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Der Tauftag ging vorüber mit vielem Geräusch und vieler Langenweile, wenigstens für Faustine, die keine Feste liebte, die wochenlang vorbereitet waren. »Sie haben immer einen sauersüßen Beischmack,« meinte sie, »von all den Verdrießlichkeiten, Umständlichkeiten, Plagen und Qualen, die der Festgeber während der Vorkehrungen ausgestanden hat.«
Hernach lebte sie in ihrer Weise, störte keinen, und ließ sich nicht stören, las, zeichnete, ging spazieren. Adele fand nichts unbegreiflicher als daß man zum Vergnügen spazieren gehen könne. Sie ging in den Garten, um zu sehen, ob die Kirschen reiften oder ob die Kartoffeln blühten, zuweilen aufs Feld, um ihren Flachs zu besichtigen; aber nur für diese Zwecke trugen ihre Füße sie über die Schwelle des Hauses. Walldorf, wie die meisten Männer, deren Geschäfte sie viel im Freien und auf den Beinen erhalten, nannte den Spaziergang einen Zeitverderb. Männer hingegen, die eine Lebensweise führen, die sie viel über den Arbeitstisch bückt, betrachten ihn als eine Arznei, die sie täglich in einer gewissen, nach Stunden gemessenen Dosis einnehmen müssen. Alles sehr erniedrigend für den lieben freien zwecklosen vornehmen Spaziergang, der seinen verborgenen Reiz nur dem enthüllt, der ihn ohne Nebenabsicht auf Dienst und Nutzen genießt. Eine Vorschrift ist nicht über das zu geben, was zu einem angenehmen Spaziergang gehört, denn Regeln kennt er nicht. Hingegen ist sehr leicht zu sagen, was notwendig nicht zu ihm gehört: Gesellschaft. Man muß allein sein oder mit einem geliebten Menschen gehen; denn letzteres ist keine Gesellschaft: man ist nur zu zweien allein.
Zuweilen begleitete Klemens Faustinen, um ihr irgendeine hübsche Aussicht oder einen prächtigen Baum oder einen versteckten Fußpfad in den Bergen zu zeigen. Nach und nach geschah es täglich. Wenn sich Adele arbeitsam mit ihrer Näherei abends vor die Tür in den Garten setzte, und Walldorf mit der Pfeife langsam vor dem Hause auf und nieder ging, machte Faustine gewöhnlich eine Viertelstunde lang diese ermüdende Promenade mit ihrem Schwager und trat dann eine größere mit Klemens an.
Er war ein ganz liebenswürdiger Mensch, sanft und weich an Gemüt, wie die übergroßen Gestalten es gewöhnlich sind. Zu ihren riesigen Körperkräften gibt ihnen die ausgleichende Natur eine milde wohlwollende Seele, die sie unfähig macht, ihre Kraft auf grobe Weise zu gebrauchen. Nur ausnahmsweise sind sie Raufbolde und Händelmacher. Die Kleinen, die sich auf die Fußspitzen recken müssen, damit man sie erblicke, das sind die Krakehler, die Zanksüchtigen; die tun patzig, damit kein fremder Ellbogen um ihre Nasenspitze spiele. Doch zum Ersatz, weil sie oft so lächerlich sind, versteckt die ausgleichende Natur in die kleinen Figürchen die großen Genies.
Klemens hatte schon vor vier Jahren eine besondere Zuneigung für Faustine gehabt. Er war damals etwas schläfriger Natur. Bruder und Schwägerin trugen, ihrer Eigentümlichkeit nach, nicht dazu bei, ihn zu ermuntern, wohl aber Faustine, die mit dem blöden Menschen sprach und scherzte, bis er seine eckige Scheu etwas verlor. Dafür blieb er ihr innig dankbar. Weil er ihr in dem Zeitpunkte begegnet, wo er anfing, das Leben mit andern als kindischen Augen zu betrachten, glaubte er, daß sie diese Wendung und Lichtung seines innersten Wesens veranlaßt habe, und so knüpfte er seine lieblichernste Erkenntnis an ihre lieblichernste Erscheinung. Jedesmal, wenn er seinen Bruder besuchte, hoffte er insgeheim Faustine in Oberwalldorf zu finden. Immer umsonst! Aber er bewahrte eine stille Sehnsucht nach ihr, wie man sie im Winter nach dem langausbleibenden Frühling empfindet. Handlung, Tätigkeit, welcher Art sie seien, sind den Einbildungen entgegen wie Wasser dem Feuer, und ein paar Studien- oder Arbeitsjahre, (was sag ich!) Monate, bisweilen Wochen, bringen einen jungen Kopf sehr schnell ins rechte Gleis. Aber da Klemens sich keineswegs einbildete, Faustine zu lieben, sondern sie nur als das Holdseligste betrachtete, was ihm auf der Erde begegnet, so bewahrte er ihre Erinnerung in immer gleicher Frische. Und auch jetzt war sie ganz, ganz wie damals; denn sie tat nicht gern einen Schritt vorwärts, den sie später hätte zurücktun müssen. Sie tat sehr oft Schritte, die gewagt, regellos, nicht zur Nachfolge einladend waren; doch war es einmal geschehen, so stellte sie sich fest und sagte heimlich: »Nur nicht zaghaft! Nur immer vorwärts! Wer gelenkige Glieder hat, muß springen und klettern, darf sie nicht einrosten lassen.« Das in Beziehung auf sich selbst. Für andere hatte sie einen Takt in der Seele, der ihre Schritte so abmaß, daß kein fremder Gang dadurch beeinträchtigt wurde. So glaubte sie wenigstens.
