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Feldern kam täglich zu Faustinen. Sie hatte ihm die Schritte mitgeteilt, die sie für Kunigunde getan. Auch er fand es am besten für sie und für sich, sie aus dem Elternhause zu entfernen.
»Wenn mir die Möglichkeit abgeschnitten ist, sie wiederzusehen,« sagte er, »so werde ich leichter an die Unmöglichkeit unserer Verbindung glauben. Kann ich zu ihr, so will ich sie sehen, und sehe ich sie, so will ich sie besitzen.«
»Sie sind recht aufrichtig, mein bester Feldern,« entgegnete Faustine überrascht. »Ich habe Sie niemals so offen reden hören.«
»Wenn man nichts zu hoffen noch zu verlieren hat, entweder weil man alles oder weil man nichts besitzt, so wird man höchst aufrichtig. Der Bräutigam beim Hochzeitschmaus sagt unbefangen: Ich bin sehr glücklich! Und der Bettler an der Straßenecke sagt ebenso unbefangen: Ich bin sehr elend! Lust und Leid haben Kinder, die sich in die Augen fallend ähnlich sehen. Sie müssen also wohl aus derselbe Familie stammen.«
Faustine erkannte in diesen und ähnlichen Äußerungen Felderns Marios Einfluß, der sich treu bemühte, ihm eine Unabhängigkeit von überraschenden Schicksalswendungen zu geben, wie er selbst sie bisher bewahrt, und sehnlichst wünschte sie, es möchte doch auch für Klemens ein solcher Nothelfer sich finden, denn sie – das fühlte sie lebhaft – konnte keinen Einfluß mehr auf ihn wünschen und deshalb ihn auch nicht haben. Er war für sie von der Erde vertilgt, spurlos verschwunden, ließ sich weder bei ihr noch irgendwo bei ihren Bekannten sehen, und sie hätte glauben dürfen, er sei abgereist, wenn nicht eine bange Ahnung ihr zugeflüstert, daß er sich schwerlich ohne Abschied, ohne Versöhnung von ihr trennen werde. Wo war er also? Umkreiste er ihre Wohnung? Bewachte er ihre Schritte? Ließ sich von seiner rasenden Leidenschaft nicht das Wahnsinnigste fürchten?
Die Bestechung ihres Bedienten fiel ihr zuweilen ein, wenn sie allein war. Sie geriet in eine höchst unbehagliche Spannung und fuhr zusammen, wenn sie Stimmen und Tritte im Vorzimmer nicht sogleich unterscheiden konnte. War Mengen bei ihr, so erschien ihr diese Angst so kindisch, daß sie sich nicht entschließen konnte, sie ihm anzuvertrauen. Auch war es ihr peinlich, Mario auf Walldorfs Spur auszusenden. Sie wußte zu gut, wie rücksichtslos Klemens war, wie leicht er gerade diesen Gehaßten absichtlich kränken und verletzen mochte. Als aber die Woche ohne irgend ein Lebenszeichen von ihm verstrichen, da beschwor sie Feldern, Erkundigungen über ihn einzuziehen. Sie sagte ihm offen alles, was zwischen ihm und ihr stattgefunden, und schloß damit:
»Ich kann mich nicht unmittelbar nach ihm umtun, weil er aus dem geringsten Beweis von Teilnahme gleich ganz unerhörte Folgerungen zieht, die ihm Schaden tun, weil sie sich nie verwirklichen, mich aber in die widerlichste Verlegenheit setzen.«
Feldern versprach sein Bestes zu tun und ihr im Laufe des Tages Bericht, wenigstens über seine Anwesenheit in Dresden, abzustatten.
Ein Brief von Andlau trug nicht dazu bei, Faustine zu erheitern. Er schrieb ihr über Kunigundens Angelegenheit in einem kühlen Tone der Überlegung, der ihr ganz unerträglich war, wenn sie bereits für oder wider Partei genommen.
»Man sollte doch nie in einer solchen Entfernung Dinge besprechen, die heute anders aussehen als morgen,« murmelte sie, »sondern nur solche, die nie wechseln und nie altern! Freilich kenne ich Kunigunden sehr wenig; freilich ist es eine mißliche Sache, eine passende Stellung für sie ausfindig zu machen; freilich erntet man fast immer Verdruß und Undank aus Einmischung in Familienverhältnisse. Aber ich habe mich nicht dazu gedrängt, und die Art, wie ich da hinein verflochten bin, kann gewiß keinen Schatten auf mich werfen. Und sogar wenn es ein Schatten wäre, es sollte mich nicht kränken, denn ich habe etwas Gutes gewollt, und ein Fleck ist es sicher nicht.«
Andlaus Antwort war da, und nicht eben trostreich. Wenn Mario keine bessere bekam, was sollte mit Kunigunden werden? Sie grübelte sich matt und müde. Da flog die Tür auf, und Mengen trat freudestrahlend in das Zimmer, einen offenen Brief in der Hand.
