Ida Gräfin Hahn-Hahn
Faustine
Ida Gräfin Hahn-Hahn

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XXIX

Faustine saß vor der Staffelei und tat die letzten Pinselstriche an einem meisterhaften Gemälde. Es war jenes, das sie sich einst in Mainz ausgedacht hatte: ein junger Mann ging an einem Fenster vorüber, hinter dessen Gitter ein Mädchen saß; die Katze, die Kapuzinerkresse, die Arbeit, nichts fehlte. Mario sollte kommen; sie wollte ihn mit diesem Bilde erfreuen, denn eifrige Arbeit – das wußte er – war ihr stets ein kampfstillendes Mittel.

Klemens trat ins Gemach und hinter ihren Stuhl. »Das Bild würde mir außerordentlich gefallen,« sagte er, »wenn der Mann da nicht dem Grafen Mengen ähnlich wäre!«

»Graf Mengen hat ein so eigenartiges Gesicht, daß ein Malerauge es gern auffaßt und darstellt.«

»Ich will es nicht leugnen! Nur paßt es nicht in diese gotische Umgebung. Er sieht tatarisch aus.«

»Tatarisch! Klemens, Sie haben wirklich kein Urteil!«

»Und Sie ein Vorurteil!«

Faustine zuckte schweigend die Achseln. Nach einer Pause fragte sie:

»Werden Sie denn nie nach Oberwalldorf heimkehren, Klemens?«

»Bin ich Ihnen lästig?« fragte er bitter.

»Zuweilen, durch Ihre bizarren Launen, ja.«

»Sie waren in Prag, nicht wahr, da oben auf dem Wyscherad über der Moldau, wo man das Badegemach der Libussa zeigt?«

»Ja, ja, aber ich sprach von Oberwalldorf.«

»Wissen Sie, was in jenem Badegemach geschah?«

»O ja, die Königin Libussa, stolz auf ihre Unabhängigkeit, wollte keinen Mann Einfluß über sich gewinnnen lassen, und, wenn auch aller Schwäche des Weibes unterliegend, nie schwach erscheinen und immer frei bleiben. Deshalb ließ sie die Männer, denen sie eine flüchtige Gunst geschenkt, aus jenem Gemach in die Moldau stürzen.«

»Sie sind die Königin Libussa im Gewande der neuen Zeit, ohne die wilde Sinnlichkeit, ohne die blutige Grausamkeit. Hört eine Persönlichkeit irgendwie auf, Ihnen im Einklange zu sein, und hätte sie Ihnen das Innerste ihres Lebens dargebracht, – Sie lassen sie in die Moldau stürzen!«

Herber Schmerz durchbebte Faustine; sie gedachte Andlaus und rief:

»Das ist wirklich nicht ganz unwahr!«

»Aber ich lasse mich weder in die Moldau noch nach Oberwalldorf schleudern,« fuhr Klemens aufgeregt fort.

»O, Sie!« sagte Faustine und sah ihn verwundert an. »Für Sie bin ich die Königin Libussa nicht gewesen. Ihnen habe ich keine Liebesverheißungen gegeben . . .«

»Vielleicht auch Anderen,« unterbrach Klemens sie gereizt, »aber mir gewiß! Sie haben mich in Ihr Leben aufgenommen! Wenn eine Frau wie Sie das tut, so ist es eine Liebesverheißung, denn Sie müssen fühlen, daß dem, der in Ihrer Nähe lebt, Ihre Liebe eine Bedingung des Daseins wird. Oder haben Sie das etwa nicht gewußt bei mir?«

»Ich habe Sie um mich geduldet, weil ich keinen andern Weg offen sah, um Sie zur Erkenntnis über mich zu bringen. Ich hatte Wohlwollen für Sie, ich habe Mitleid mit Ihnen . . .«

»Ah, Du hast Mitleid mit mir!« rief Klemens, warf sich vor ihr nieder und umschlang stürmisch ihre Knie.

»Ich hatte Mitleid mit Ihnen, muß ich sagen!« rief Faustine ungeduldig und stand lebhaft auf. »Allmählich geht es über in Widerwillen, und nicht durch meine Schuld. Ich begreife Sie nicht, Klemens! Wenn mir ein einziges Mal gesagt oder gezeigt würde, daß man mich nicht liebt, so würde ich eher sterben als mich einer zweiten Abweisung aussetzen.«

»Es ist hart zu sterben, wenn man liebt!« sagte er finster.