Einst fand sie Klemens unter den Ulmen des Hofes, als sie am Morgen einen Spaziergang machen wollte.
»Darf ich Sie begleiten?« fragte er.
»Ich danke Ihnen! Morgens brauche ich Sie nicht,« sprach sie freundlich.
»Brauchen Sie mich nicht!« wiederholte er.
»Nein,« sagte sie unbefangen, »am Morgen geh ich nicht so weit, daß ich mich verirren könnte. Es wird zu heiß; und dann ist's ja heller Tag! Abends fürchte ich, daß die Dunkelheit über mich hereinbrechen könnte. Dann brauche ich einen Beschützer.« Sie nickte ihm freundlich zu und ging fort.
Dies war ganz wahr. Nebenbei dachte sie, es könne ihn in seinen gewohnten Beschäftigungen stören. »Und ich mag niemanden stören,« fügte sie hinzu. »Anastas! Den störe ich nie. Der lebt für mich. Meinetwegen, der kann mit mir spazieren gehen vom Morgen bis zum Abend. Klemens nicht! Klemens nur, wenn er nichts anderes, nichts besseres versäumt.«
Aber Klemens war mit dieser Rücksicht keineswegs zufrieden und sagte ihr am Abend:
»Gönnen Sie mir doch einige liebe Stunden mehr in Ihrer Nähe für die paar elenden Tage, die Sie noch hier sein werden!«
»Sie dürfen keinen zu lebhaften Geschmack an meinem nichtstuerischen Leben finden!« entgegnete sie. »Es ist unglaublich ansteckend.«
»Ja, so lange Sie da sind. Wenn Sie uns verlassen haben, gewinnt die alte Tätigkeit ihr altes Recht – und ein neues dazu: sie muß zerstreuen helfen.«
»Die Verständigkeit der Männer ist außerordentlich groß,« rief Faustine scherzend. »Sie werden durch sie geschützt und nie um ein Haar breit weiter fortgezogen, als sie es sich vorgenommen haben.«
»Billigen Sie es nicht?« fragte er ernsthaft.
»Ich billige alles, was andern guttut, wenn es mich nicht verletzt,« antwortete sie lachend.
»Und wenn es Sie verletzt?«
»So mag ich nicht mehr Richter sein. Wie Brutus über meine Söhne zu Gericht sitzen und ihnen das Leben absprechen, das könnte ich nicht. In Ermangelung der Söhne habe ich an meinen Neigungen und Meinungen Lieblinge und Schoßkinder, denen ich es gern gönne, daß sie ihr und mein Glück im Leben machen. Durch solche Schoßkinder sind wir alle verletzbar.«
»Sollte wirklich großer Kraftaufwand nötig sein, um sie hinrichten zu lassen, wenn sie Verräter waren?«
»Vielleicht nicht! Aber um sie als Verräter zu erkennen, ein großer. Unser ganzes Wesen liegt in der Deutung, die wir den Dingen geben. Die Deutung ist der Keim, woraus unsere Meinung als Stamm entspringt, der sich dann wieder in das zahlreiche Gezweig der Ansichten teilt und verbreitet. Gebe ich meine Meinung auf, so gestehe ich ein, daß ich statt eines geraden Baumes einen verkrüppelten gezogen habe, der umgehauen werden muß. Wo ich köstlichen Schatten fand, finde ich eine Wüste; wo Blattgesäusel und Vogelsang, einen öden toten Fleck. O, ich vermag es zu begreifen, daß es der Tod sein kann, eine Meinung aufgeben zu müssen.«
»Sollte nicht das Bewußtsein der besseren Erkenntnis uns vor der Verzweiflung über den Irrtum schützen?«
»Aber auf der Grenze zwischen jenem Bewußtsein und der Verzweiflung stirbt man einstweilen. Georg Forster starb aus Gram, am gebrochnen Herzen, als die französische Revolution eine Wendung nahm, die seiner Meinung nicht entsprach.«
»Georg Forster war ein Schwärmer, dessen Feuereifer ihn aufgerieben haben würde, wenn auch die Revolution alle seine Hoffnungen verwirklicht hätte.«
»Ja Freund, mehr als Fischblut gehört allerdings dazu, um an etwas anderem als am Alter zu sterben. Aber ein anderer Georg, gewiß kein Schwärmer in der Bedeutung, die Sie dem Worte beilegen, nämlich der Frundsberg, ward vom Schlag gerührt, als bei der Eroberung Roms die verwilderten Kriegsknechte seinem Befehl nicht mehr gehorchten.«
»Er würde viel besser daran getan haben, auf irgendeine Weise seinen Einfluß wieder zu gewinnen, als sich darüber tot zu ärgern, daß er ihn verloren.«
»Er sah ein, daß seine Zeit aus war. Darum starb er! Als Karl V. sah, daß seine Zeit aus war, das heißt, daß er sie nicht mehr beherrschen könne, legte er die Krone nieder. Er mochte nicht zum Scheine Kaiser sein, und Frundsberg nicht zum Scheine Feldherr, weil beide eine hohe Meinung von ihren Würden hegten.«
»Sie sind schrecklich gelehrt mit all Ihren geschichtlichen Beispielen.«
»Die geben mehr Nachdruck, als wenn ich nur von unsereinem rede.«
Klemens hatte während des Gehens einen großen Strauß von Wald- und Wiesenblumen gepflückt. »Er ist prächtig!« sagte Faustine. »Aber ich kann mich unmöglich mit dieser Garbe befrachten.«
So trug er ihn denn geduldig, und sie nahm ihn nur dann und wann und drückte ihr Gesicht hinein, als wollte sie es in Duft und Frische baden. Nach einer Stunde waren die Blumen welk, matt und zerknickt. Nichts ist so schnell verwelkt als eine Waldblume.
