Ida Gräfin Hahn-Hahn
Faustine
Ida Gräfin Hahn-Hahn

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XX

So war es zwei Uhr nachts geworden. Faustine wollte fahren. Ihr Diener war nicht da. Mario ließ ihn vergebens durch den seinigen suchen.

»Der Mensch muß krank geworden sein!« sagte sie. »Das ist ihm nie begegnet. Oder was kann ihm sonst wiederfahren sein?« Sie beunruhigte sich heftig; sie wollte nach Hause und fürchtete sich. »Könnte er nicht auch meinen Schrank erbrochen, Geld genommen haben und entflohen sein? Es war freilich nicht sehr viel da . . .«

Mengen lachte; aber er sagte.

»Mein Wagen ist zu Ihrem Befehl! Ich werde Sie begleiten und dann sogleich nach dem Abtrünnigen forschen.«

»Ach, guter Mengen, wie freundlich von Ihnen!« seufzte Faustine.

Er gab ihr seinen Mantel um, führte sie herab und fuhr mit ihr fort.

Sie sagte:

»Nun kann ich Ihnen Kunigundens Brief gleich mitgeben! Und morgen schreiben Sie Ihren Eltern und fügen ihn bei. Wann können wir Antwort haben?«

»Spätestens in acht Tagen.«

»Wenn sie günstig lautet, aber erst dann, teile ich sie Kunigunden mit.«

Faustinens Wohnung war bald erreicht. Im Vorzimmer kam ihre Kammerjungfer ihr wie gewöhnlich entgegen. Faustine fragte:

»Wo ist Ernst?«

»Vor einer Stunde ist er gegangen, die gnädige Gräfin abzuholen. Aber Herr von Walldorf ist noch hier.«

»Welcher Einfall, Jeanette, um diese Stunde Besuch anzunehmen!« rief Faustine heftig.

»Ernst hat es getan, gnädige Gräfin; nicht ich.«

Faustine öffnete rasch die Tür des Salons und trat ein; Mengen mit ihr. Eine Lampe brannte ziemlich dunkel in dem großen Gemach, in dessen entferntestem Winkel Klemens saß, im Lehnstuhl vergraben, die Arme auf den Knieen, das Gesicht mit beiden Händen bedeckt.

»Herr von Walldorf!« sagte Faustine zürnend.

Er fuhr auf und sah sie bestürzt an.

»Ich glaube, er hat geschlafen!« sprach sie halb unmutig, halb lachend zu Mario.

»Ich glaube, das tut ihm not,« antwortete Mario, schüttelte Walldorfs Arm und sagte:

»Wollen Sie mich begleiten? Die Gräfin kommt ermüdet vom Ball und ist unser ganz überdrüssig.«

»Ihrer vielleicht . . .« warf Klemens über die Schulter ihm zu und sprach dann zu Faustine: »Sie kommen zu dieser Stunde, in dieser Verkleidung? Was soll das bedeuten?«

War Faustine erstaunt gewesen über die Ruhe, womit Mengen Walldorfs Antwort hingenommen, so wuchs dies Staunen, als er ihr jetzt gelassen seinen Mantel abnahm, der noch um ihren Schultern hing, und ihr das Wort abschnitt, das auf ihren Lippen schwebte, indem er sagte:

»Die Gräfin gibt Ihnen sicher morgen den reizvollsten Bericht über den Ball; doch heute ist es wirklich zu spät. Kommen Sie mit mir, bester Walldorf!«

»Aber Mengen, ich begreife Sie gar nicht! Lassen Sie sich doch nicht mit dem Unbescheidenen ein!« rief sie.

»Sie müssen Nachsicht mit ihm haben. Er hat stark getrunken.«

Faustine unterdrückte nur halb einen ängstlichen Ausruf und ergriff Marios Hand. Das erregte Walldorfs Zorn. Er nahte ihr, leichenblaß, und fragte mit starker Stimme:

»Warum fürchten Sie mich?«

»Gar nicht!« sprach sie hastig. Aber ihr Arm lehnte auf dem Marios, und er fühlte, wie ihre ganze Gestalt zitterte. Er wollte diesen peinlichen Auftritt für sie beenden und sagte:

»Wenn Sie mir den Brief geben könnten? Und dann, gute Nacht!«

Faustine ging rasch in ihr Zimmer. Er folgte ihr bis zur Tür. Auf der Schwelle empfing er den Brief, ihren dankbaren Händedruck, den freundlichsten Blick. Dann schloß sich diese Tür – auch vor ihm. Er empfand das, wie einen leisen Schmerz, ganz heimlich und ganz tief in der Seele; doch er hatte nicht Zeit, dieser Empfindung nachzuhängen. Klemens hatte sich auf ein Sofa gesetzt, die Beine über einen Hocker gelegt, ein kleines Kissen unter den Kopf geschoben, sich es so bequem wie möglich gemacht. Mario nahm seinen Mantel um, setzte den Hut auf und fragte:

»Ist es Ihnen gefällig, Herr von Walldorf?«

»Nein, ich warte auf die Gräfin Faustine! Sie soll mir Rede stehen, weshalb sie mir heute mittag ihr Wort gebrochen und heute abend mich fortgeschickt hat.«

»Aber sie hat sich in ihr Zimmer begeben, – ein Zeichen, daß wir gehen können.«

»Oder, daß ich ihr folgen darf.«

Er stand auf, doch etwas schwankend. Mario kochte innerlich vor Wut, dennoch wollte er glimpflich mit Klemens umgehen, um Faustine nicht noch mehr zu ängstigen. Darum entgegnete er:

»Dann müssen Sie doch auf ihren Befehl warten.«

»Richtig!« sagte Klemens, und ganz vergnügt über diese Folgerung, die ihm erlaubte, sich zu setzen, nahm er seine bequeme Lage wieder ein.