»Kunigunde ist willkommen!« rief er. »Und zwar gleich auf der Stelle. Meine Mutter hat ihren alten Kammerdiener hergeschickt, um sie auf der Reise zu begleiten. Daher die etwas verzögerte Antwort. Er brachte mir eben den Brief. Sind Sie zufrieden?« Er kniete neben ihr nieder und blickte glückselig in ihr Auge, aus dem wieder der himmlische Strahl aufleuchtete.
»O Mengen!« sagte sie nur und legte die Hand auf die Brust; die andre gab sie ihm, und er behielt sie in der seinen, ohne sie zu küssen, lange, friedlich, andächtig, immer wie verzaubert in ihr Antlitz schauend. Spät drückte er heftig seine Lippen auf die schmale zarte Hand.
Da stand Faustine auf und sagte:
»Lieber Mengen, sagen Sie, bitte, dem Ernst, er möge einen Boten besorgen; ich will sogleich Kunigunden schreiben, damit sie sich bereit mache. Vielleicht kann sie dann schon morgen reisen. O, wie wird sie sich freuen, wie dankbar Ihnen sein!«
»Das wäre ganz unangebracht! Ich habe in Ihrem Dienst gehandelt; da mußte ich wohl des Gelingens sicher sein.«
Feldern war gradenwegs zu Klemens gegangen. Der breite Johann schien zweifelhaft, ob er ihn bei seinem Herrn einlassen solle oder nicht. Da er aber bereits gesagt, er sei daheim, so mußte er ihm die Tür öffnen.
Der zierliche ordnungsliebende Feldern erschrak vor der Verwüstung, die in diesem großen, vielleicht ursprünglich eleganten Zimmer herrschte: Kleidungsstücke an der Erde, Teller auf den Stühlen, Flaschen, Karten, Überbleibsel vom Frühstück und von Zigarren auf den Tischen, Schläger und Pistolen auf dem Bett, Gläser überall, zwei Feldbettstellen neben einander aufgeschlagen, und Klemens im Schlafrock, mit verwildertem Bart, geisterbleich, krankhaft, mitten im Zimmer stehend, den einen Arm um den Kopf geschlungen, den andern schlaff herabhängend.
»Hier sieht es ja aus wie in einem Lager!« sagte Feldern eintretend; doch der scherzhafte Ton kam ihm nicht von Herzen.
»Ja,« sagte Klemens gleichgültig, »wir sind zwei Tage und zwei Nächte beisammen gewesen, da muß man seine Anstalten treffen, so gut es gehen will. Wir waren unsrer sieben. ein paar schliefen zur Zeit. Wir wechselten uns ab. Es ging recht gut. Nur aber heute, am dritten Tage, da wurden die dummen Jungen stöckisch und gingen, der eine rechts, der andre links, zum Essen, zum Schlafen . . . . Was geht's mich an.«
»Sie sind also wohl recht lustig gewesen?«
»Lustig? Nun ja, wie man's nehmen will. Lärm gab es genug, Wein auch, Karten auch, und ich hoffe, Sie sind nicht der Meinung, daß Weiber dabei sein müssen, um die Sache ganz lustig zu machen.«
»Gott bewahre!« sagte Feldern. Klemens war ihm beängstigend, schien halb im Rausch, halb geistes-, halb körperkrank. »Würden Sie aber nicht auch gut tun, ein wenig frische Luft einzuatmen? Die dicke heiße Luft des Zimmers stimmt die Nerven herab, beklemmt die Brust. Sie sehen recht ermüdet aus.«
»Ich bin es,« erwiderte Klemens und setzte sich auf einen Tisch, von dem er die Karten herabschleuderte.