»Tragen Sie doch nicht mehr die Blumen!« sagte Faustine..
Klemens reichte sie ihr. Sie warf sie fort.
»O Gott!« rief er bestürzt und blieb stehen.
»Bester, ich brauche meine Hände notwendig zum Sprechen, das wissen Sie ja längst.«
»Aber ich hätte sie ja gern getragen.«
»Sie taugten nichts mehr. Blumen sind nur schön, so lange sie im Zusammenhang mit der Erde sind. Fehlt ihnen der, so haben sie nach fünf Minuten Leichenansehen und Totengeruch. Ich pflücke nie Blumen.«
»Aber diese waren nun einmal gepflückt!«
»So wollen wir sie dem Elemente geben, das ihnen angenehm sein wird für ihren gegenwärtigen Zustand!« sprach Faustine scherzend, kehrte um, hob den Strauß auf und warf ihn in den Bach, der äußerst lebendig mit ihm talab über Stock und Stein sprang. »Den Tanz hätten sich die stillen Blumen wohl nicht träumen lassen! Ob er sie fröhlich macht?«
»Sie sind recht grausam, Gräfin!«
»Und Sie wohl gar empfindsam?«
»Warum gönnten Sie mir die Blumen nicht?«
»Also Ihretwegen klagen Sie?« rief Faustine und lachte herzlich. »Ich meinte, das Schicksal der Blumen errege Ihr Mitleid, aber Sie bejammern ein verlornes Kräuterkissen, gut gegen Zahnweh oder dergleichen! Denn daß Sie den Strauß etwa als Andenken an diesen Spaziergang aufheben wollten, kann ich nicht glauben.«
»Warum nicht, wenn ich fragen darf?« sagte Klemens etwas verstimmt.
»Weil er dazu nicht wichtig genug war! Wir haben gar nicht über besonders interessante Gegenstände geredet.«
»Das tut mir leid – für Sie! Mir ist alles interessant, was und worüber Sie reden.«
»Das ist brav, an allem Anteil zu finden!«
»Keineswegs ist das mein Fall. Nur an allem, was Sie sagen!«
»Da Sokrates zu den Füßen einer Diotima lauschend und lernend gesessen hat, so ist es wohl keine Schmach, wenn ein Mann glaubt, von einer Frau Nutzen haben zu können. Nur bin ich leider nicht gescheut und weise genug dazu.«
»O!« sagte Klemens; aber Faustine unterbrach ihn schnell:
»Nur keinen Gemeinplatz! Für mich bin ich klug genug, vielleicht! Doch für andre ganz gewiß nicht. Bei mir darf niemand in die Schule gehen. Die Geschäfte des Lebens, das Eingreifen, das Handanlegen sind mir unerträglich, und die Männer sind dafür, wenn nicht geboren, doch erzogen. Wer nicht arbeitet wie eine Dampfmaschine, der gilt nicht. Wer am längsten am Schreibtisch sitzt, ohne leberkrank, – und am längsten: »Rechts um! links um!« kommandiert, ohne brustkrank zu werden; wem die Augen nicht übergehen und die Geduld nicht ausgeht: der kann was werden, kann es zu etwas bringen, wie man sagt. Aber da ich glaube, daß man es leichter auf seine eigene Hand als in Reih und Glied zu etwas bringt, so würbe ich gern Ausreißer, Überläufer, und Sie wissen, das ist schimpflich.«
»Ach, Gräfin,« sagte Klemens aus voller Brust, »Sie sind unbeschreiblich liebenswürdig.«
»Die echte Liebenswürdigkeit ist immer unbeschreiblich,« entgegnete sie, »denn sie besteht aus Elementen, die nicht mit Worten wiederzugeben sind.«
»Ja, das fühlt man Ihnen gegenüber! Nehmen Sie es nicht übel! Ich weiß wohl, man sagt nicht so geradezu Komplimente, aber ich denke, Sie wissen recht gut, daß ich Ihnen keine sagen will, sondern mehr, weit mehr! Oder weniger! Wie Sie es betrachten wollen.«
Faustine ließ die Unterhaltung fallen. Nächsten Tags schrieb sie an Andlau:
Anastas,
