Handwerker.«

»Das Genie hat das nämliche Schicksal wie die Tugend. Sie sind beide in der Minderheit auf unserer mittelmäßigen Erde. Ein großer Künstler ist ebenso selten wie ein großer Mensch.«

»Hört er Ihrer Meinung nach auf, ein Mensch zu sein?« fragte sie.

»Halb und halb! Es kommen Eingebungen über ihn. Er weiß nicht woher! Es steigen Bilder vor ihm auf. Er weiß nicht von wannen! Streitende und ringende Gewalten werden in ihm rege, die kein äußerer Anlaß, keine innere Leidenschaft geweckt! Er sagt Dinge, die er noch nie gedacht. Er schafft Gebilde, derengleichen er nicht geschaut. Allein er kann nicht der Kraft gebieten, die sie aus dem Nichts hervorruft. Er muß warten, bis ein Gott, ein Dämon, ein Genius sie ihm einhaucht. Er besitzt höhere Gewalt als die gewöhnlich menschliche, sogar die allerglänzendsten Fähigkeiten; aber er wird von einer noch höheren Gewalt besessen. Er schreibt Gesetze vor; er stürzt Gebräuche und Meinungen; er beginnt und endet Zeiten, wie ein Gott; aber er ist zugleich ein blinder gehorsam dienender Priester im Tempel des Gottes. Und diese wundersamen Mischungen, die notwendig seine Wesenheit ausmachen, stellen ihn gewissermaßen seitab von den selbstbewußten Menschen. Ich gestehe, daß ich immer eine Art von Scheu vor Künstlern habe, die sonst meiner Natur fremd ist. Man ist nie sicher bei ihnen, ob sie bergan oder bergab steigen, ob sie mit Himmelslicht in die Tiefe leuchten oder unterirdische Flammen am Himmel strahlen lassen wollen, ob sie ihre außergewöhnlichen Gaben wie der Reiter bändigen oder wie das Roß ihnen gehorchen. Ich liebe sie nur von weitem – in ihren Werken.«

»Das ist recht weltmännisch kalt gesprochen! Sie fürchten, in ein Hochland fortgewirbelt zu werden, dessen Sonne Sie blenden könnte! Bedenken Sie nur, welche unermeßliche Wohltat ein einziger Künstler für lange Zeiten und für kommende Geschlechter werden kann, und Ihr Herz muß schlagen für ein Wesen, das von Gott zum Segen der Menschheit auserlesen ward und das diese Ehre vielleicht mit ungekannten und ungemessenen Schmerzen bezahlt hat.«

»Aber durch welche Wonnen werden diese Wehen des ringenden und schaffenden Genius entschädigt! Ich denke mir, daß wenig Menschen die Glückseligkeit empfunden haben, der gleich, mit der Rafael vor seiner vollendeten Sixtina gestanden hat.«

»Vor der vollendeten? Kaum! Der Genius ist immerdar weiter emporstrebend. Er findet weder Genuß noch Befriedigung im Überwundenen, im Geleisteten. Wenn die Empfängnis in ihm aufgeht, dann glaube ich, feiert er seine seligen Mysterien, gegen deren tiefsinnige, glühende, unirdische Trunkenheit unsere kleinen mäßigen Freuden freilich sehr grau aussehen mögen. Doch jener Rausch ist ein Augenblick, und dann steht er plötzlich im nüchternen Leben.

»Wir alle stehen im nüchternen Leben und ohne jenen entschädigenden Rausch . . .« warf Mengen ein.

