Ida Gräfin Hahn-Hahn
Faustine
Ida Gräfin Hahn-Hahn

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XXV

Als Klemens in der Frühe des nächsten Tages zu Faustine kam, rief sie freundlich:

»Nun, mein verlorner Sohn, dies Kränzchen soll zugleich Ihre Heimkehr und Ihr Wiegenfest feiern!« und warf ihm einen Kranz der ersten Frühlingsblumen entgegen. »Schönere Sinnbilder der Hoffnung als diese unter Schnee und Eis gekeimten Blumen weiß ich nicht Ihnen zu geben, und die Hoffnung ist doch das, womit wir uns am liebsten beschäftigen.«

»Ich halte nicht viel von der Hoffnung,« entgegnete Klemens.

»Genügen Ihnen die Wirklichkeiten so ganz?«

»Sie genügen mir so wenig, daß es mir nicht der Mühe wert vorkommt, Träume von ihnen in die Zukunft hineinzuschieben, und das tut die Hoffnung.«

»Aber unwillkürlich blickt der Mensch in die Zukunft, wie er, wenn er am Fenster steht, zum Himmel blickt, und wie dort Wölkchen oder Gestirne auftauchen und dahinziehen, so dämmern in ihr Bilder der Hoffnung auf . . . . Haben Sie schon Ihre Abreise nach Oberwalldorf festgesetzt?«

»Ich habe noch nicht daran gedacht.«

»Und was sagt Ihr Bruder dazu?«

»Nichts, vermute ich. Er sagt überhaupt so wenig, wenn er auch ziemlich viel spricht. Da wir aber einander nicht schreiben, so weiß ich gar nichts von ihm.«

»Ich wundere mich, daß Ihr Aufenthalt hier Ihnen so zusagt.«

»Sie sind ja hier! Ich meine, Sie leben ja auch in Dresden.«

»Ich habe nirgends eine andre Bestimmung.«

»Weshalb wollen Sie mich in die Verbannung des Landlebens schicken, das doch in der Tat erdrückend ist, wenn nicht Angelegenheiten und Pflichten des Herzens dies Kleben an der Scholle und Sorgen um die Scholle adeln.«

»Und was hält Sie ab, diesen höhern Interessen nachzugehen? In schöner kräftiger Jugend stehen Sie brav und unabhängig da, nicht eben reich. Das ist sehr gut, da wird man zur Tätigkeit angespornt. Also kaufen Sie ein Landgut Ihrem Vermögen angemessen, suchen Sie eine liebenswürdige Lebensgefährtin und werden Sie recht, recht glücklich, lieber Klemens! Das ist mein Wunsch zu Ihrem Geburtstage.«

»Wünschen Sie aufrichtig, mich glücklich zu sehen?«

»Wenn ich Nein sagte, würden Sie es glauben? Ich lüge nicht, weil ich die Wahrheit bequemer finde als die Lüge. Das sollten Sie doch wissen.«

»In der Welt macht man aus Gewohnheit, nicht um zu lügen, viel schöne Worte.«

»Ich auch, wenn mir nichts Besseres einfällt! Doch Freunden gegenüber nenne ich leere schöne Worte Lüge, weil sie etwas anderes dahinter erwarten; die Welt aber nicht. Die empfängt die Münze, womit sie zahlt. Ein redlicher Handel!«

»Gut denn, so müssen Sie mein Glück nicht bloß wünschen, sondern auch etwas dafür tun.«

»Tun? Ach, meine gebrechliche Hand webt leichter die fliegenden Sommerfädchen der Theorie als das derbe Schiffstau der Praxis. Was kann ich für Sie tun? Ein hübsches Bild für Sie malen?«

»Ihr eigenes?«

»Nein, daran mögen andere ihre Kunstfertigkeit üben! Ich habe zu viel mit mir selbst zu schaffen, um mich auch noch zu malen. Und Sie besuchen kann ich . . . .«

»Wann? Wo?«

»Nun, wenn Sie verheiratet sind und ein hübsches Haus haben.«

»Das liegt alles zu fern.«

»So will ich mich besinnen! Mit der Zeit fällt mir vielleicht noch etwas ein.«

Aber Faustine war so gelangweilt durch die ungewohnte Anstrengung, jedes Wort so einzurichten, daß es eine Schranke vor Klemens schob, daß sie nicht zu ihrer gewöhnlichen Freiheit gelangte und herzlich froh war, als die Ankunft Kunigundens und ihres Vaters das Zwiegespräch unterbrach.

Frau von Stein hatte ihre Tochter kalt entlassen mit der Weisung, die große Selbständigkeit, die sie in so jungen Jahren ihren Eltern gegenüber errungen, auch nun für ihr ganzes Leben und unter allen Verhältnissen zu bewahren, damit sie nicht in den Verdacht kindischen Trotzes gerate. Da indessen jeder, der überhaupt einen Willen habe, berechtigt sei, ihn geltend zu machen, so billige sie, daß die Tochter auf eigenem, wenn auch überraschendem Wege zum Glück zu gelangen suche.