ich bin traurig! Die Tage laufen mir wie Wasser zwischen den Fingern durch. Es bleibt nichts davon zurück. Und wovon nichts zurückbleibt, das lebt man ja nicht; man träumt es höchstens, und ach ich lebe so gern! Wie ich mich fürchte, sterben zu müssen, ohne gesehen, gekannt, erkannt zu haben! Was? – wirst Du fragen. Alles, Lieber! Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft! Ja, die Zukunft sogar. Müßte man sie nicht ebenso gut aus ihren beiden Gefährtinnen beurteilen können, wie der Arzt die Diagnose einer Krankheit stellt? Freilich gehört dazu tiefe Wissenschaft und ernster Scharfblick, und nicht alle Leute sind Ärzte, und nicht alle Ärzte sind geschickt und erfolgreich. So tröste ich mich selbst. Doch die Sehnsucht bleibt. Dann sehe ich mit unaussprechlichem Erstaunen Menschen an, die so gar nichts davon empfinden. Zuweilen beneide ich sie und denke, eine unendliche Fülle von Glück mache sie unempfindlich für das, was außerhalb ihrer Sphäre liegt. Aber wenn ich mich besinne, so sehe ich wohl ein, daß ein enger Gesichtskreis nur für den taugt, dessen Auge darauf eingerichtet ist, und dann erstaune und beneide ich nicht mehr. Wollte ich zu meinem Schwager sagen: Ich möchte gern die Zukunft wissen, – so würde er mir antworten: Oben im Dorfe wohnt eine Kartenschlägerin; aber glauben Sie denn das dumme Zeug? – Er ist sehr brav, mein Schwager, tüchtig, redlich, rechtschaffen, kränkt und betrügt niemanden, und meine Schwester ganz ebenso, beide wie nach einem Muster zugeschnitten, was zwei Menschen wohl sein müssen, um glücklich miteinander zu leben. Wir sind uns auch alle recht gut; allein, müßte ich mein Leben hier beschließen, so glaube ich, es würde sehr bald beschlossen sein. Ich langweilte mich tot. Mein Gott, was habe ich denn bei Dir für Unterhaltung von außen? Da lebe ich ja auch zuweilen Tage und Wochen ganz einsam, ganz still, aber nie beschleicht mich diese seelenabspannende Mattigkeit. Immer gibt es etwas zu denken für uns. Hier gibt es immer nur etwas zu tun. Du weißt, es gibt eine Krankheit, den Veitstanz, so ansteckend, daß, wer die Verrenkungen sieht, Lust bekommt, sie nachzumachen. Sehe ich hier das Treiben und Arbeiten vom Morgen bis zum Abend, so ist mir bisweilen zu Mut, als müsse ich in der allgemeinen Tätigkeit und zum allgemeinen Besten meine Hände und Füße schwenken, so gut wie alle übrigen. Aber die wunderlichen Glieder wollen sich bei mir nicht anders brauchen lassen als zu nichtsnutzigen Dingen. O Anastas, wie danke ich Dir, daß Du nicht auf meine Schultern die Last eines betriebsamen, sorglichen, schaffenden Lebens gewälzt hast! Ich würde gar nicht wissen, wie ich mich dabei benehmen sollte. Adele sagt: Das lernt sich! Aber ich lerne es nicht. Adele interessiert sich für nichts als für ihre Wirtschaft und für ihre Kinder. Kinder sind etwas allgemein menschliches. Daher rede ich auch nur über ihre Kinder mit ihr. Ansichten über die Landwirtschaft habe ich aber gar nicht, und so muß ich mich bei solchen Gesprächen schweigend und hörend verhalten, was auf die Dauer nicht amüsant ist. Dafür räche ich mich an Klemens Walldorf. Mit dem rede ich, und er hört mir zu. Von Antworten ist nicht viel die Rede. Antworten nach meinem Sinn gibt mir niemand als Du. Ich sehne mich, sie zu hören. Sie zu lesen, bin ich überdrüssig. Der fatale Überdruß! Muß er sich überall anschleichen? Nun, ich hoffe, Du nimmst es nicht übel, daß Deine Gegenwart mir lieber ist als Deine Briefe.