»Ich glaubte Sie krank, weil ich Sie so lange nicht bei der Gräfin Faustine getroffen habe.«
»Umgekehrt! Weil ich nicht mehr zu der Gräfin Faustine gehe, bin ich krank, das heißt ich würde krank werden, wenn ich nicht vorzöge, lustig zu leben.«
»Es ist ganz hübsch, lustig zu leben, so zwei, drei Tage. Doch dann, Bester, wird man des Spaßes überdrüssig . . . .«
»Wie aller Dinge unter dem Monde – und des Lebens zuerst.«
»Sie sind noch sehr jung, Herr von Walldorf!«
»Ich werde morgen zweiundzwanzig Jahr, und das nennt man jung. Allein ich bin zu meinem Unglück in diesen letzten Monaten alt geworden, uralt, steinalt . . . .«
»Indessen sind Sie doch noch auf Vergnügungen bedacht . . . .«
»Nein! Auf Zeittötung!«
»Wollen Sie einen Spaziergang mit mir machen?«
»Da müßte ich mich erst ankleiden . . . .«
»Freilich, vom Kopfe bis zum Fuße.«
»Und das ist doch nicht der Mühe wert. Sagen Sie mir, Herr von Feldern, ist denn etwas der Mühe wert, daß ich darum meinen kleinen Finger rege?«
»Ja, die Pflichterfüllung!«
»Aber wenn man gegen niemanden auf der Welt Pflichten hat?«
»Sie fragen wunderlich! Haben wir denn nicht die ganze Menschheit?«
»Bah!« rief Klemens, ließ den Kopf auf die Brust sinken und hob nach einer Pause an, ohne ihn zu erheben: »Kommen Sie aus eignem Antriebe zu mir?«
Feldern mochte keine Unwahrheit sagen; überdies war etwas so Trostloses in Walldorfs Zustand, daß er ihm die kleine Freude gönnte und die Frage verneinte.
»Sie schickt Sie also? Sie denkt an mich?« rief Klemens mit schwermütiger Freude. »Aber wie könnte es auch anders sein, da ich stets an sie, – nicht doch! – nur an sie denke! Solche Gedanken müssen zu einem Netz werden, das allmählich ihre Seele umspinnt und zu mir hinüber zieht.«
Feldern dachte an das, was ihm Faustine über Walldorfs übertriebene Folgerungen bemerkt; deshalb sagte er halb scherzend, doch mit einem Anflug von Bitterkeit:
»Darauf sollten wir es nie anlegen. Frauenseelen sind so zart und fein, daß unsere plumpen Gedanken sie nicht fangen, und so kapriziös, daß sie sich oft ohne unser Zutun fangen lassen.«
»Meinen Sie? Ohne unser Zutun? Also auch Ihnen haben die Frauen weh getan! O das Leid, das dies Geschlecht über die ganze herrliche Schöpfung verbreitet, ist namenlos, und der Mann verloren, der von einem Weibe Heil begehrt! Und gerade, daß die engelhaften so dämonisch sind! Die Menge? Die schaut man an, ohne daß die Brust sich hebt, das Herz klopft, das Blut siedet, die Arme sich ausbreiten! Das alles ist für Eine, die zwischen den Übrigen sich ausnimmt wie ein Märchen zwischen Tagesgeschichten . . . . Sagen Sie mir, fallen Ihnen nicht immer Märchen ein, wenn Sie – diese Frau sehen, zum Beispiel das von der Prinzessin, von deren Lippen Rosen fallen, wenn sie lächelt, und von deren Wimpern Perlen, wenn sie weint. Diese Frau hat Augen!«
»Alle Frauen haben Augen!« unterbrach Feldern, etwas überdrüssig der Rhapsodie. »Und es ist gut, daß man sich dessen zuweilen erinnert, um nicht in Wahnwitz zu verfallen. denn die Frau, die kein Auge für uns hat, sollte für uns auch keine Augen haben.«
»Sehr richtig, sehr philosophisch! Ach, wie bedaure ich, auf der Universität das Studium der Philosophie so gänzlich verabsäumt zu haben. Die Weisheit in eine Wissenschaft gebracht, kam mir so spaßhaft zugestutzt vor wie der Baum, dem der Gärtner eine Tierform gibt, damit man doch wisse, was so ein dummer Baum bedeute. Aber es ist wirklich so übel nicht erfunden! Bei einem Löwen, einem Adler weiß jeder genau, was er zu denken hat; die ganze Erdkunde, die ganze Naturgeschichte, Millionen Reisebeschreibungen, kurz, die vernünftigsten und zweckmäßigsten Gedanken knüpfen sich daran. Aber bei einem simplen Baum schweifen sie ins Blaue. Man kann denken an den Baum im Paradiese, von dem Eva den berüchtigten Apfel verspeiste, oder an die Linde auf dem Schloßhof von Nürnberg, die die Kaiserin Kunigunde gepflanzt hat, die Zweige nach unten, die Wurzel nach oben, um ihrem Gemahl ihre schneeweiße Unschuld zu beweisen. Kaiser Heinrich II., zubenannt der Heilige, war ihr Gemahl, und es muß doch ein verzwicktes Ding mit der Unschuld der Weiber sein, da sogar ein Heiliger ihr mißtraut. Ferner an den Lorbeerbaum auf der Isola bella, in dessen Rinde Napoleon Bonaparte vor der Schlacht bei Marengo das Wort ›Bataille‹ geschnitten hat, oder an die ›Sieben Schwestern‹ hier im Großen Garten oder an die Tanne von Oberwalldorf, die die Gräfin Faustine auf ein schönes Bild gebracht . . . Da bin ich wieder bei ihr, und fing doch an bei der Philosophie!«
Er stand auf, schlang von neuem den Arm um den Kopf und schwieg.