»Aber wer spricht denn vom Sterben? Sie sollen ja leben, froher, glücklicher als bisher. Nur ein klein wenig Vernunft, guter Klemens!«

»Bravissimo, Gräfin Faustine! Wenn Sie die Vernunft predigen, so mag ich es wohl noch zu einem recht freudenreichen Dasein bringen!« rief Klemens und lachte grimmig. »Doch einstweilen, bis es soweit kommt, schwimme ich auf dem Meer des Lebens, an das dünne Brettchen der einzigen Hoffnung geklammert, Du werdest mir, wie Leukothea dem Geliebten, dem gefährlich Schiffenden, die rettende Binde zuwerfen. Dereinst, Faustine, nicht wahr, dereinst? Ich will warten, warten . . . . bis in die Ewigkeit hinein, aber ich will und muß darauf hoffen dürfen . . . sonst . . . lasse ich mich sterben!«

»Tun Sie, was Sie wollen! Nur hoffen Sie nichts von mir, Klemens!« erwiderte sie sehr bestimmt.

»Weder für Gegenwart noch Zukunft?«

»Weder für Gegenwart noch Zukunft, so wahr ich Faustine bin!«

»Gut, gut!« sagte Klemens. Eine fürchterliche Zerstörung glitt über sein Gesicht. Sie sah es nicht, denn sie hatte sich wieder an die Staffelei gesetzt. »Eine Gnade!« fuhr er fort. »Sagen Sie mir, wem gehört Ihre Zukunft?«

»Mir – und dem Schicksal!« antwortete sie fest.

»Sie zwingen mich, die Frage anders zu stellen,« sagte er gelassen. »Wem gehören Sie in Zukunft?«

»Sie nehmen sich das dreiste Recht einer Frage, die ich nicht Lust habe zu beantworten,« entgegnete sie kalt.

»Mein Gott, zu einem Freunde, der für immer scheidet. kann man doch wohl diesen Beweis von Zutrauen geben,« sagte er sanft.

»Ah, Sie gehen?« rief Faustine freudig.

»Ja, ich gehe, Faustine!«

»Und wann? Und wohin?«

»Wohin? Das weiß ich nicht. Aber wann? Morgen, gewiß morgen!«

Faustine atmete erleichtert auf. Morgen sollte Mario kommen; also traf Klemens nicht mehr mit ihm zusammen.

»Sind Sie mit mir zufrieden?« fragte er.

Sie gab ihm schweigend die Hand.

Zwischen Vorwurf und Trauer sprach er:

»Sie geben mir die Hand zum ersten Male, seit wir uns kennen!«

»Es soll nicht zum letzten Male sein!« erwiderte sie freundlich.

»Wer weiß, Gräfin! Es kommt immer anders, als man meint! Darum seien Sie gnädig und beantworten Sie mir die Frage, die ich vorhin gewagt, wenn sie auch allzu dreist ist. Bedenken Sie: es ist die letzte! Ich gehe ja morgen! Und ist es für Andre ein Geheimnis, so verlassen Sie sich auf mein ewiges Schweigen!«

Sein feierlicher Ernst in Blick und Ton stimmte auch Faustinen ernst. Sie sagte nichts; aber sie legte den Finger auf Marios Bildnis im Gemälde.

Klemens verstand sie. Er stützte sich auf ihren Stuhl, und die Lehne blieb in seiner Hand.

Entsetzt blickte sie ihn an und rief angstvoll:

»Gehen Sie, Klemens! Um Gottes Barmherzigkeit willen verlassen Sie mich! Ich fürchte mich vor Ihnen. Sie sehen aus, als brüteten Sie eine Untat.«

Er fuhr mit der Hand übers Gesicht: »Eine Untat? O nein, Gräfin, nur eine Tat!« Dann nahm er den Hut und sagte: »Ich werde noch Abschied von Ihnen nehmen.« Damit ging er.

In Faustinen hatte sich die Angst festgesetzt, Klemens könne Marios Leben wollen; das ihre oder sein eigenes, daran dachte sie nicht; nur an Mario. In namenloser Unruhe ging sie in den Zimmern umher, denn sie konnte nicht mehr den Pinsel halten; alle ihre Nerven zitterten. Bald griff sie im Vorüberstreifen ein paar Akkorde auf dem Flügel; bald trat sie an den Bücherschrank, um ein Buch zu suchen, das sie nicht fand; bald setzte sie sich erschöpft nieder und summte halblaut eine Melodie ohne Worte; bald legte sie sich ins Fenster und blickte rechts und links mit jenem seltsamen Stumpfsinn, die den ersten besten Gegenstand ergreift, um von quälenden Gedanken und Vorstellungen loszukommen, so daß man sich zum Beispiel auf der heimlichen Frage ertappt: »Wird sich jenes Vögelchen auf einen Ast oder auf ein Dach setzen?« und man sieht dem Vogel nach, solange man ihn gewahr werden kann. Während der Zeit hat das Herz gleichsam still gestanden und nach Luft geschnappt; nun geht es wieder weiter im atemlosen Lauf.