Klemens war halb gekränkt in seiner Eitelkeit und halb betrübt in seinem Herzen, daß Faustine ihn ganz in früherer Weise behandelte. Was ihn anfänglich erfreute, genügte ihm nicht mehr. »Bin ich denn noch immer ein knabenhafter Schüler in ihren Augen?« fragte er sich zuweilen leise; und gern hätte er laut an sie selbst diese Frage gerichtet. Aber wenn sie Ja sagte? Er fürchtete sich vor diesem Ja. »Was könnte ich ihr auch sonst sein?« setzte er seufzend hinzu. »Braucht sie überhaupt einen Menschen zu ihrem Dienst, und kann ein Mensch ihr genügen? Ach, ich wollte sie ja nur auf der Hand tragen wie einen Schmetterling.«
Faustine hatte keine Ahnung, daß Klemens oder irgendein anderer Mann ein Interesse für sie hegen könne, das die gewöhnlichen Grenzen der Teilnahme und des Wohlwollens überstiege. Eine tiefe Neigung einzuflößen, schien ihr unmöglich, weil sie keine erwidern zu können glaubte, und sie hatte die feste Überzeugung, dies stehe ihr, so zu sagen, auf der Stirn geschrieben. Die Männer wüßten es auf ein Haar, behauptete sie, wo ihre Liebenswürdigkeit Eindruck mache und wo nicht, und »Verlorne Liebesmüh« spielten sie nie. Klemens war für alle Menschen, mit denen er lebte, so freundlich, hatte stets ein so gutes Lächeln, ein so sanftes Wort, daß sie sich verwundert hätte, sie, die Verwöhnte, wenn er es nicht doppelt für sie gehabt.
Als er einmal unermüdlich Ball mit den Kindern gespielt, sagte sie:
»Sie sind ein herziger Mensch, der eine recht liebe Frau verdient!«
Klemens sah sie groß an. Sein Bruder sagte:
»Denkst Du denn schon an eine Frau, Klemens?«
Klemens wandte sich zu seinem Bruder, sah den an und schwieg.
»Warum sollte er nicht?« fragte Adele statt seiner.
»Er ist so jung, so unerfahren in der Landwirtschaft . . . .«
»Ach, Guter!« rief Faustine, »Auf tiefe Wissenschaft wartet die Liebe nicht.«
»Und Du warst ja auch nicht viel älter, als wir uns verheirateten,« setzte Adele hinzu.
»Die Weiber mögen doch nichts lieber als selbst heiraten oder wenigstens Heiraten stiften,« meinte Walldorf und lachte donnernd über seine Bemerkung, die ihm ebenso neu wie geistreich vorkam.
Adele sagte empfindlich. »Ich dächte, das wäre sehr schmeichelhaft für Euch.«
Faustine rief: »Immer besser sie stiften als sie stören! Aber was meint denn Klemens dazu?«
»Daß es Zeit hat,« sprach er lakonisch.
»Seht Ihr, wie gut ich meinen Bruder kenne!« rief Walldorf triumphierend. »Er macht erst eine tüchtige Schule gründlich durch, kauft dann ein Gut in meiner Nachbarschaft und läßt sich nieder. Während der Zeit ist die Josephine herangewachsen. Gelt, Klemens?«
»Da muß er lange in die Schule gehen,« sagte Faustine, »wenn er auf Ihre Josephine warten soll. Wie lange rechnen Sie denn die Lehrzeit?«
»Nun, sieben Jahre gewiß! Ich fing bei vierzehn an und verlor dazwischen nicht meine Zeit mit Studien auf Gymnasien, Universitäten und was weiß ich! Und doch darf ich nicht sagen, daß ich vor dem einundzwanzigsten Jahre meine Lehrzeit vollendet hätte. Er fängt in dem Alter an, als ich aufhörte. Ist nicht meine Schuld! Hab ermahnt und gepredigt.«
»Jeder hat seine Weise, guter Max,« sprach Klemens gelassen.
»Und nicht wahr, auch seine Weise, eine Frau zu nehmen?« fragte Faustine.
»Gewiß!« entgegnete er. »Ich würde nie eine heiraten, die unter meinen Augen aufgewachsen wäre.«
»Warum denn nicht?« fragte Adele, wieder ganz empfänglich.
»Weil ich gern von meiner Frau glauben möchte, daß sie für mich vom Himmel herabgefallen wäre.«
»Überspannte Ansichten!« brummte Walldorf.
»Das gefällt mir!« rief Faustine und klatschte vergnügt in die Hände. »Ich habe es gern, wenn der Mann etwas mehr von seiner Frau wünscht und erwartet, als daß sie ihm die Suppe nicht versalze.«
»Bei hochgespannten Forderungen kommt selten ein sonderliches Glück zum Vorschein!« bemerkte Adele. »Dafür kann ich einstehen, daß meine Töchter ihren Männern nie die Suppe noch irgendeine andre Speise versalzen werden; aber wenn Sie begehren, daß meine Töchter sich wie überirdische Genien benehmen sollen, so muß ich antworten: Versucht's in Gottes Namen! Ich habe nie etwas Überirdisches weder an ihnen bemerkt noch für sie gewünscht.«
»Das ist nun ganz verschieden!« sagte Faustine. »Hätte ich eine Tochter, und ein Mann bewürbe sich um sie, weil er doch eben eine Köchin oder, wenn es hoch kommt, eine Wirtschafterin braucht, so würde mich das sehr kränken.«
»Mit Unrecht!« rief Adele. »Gemeinsame Sorgen verbinden so herzlich.«
»Ich glaube selbst, daß es töricht ist,« entgegnete Faustine gelassen. »Aber der Himmel hat mir diese Torheit erspart, indem ich keine Tochter habe. Allein daran habe ich nie gezweifelt, daß Sorge und Mühe, zusammen durchkämpft, zusammen getragen, die Herzen aneinander binden. Ich will ja auch sehr gern Haushälterin sein und Magd und Alles. Aber ich will nur, daß der Mann mich als Faustine begehre mit all meinen Fähigkeiten, und nicht als Magd.«
»Ich erstaune!« sagte Walldorf und ließ die Hand mit der Pfeife sinken.