»Es muß demjenigen schwer werden, einen Schoppen aus der Hand der schwarzäugigen Kellnerin zu nehmen, dem Hebe die Schale dargereicht hat. Er wird unwillkürlich vergleichen, den Wein mit dem Nektar, das Mädchen mit der Göttin, – und Vergleiche stören die Genußfähigkeit. Wir aber begnügen uns schlecht und recht mit dem Wein und den Sterblichen, denn wir wurden nicht aus dem Olymp auf die Erde geschleudert. So wird er auch immer das, was er gewollt, mit dem vergleichen, was er geschaffen hat, und gewiß in der Verkörperung nur einen Schatten seiner ursprünglichen Idee finden. Ich habe einen Freund, – er ist aber nicht Maler, sondern Dichter, – der spricht: All meine Schöpfungen kommen mir vor wie gefallene Engel! Sie haben wohl noch etwas, was an ihren Ursprung mahnt, doch der Glanz ist verschwunden, seit sie die sinnliche Form haben! Mich grämt es, jedoch wenig! Ich verkehre mit den ungefallenen Geistern und schneide ihnen nach besten Kräften ein Mäntelchen von Staub zurecht, worin sie sich den Menschen offenbaren.«

»Sehen Sie, Ihr Freund fühlt sich glücklich! Das spricht für meine Ansicht. Wie heißt er denn? Kennt man ihn als Dichter?« fragte Mario neugierig.

»Man kennt ihn wohl, freilich nicht als Dichter, sondern . . .«

»Nun? Sondern? Sie sagten ja eben . . .«

»Sondern als Dichterin.«

»Also eine Frau?« sagte Mengen gedehnt.

»Ja, zum Unglück nur eine Frau, die Ihre Ansicht teilt,« erwiderte Faustine neckend.

»Und warum nannten Sie diese Frau Ihren Freund?«

»Weil für mich das Genie geschlechtslos ist. Mag ein Fledermäuschen oder ein Titane schaffen, – sein Genie ist mein Freund.«

»Und trauen Sie mir nicht dieselbe Unbefangenheit zu?«

Faustine lachte herzlich.

»Großartig! Haben Sie mir je Anlaß zu diesem Vertrauen gegeben? Sie halten die Frau nicht der Begeisterung fähig und nicht der Leidenschaft! Ist es möglich, sich ohne dieses zweischneidige Schwert Bahn zu brechen auf dem Pfade der Kunst? Nein! Sie glauben gar nicht, daß das Genie mit einer Frau Mißheirat schließen, sich gleichsam an sie verplempern könnte. Es braucht eine Hülle sechs Fuß lang, tiefe Baßstimme, collier grec . . . . Darin hat es Raum. Ein Genie, ihr wunderlichen Herren, muß genau so aussehen wie ihr selbst! Trüg' es ein Musselinkleid und das Haar aufgeflochten, ihr würdet ihm für euer Leben gern einen stattlichen schwarzen Bart malen, damit es doch ein klein wenig für seine Würde befähigt wäre . . . Nein, guter Mengen, wenn Ihnen das Genie eine Hand reicht, die halb so schmal ist als die Ihre, so machen Sie sicher nicht ihren Freund daraus!«

»Möglich! Weil ich, wie gesagt, diese Leute am liebsten in gehöriger Entfernung beobachte und bewundere. In der Nähe findet man schwer den richtigen Gesichtspunkt, von wo sie betrachtet und beurteilt sein wollen. Das macht und gibt Verwirrung. Ich liebe die Klarheit!«

»Dann lassen Sie uns in den Großen Garten gehen! Da ist jetzt alles von einer gespenstischen Klarheit. Der Himmel so blau, die Erde so weiß, das Eis so hell, die Bäume so nackt. O diese Klarheit, wie ist sie kalt!«

Sie schüttelte sich vor Graus und ging, sich zum Spaziergang und zur Eisfahrt ankleiden. Mengen sah ihr nach. Es war ihm, als ziehe ein Glanzstreif hinter ihren Schritten, wie nachts im Mondschein auf dem Wasser hinter dem Schwan.