Kunigundens Schwestern weinten – und trösteten sich. Nur der Vater war sehr betrübt, und Kunigunde voll tiefen Schmerzes, ihn verlassen zu müssen. Sie liebte den beschränkten lenksamen geduldigen Mann, nicht mit kindlicher Zärtlichkeit, nicht mit Verehrung, aber mit jenem tiefen Mitleid, das vielleicht Antigone für den blinden Vater empfand. Ach, auch der ihre war ja blind, konnte nicht allein stehen in dem verwirrten Leben, weil er nicht fähig war, es zu überschauen, und bedurfte einer Führerin, einer milderen als die herrschsüchtige Gattin war. Das war sein frommes Kind – wie er Kunigunde nannte – ihm stets gewesen, und er bedauerte ihren unersetzlichen Verlust, wenn auch völlig ergeben.

»Sie ist jung, ich bin alt!« sagte er. »Da muß man an ihre Zukunft denken. Alte Leute haben keine! Und verloren hätte ich sie ja doch, sobald sie sich verheiratet hätte. Und dann wäre sie unglücklich geworden, sagt sie; das würde mir das Herz abstoßen. Nun kann ja der liebe Gott es so fügen, daß sie noch einmal sehr glücklich wird, sogar, daß ich es noch erlebe.«

Kunigunde saß immer neben ihm und hielt seine Hand in der ihren. Ihre Lippen zitterten, aber sie weinte nicht und sprach fast gar nicht. Es war eine herbe Wehmut in ihr, über die Art, wie sie aus dem Vaterhause einsam in die Fremde ging. Ehedem hatte sie sich dies Scheiden wohl anders gedacht, an der Hand des Gatten, einer schönen Bestimmung zu. Doch das war lange her, war noch ein Bild aus ihrer ersten Jugendzeit, wo sie noch nicht ihre eigenen Ansprüche an den künftigen Gatten kannte. Seitdem war es anders in ihr geworden; wie und wodurch, das wußte sie nicht. Es kam ihr eben nur vor, als habe sie ausgeschlafen. Doch der Tag, zu dem sie erwacht war, lag kühl und farblos da, und sie fröstelte bei dem Gedanken, da hinein zu müssen.

Mengen kam, erneuerte die früher gemachte Bekanntschaft mit Herrn von Stein und Kunigunden, und erzählte so viel und so herzlich von seiner Familie, besonders von seinem Vater, daß allen dabei ganz traulich und heimisch zu Sinn ward.

Mathildens Hochzeit sollte nächstens sein. Faustine sagte:

»Das freut mich für die Liebenden und noch mehr für Sie, teure Kunigunde. Es bringt uns den Menschen näher, wenn wir ein Familienfest mit ihnen gefeiert haben. Wir sind nicht fremd in dem Kreise, wo wir einmal teilnehmend gelächelt oder geweint haben.«

»Und ich werde Ihnen bald folgen, mein Fräulein, und Ihnen Briefe und Nachricht von den Ihren bringen,« sagte Mario, »denn ich bin sehr entschlossen, etwas so Frohes wie eine Hochzeit bei den Meinen nicht ohne mich vorübergehen zu lassen.«

Der Tag ging recht gut hin. Mengen war fast immer da. Kunigunde schöpfte Zuversicht aus seinen Worten. Feldern kam in der Absicht, ihr Lebewohl zu sagen; doch er kehrte im Vorzimmer wieder um. Ihm war, als spiele er in diesem Auftritt nur eine Nebenrolle.

Kunigunde wollte am nächsten Morgen reisen. Es war alles für sie in Bereitschaft gesetzt. Sie nahm einen kurzen heftigen Abschied von Faustine. Sie wollte nicht weich werden, vielleicht ihres Vaters wegen. Der alte Mann erbat sich Faustinens Erlaubnis, sie zuweilen besuchen und mit ihr von Kunigunden reden zu dürfen. Diese sagte zu Mario, auf Faustine deutend:

»Sie bringen mir also bald Nachricht von meiner Lieben!«

Dann begab sie sich mit dem alten Herrn in einen Gasthof. Am andern Morgen, als die Sonne aufging, waren Vater und Tochter schon getrennt, und Kunigunde fuhr gefaßt ihrer Bestimmung entgegen.

»Und Sie gehen nun auch?« fragte Faustine niedergeschlagen Mengen. »Ich werde recht einsam sein. Wenn doch Klemens lieber ginge statt Ihrer!«

»Ich komme bald wieder,« sagte Mario. »Meine Eltern wünschen es, wollen mich sehen.«

»Das begreife ich. Wenn wir uns aber nur wiedersehen!«

»Warum sollten wir nicht? Wir sind jung.«

»O, das ist kein Grund! Im Gegenteil. Junge Menschen werden häufiger getrennt als alte.«

Faustine blieb so niedergeschlagen, daß auch Mario davon angesteckt wurde und wenigstens an dem Abend in keine leichtere Stimmung kam. Doch gerade dieser mächtige unleugbare Einfluß Faustinens bestimmte ihn, eine Entscheidung herbeizuführen.

»Gehöre ich ihr so ganz an,« sagte er zu sich selbst. »so werde sie denn auch mein eigen! Und was fürchte ich denn? Sie ist ja frei. Ich bin es! Aber wird sie wollen? Sie muß wollen, wenn sie mich liebt . . . . Wenn! Unseliger Zweifel, den nur der Kopf ausbrütet und das Herz nicht hegt!«


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