»Über meine verständigen Ansichten?« fragte sie.
»Nein, daß Sie nicht gerade heiratslustig, aber doch heiratsfähig sprechen, das überrascht mich unaussprechlich.«
Faustine war äußerst belustigt durch ihren Schwager. Sie lachte laut und fragte:
»Warum sollte ich nicht heiratsfähig sein? finden Sie mich zu alt?«
»O,« sagte er mit einer verbindlich sein sollenden Verbeugung, »eine so schöne Frau wird nie alt.«
»Bravo! Sie üben sich in der Galanterie. Also jung und schön genug wär' ich! Doch nicht reich genug etwa?«
»Nebensache, das! Aber nehmen Sie es nicht übel, ich dachte, Sie wollten ganz auf gleichem Fuß mit dem Mann leben – und das geht doch nicht an. Darum mein freudiges Erstaunen bei Ihrer demütigen Äußerung, die vom Gegenteil zeugt. Ja gewiß, der Mann muß herrschen und die Frau gehorchen. Dazu ist sie geboren.«
»Gott,« rief Faustine, »wie komisch sind die Männer! Ganz ernsthaft bilden sie sich ein, der liebe Gott habe unser Geschlecht geschaffen, um das ihre zu bedienen!«
»Zu beglücken!« verbesserte Walldorf.
»Das kommt Euch gegenüber auf eins heraus! Der gute Gott schuf nicht das Lamm, damit der Wolf es fresse; und nicht die Fliege, damit der Vogel sie erschnappe; sondern Lamm und Fliege, weil sie in seine Schöpfung gehören und auch ihre Lust am Leben haben sollen. Und die eine Hälfte des Menschengeschlechts wäre geschaffen, damit die andre sie vergewaltige!«
»Welch ein Ausdruck!«
»Ihr wollt winken, und wir sollen kommen; ein Wort sagen, und wir sollen anbeten; lächeln, und wir sollen auf die Knie fallen; zürnen, und wir sollen verzweifeln! Alles auf allerhöchsten Befehl, den ihr von Gottes Gnaden verfügt. Was ist das anders als uns vergewaltigen? Ich frage. Das ist Euch schon zur Natur geworden! In diesem Sinn richtet Ihr die bürgerlichen Verhältnisse ein, erzieht Ihr die Kinder, schreibt Ihr Bücher. Himmel, wenn ich neuere Romane aufschlage, besonders französische, was erdulde ich für Ärger! In ewiger Anbetung, wie der Pater Seraphicus im Faust, schweben die Frauen vor ihren Geliebten, und die lassen es sich gnädig, zuweilen auch ungnädig gefallen. Könnte ich nur Bücher schreiben, ich kehrte das Ding um und brächte den guten, alten Sprachgebrauch, der jetzt ganz widersinnig ist: ›Er ist ihr Anbeter‹ – wieder zu Ehren. Ich werde es auch gewiß noch tun, nur um meiner Empörung Luft zu machen, und vielleicht gibt mir der Ärger herrliche Eingebungen.«
»Willst Du denn, daß die Frauen das Regiment führen?« fragte Adele.
»Nein, ich will nur, daß die Männer mit ihnen umgehen wie mit ihresgleichen, und nicht wie mit erkauften Sklavinnen, denen man in übler Laune den Fuß auf den Nacken stellt, und in guter Laune ein Halsband oder ähnlichen Plunder hinwirft. Das entwürdigt die Frauen; es stumpft ihr Zartgefühl ab. Heute lassen sie sich eine Roheit gefallen, um dafür morgen einen neuen Hut zu bekommen. Ich war einmal bei einer Freundin. Ihr Mann kam von der Jagd heim, sehr verdrießlich, weil sich die Schnepfen nicht hatten schießen lassen. Er warf sich auf das Sofa und befahl: ›Charlotte!‹ Sie stellte sich. ›Knöpfe mir die Gamaschen ab!‹ Große, schwere, plumpe, beschmutzte, lederne Gamaschen! Sie tat es. Hernach sagte ich ihr: ›Ich war recht verwundert, daß Du nicht den Bedienten riefst.‹ Sie antwortete: ›Das hätte meinen Mann noch verdrießlicher gemacht, und er würde mir nicht den Gefallen tun, meine Rechnung beim Juwelier zu bezahlen, was ganz notwendig ist.‹ Ich rief: ›Du bist ja wie Esau, verkaufst Dein Erstgeburtrecht für ein Linsengericht!‹ – Diesen Vergleich mit Esau hat sie mir, beiläufig gesagt, nie vergeben. Aber solche Behandlung verdirbt die Frauen, denn, wenn der Mann spricht: ›Ich habe Kopfweh. Bleibe doch heute Abend zu Hause!‹ so entgegnet sie: ›Sehr gern; allein dafür bekomme ich doch dies oder das?‹ – Klemens!« wandte sie sich plötzlich an diesen, »wenn Sie dereinst nicht Ihre Frau als ein Wesen Ihrer Art behandeln, so sage ich Ihnen die Freundschaft auf!«
»Als ein Wesen höherer Art wird er sie betrachten, das hat er uns ja vorhin gesagt,« warf Walldorf spöttisch hin.