»Ich liebe die Klarheit,« wiederholte er halblaut und setzte sich auf das Sofa. »Was hält mich ab, bei ihr dahin zu gelangen? Eine einzige Frage und alles ist entschieden! Aber sie lacht mich aus, wie gestern, wenn ich die Frage tue. Die Sonne ist auch nicht klar, aber doch licht, himmlisch licht, wie sie.«

Faustine war längst wieder eingetreten und in der Tür stehen geblieben, als sie seine sinnende Stellung wahrnahm. Er bemerkte sie nicht eher, bis sie fast schüchtern seinen Namen aussprach. Dann fügte sie hinzu:

»Ich unterbreche ungern jemanden in seinen Gedanken, weil ich nicht weiß, aus welchem Eden ich ihn heimrufe.«

»Fürchten Sie nichts! Sie bringen es,« sagte Mario mit tiefer Innigkeit, sehr verschieden von dem scherzenden Ton, mit dem er sonst wohl ein huldigendes Wort zu sagen pflegte. Und so blieb er auch in den Stunden, die er mit ihr verbrachte.

Beim Scheiden rief er:

»Und nun vergehen fast vierundzwanzig Stunden, bis ich Sie wiedersehe?«

»Warum? Kommen Sie heute abend zu Frau von Eilau! Da werde ich sein.«

»Ich kann nicht. Ich habe notwendig . . .«

»So jammern Sie nicht!« rief Faustine ungeduldig.

»Ich werde kommen,« sagte Mario froh, denn er sah wohl, daß seine Weigerung, nicht seine Klage sie verdroß, und Faustine lächelte eben so froh wie er.

Am Abend jedoch verging eine Viertelstunde nach der andern, und Mario kam nicht zu Frau von Eilau. Anfangs war Faustine unmutig, dann unruhig, endlich geängstigt. Zuerst schob sie dies unbegreifliche Ausbleiben den Geschäften zu, darauf unvorhergesehenen Störungen, zuletzt irgendeinem Unglücksfall. Sie dachte an Klemens, ob der sich nicht zu weiß Gott welcher Torheit Mario gegenüber habe hinreißen lassen. Schauerliche Möglichkeiten tauchten vor ihr auf und umflorten ihren Blick. Sie sank im Sofa zurück, und ihr Kopf auf die Lehne. Seit einer Stunde wurde Musik gemacht, und zwar so gute, daß niemand daran dachte zu plaudern, was durch mittelmäßiges Spielen hervorgelockt wird wie die Maus aus ihrem Versteck.

So blieb Faustine ungestört und kaum beachtet. Aber die Musik schwirrte wie Mückengesumm in ihr Ohr. Sie war auf dem Punkte, die Gesellschaft zu verlassen, um in ihrem einsamen Zimmer wenigstens der Qual des Wartens überhoben zu sein. Da, ganz leise, um nicht zu stören, ging die Tür auf. Es war Mengen.

Faustine hatte schon so oft umsonst nach dieser Tür geschaut, daß sie entmutigt nicht mehr die Augen aufschlagen mochte, und so saß sie, ganz blaß, die Wimpern so tief gesenkt, als wären sie geschlossen, um den Mund mühsam verhaltene Trauer. Er konnte nicht anders als glauben, ein großer Unfall habe sie betroffen, und um ihr ein Zeichen zu geben, daß eine Freundesseele gegenwärtig, fiel ihm nichts anderes ein, um die Störung unbekümmert, als seinen Stock fallen zu lassen. Alle Blicke kehrten sich vorwurfsvoll gegen ihn, doch er beachtete sie nicht, denn die seinen waren auf Faustine gerichtet, und sie blickte jetzt auf, sah und erkannte ihn, und augenblicklich war sie verwandelt, strahlend, heiter, glücklich. Mengen verging vor Ungeduld über den Virtuosen. Mit dessen Schlußakkord stand er neben Faustine und fragte:

»Was war denn das – vorhin?«

»Ich fürchtete, Sie würden nicht kommen. Da langweilte ich mich.«

»Sonst ist Ihnen nichts geschehen?«

»Ist es nicht genug, anderthalb oder zwei Stunden zu warten? Und gar für mich, die ich nie jemanden warten lasse? Ich mag diese Folter über keinen Menschen verhängen.«

»Wir hatten keine Stunde verabredet! Konnte ich ahnen?«

»O nein, nein! Sie konnten nicht ahnen! Aber nun wissen Sie ein für allemal.«


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