Mengen warf Hut und Mantel ab und nahm neben Klemens ganz auf die nämliche Weise Platz. Als der Andere die Anstalten sah, die sein nicht zu verkennendes Bleiben verkündeten, fragte er verdrießlich:

»Mit welchem Recht lassen denn Sie sich hier nieder?«

»Da Sie vor dem Zimmer der Gräfin Wache halten, so darf ich mir wohl auch dies Vergnügen machen.«

»Die ganze Nacht hindurch?«

»Die ganze Nacht.«

»Es wird hier aber recht kalt werden.«

»O, ich habe meinen Mantel.«

»Zwei Wachen stehen doch nie auf einem Posten. Zwei sind überall zu viel und einer ist genug.«

»Diesmal ist auch einer überflüssig.«

Klemens gab allmählich dem Einfluß nach, den die behagliche Stellung auf ihn übte. Er wurde immer schläfriger. Nach fünf Minuten murmelte er:

»Ich wollt', es wäre Schlafenszeit und alles stände wohl.«

»Oho, alter Falstaff!« rief Mario lachend und klopfte ihm auf die Achsel, »Dazu kann Rat werden. Komm nur mit mir!«

»Du bist ein braver Junge, Heinz, nur etwas leichtfertig,« stammelte Klemens. Und bald hatte Mengen ihn den Händen seines Dieners übergeben. Dann fuhr er auf den Ball zurück, im Grunde nur, um von dem verschollenen Ernst Nachricht einzuziehen; denn als ihm sein Jäger nach einer halben Stunde meldete, Ernst sei da, fürchterlich betrunken, da befahl er jenem, ihn mit sich zu nehmen, und begab sich dann selbst nach Hause. Dort ließ er Ernst hereinkommen, der weinselig, Faustinens Mantel über dem Arm, erschien und mächtig erschrak, als statt der Gebieterin ein ernster Mann vor ihm stand, der drohend fragte:

»Wer hat Dich dazu verführt, Dich so schmählich zu betrinken?«

»Der Herr von Walldorf,« stammelte Ernst, halb ernüchtert.

»Lüge nicht!« sagte Mengen streng.

»Der Herr von Walldorf, auf meine Ehre, – wenn der Herr Graf mir erlauben wollen, mich so vornehm auszudrücken. Er kam und sagte, er habe den Befehl von meiner gnädigen Gräfin, sie zu erwarten, und er könne es nur durch eine Doppelkrone beweisen. Das war klar. Ich ging. Auf dem Ball hieß es, der dauere noch lange. Es war kalt, eine Weinstube nah. Ich trank ein paar Gläser Champagner . . . Vielleicht sind's auch Flaschen gewesen. Man berechnet das nicht! Die Zeit vergeht so schnell . . .«

»Die Frau Gräfin will heute nichts von Dir wissen. Geh mit meinem Jäger und schlaf Deinen Rausch aus! Aber den Mantel sollst Du nicht mit Dir herumschleppen.«

Ernst hing den Mantel über einen Stuhl und ging niedergeschlagen ab. Mario nahm den Mantel und betrachtete ihn so aufmerksam, als ob er ihn hätte abschätzen sollen, und so erfreut, als ob ihm ein Wunder der Welt in die Hände gefallen. Er war von dunkelrotem Atlas mit weißem Tafft gefüttert, warm und leicht, um das Kleid nicht zu drücken; weich, um sich dennoch fest darein wickeln zu können. Vor Marios Phantasie schwebte Faustinens lieblicher Kopf über dem Purpurstoff wie ein Stern über der Abendröte, und ihre graziöse Gestalt hüllte sich in die reichen Falten, und ihre schneeweißen Hände blitzten daraus hervor. Er drückte sein glühendes Antlitz fest in den Mantel. Der weiche schmiegsame Atlas legte sich sanft wie ein Kuß an seine Wangen, an seine Lippen . . . .

Mit einer heftigen Bewegung schleuderte Mario den armen Mantel weit von sich, holte tief Atem, strich ganz erschöpft die Locken aus der Stirn und schellte. Der Jäger kam. Er ließ sich entkleiden. Doch unfähig schlafen zu gehen, setzte er sich an den Schreibtisch, um einen Brief an den Vater zu beginnen. Kaum saß er, so fiel sein Blick auf den Mantel, der an der Erde lag.

»Das ist aber kein Platz für etwas, was sie trägt!« dachte Mario, stand auf, nahm den Mantel, küßte ihn, als wolle er ihn wegen der schlechten Behandlung um Verzeihung bitten, setzte sich zum Schreiben, behielt ihn dabei auf seinen Knieen und schrieb nun wirklich so eindringlich und herzlich über Kunigunde, daß er der günstigsten Antwort gewiß sein durfte.

»Das war ein guter Tag!« sprach er halblaut nach Beendigung des Briefes. »Ich habe den Engel in seiner Glorie gesehen, und ich habe ihm dienen dürfen.«

Er suchte die Ruhe, indem er sein Haupt auf den geliebten Mantel bettete, und durch seine Träume gaukelte, weinte und lächelte Faustine.


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