»Ich wollte es Ihnen gönnen, wenn Sie ein Wesen fänden, das dies verdiente und rechtfertigte,« sagte sie freundlich zu Klemens.
Jedes ihrer Worte grub sich in sein Herz. Nur war es ihm unbegreiflich, wie sie ihm eine Frau wünschen konnte. »Ahnt sie denn gar nicht, daß es für mich nur eine Faustine und keine anderen Frauen gibt?« fragte er sich heimlich. Er war zerstreut und blieb es auch, als er mit ihr spazieren ging. Er sprach wenig; doch das fiel Faustinen nicht auf. Sie wußte, wie gern er ihr zuhörte. Er achtete auch nicht auf den Weg, und das fiel ihr auch nicht auf, weil sie sich immer unbekümmert von ihm führen ließ und die ungebahnten Stege sehr liebte.
»Wo sind wir denn eigentlich?« fragte sie endlich, als sie aus einem dichten Gehölz auf eine Wiese hinaustraten, die rings vom Wald umgeben war und durch die ein sumpfiger Bach langsam floß. »Es ist recht schauerlich hier! Muß ich hier über den Bach?«
»Freilich!« sagte Klemens, und ohne weiter zu fragen, nahm er sie behutsam auf den Arm und trug sie hindurch.
Als Faustine drüben wieder festen Fuß gewonnen, sagte sie verdrießlich:
»Das verbitte ich mir! Ich kann meine Füße gebrauchen! Wohin nun?« Sie schüttelte ihr Kleid ab, als wollte sie seine Berührung abstreifen. Sie tat es ganz unwillkürlich, und das eben kränkte ihn tief.
Er antwortete auf ihre Frage:
»Das weiß ich wirklich nicht.«
»Warum haben Sie mich denn durch den Bach getragen, wenn es unnütz ist?«
»Das weiß ich auch nicht.«
»Nun so gehen Sie, bitte, den Weg suchen!« Sie setzte sich auf einen Stein. Klemens blieb unbeweglich neben ihr stehen. »Sind Sie zu ermüdet?« fragte sie.
»Nein, ich möchte Sie nur um etwas fragen.«
»Was zaudern Sie denn? Es ist so unbehaglich hier! Also!«
»Weshalb schüttelten Sie vorhin Ihr Kleid ab, als krieche garstiges Gewürm darauf?«
»Ich mag nicht, daß man mich anfaßt,« sagte sie und lachte. »Nehmen Sie es nicht übel! Es ist eine Eigenheit. Und da Sie mich sans rime et sans raison durch den Bach getragen, so sehe ich wirklich nicht ein, weshalb ich Ihnen dankbar sein soll.«
»Ich bin recht unglücklich!« rief er.
»Weil Sie den Weg verloren haben?«
»Nein, den Kopf!«
»Das ist freilich übel,« sprach sie ernst. »Suchen Sie erst jenen, dann finden Sie auch wohl diesen wieder! Es wird regnen, glaube ich.«
Klemens sprang über den Bach zurück und verschwand im Gehölz. Faustine wartete. Die Zeit wurde ihr lang. Es dunkelte zwar noch nicht; aber finstere Wolken zogen herauf. Ihr graute auf dem öden Fleck. Sie beschloß, mit dem Bach zu gehen, ohne die Rückkehr ihres Gefährten abzuwarten. Einige Regentropfen fielen. Sie stand auf und ging durch die Wiese, durch das Gehölz, und stand nach einer tüchtigen Viertelstunde auf der Landstraße.
»Der Klemens hat wirklich den Kopf verloren,« dachte sie. »Dies ist ja das Tal von Oberwalldorf, und der kleine sumpfige Bach, der mir ein treuerer Führer gewesen ist als er, fällt dort in unsern großen wohlbekannten Waldbach. Nur nie sich auf Menschen verlassen, immer auf die Natur!«
Es regnete stark. So kam sie tüchtig durchnäßt, aber wohlbehalten nach Hause, wo sie ihr Abenteuer der staunenden Schwester erzählte und sich über Klemens Ungeschick lustig machte.