Endlich ging sie zu Frau von Eilau, fand aber dort so viel Menschen, daß ihr nicht die gehoffte Zerstreuung ward. Nur in der Plauderei mit zwei oder drei Personen unterhielt sie sich, weil sie Anregung zum Sich-Mitteilen fand. In größeren Kreisen, wo man Lärm machen muß mit seinen Worten, um gehört zu werden, – nur gehört, nicht verstanden, – da verstummte sie und war fast immer zerstreut. Heute mehr denn je. Aber man kannte das; es fiel nicht auf.

Graf Kirchberg setzte sich zu ihr und versuchte Töne anzuschlagen, die in ihr Widerhall weckten. Es gelang nicht.

»Ich habe nicht verstanden,« erwiderte sie auf eine seiner Bemerkungen.

»Dann muß ich mich sehr undeutlich ausgedrückt haben,« sagte er lächelnd, »denn Sie pflegen Salomos Ring bei sich zu tragen, vermittelst dessen man die Sprache auch der unvernünftigen Kreatur versteht.«

»Ach,« rief sie, ohne den Scherz zu beachten, »wenn man sich unbehaglich fühlt, wie unklar und windschief erscheinen alle Worte, Zustände, Menschen! Man ist nicht imstande, das Abc herzusagen. Man starrt einen Freund zerstreut wie einen Fremden an. Man meint, man werde in den nächsten vierundzwanzig Stunden stecken bleiben wie in einem Sumpf. Kennen Sie solche Augenblicke?« Ohne seine Antwort zu erwarten, fuhr sie im veränderten Ton fort: »Wo der Pflug über ein Menschenherz geht, ist die Hand Gottes da, um Samen für die Ewigkeit hineinzustreuen. Das glauben Sie doch auch, Graf? Denn wenn man es nicht glaubt, wie soll man sich trösten, den Pflug mit eigener Hand über ein Herz gelenkt zu haben?«

»Ich würde mich auch nur in dem Falle trösten, daß dies Herz das meine wäre,« entgegnete Kirchberg. »Es hieße der Selbstsucht zu leichtes Spiel machen, wenn der nichtsachtende Leichtsinn oder die rücksichtslose Leidenschaftlichkeit sich einbilden dürften, der Liebe Gott werde die Wunden, die sie schlagen, mit Balsam heilen.«

Faustine schauerte zusammen und wurde leichenblaß. Graf Kirchberg fragte, ob sie krank sei.

»Mir ist bange,« sagte sie und verließ die Gesellschaft.

Bei ihrem Diener erkundigte sie sich besorgt, ob niemand in ihrer Abwesenheit sie habe besuchen wollen. Er verneinte es. Dasselbe tat ihre Kammerjungfer, die sie, zu Hause angelangt, gleichfalls befragte. Dennoch sah sie sich gespannt im Zimmer um. Fürchtete sie Klemens? Hoffte sie auf Marios Nähe? Sie wußte es nicht. Immer traten beide zusammen vor sie hin.

»Jeannette, ich freue mich heute recht, zu Bette zu gehen!« sagte sie zu der Jungfer.

»Ach,« rief die ganz erfreut, »das habe ich noch nie von der gnädigen Gräfin gehört, und es gibt doch gewiß nichts Angenehmeres und Bequemeres auf der Welt als solch weißes frisches stilles Bett. Ich würde es noch mal so gern machen, wenn die gnädige Gräfin sich immer darauf freuen wollten.«

»Behüte mich der Himmel, Jeannette! Ich darf nicht immer so träge sein.«

Jeannette sah das durchaus nicht ein und verrichtete schweigend ihren Dienst.