Feldern sagte besorgt:
»Sie sind wirklich krank, lieber Walldorf! Das wüste Treiben dieser Tage hat Ihre Nerven fürchterlich aufgeregt und Ihr Blut verbrannt. Sie müssen hier heraus. Die Unordnung um Sie her verwirrt Sie. Kleiden Sie sich an! Ich warte gern. Dann gehen wir, und während der Zeit wird hier Ordnung gemacht.«
»Meinetwegen!« sagte Klemens und rief Johann.
Unter Johanns löblichen Eigenschaften glänzte die eines gewandten Kammerdieners nicht hervor, und da sein Herr nicht in der Stimmung war, diesem Mangel durch eigene Teilnahme abzuhelfen, so dauerte das Ankleiden ziemlich lange, und Feldern hatte Muße, zwischen den Trümmern dieses Schiffbruchs der Ausgelassenheit sich auf allerlei Histörchen zu besinnen, die er Klemens erzählte, um ihn aus seinem Hinbrüten aufzurütteln. Doch das war verlorene Mühe. Klemens blieb unempfänglich für alles, was nicht Faustine war, und hätte Feldern ihn gefragt, was er vom Mann im Monde denke, so hätte er geantwortet:
»Ich sterbe aber, wenn ich sie nicht wiedersehe.«
»Und wenn Sie sie wiedersehen, betragen Sie sich so – seltsam, daß eine Frau, die leicht mit aller Welt zu leben versteht, nicht mit Ihnen fertig werden kann.«
»Das ist es eben! Sie darf nicht mit mir umgehen wie mit aller Welt.«
»Wenn Sie bei diesem Verlangen beharren, kann ich Ihnen freilich nicht meine Vermittlung anbieten.«
»O Gott, machen Sie, daß ich sie wiedersehen darf, und sie soll mich behandeln, wie sie wolle. Ich lasse mir alles gefallen. Alles, nur keine Verachtung und auch keinen Widerwillen, aber auch keine Kälte und hauptsächlich keine Gleichgültigkeit! Und dann soll sie mich nennen: ›Lieber Klemens‹, nicht ›Herr von Walldorf‹. Es hat niemand außer ihr mich ›Lieber Klemens‹ genannt. Vielleicht meine Eltern. Das weiß ich nicht mehr; sie sind früh gestorben. Mein Bruder hat eine andere Art sich auszudrücken, und für die übrigen Leute bin ich ›Walldorf‹. Sie sagt bisweilen ›Lieber Klemens!‹ Das ist, wie wenn die Nachtigall im Winter schlüge; und wollte sich jemand unterfangen, mich nach ihr so zu nennen, ich würde ihm den verwegenen Mund mit einer Kugel stopfen. Endlich soll sie mir die Hand geben. Das tut sie nie! Ich habe gesehen, daß sie Mengens großen Windhund auf den spitzigen Schlangenkopf gestreichelt. Aber mir gibt sie die Hand nicht! Und welche Grazie liegt in ihren Handbewegungen! Nur sie zu sehen, ist, als regne es Blüten. Also die Hand . . . .«
»Ich erstaune, daß Sie Bedingungen machen, und noch dazu solche, die kaum die Liebe erfüllen würde. Was soll Gräfin Faustine veranlassen, sie anzunehmen?«
»Die Barmherzigkeit!«