Adele sagte:
»Er wird Dich jetzt suchen und in Todesangst sein.«
»Freilich wird er das!«
»Du hättest ihn doch lieber erwarten sollen!«
»Dort auf der unheimlichen Wiese sitzen und mich naßregnen lassen? Nein! Seine Unachtsamkeit verdient die kleine Strafe.«
»Solche Widerwärtigkeiten hat man von den Spaziergängen! Du wirst den Schnupfen bekommen und er . . . .«
»Vielleicht den Husten!« ergänzte Faustine heiter. »Das ist ja kein Unglück! Aber ich werde nicht mehr mit ihm spazieren gehen.«
Klemens hatte den Weg wieder zurücklegen wollen, den sie gekommen. Da er ihn aber nicht beachtet hatte, so kam er seitab zu einem Köhler, dessen Buben er mitnahm, um sich den Heimweg zeigen zu lassen. Auf die Waldwiese zurückgekehrt, fand er zu seinem Entsetzen Faustine nicht mehr. Statt gradenwegs nach Oberwalldorf zu gehen, fing er an umher zu irren und zu suchen, er rechts, der Bube links. Es regnete, es dunkelte. Er begegnete keiner Seele, keinem Hirten, keinem Kohlenbrenner, der sie gesehen hatte. Daß ihr ein Unglück zugestoßen, glaubte er zwar nicht; es gab hier keine Räuber, keine gefahrvollen Abgründe; aber verirrt konnte sie sein, geängstigt. Er raufte sich das Haar aus vor Verzweiflung. Endlich tat er, was er gleich hätte tun sollen und getan hätte, wenn er eben nicht den Kopf verloren: er ging nach Oberwalldorf, um die Schloßbewohner, und sollte es not tun, auch die Dorfbewohner nach Faustinen auszusenden.
Die Turmuhr schlug elf. Sonst war um diese Stunde das ganze Schloß dunkel. Heute Licht in einigen Zimmern! »Sie ist nicht da, sonst wären sie wohl schlafen gegangen,« dachte er. Er trat in den Saal. Sie war da. Er flog auf sie zu, ergriff ihre Hände, küßte sie mit stürmischen Entzücken und sank dann halb ohnmächtig auf einen Stuhl, keines Wortes mächtig. Walldorf besprengte sein Gesicht mit Wasser, Adele hielt ihm Äther vor. Faustine sah zu.
»Was dachten Sie denn eigentlich?« fragte sie, nachdem er sich erholt.
»Nichts!« sagte er. »Sonst würde ich wohl das Richtige gedacht haben. Meine Angst war zu groß.«
Als er am andern Tage einen Spaziergang vorschlug, antwortete sie:
»Das haben Sie verscherzt! Ich habe das Vertrauen zu Ihnen verloren. Sie lassen mich einsam auf der sumpfigen Wiese.«
Er gelobte und flehte. Aber Faustine ging nicht mehr mit. Ihre Abreise rückte ganz nah heran, und sie verbarg nicht, wie sehr sie sich darüber freute.
Klemens war wie vernichtet. Am letzten Abend, als sie zufällig allein waren, faßte er Mut und fragte:
»Wüßte ich nur, ob Sie ohne Verdruß an mich denken!«
Auf Faustinens Lippe schwebte ein Lächeln, das soviel bedeutete als: »Ich denke ja gar nicht an Dich!« Gleichgültig sagte sie:
»Sie haben mir gar nichts zu Leide getan.«
»Doch, an jenem Abend auf der Waldwiese . . . .«
»Das sollte ich übel genommen haben? Nein, guter Klemens, beruhigen Sie sich! Wir scheiden, wie wir uns fanden, als gute Freunde.«
»Und tun die nichts für einander?«
»Schwerlich!« rief sie heiter. »Freunde tun schon wenig genug für einander; aber gute Freunde wünschen sich glückliche Reise und damit Basta!«
»Würden Sie mir nicht erlauben, Ihnen zu schreiben?«
»Da ich schwerlich Zeit habe, Ihnen zu antworten, so meine ich, daß Sie von dieser Erlaubnis keinen Gebrauch machen möchten.«
»Sie sind von einer eisigen, übermenschlichen Kälte! Fünf Wochen haben Sie hier gelebt, so freundlich, so liebenswürdig, daß es eine Wonne war, mit Ihnen zu verkehren, Sie zu sehen, sich von Ihnen anstrahlen zu lassen, – und nun gehen Sie, als wäre alles Spaß oder überhaupt nicht gewesen!«
»Ich gehe mit derselben freundlichen, teilnehmenden Gesinnung, die ich beim Kommen hatte. Kummer über meine Abreise zu heucheln, wäre gewiß lächerlich. Ich bin sehr gern hier gewesen, unter guten Menschen, aber ich gehe auch gern; denn heimisch bin und werde ich hier nicht.«
»Und wann werde ich Sie wiedersehen?«
»Müssen Sie mich denn durchaus wiedersehen?«
»Durchaus!« sagte er fest. »O Gott, nur sehen! Das können Sie mir doch gönnen?«
»Wenn es Ihnen zu etwas hilft, Sie fördert, – gern! wenn nicht, – ungern! Überlegen Sie sich das!«
»Sie sind grausam, Faustine!«
»Habe ich denn Unrecht? Kommen Sie, wir wollen Schach spielen!«
Sie spielten; doch Klemens so unaufmerksam, daß Faustine ihm seine Königin nehmen konnte.
»Die Königin ist fort, das Spiel ist aus!« sagte er und verließ das Zimmer.