Faustine schlief bald; und ohne Träume, ohne Unruhe, wie einem Kinde, ging ihr die Nacht hin. Es gibt einzelne glückliche Wesen, die zugleich stark und biegsam genug sind, um dem Körper zu gestatten, daß er im Schlaf sein Recht behaupte und nicht zu leiden habe von den Kämpfen und Mühen der Seele. Wachend ist er ihr getreuer dienstwilliger Sklave, schlafend ihr Herr. Sie liegt in Fesseln, denn er borgt ihr nicht die Werkzeuge, durch die sie ihre Herrschaft betätigen kann. Wie in Lethe gebadet war Faustine jeden Morgen. Es währte immer eine Zeitlang, bis der grelle Tag mit seinen Beschwerden sich Platz machte in der dämmernden Kühle, womit die Nacht sie umhüllt hatte. Morgens war sie auch am schönsten. Das ist nur ausnahmsweise der Fall bei Menschen, die über sechzehn Jahre alt sind. Je älter man wird, desto mehr bedarf man des Anreizes, der Bewegung, des Putzes, der Lichter, um schön zu sein; es wird künstliche Schönheit. Die meisten Menschen stehen ermattet auf; der Traum hat sie mehr geplagt als der Schlaf erquickt.

Faustine stand heiter auf, denn: »Heute kommt Mario!« dachte sie. Sie ging auf den Balkon. Die grünen Bäume, der wolkenlose Himmel, die zwitschernden Vögel kamen ihr vor wie freundliche Verheißungen. »Mario!« sagte sie halblaut mit stillem Jubel. Da, wie ein Schiffer, der am Horizont das kleine Wölkchen entdeckt, den unfehlbaren Boten des Ungewitters, da sagte sie dumpf: »Wo ist jetzt wohl Anastas? Was wird aus Klemens? Mein Gott!«

Der Tag kam über sie. Indem meldete Ernst den Herrn von Walldorf, der so früh sich empfehlen wolle. Sie ließ ihn eintreten. Klemens sah verwildert aus. Ihr fiel ein, ob er nicht berauscht sein könne, und die Angst, die sie schon mehrmals in seiner Nähe empfunden, befiel sie von neuem.

Aber er sagte ruhig:

»Im nächsten Monat wird es ein Jahr, daß Sie nach Oberwalldorf kamen. Wissen Sie wohl noch, was Sie mir dort alles bei unsern Spaziergängen erzählt haben?«

»Nicht eine Silbe, bester Klemens.«

»Das vermutete ich schon! Ich will Sie auch nur an ein einziges Wort erinnern. Sie sagten von Georg von Frundsberg: Er sah ein, daß seine Zeit aus war; darum starb er.«

»Ja, das habe ich gesagt.«

»Und Sie freuten sich darüber.«

»Ich fand es natürlich für einen Tatenmenschen.«

»Meine Zeit ist auch aus, Faustine!« sagte er fest.

»Sie haben noch gar keine Zeit gehabt!« entgegnete sie eben so fest.

»Doch, doch! Die der Hoffnung!«

»Die Hoffnung, von der Sie sprechen, war ein Irrtum. Kein tüchtiger Mensch lebt für einen solchen.«

»Ferner haben Sie damals gesagt, Faustine: Auf der Grenze zwischen dem Bewußtsein der neuen Erkenntnis und der Verzweiflung über den Irrtum stirbt man . . . Ich stehe auf jener Grenze, und ich sterbe.«

»Warum foltern Sie mich, Klemens?« fragte sie traurig.

»Das ist nicht mehr als billig, schöne Königin Libussa! Für die Martern, die Du seit einem Jahr über mich verhängt hast, sollst Du wenigstens einen Augenblick mit mir und durch mich leiden!«

Klemens murmelte dies zwischen den Zähnen und hatte Faustinens Hände über dem Gelenk in seiner Linken zusammengefaßt. Sie konnte nicht von der Stelle und versuchte es auch nicht, denn sie sah, er hatte einen Entschluß gefaßt, dem sie mit ihrer geringen Kraft nicht wehren konnte.

»Nun? Wie wollen Sie mich foltern?« fragte sie mutig. »Sie sehen, ich warte darauf.«

»Du bist recht tapfer, wie sich das schickt für eine Königin! Und Du fürchtest Dich wirklich gar nicht vor mir?«

»Ich fürchte nur den Mann, den ich achte und liebe,« sprach sie kalt.

Da zog Klemens ein Pistol aus der Brusttasche, setzte es in den Mund und drückte ab. Seine Hand packte im Todeskrampf noch fester die ihre. Faustine fiel neben seiner Leiche ohnmächtig hin.

Die entsetzten Dienstboten und die übrigen Hausbewohner eilten herbei mit Geschrei und Gejammer. Durch all den Tumult machte sich ein Mann stürmisch Platz, drang ins Zimmer, das blutrot im Morgenlicht glänzte, sah neben einer entstellten Gestalt die leichenähnliche Faustine und rief:

»O, warum habe ich sie zurückgelassen?«

Mario trug Faustinen zum Wagen, der noch vor der Tür hielt, ließ umkehren und reiste unverzüglich mit ihr zu seinen Eltern.


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